Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Zollwerts, Vorlage der Einfuhrlizenz bei Erstattung von Zoll
Leitsatz (NV)
1. Der bereits vor Lieferung einer Ware eingetretene Schaden ist bei der Bemessung des Zollwerts zu berücksichtigen (Folgeentscheidung zu EuGH-Urteil vom 29. April 1993 Rs. C-59/92).
2. Zur Erstattung des in unrichtiger Höhe erhobenen Zolls ist die Wiedervorlage der Einfuhrlizenz nicht erforderlich.
Normenkette
EWGV 1430/79 Art. 2 Abs. 1, 3, 5, 10; EWGV 1224/80 Art. 3 Abs. 1; EWGV 1495/80 Art. 4 Unterabs.2; EWGV 3183/80 Art. 40; FGO § 120 Abs. 2
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage gegen die Ablehnung eines Antrags der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) auf Erstattung von Zoll durch das beklagte und revisionsklagende Hauptzollamt (HZA) statt. Mit seiner Revision rügt das HZA in erster Linie die fehlerhafte Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts über den Zollwert.
Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf den Vorlagebeschluß des Senats vom 10. Dezember 1991 VII R 69/90 (BFHE 166, 515) verwiesen, mit dem der Gerichtshof um Auslegung der maßgebenden Zollwertvorschriften ersucht worden ist.
Die daraufhin ergangene Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) lautet wie folgt (Urteil vom 29. April 1993 Rs. C-59/92):
Artikel 4 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1495/80 der Kommission vom 11. Juni 1980 zur Durchführung einiger Vorschriften der Artikel 1, 3 und 8 der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 des Rates über den Zollwert der Waren in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1580/81 der Kommission vom 12. Juni 1981 ist dahin auszulegen, daß kein Anlaß besteht, danach zu unterscheiden, ob eine Beschädigung der Waren, die deren Zollwert mindert, vor oder nach dem Gefahrübergang auf den Käufer eintritt.
Im Verfahren über die Revision führt das HZA noch aus, die im Urteil der Vorinstanz (Nr. 2 des Tenors) ausgesprochene Verpflichtung des HZA, Eingangsabgaben zu erstatten, sei nicht hinreichend begründet. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Ausgleichsbetrags Währung und der Einfuhrumsatzsteuer. Hinsichtlich des Ausgleichsbetrags Währung habe kein Vorverfahren stattgefunden. Die Einfuhrumsatzsteuer könne nicht erstattet werden, weil die Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Ferner habe das FG seine Amtsermittlungspflicht verletzt, indem es nicht hinreichend aufgeklärt habe, ob das verdorbene Fleisch tatsächlich nicht in den Wirtschaftskreislauf gelangt sei. Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten sei nur als Parteigutachten zu werten und besage lediglich, daß das Fleisch für den menschlichen Genuß nicht mehr verwertbar sei, nicht aber, daß das Fleisch nicht anderweitig verwertet worden und in den Wirtschaftskreislauf gelangt sei. Falls das Urteil rechtskräftig werde, stehe fest, daß das Rindfleisch für den menschlichen Verzehr ungeeignet gewesen sei; dann müsse aber Abschöpfung nacherhoben werden, weil das Fleisch nur abschöpfungsfrei hätte belassen werden können, wenn es für den menschlichen Verzehr geeignet gewesen sei. Schließlich sei eine Erstattung nur möglich, wenn die Klägerin die Einfuhrlizenzen wieder vorlege, auf denen das Fleisch abgeschrieben worden sei. Das habe die Klägerin aber nicht getan.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist mit der im Tenor genannten Maßgabe zurückzuweisen.
Aus dem Umstand, daß die Beteiligten nur über zollwertrechtliche Fragen gestritten haben, entnimmt der Senat, daß es der Klägerin allein um die Erstattung des Zolls für die schadhafte Ware geht. Von diesem Verständnis des Klagebegehrens sind auch im erstinstanzlichen Verfahren sowohl die Beteiligten als auch das FG ausgegangen, wie sich aus ihren Schriftsätzen und den Urteilsgründen ergibt. Deshalb betrifft auch der Urteilsausspruch der Vorinstanz nur die begehrte Erstattung des Zolls. Auf die vom HZA erst in der Revisionsbegründung vorgetragenen Gesichtspunkte hinsichtlich des Ausgleichsbetrags Währung und der Einfuhrumsatzsteuer brauchte der Senat daher nicht einzugehen.
Das FG hat ohne Rechtsfehler entschieden, daß der auf die mangelhafte Ware entfallende Zoll der Klägerin gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 (VO Nr. 1430/79) des Rates vom 2. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L 175/1) zu erstatten ist, weil der buchmäßig erfaßte Betrag den gesetzlich zu erhebenden Zoll übersteigt.
Die hier eingeholte Vorabentscheidung des EuGH bestätigt die zollwertrechtliche Beurteilung durch das FG. Dem FG ist somit darin zu folgen, daß der bereits vor Lieferung des Rindfleisches bei einem Teil der Sendung eingetretene Schaden bei der Bemessung des Zollwerts gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 des Rates vom 28. Mai 1980 (ABlEG Nr. L 134/1) i.d.F. der Verordnung (EWG) Nr. 3193/80 (ABlEG Nr. L 338/1) i.V.m. Art. 4 Unterabs.2 der Verordnung (EWG) Nr. 1495/80 der Kommission vom 11. Juni 1980 (ABlEG Nr. L 154/14) i.d.F. der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 1580/81 (ABlEG Nr. L 154/36) zu berücksichtigen ist. Das HZA hat zu Unrecht den bei einem Teil der Sendung eingetretenen Totalschaden nicht anteilmäßig bei der Bemessung des Zollwerts für die Sendung berücksichtigt und dementsprechend den Zoll aufgrund eines zu hohen Zollwerts festgesetzt.
Die vom FG getroffene Feststellung, daß das vom Verkäufer an die Klägerin gelieferte Rindfleisch teilweise mit einem Mangel behaftet war, der einem Totalverlust gleichkam, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen erhobene Verfahrensrüge der mangelnden Sachaufklärung ist nicht vorschriftsmäßig erhoben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das HZA hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren auf eine weitere Sachaufklärung hinwirken müssen, wenn es eine solche für erforderlich gehalten hätte (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489, und vom 25. Oktober 1977 VII R 5/74, BFHE 124, 105, BStBl II 1978, 274; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 76 Rz. 15). Daß dies geschehen ist, hat das HZA nicht in der nach § 120 Abs. 2 FGO vorgeschriebenen Weise vorgetragen.
Der Senat teilt nicht die Auffassung des HZA, daß Voraussetzung für eine Erstattung des Zolls in diesem Fall die Wiedervorlage der Einfuhrlizenzen ist. Diese sind nach Art. 40 der Verordnung (EWG) Nr. 3183/80 (VO Nr. 3183/80) der Kommission vom 3. Dezember 1980 (ABlEG Nr. L 338/1) i.V.m. Art. 2 VO Nr. 1430/79 nur vorzulegen, wenn die Vergünstigungen der Art. 3, 5 und 10 VO Nr. 1430/79 Anwendung finden sollen. Das ist hier aber nicht der Fall, weil die Erstattung des Zolls nur aufgrund von Art. 2 VO Nr. 1430/79 begehrt wird.
Da im Streitfall nur über die Erstattung von Zoll zu entscheiden war, brauchte das FG nicht auf die Frage einzugehen, ob für die schadhafte Ware möglicherweise die Erhebung von Abschöpfung in Betracht gekommen wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 419268 |
BFH/NV 1994, 355 |