Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
"Ergangen" im Sinne des § 184 Abs. 2 Ziff. 2 FGO ist ein Urteil nicht schon, wenn es "beschlossen" und "unterschrieben" worden ist.
Ein Urteil des FG, das vor dem 31. Dezember 1965 beschlossen, aber erst nach dem 1. Januar 1966 herausgegeben oder den Beteiligten zugestellt worden ist, enthält deshalb eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung, wenn das FG die Beteiligten nicht darüber belehrt hat, daß die Revision innerhalb einer bestimmten Frist zu begründen ist.
Normenkette
FGO § 184 Abs. 2 Ziff. 2
Tatbestand
Das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in der Sitzung vom 17. Dezember 1965 beschlossen, aber erst am 15. Januar 1966 den Steuerpflichtigen (Stpfl.) zugestellt worden. Nach der Rechtsmittelbelehrung, die das FG den Stpfl. im Urteil erteilt hat, ist das Urteil mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar (§ 286 AO a. F.). Am 28. Januar 1966 hat der Revisionskläger (Stpfl.) Revision eingelegt und darauf hingewiesen, daß eine Begründung nachgereicht werde. Mit dem beim Bundesfinanzhof (BFH) am 16. März 1966 eingegangenen Telegramm hat er um Verlängerung der Begründungsfrist gebeten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig. Nach § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des angefochtenen Urteils zu begründen. Diese Frist wäre hier am 16. März 1966, dem Tag des Eingangs des Verlängerungsantrages, bereits um einen Tag überschritten gewesen.
Die Vorschrift des § 120 Abs. 1 FGO greift aber, was die Frist angeht, im Streitfall nicht ein, weil die dem Urteil beigegebene Rechtsmittelbelehrung nicht richtig ist.
Allerdings richtet sich nach § 184 Abs. 2 Ziff. 2 FGO die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs "gegen die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes ergangenen Entscheidungen" noch nach den früheren Vorschriften. Das angefochtene Urteil ist jedoch erst nach dem 1. Januar 1966, also nach Inkrafttreten der FGO (§ 184 Abs. 1 Satz 1 FGO) "ergangen", wenngleich es bereits am 17. Dezember 1965, also vor dem Inkrafttreten der FGO, "beschlossen" worden ist. Wenn § 184 Abs. 2 Ziff. 2 FGO von "ergangen" spricht, so kann damit nur der Zeitpunkt gemeint sein, in dem das Urteil entweder "verkündet" oder "zugestellt" worden ist; denn erst zu diesem Zeitpunkt ist das Urteil wirksam geworden, während es vorher noch ein "Internum" des Gerichts war, das das Gericht noch ändern konnte (vgl. Eyermann-Fröhler, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., Randnr. 17 zu § 116). Mann könnte daran denken, als "ergangen" im Sinne des § 184 Abs. 2 Ziff. 2 FGO schon ein "beschlossenes" Urteil anzusehen, wie es der Bundesgerichtshof im Beschluß V BLw 90/53 vom 27. April 1954 (Neue Juristische Wochenschrift 1954 S. 1244) getan hat. Der Senat glaubt aber, weil es in § 184 Abs. 2 Ziff. 2 FGO um die Zulässigkeit eines den Beteiligten zustehenden Rechtsbehelfs geht, auf den Zeitpunkt abstellen zu sollen, in dem das Urteil "wirksam" geworden ist. Ob man ein Urteil bereits als "ergangen" ansehen kann, wenn es zur Zustellung "herausgegeben" war (vgl. Baumbach, Zivilprozeßordnung, 28. Aufl., Anm. 4 A zu § 329), braucht der Senat hier nicht zu entscheiden, weil auch von diesem Rechtsstandpunkt aus das angefochtene Urteil erst nach dem Inkrafttreten der FGO ergangen sein würde.
War danach die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils unrichtig, so ist die Frist für die Einlegung und Begründung der Revision nicht in Gang gesetzt worden (§§ 120, 105 Abs. 2 Ziff. 6 FGO), so daß die inzwischen vorgelegte Revisionsbegründung als rechtswirksam zu beachten ist.
Fundstellen
Haufe-Index 424241 |
BStBl III 1966, 595 |
BFHE 1966, 543 |
BFHE 86, 543 |