Leitsatz (amtlich)
1. Die Annahme eines Spekulationsgeschäftes entfällt, wenn Veräußerung eines Grundstücks und Anlage des Veräußerungserlöses das Bild einer Einheit im Wesen einer der freien Entschließung des Steuerpflichtigen entzogenen Auswechslung von Wirtschaftsgütern - ohne wesentliche Besser- oder Schlechterstellung des Steuerpflichtigen - ergeben.
2. Hieran fehlt es in der Regel, wenn eine Veräußerung durch eine nicht unmittelbar drohende Enteignung veranlaßt wird.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 3 Nr. 7, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1a
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) aus dem Verkauf seines im Privatvermögen geführten Grundstückes R Einkünfte aus einem Spekulationsgeschäft im Sinne von § 23 EStG gehabt hat.
Das als gemischtgenutzt bewertete Grundstück liegt in einem seit 1961 zur Sanierung vorgesehenen Gebiet. Der Kläger kaufte es 1963 für 77 000 DM (später erhöht auf 80 000 DM) und verkaufte es noch im Dezember desselben Jahres für 121 000 DM an eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft, die den Kaufpreis im Folgejahr (Streitjahr) entrichtete. Am 18. Februar 1964 kaufte der Kläger das Grundstück F für 136 000 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) errechnete aus den Anschaffungs- und Veräußerungswerten des Grundstücks R einen seiner Ansicht nach als Spekulationseinkunft nach § 23 EStG zu versteuernden Betrag von 30 400 DM und veranlagte den Kläger entsprechend. Der Kläger wandte sich gegen die Besteuerung unter dem Gesichtspunkt eines unter drohender Enteignung zustande gekommenen Verkaufs mit Ersatzbeschaffung ohne Gewinnrealisierung und trug hierzu vor, er habe das Grundstück R in Unkenntnis seiner Belegenheit in einem Sanierungsgebiet zur dauerhaften Vermögensanlage erworben. Erstmals im Dezember 1963 habe er von seiner Sanierungslage erfahren. Da früher oder später mit einer Enteignung zu rechnen gewesen sei, habe er sich zum sofortigen Verkauf an die Wohnungsbaugesellschaft entschlossen und als Ersatz das Grundstück F gekauft. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück, nachdem Auskünfte des zuständigen Amtes (Stadtplanung) ergeben hatten, daß trotz der Lage im Sanierungsgebiet eine Enteignung des Grundstücks wegen fehlender Aufstellung eines verbindlichen Bauleitplanes noch im Jahre 1968 nicht möglich sei. Es führte im wesentlichen aus: Die Heranziehung des Grundstücksverkaufs zur Besteuerung sei gemäß § 23 EStG gerechtfertigt, weil der Kläger den Grundbesitz innerhalb der Zweijahresfrist dieser Bestimmung freiwillig und nicht in der Absicht, eine unmittelbar bevorstehende Enteignung abzuwenden, veräußert habe. Außerdem fehle eine Ersatzbeschaffung, weil das Grundstück R ein gemischtgenutztes Grundstück, das Grundstück F dagegen ein reines Mietwohngrundstück gewesen sei.
In seiner Klage vertrat der Kläger weiterhin die Ansicht, es genüge für die Anerkennung einer Zwangslage, daß er früher oder später mit einer Enteignung habe rechnen müssen.
Das FG gab der Klage statt. Es führte im wesentlichen aus: Ein unter behördlichem Zwang zustande gekommener Veräußerungsvorgang, der die Annahme eines Spekulationsgeschäftes im Sinne von § 23 EStG ausschließe, sei nicht nur bei einer unmittelbar bevorstehenden Enteignung zu bejahen, sondern auch bei einer erst künftig drohenden. Der Steuerpflichtige brauche nicht zu warten, bis die Enteignung unmittelbar bevorstehe. Er könne sich schon vorher zur sofortigen Veräußerung entschließen und ein Ersatzwirtschaftsgut erwerben. Im Streitfall habe der Kläger sein Grundstück im Dezember 1963 zu einem Zeitpunkt verkauft, in dem dessen Einstufung als Sanierungsgrundstück absehbar gewesen sei und durch den Erwerb eines Ersatzgrundstücks eine der früheren wirtschaftlich gleichwertige Lage hergestellt. Das genüge. Die enge Beurteilung des FA hinsichtlich des Vorliegens einer Zwangslage des Klägers sei nicht angebracht und wenig sinnvoll, weil Sanierungen im fraglichen Gebiet langfristigen Charakter hätten, sorgfältiger Planung bedürften, frühzeitige Aufkäufe sanierungsbedürftiger Grundstücke durch den Sanierungsträger schon wegen der steigenden Bodenpreise erwünscht seien und diese Aufkäufe nicht an steuerlich veranlaßten Abstandnahmen der Grundstückseigentümer von alsbaldigen Veräußerungen scheitern sollten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA, mit der Aufhebung der Vorentscheidung wegen Verletzung materiellen Rechts und Abweisung der Klage begehrt wird, ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der streitsache an das FG.
Spekulationsgeschäfte sind Veräußerungsgeschäfte, bei denen - falls es sich um Grundstücke handelt - der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zwei Jahre beträgt (§ 2 Abs. 3 Nr. 7, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1a EStG). Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen unterliegt das in dieser Weise vollzogene Veräußerungsgeschäft in den durch § 23 Abs. 4 EStG bestimmten Grenzen der Einkommensbesteuerung, ohne daß es nach der gesetzlichen Definition auf den Grund der Betätigung des Steuerpflichtigen (Spekulationsabsicht, Krankheit, drohende Enteignung, sonstiger Zwang usw.) ankommt (ständige Rechtsprechung: BFH-Urteile vom 8. März 1967 VI R 24/66, BFHE 88, 182, BStBl III 1967, 317; vom 21. März 1969 VI R 208/67, BFHE 96, 19, BStBl II 1969, 520; vom 29. August 1969 VI R 319/67, BFHE 96, 520, BStBl II 1969, 705; vom 29. Juni 1962 VI 82/61 U, BFHE 75, 330, BStBl III 1962, 387; vom 8. April 1964 VI 88/63, HFR 1964, 342; Beschluß des BVerfG vom 9. Juli 1969 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302, BStBl II 1970, 156, NJW 1969, 1953, StRK, Einkommensteuergesetz, § 23, Rechtsspruch 36; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl., 1971/72, Rdnr. 56, 56a zu §§ 22, 23; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Rdnr. 6, 7 zu § 23 EStG, Lieferung 96, Oktober 1971). Der Veräußerungsgrund kann einkommensteuerlich in der Regel erst dann relevant werden, wenn Veräußerung und Anlage des Veräußerungserlöses in einem Ersatzgut, das wirtschaftlich dieselbe oder eine entsprechende Aufgabe erfüllt wie der ausgeschiedene Gegenstand, in sachlichem Zusammenhang bewirkt werden. Ergeben Veräußerung und Anlage des Veräußerungserlöses das Bild einer Einheit im Wesen einer der freien Entschließung des Steuerpflichtigen entzogenen Auswechslung von Wirtschaftsgütern - ohne wesentliche Besser- oder Schlechterstellung des Steuerpflichtigen im Ergebnis -, dann reicht die in diesem Rahmen vorgenommene Veräußerung zur Annahme einer durch sie eingetretenen Verwirklichung von Verlust oder Gewinn im Sinne des § 23 EStG wegen fehlenden hinreichenden wirtschaftlichen Gewichtes nicht aus, so daß wegen mangelnder Verwirklichung des Gesamtbildes einer aus wirtschaftlicher Betätigung erzielten Einkunft eine Besteuerung ausgeschlossen ist. Das kann u. a. der Fall sein, wenn die Veräußerung eines Gegenstandes dem Steuerpflichtigen durch Hoheitsakt aufgedrungen wird, insbesondere durch den Zwang bevorstehender Enteignung, und der Steuerpflichtige in sachlichem Zusammenhang hiermit ein Wirtschaftsgut als Ersatz anschafft (ständige Rechtsprechung; vgl. zur fehlenden Gewinnbzw. Verlustrealisierung: BFH-Urteile vom 5. Mai 1961 VI 107/60 U, BFHE 73, 326, BStBl III 1961, 385 - Einheit von Landenteignung für Wehrmachtszwecke und Ersatzbeschaffung mit Unterfall Einheit von Veräußerung und Ersatzbeschaffung bei unmittelbar bevorstehender Enteignung; VI 82/61 U - Veräußerung zur Enteignungsabwendung und alsbaldige Ersatzbeschaffung; vom 22. November 1963 VI 120/62, HFR 1964, 157 - entsprechend; Littmann, a. a. O., Rdnr. 56a zu §§ 22, 23; Herrmann-Heuer, a. a. O., Rdnr. 6 zu § 23 EStG; Abschn. 35 Abs. 2 und Abs. 3 EStR für Gewinnermittlung nach §§ 4, 5 EStG - Veräußerung unter Zwang mit Ersatzbeschaffung). Da die Möglichkeit endgültiger Besteuerungsverluste besteht - anders als bei Übertragungen stiller Reserven im Betriebsbereich auf Ersatzwirtschaftsgüter (Abschn. 35 Abs. 2 und Abs. 3 EStR) -, ist die Anlegung eines strengeren Beurteilungsmaßstabes geboten.
Die Vorinstanz hat zwar zutreffend die rechtliche Bedeutung einer Zwangslage bei der Veräußerung des Grundstücks R erkannt, sie ist jedoch einem Rechtsirrtum unterlegen, soweit sie unter Berufung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt hat, nach den von dieser entwickelten Rechtsgrundsätzen sei eine unter Zwang zustande gekommene Veräußerung nicht nur bei unmittelbar bevorstehender Enteignung, sondern auch bei erst "künftig drohender" anzunehmen. Diese Meinung steht mit den von der Rechtsprechung als entscheidend angesehenen Merkmalen nicht im Einklang und enthält in dieser allgemeinen und uneingeschränkten Fassung eine ungerechtfertigte Ausweitung des Zwangslagebegriffes. Eine unter Zwang zustande gekommene Vermögensmehrung oder -minderung ist zwar bei einer Enteignung oder - gleichstehend - einem Verkauf zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden Enteignung zu bejahen, wie der BFH in seinem Urteil VI 107/60 U ausgesprochen hat, nicht jedoch ohne weiteres, wenn es sich um eine erst künftig drohende Enteignung handelt. Dann ist im allgemeinen der Sachzusammenhang zwischen Verkauf und in der Zukunft liegender Inanspruchnahme so gering, daß die Veräußerung nicht mehr als unter Zwang bewirkt angesehen werden kann. Soweit dem amtlich nicht veröffentlichten BFH-Urteil vom 7. November 1961 I 112/61 (HFR 1962, 6) in der Frage einer Gewinnverwirklichung nach §§ 4, 5 EStG etwa eine abweichende Ansicht zu entnehmen sein sollte, folgt dieser der erkennende Senat für die Besteuerung nach § 23 EStG nicht. Außerdem kam es auf den Gesichtspunkt einer unmittelbar oder mittelbar bevorstehenden Enteignung im genannten Urteilsfall nach den Entscheidungsgründen nicht an. Auch die Grundgedanken des Urteils des RFH vom 3. August 1938 VI 281/38 (RStBl 1938, 964) rechtfertigen eine andere Beurteilung nicht. Die Erwägung der Vorinstanz, daß frühzeitige Verkäufe in Sanierungsgebieten nicht an der vorgesehenen Besteuerung scheitern sollten, liegt mangels Erkennbarkeit eines dahin gehenden gesetzgeberischen Willens außerhalb der vorzunehmenden Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Norm nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie ihrer wirtschaftlichen Bedeutung (§ 1 StAnpG).
Auf dieser rechtsirrtümlichen Ausdehnung der für die Annahme einer Zwangslage maßgebenden Merkmale beruht die Vorentscheidung, da sie, von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, bereits in der - nicht näher durch tatsächliche Einzelmerkmale belegten - "Absehbarkeit" einer künftigen - in der rechtlichen Bedeutung ebenfalls nicht eindeutig erkennbaren - "Einstufung" des Grundstücks als Sanierungsgrundstück in Verbindung mit dem Erwerb eines Ersatzwirtschaftsgutes einen das Eingreifen des § 23 EStG ausschließenden Zwang gesehen und deshalb dem Klagebegehren stattgegeben hat.
Die Vorentscheidung ist deshalb wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Der Senat ist nicht in der Lage, aufgrund des festgestellten Sachverhalts selbst zu entscheiden. Die Beantwortung der Frage, ob ein unter Zwang im erörterten Sinn zustande gekommenes Veräußerungsgeschäft vorhanden gewesen ist oder nicht, liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und die zu einer Nachprüfung der Vorentscheidung auf das Vorliegen eines solchen Geschäftes erforderlichen eindeutigen Tatsachenfeststellungen sind - offensichtlich wegen des von der Vorinstanz eingenommenen Standpunktes - nicht ausreichend getroffen worden. Die Streitsache wird deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), das unter Beachtung der Rechtsausführungen des Senats insbesondere festzustellen hat, ob der Verkauf des Grundstücks R zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden Enteignung oder eines etwa ausnahmsweise wegen besonderer Umstände entsprechenden Zwanges erfolgte. In diesem Zusammenhang ist der Inhalt der Verhandlungen des Klägers mit der Wohnungsbaugesellschaft und der Rechtscharakter der Wohnungsbaugesellschaft als sog. Sanierungsträger im einzelnen zu klären. Dabei ist für die rechtliche und tatsächliche Würdigung auch von Bedeutung, ob der - soweit ersichtlich - sehr günstige Verkauf des Grundstücks R die Annahme einer unter Zwang zustande gekommenen Veräußerung ausschließt. Erfüllt der Kauf des Grundstücks F nicht die Voraussetzungen einer Ersatzbeschaffung wegen etwaigen Fehlens einer dauerhaften Vermögensanlage, so steht der Umstand einer unter Zwang erfolgten Veräußerung des Grundstücks R der Besteuerung eines aus seinem Verkauf erzielten Spekulationsgewinns nach § 23 EStG nicht entgegen.
Fundstellen
Haufe-Index 70397 |
BStBl II 1973, 445 |
BFHE 1973, 502 |