Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Gesamtrechtsnachfolge im Unternehmen während eines Kalenderjahrs kann der Rechtsnachfolger gemäß § 9 Ziff. 1 GewStG 3 v. H. der Einheitswerte des zum Betriebsvermögen gehörenden Grundbesitzes von der Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen anteilig kürzen.
Zur Bedeutung und zur Rechtsgültigkeit des § 20 Abs. 1 Satz 2 GewStDV 1955.
Normenkette
GewStG § 9 Ziff. 1; GewStDV § 20 Abs. 1
Tatbestand
Die Bgin., eine Familien-KG, führt das Unternehmen der gleichnamigen früheren Einzelfirma fort, deren Alleininhaber der am 15. Mai 1955 gestorbene A. war; sie wurde durch Vertrag vom 2. Mai 1957 rückwirkend ab 16. Mai 1955 gegründet. Kommanditisten sind die Witwe A. und ihre drei Söhne, persönlich haftende Gesellschafterin ist die A.- Erben-GmbH, an der die Kommanditisten mit einer Stammeinlage von je 15.000 DM beteiligt sind. Bei der vorläufigen Veranlagung zur Gewerbesteuer für die Zeit vom 16. Mai bis 31. Dezember 1955 lehnte es das Finanzamt ab, die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 3 v. H. der Einheitswerte der zum Betriebsvermögen gehörenden Grundstücke gemäß § 9 Ziff. 1 GewStG zu kürzen, weil hierfür nach § 20 Abs. 1 Satz 2 GewStDV die Verhältnisse am Beginn des Erhebungszeitraumes maßgebend seien; zu Beginn des Erhebungszeitraumes am 1. Januar 1955 habe aber der Gewerbebetrieb der Bgin. noch nicht bestanden.
Das Finanzgericht gab der Sprungberufung statt. Es führte aus, nach § 9 Ziff. 1 GewStG sei die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 3 v. H. des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden Grundbesitzes zu kürzen. Ob der Grundbesitz zum Betriebsvermögen gehöre, müsse nach den Vorschriften des EStG entschieden werden. Maßgebend sei dabei der Stand zu Beginn des Erhebungszeitraumes (ß 20 Abs. 1 GewStDV 1955, § 14 Abs. 2 Satz 2 GewStG). Am 1. Januar 1955 habe der Grundbesitz zum Betriebsvermögen gehört. § 9 Ziff. 1 GewStG solle Doppelbelastungen durch die Gewerbesteuer und die Grundsteuer vermeiden. Das Vermögen der Einzelfirma sei mit Aktiven und Passiven auf die Bgin. übergegangen, die deshalb auch die Grundsteuer für das Rechnungsjahr 1955 getragen habe; darum sei es gerechtfertigt, von ihr insoweit keine Gewerbesteuer zu erheben. Ob der Betrieb der Bgin. am 1. Januar 1955 schon bestanden habe, sei nach § 20 GewStDV nicht von Bedeutung. Die Vorschrift regele nur, ob und inwieweit Grundbesitz zum Betriebsvermögen gehöre (Littmann, Grundriß der Gewerbesteuer, 1950, S. 108) und setze dafür einen bestimmten Stichtag fest. Das sei berechtigt; denn da es unter gewissen Voraussetzungen dem Ermessen des Kaufmannes überlassen sei, ob er betrieblich genutzte Grundstücksteile in das (gewillkürte) Betriebsvermögen aufnehmen oder darin belassen wolle, so müsse für die Entscheidung, ob und inwieweit Grundbesitz zum Betriebsvermögen gehöre, ein Stichtag festgesetzt werden (Urteil des Reichsfinanzhofs I 216/41 vom 14. Oktober 1941, RStBl 1942 S. 38, Slg. Bd. 51 S. 41). Die Auffassung des Finanzamts, der Betrieb der Einzelfirma sei mit dem Tode ihres Inhabers eingestellt und der der Bgin. am folgenden Tage neu gegründet worden, so daß beide getrennt der Gewerbesteuer unterlägen, treffe nicht zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bleibe die Anwendung des § 5 Abs. 2 GewStG auf die Frage der Steuerschuldnerschaft beschränkt (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 666/55 U vom 19. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 210, Slg. Bd. 66 S. 548; I 139/57 U vom 23. Juli 1958, BStBl 1958 III S. 426, Slg. Bd. 67 S. 400; I 159/58 U vom 25. November 1958, BStBl 1959 III S. 115, Slg. Bd. 68 S. 294).
Mit der Rb. macht der Vorsteher des Finanzamts geltend, die Bgin. sei nicht Gesamtrechtsnachfolgerin der Einzelfirma gewesen. Nach dem Testament seien die Witwe befreite Vorerbin und ihre drei Söhne zu je 1/3 Anteil Nacherben gewesen. Durch den Auseinandersetzungsvertrag vom 2. Mai 1957 seien die Söhne rückwirkend ab dem Todestag an dem Nachlaß des Vaters derart beteiligt worden, daß auf die Ehefrau und die Kinder je 1/4 des Nachlasses mit Ausnahme einiger Vermögenswerte entfallen sei. Zu dem geteilten Nachlaß habe auch das Betriebsvermögen der Einzelfirma gehört. Gesamtrechtsnachfolgerin des Einzelunternehmens sei - zumindest bis zum Abschluß des Vorvertrages vom 30. September 1955 - die Witwe als Vorerbin gewesen. Grundsteuerschuldner für das ganze Rechnungsjahr sei derjenige, dem am 1. Januar des Kalenderjahres, in dem das Rechnungsjahr beginne, im Einheitswertverfahren das Grundstück zugerechnet worden sei. Trete im Laufe eines Jahres ein Wechsel in der Person des Grundstückseigentümers ein, so bleibe bis zum 31. März des folgenden Jahres der bisherige Eigentümer oder dessen Gesamtrechtsnachfolger öffentlich-rechtlich Schuldner der Grundsteuer. Ob im Innenverhältnis privatrechtlich die Grundsteuer übernommen werde oder auch eine Haftung nach Bestimmungen der AO in Betracht komme, ändere die öffentlich-rechtliche Schuldnerschaft des Grundstückseigentümers oder dessen Gesamtrechtsnachfolgers nicht. Da eine Doppelbelastung nur möglich sei, wenn der Grundbesitz am 1. Januar des Jahres, für das die Gewerbesteuer erhoben werde, zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehört habe, so stelle die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 2 GewStDV es allein auf diesen Stichtag ab. Wollte man der Begründung des Finanzgerichts folgen, so müßte auch in den Fällen entgeltlicher Veräußerung eines Betriebsvermögens im Laufe eines Jahres die Kürzung nach § 9 Ziff. 1 GewStG vorgenommen werden, obgleich in diesem Fall, weil der Erwerber nicht auch Grundsteuerschuldner sei, eine Doppelbelastung also nicht eintrete. Dieses Ergebnis widerspreche dem Wortlaut der Vorschrift, der es auf die Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen des Unternehmers nach den Verhältnissen am 1. Januar abstelle. Neben der Unternehmensgleichheit komme es auch auf die Identität des Unternehmers an. § 10 a GewStG spreche von "Gewerbetreibenden", die Auslegungsgrundsätze, die der Bundesfinanzhof für die Anwendung des § 10 a GewStG entwickelt habe, könnten für § 9 Ziff. 1 GewStG nicht maßgebend sein.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.
Mit Recht hat das Finanzgericht bei der Auslegung des § 9 Ziff. 1 GewStG den Zweck der Vorschrift betont, eine Doppelbelastung desselben Gegenstandes mit der Gewerbesteuer und der Grundsteuer, die beide Realsteuern sind, zu vermeiden. Der Erblasser, dem nach dem Einheitswertbescheid der Grundbesitz zum 1. Januar 1955 zugerechnet war, bzw. seine Erben, blieben für das ganze Rechnungsjahr 1955 Schuldner der Grundsteuer; der Erblasser bzw. seine Erben, die den Betrieb des Erblassers fortgeführt haben, haben die Grundsteuer auch tatsächlich aus Betriebsmitteln entrichtet. Wollte man der Auffassung des Finanzamts folgen, so käme man zu einer Doppelbelastung der Grundstücke mit Grundsteuer und Gewerbesteuer, die das Gesetz vermeiden will.
Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 GewStDV ist die Frage, ob und inwieweit im Sinne des § 9 Ziff. 1 GewStG Grundbesitz zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehört, nach den Vorschriften des EStG oder des KStG zu entscheiden. Es ist also nicht entscheidend, ob ein Grundstück im Einheitswertbescheid der Art nach als Betriebsgrundstück bezeichnet ist; maßgebend sind vielmehr die einkommensteuerrechtlichen Grundsätze für die Abgrenzung des Betriebsvermögens, die von den bewertungsrechtlichen Vorschriften (ß 57 des Bewertungsgesetzes) erheblich abweichen (siehe Abschn. 61 Abs. 1 GewStR 1955). Nach § 20 Abs. 1 Satz 2 GewStDV sollen für die Beurteilung der Frage, ob nach den einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen ein Grundstück ganz oder teilweise Betriebsvermögen ist, die Verhältnisse des jeweiligen 1. Januar (Beginn des Erhebungszeitraumes für die Gewerbesteuer) maßgebend sein (vgl. auch Abschn. 61 Abs. 3 und 7 GewStR 1955). Sinn und Tragweite dieser Vorschrift sowie ihre gesetzliche Grundlage können zweifelhaft sein, insbesondere in den Fällen, in denen im Laufe eines Kalenderjahres änderungen eintreten, in denen also z. B. ein Grundstück nach dem 1. Januar durch Verkauf oder Entnahme aus dem Betrieb ausscheidet oder ein Grundstück im Laufe des Kalenderjahres errichtet, erworben oder aus dem Privatvermögen in den Betrieb eingebracht wird, oder bei einem teilweise betrieblich genutzten Grundstück sich der betriebliche Nutzungsanteil im Laufe des Kalenderjahres erhöht oder vermindert. Ebenso kann zweifelhaft sein, ob § 20 Abs. 1 Satz 2 GewStDV für den Fall rechtsgültig ist, in dem ein Einzelunternehmer im Laufe des Kalenderjahres seinen Betrieb samt Grundbesitz entgeltlich veräußert und der Erwerber den Betrieb unverändert fortführt. Einer endgültigen Stellungnahme zu diesen Fragen bedarf es aber im Streitfall nicht. Denn die Verhältnisse am 1. Januar eines Kalenderjahres können auf keinen Fall maßgebend sein, wenn im Laufe des Kalenderjahres eine Gesamtrechtsnachfolge eintritt, besonders also, wenn Erben den Betrieb des Erblassers unverändert fortführen. Hier würde jedenfalls, wenn man den Erben, der Auffassung des Finanzamts folgend, den Abzug in Höhe von 3 v. H. der Einheitswerte der Betriebsgrundstücke versagte, eine mit dem Zweck des § 9 Ziff. 1 GewStG unvereinbare Doppelbelastung mit Grundsteuer und Gewerbesteuer eintreten. Mit Recht hat das Finanzgericht auch auf die neuere Rechtsprechung zu § 10 a GewStG hingewiesen, in der der Bundesfinanzhof die Identität des Unternehmens und des Unternehmers im Falle der Gesamtrechtsnachfolge besondere Bedeutung beigemessen hat.
Zu Unrecht bestreitet das Finanzamt, daß hier ein Fall von Gesamtrechtsnachfolge vorliegt. An den Nachfolgegesellschaften sind nur die Erben beteiligt. Die Witwe als Vorerbin und die Söhne als Nacherben haben allerdings die Erbschaft anders auseinandergesetzt, als der Erblasser vorgesehen hatte, und zwar mit Rückwirkung auf den Todestag des Erblassers. Das Finanzamt hat gegen die Rückwirkung keine Bedenken erhoben, offenbar, weil von Anfang an Ungewißheit über die endgültige Organisation des Betriebes bestand und die Beteiligten von vornherein darüber einig waren, daß die Witwe als Vorerbin nicht auch Alleinunternehmerin sein sollte. Es wurden deshalb alsbald Verhandlungen über die Gründung einer Gesellschaft eingeleitet, die am 30. September 1955 zu einem Vorvertrag und am 2. Mai 1957 zu dem endgültigen Vertrag führten. Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen keine Bedenken gegen die Rückwirkung hatten, so ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Jedenfalls kann aber das Finanzamt, wenn es einkommensteuerrechtlich die Bgin. als vom Tod des Erblassers an bestehend behandelte, nicht gewerbesteuerrechtlich die Gesamtrechtsnachfolge bestreiten.
Fundstellen
Haufe-Index 409628 |
BStBl III 1960, 251 |
BFHE 1961, 12 |
BFHE 71, 12 |