Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Keine Kürzung der eigenen Einkünfte des Kindes um gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge
Leitsatz (NV)
Die Einkünfte und Bezüge des Kindes i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind nicht um die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu mindern. Die Beiträge sind im Kalenderjahr 2000 in ausreichendem Umfang bereits bei der Bemessung des Jahresgrenzbetrags im Sinne dieser Bestimmung berücksichtigt.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die im Mai 1979 geborene Tochter E des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) war vom 1. Oktober 1999 bis 30. September 2000 als KPH-Schülerin und anschließend als Krankenpflegeschülerin in Berufsausbildung. Der Kläger bezog Sozialhilfe und von Januar bis Mai 2000 Kindergeld.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) hob mit Bescheid vom 16. Oktober 2000 die Kindergeldfestsetzung auf, weil E im Kalenderjahr 2000 einen Bruttolohn von 17 097,17 DM beziehen und nach Abzug der Werbungskosten in Höhe von 2 210 DM der Jahresgrenzbetrag von 13 500 DM überschritten sein würde.
Der Einspruch, mit dem der Kläger geltend machte, dass der Bruttolohn nur 16 352,98 DM betragen habe und um die Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 3 744 DM mit der Folge zu kürzen sei, dass der Jahresgrenzbetrag unterschritten sei, blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Sozialversicherungsbeiträge gehörten nicht zu den bei den Einkünften zu berücksichtigenden Werbungskosten. § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) knüpfe an den Einkünftebegriff i.S. von § 2 Abs. 2 EStG und nicht an das Einkommen des Kindes an.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
Er beantragt, das Urteil des FG und den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 16. Oktober 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. November 2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Der Kläger hat für die Zeit von Januar bis Dezember 2000 keinen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter E.
1. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung wird ein über 18 Jahre altes Kind in Berufsausbildung nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 13 500 DM im Kalenderjahr hat (Jahresgrenzbetrag, § 52 Abs. 40 EStG 1999). Dieser Betrag ermäßigt sich nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG für jeden Kalendermonat um 1/12, in dem die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach Satz 1 Nr. 1 oder 2 nicht vorliegen (Kürzungsmonate).
Bei der Prüfung, ob der sich danach ergebende Jahresgrenzbetrag überschritten ist, ist im Streitfall von dem während des ganzen Jahres 2000 bezogenen Arbeitslohn aus dem Ausbildungsdienstverhältnis der E als Krankenpflegeschülerin auszugehen. Es ist für die Entscheidung im Streitfall ohne Bedeutung, ob der Arbeitslohn 17 097,17 DM oder ―wie der Kläger meint― nur 16 352,98 DM betrug (vgl. dazu die Berechnung unter II.3. der Gründe).
2. Der Arbeitslohn ist nicht um die gesetzlichen Arbeitnehmer-Beiträge zur Sozialversicherung zu kürzen.
a) Der Begriff der "Einkünfte" in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG. Er ist nicht als "zu versteuerndes Einkommen" i.S. des § 2 Abs. 5 EStG oder als "Einkommen" i.S. des § 2 Abs. 4 EStG (Gesamtbetrag der Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen) zu verstehen (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566; vom 24. August 2001 VI R 169/00, BFHE 196, 504, BStBl II 2002, 250). "Einkünfte" i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind danach bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Überschuss der Einnahmen aus dem Dienstverhältnis über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2, §§ 8 bis 9a, §§ 19, 19a EStG).
b) Einnahmen aus dem Dienstverhältnis sind die Bruttoeinnahmen, im Streitfall also der an E gezahlte Bruttojahreslohn. Zu diesem gehören insbesondere ―anders als der Arbeitgeberbeitrag (BFH-Urteil vom 6. Juni 2002 VI R 178/97, BFHE 199, 524, BStBl II 2003, 34)― auch die gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung (Kranken-, Arbeitslosen-, Renten- und Pflegeversicherung). Der Arbeitnehmer kann diese Beiträge nicht als Werbungskosten, sondern nur als Sonderausgaben abziehen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 a, Abs. 3 und § 10c Abs. 2 EStG). Sonderausgaben sind aber nicht bei der Ermittlung der Einkünfte, sondern erst bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 4 EStG). Sie bleiben deshalb bei der Bestimmung des Jahresgrenzbetrags i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG außer Ansatz.
3. Für eine korrigierende Auslegung des Begriffs der "Einkünfte" unter Berücksichtigung der besonderen Zwecksetzung des Kindergeldrechts ergeben sich weder aus der Gesetzesfassung noch aus den Gesetzgebungsmaterialien hinreichende Anhaltspunkte. Der Senat verweist insoweit auf sein Urteil vom 4. November 2003 VIII R 59/03 (BFH/NV 2004, 407), in dem er sich der Rechtsprechung des VI. Senats des BFH in BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566 angeschlossen hat. Danach sind die vom Kind geleisteten Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des allenfalls berücksichtigungsfähigen Vorsorgepauschbetrags ―der Hälfte dieser Beiträge― bereits in der Bemessungsgrundlage für den Jahresgrenzbetrag i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enthalten.
Der für das Streitjahr 2000 geltende Jahresgrenzbetrag in Höhe von 13 500 DM berücksichtigt diesen Vorsorgepauschbetrag in ausreichendem Maße. Der Betrag ist nicht nach dem im Einzelfall bezogenen Arbeitslohn zu ermitteln. Ihm ist vielmehr im Kalenderjahr 2000 ein Arbeitslohn von 15 500 DM zugrunde zu legen. Dieser Betrag ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung des Jahresgrenzbetrags von typisierten Einkünften ausgehen musste. Dabei durfte er einen lediglich um Werbungskosten in Höhe des Arbeitnehmer-Pauschbetrags von 2 000 DM (§ 9a Satz 1 Nr. 1 EStG) geminderten Arbeitslohn zugrunde legen. Jeder höhere Arbeitslohn führt zwar zu höheren Sozialversicherungsbeiträgen; § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG knüpft aber nicht nur an den Jahresgrenzbetrag als einen absoluten Betrag, sondern auch an einen Vergleich mit den bezogenen Einkünften an. Jeder den Grenzbetrag übersteigende ―um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag gekürzte― Arbeitslohn führt deshalb bei anzusetzenden Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von rd. 20 v.H. des Arbeitslohns auch zu einem um 80 v.H. des Mehrbetrags höheren Betrag der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die dem erhöhten Jahresgrenzbetrag als Vergleichsbetrag gegenüberzustellen wären.
Auf dieser Grundlage ergibt sich im Streitfall eine Vorsorgepauschale in Höhe von (20 v.H. aus 15 500 DM =) 3 100 DM, die mit der Hälfte (1 550 DM) im Jahresgrenzbetrag enthalten sein muss. Das ist der Fall. Der Jahresgrenzbetrag erweist sich bei einem typisierten Vergleichsbetrag von (6 912 DM + 2 100 DM + 1 550 DM =) 10 562 DM als ausreichend. Dabei hat der Senat entsprechend seinem Urteil in BFH/NV 2004, 407 einen Kinderfreibetrag bei zusammenveranlagten Ehegatten in Höhe von 6 912 DM (§ 32 Abs. 6 EStG) und die Hälfte des Ausbildungsfreibetrags von 4 200 DM (§ 33a Abs. 2 Nr. 2 EStG) zugrunde gelegt.
Fundstellen