Leitsatz (amtlich)
Ist die Einspruchsentscheidung einem Steuerberater als Prozeßbevollmächtigtem nach § 5 Abs. 2 VwZG durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden und hat es dieser versäumt, bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses den Zustellungstag auf dem Schriftstück oder sonst in den Handakten zu vermerken, so war er auch dann nicht ohne Verschulden verhindert, die Klagefrist einzuhalten, wenn aus den Anlagen der Einspruchsentscheidung (vordatierte Abrechnungsbescheide) auf einen nach dem Zustellungstag liegenden Tag der Einspruchsentscheidung und der Aufgabe zur Post geschlossen werden konnte.
Normenkette
FGO § 56; VwZG § 5 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte gegen die Einkommensteuerbescheide 1970 bis 1973 Einspruch eingelegt. Die Einspruchsentscheidung wurde seinem Prozeßbevollmächtigten laut Empfangsbekenntnis (§ 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -), das vom Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet ist, am 27. Juni 1978 zugestellt.
Die Klage gegen die Einspruchsentscheidung (Datum der Klageschrift: 28. Juli 1978) ging It. Eingangsstempel am 28. Juli 1978 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) ein. Nach Mitteilung des FA an den Kläger, daß er die Klage verspätet eingelegt habe, stellte dieser den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor: Die Einspruchsentscheidung selbst sei nicht datiert gewesen; die der Einspruchsentscheidung beigefügten Abrechnungen trügen das Datum "28. Juni 1978". Damit sei die Einspruchsentscheidung mit einem falschen Datum versehen. Sein steuerlicher Berater habe daraufhin angenommen, die Entscheidung sei ihm am 29. Juni 1978 zugegangen. Er habe deshalb den Fristablauf nach diesem falschen Datum für den 28. Juli 1978 in seinen Terminkalender eingetragen, dabei aber übersehen, daß er den Empfang bereits einen Tag früher bestätigt hatte. Dies könne ihm jedoch nicht vorgeworfen werden, da er auf die Richtigkeit des angegebenen Absendedatums habe vertrauen dürfen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab. Es führte zur Begründung im wesentlichen aus: Die Klage sei verspätet erhoben worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, da die Fristversäumnis auf einem Verschulden des Prozeßbevollmächtigten beruhe.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO), 110, 126 Abs. 3 i. V. m. 367 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977).
Zur Begründung trägt sein Prozeßbevollmächtigter vor: Er, der Prozeßbevollmächtigte, habe die Rechtsmittelfrist für die ihm zugestellte Einspruchsentscheidung wie stets berechnet. Er habe sich auf die Richtigkeit dieser Berechnung verlassen können, da Bescheide vom Buchhalter der Finanzkasse am Tage des Ausgangs mit dem Ausgangsdatum versehen werden müßten. Zwar stehe das eigene Empfangsbekenntnis vom 27. Juni 1978 diesem Berechnungsverfahren entgegen. Er habe jedoch keine Abschrift davon erhalten und habe daher bei der Fristberechnung in seinem Terminkalender das Datum der Abrechnungsbescheide eingesetzt. Die Einspruchsentscheidung, die selbst kein Datum getragen habe, sei mit dem Hinweis "Abrechnung und Zahlungsanforderung vgl. Anlagen" versehen gewesen und habe auf der ersten Seite die festgesetzten Beträge enthalten. Der Hinweis auf die als Anlage beigefügten Abrechnungsbescheide habe für ihn zugleich das Datum der Einspruchsentscheidung ergeben. Bei fehlender Übereinstimmung des auf den Bescheiden angegebenen Datums mit dem Datum des Absendetages seien die Bescheide nicht nur fehlerhaft, sondern nach § 125 Abs. 1 und 2 AO 1977 nichtig. - Zumindest sei die Einspruchsentscheidung fehlerhaft. Das FA hätte ihm, dem Prozeßbevollmächtigten, vor Erlaß der Einspruchsentscheidung rechtliches Gehör gewähren müssen, soweit die ursprünglichen Bescheide durch Nichtanerkennung der Sonderausgaben verbösert worden seien. Das FG habe die Kausalität des Unterlassens der Anhörung für die Fristversäumnis verneint. Diese habe jedoch bestanden, weil er vor Einreichen der Klage in dieser Angelegenheit mit dem Sachbearbeiter habe sprechen wollen. Infolge Arbeitsüberlastung habe er diesen Termin nicht wahrnehmen können und deshalb am 28. Juli 1978 die Klage eingereicht. Hätte er rechtliches Gehör bekommen, wäre eine weitere Besprechung nicht mehr erforderlich gewesen. Die Klage hätte dann früher eingelegt werden können.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und wegen Versäumnis der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat dem Kläger zu Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwehrt, da die Klagefrist aus Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten nicht eingehalten worden ist. Dessen Verschulden steht dem Verschulden des Klägers gleich (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die Rechtsprechung stellt in Fristsachen an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts oder eines Vertreters der steuerberatenden Berufe, der, wie im vorliegenden Fall, die Vertretung eines Steuerpflichtigen in einem Steuerprozeß übernommen hat, besonders strenge Anforderungen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. April 1968 VI R 76/67, BFHE 92, 320, BStBl II 1968, 585, mit Nachweisen). Eine Fristversäumnis kann hiernach nur dann als entschuldigt angesehen werden, wenn sie "auch durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt" nicht verhindert werden konnte. Wie der Bundesgerichtshof (BGH) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (Beschlüsse vom 20. November 1978 VIII ZB 45/78, Versicherungsrecht 1979 S. 161, und vom 19. Juni 1974 IV ZB 14/74, Versicherungsrecht 1974 S. 1099), erfordert es die Sorgfaltspflicht des Anwalts, bei Unterzeichnung eines mit der Amtszustellung verbundenen Empfangsbekenntnisses selbst das Zustellungsdatum entweder auf dem Urteil oder sonst in den Handakten zu vermerken, um die Fristwahrung zu gewährleisten. Diese Sorgfaltspflichten hat der Prozeßbevollmächtigte im Streitfall nicht erfüllt. Auf eine Irreführung durch die auf den Anlagen zur Einspruchsentscheidung angeführten Daten kann er sich nicht berufen, da er selbst das zutreffende Zustellungsdatum auf dem Empfangsbekenntnis vermerkt hat. Sofern er über das maßgebliche Datum der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Zweifel gehabt haben sollte, so hätte er diese durch Erkundigung beim FA ausräumen müssen. Im übrigen haben etwaige Mängel der als Anlage beigefügten Abrechnungsbescheide (Abweichung des tatsächlichen Bekanntgabedatums von dem darauf vermerkten Datum) keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der Einspruchsentscheidung, da diese nicht Bestandteile der Einspruchsentscheidung sind.
Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, das FA habe ihn vor Erlaß der verbösernden Einspruchsentscheidung nicht mehr angehört. Sollte das FA den Kläger entgegen der Vorschrift des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nicht auf die Verböserungsmöglichkeit hingewiesen haben, so hätte dieser Mangel nicht die Nichtigkeit der Entscheidung zur Folge (§ 125 AO 1977; Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 367 AO 1977 Tz.6). Die Rechtswidrigkeit der Entscheidung aufgrund dieses Mangels hätte der Kläger nur nach wirksamer Anfechtung mit Erfolg geltend machen können.
Im übrigen ist auch nicht ersichtlich, daß das vom Kläger behauptete Unterlassen der Anhörung für die Versäumnis der Klagefrist hätte kausal sein können. Denn der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat selbst vorgetragen, er habe wegen Arbeitsüberlastung einen Besprechungstermin vor Ablauf der Klagefrist nicht wahrnehmen können.
Fundstellen
Haufe-Index 73405 |
BStBl II 1980, 154 |
BFHE 1980, 232 |