Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbständigkeit der Feststellungen im Einheitswertbescheid über Grundstücke; Streitgegenstand bei Einheitswertbescheiden über Grundstücke; zur Änderung von Einheitswertbescheiden wegen neuer Tatsachen
Leitsatz (NV)
1. Die in einem Einheitswert über ein Grundstück getroffenen Feststellungen über Art, Wert und Zurechnung sind selbständige Feststellungen, die gesondert bestandskräftig werden können.
2. Bei Einheitswertbescheiden sind Feststellungen über Art, Wert und Zurechnung selbständige Streitgegenstände. Konkretisiert der Kläger sein Klagebegehren auf eine Feststellung, ist eine Erweiterung des Klagebegehrens auf andere Feststellungen nur nach Maßgabe der Grundsätze über eine Klageerweiterung zulässig.
3. Die Änderung von Einheitswertbescheiden gem. § 173 AO verlangt eine Entscheidung darüber, ob sie zugunsten oder zu Lasten des Steuerpflichtigen erfolgt. Macht das FA von der Änderungsbefugnis Gebrauch, wird eine Mehrbelastung des Steuerpflichtigen unwiderleglich vermutet. Begehrt der Steuerpflichtige eine Änderung, gilt dasselbe für die Minderbelastung.
Normenkette
AO §§ 173, 181 Abs. 1 S. 1; BewG § 19 Abs. 3; FGO § 65
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger sind nach den tatbestandlichen Feststellungen des FG Miteigentümer eines mit einem selbstgenutzten Wohngebäude bebauten Grundstücks in O. Nach der Einheitswerterklärung auf den 1. Januar 1974 enthält das 1971 bezugsfertig gewordene Gebäude zwei Wohnungen, eine im Erdgeschoß mit 240 qm Wohnfläche und eine zweite im Dachgeschoß mit 56 qm Wohnfläche. Beide Wohnungen haben nach der Erklärung Küche und Bad. Ausweislich der Einheitswerterklärung befindet sich im Kellergeschoß des Gebäudes ein Schwimmbad. In einer Anlage zur Einheitswerterklärung war angegeben, daß sechs Räume mit Wandtäfelungen bzw. Wandfliesen versehen sind, 15 Räume Zentralheizung haben und vier Bäder vorhanden sind. Weiter war angegeben, daß von 10 Wohnzwecken dienenden Räumen vier vermietet seien. Die Baukosten betrugen nach einer Mitteilung des Landkreises 300 000 DM.
Das FA bewertete das Grundstück im Wege der Nachfeststellung auf den 1. Januar 1974 im Ertragswertverfahren mit 120 200 DM als Zweifamilienhaus. Vor der Feststellung des Einheitswerts ließ es sich weder Bauzeichnungen vorlegen noch nahm es das Grundstück in Augenschein.
Auf eine Beanstandung des Landesrechnungshofes, der Zweifel hinsichtlich der zutreffenden Art- und Wertfeststellung äußerte, erließ das FA auf den 1. Januar 1975 einen Art- und Wertfortschreibungsbescheid, in dem es den Einheitswert im Sachwertverfahren auf 348 400 DM und die Grundstücksart ,,Einfamilienhaus" feststellte. Auf den Einspruch des Klägers hob es den Fortschreibungsbescheid auf. Es änderte den ursprünglichen Bescheid zum 1. Januar 1974 gemäß § 173 AO 1977 und bewertete das Grundstück im Sachwertverfahren mit einem Einheitswert von 348 400 DM; als Grundstücksart wurde ,,Einfamilienhaus" festgestellt.
Ausweislich der FA-Akten sind sowohl der Bescheid zum 1. Januar 1974 als auch der Änderungsbescheid ausschließlich an den Kläger gerichtet und ist diesem das Grundstück als Alleineigentümer zugerechnet worden.
Den Einspruch des Klägers, mit dem er geltend machte, die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 lägen nicht vor, wies das FA mit einer ausschließlich an den Kläger gerichteten Einspruchsentscheidung zurück.
Mit der namens der Eheleute erhobenen Klage wandten sich die Kläger, nur gegen die Artfeststellung ,,Einfamilienhaus". Zur Begründung trugen sie vor, die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 AO 1977 lägen deshalb nicht vor, weil das FA 1975 eine Betriebsprüfung durchgeführt habe, bei der sämtliche Tatsachen bekanntgeworden seien; im übrigen erfülle die Dachgeschoßwohnung alle insoweit steuerlich erheblichen Merkmale einer Wohnung.
In der mündlichen Verhandlung stellten die Kläger den Antrag, den Änderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben.
Das FG gab der Klage statt. Die Voraussetzungen für eine Änderung der Wertfeststellung hätten schon deshalb nicht vorgelegen, weil sich aus der Einheitswerterklärung bereits ergeben habe, daß das Gebäude eine Wohnfläche von insgesamt 296 qm habe, im Kellergeschoß ein Schwimmbad und weiter vier Bäder eingebaut seien. Nach diesen bekannten Merkmalen und der Höhe der Baukosten sei bereits bei Erlaß des ursprünglichen Bescheides eine Bewertung im Sachwertverfahren zwingend gewesen.
Eine Änderung der Artfeststellung komme deshalb nicht in Betracht, weil das FA sich weder Bauzeichnungen habe vorlegen lassen noch das Grundstück in Augenschein genommen habe. Jede einzelne dieser Ermittlungshandlungen, die für die Wertfeststellung geboten gewesen wären, hätte zwangsläufig auch zur Kenntnis der Tatsachen geführt, auf die das FA die Änderung der Artfeststellung stütze, nämlich daß der als Küche bezeichnete Raum im Dachgeschoß ein Abstellraum ohne ausreichende Belichtung und als Küche nicht eingerichtet sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Klage der Klägerin wird abgewiesen. Die Klage des Klägers gegen die Wertfeststellung wird ebenfalls abgewiesen. Im übrigen (Klage gegen die Artfeststellung) wird die Sache zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
1. Hinsichtlich der Klage der Ehefrau ist das Urteil aufzuheben, denn insoweit stand einer Sachentscheidung entgegen, daß sich weder der angefochtene Bescheid noch die Einspruchsentscheidung an die Klägerin gerichtet haben.
Der Senat konnte über die Frage, ob die Klägerin klagebefugt ist, unbeschadet der Tatsache entscheiden, daß das Urteil des FG diesbezüglich keine tatsächlichen Feststellungen enthält. Das Revisionsgericht kann und muß das Vorliegen der Voraussetzungen, von denen die Zulässigkeit des auf sachliche Entscheidung gerichteten Verfahrens abhängt, in jeder Lage des Verfahrens ohne Beachtung der in § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO enthaltenen Einschränkungen überprüfen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. März 1986 II R 5/84, BFHE 146, 27, 31, BStBl II 1986, 462 m. w. N.). Zwar hat das FG in seinem Tatbestand festgestellt, die Kläger seien Miteigentümer des Grundstücks. Ausweislich des angefochtenen, geänderten Einheitswertbescheids ist das Grundstück dem Kläger jedoch allein zugerechnet worden und auch nur dessen von ihm allein erhobenen Einspruch hat das FA mit der an den Kläger gerichteten Einspruchsentscheidung zurückgewiesen. Die namens der Ehefrau des Klägers erhobene Klage war danach mangels Beschwer unzulässig.
Dahingestellt bleiben kann insoweit, ob die Feststellung des FG, die Kläger seien Miteigentümer, zutreffend ist, solange eine entsprechende Zurechnungsfortschreibung weder erfolgt noch umstritten ist.
2. Die angefochtene Entscheidung war auch insoweit aufzuheben, als das FG die geänderte Wertfeststellung aufgehoben hat.
Der Änderungsbescheid über den Einheitswert auf den 1. Januar 1974 in der Form der Einspruchsentscheidung ist insoweit bestandskräftig, als er eine Wertfeststellung enthält, denn mit der Klage hat der Kläger lediglich die Artfeststellung angefochten.
Die in einem Einheitswertbescheid über ein Grundstück getroffenen Feststellungen zu Wert, Art und Zurechnung sind selbständige, lediglich in einem Bescheid zusammengefaßte Feststellungen, die gesondert bestandskräftig werden können (vgl. BFH-Urteil vom 13. November 1981 III R 116/78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88, dem sich der nunmehr für die Bewertung zuständige erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 1986 II R 88/85, BFHE 148, 329, BStBl II 1987, 292 angeschlossen hat). Der gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 erlassene ändernde Bescheid auf den 1. Januar 1974 enthält danach zwei in einem Bescheid zusammengefaßte Feststellungen, nämlich bezüglich des Grundstückswerts und der Grundstücksart. Die Feststellungen bezüglich des Grundstückswerts sind mit Ablauf der Klagefrist bestandskräftig geworden, weil die Anfechtungsklage allein die Artfeststellung betraf.
Gemäß § 65 Abs. 1 FGO muß die Klage u. a. den Streitgegenstand bezeichnen, bei Anfechtungsklagen auch den angefochtenen Verwaltungsakt. Notwendig ist danach neben der Bezeichnung des Verwaltungsaktes, daß der Kläger das Klagebegehren durch eine ausreichende Angabe des Ziels der Klage bezeichnet. Streitgegenstand ist bei Feststellungsbescheiden die selbständige Feststellung einer Besteuerungsgrundlage i. S. der §§ 157 Abs. 2 und 182 Abs. 1 AO 1977, die für sich allein, d. h. unabhängig vom übrigen Inhalt eines solchen Verwaltungsakts, in Bestandskraft erwachsen oder angefochten und damit zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden kann. Eine ausreichende Bezeichnung in diesem Sinne erfordert, daß der Kläger substantiiert darlegt, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletzt (ausführlich vgl. BFH-Beschluß des Großen Senats vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99). Zwar war in der Klageschrift vom 6. Januar 1984 zunächst nur die Einspruchsentscheidung bezeichnet worden. In dem - auch nach Ablauf der Klagefrist möglichen (§ 65 Abs. 2 FGO) - die Klageschrift ergänzenden Schriftsatz vom 2. März 1984 hat der Kläger ausdrücklich und eindeutig ausgeführt, die Klage richte sich lediglich gegen die Artfeststellung. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung sein Klagebegehren erweitert und beantragt hat, den Änderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung insgesamt ersatzlos aufzuheben, handelt es sich um eine kumulativ auf einen weiteren Streitgegenstand gerichtete Klageänderung in Form einer zusätzlichen Klage, die nur dann zulässig ist, wenn neben den Voraussetzungen des § 67 FGO hinsichtlich des neuen Klagebegehrens alle Prozeßvoraussetzungen, wie z. B. die Einhaltung der Klagefrist, vorliegen (vgl. ausführlich BFH-Urteil vom 26. Februar 1980 VII R 60/78, BFHE 130, 12, BStBl II 1980, 331). Diese Voraussetzung lag hinsichtlich der selbständig zu beurteilenden Wertfeststellung nicht vor, da die Klagefrist gegen die Einspruchsentscheidung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits abgelaufen war. Eine Sachentscheidung über dieses zusätzliche Klagebegehren war danach nicht zulässig.
3. Hinsichtlich der Änderung der Artfeststellung ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
a) Nach § 179 Abs. 1 AO 1977 werden die Besteuerungsgrundlagen abweichend von § 157 Abs. 2 AO 1977 gesondert festgestellt, soweit dies in der AO 1977 oder sonst in Steuergesetzen vorgeschrieben ist. Gesondert festgestellt werden insbesondere nach § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 die Einheitswerte nach Maßgabe BewG § 19 Abs. 1 Nr. 1 BewG ordnet die (gesonderte) Feststellung von Einheitswerten für Grundstücke an. Dazu bestimmt § 19 Abs. 3 BewG in Nummer 1, daß in dem Feststellungsbescheid auch Feststellungen über die Art der wirtschaftlichen Einheit und bei Grundstücken auch über die Grundstücksart i. S. der §§ 72, 74 und 75 BewG zu treffen sind, und in Nummer 2, daß auch über die Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit zu entscheiden ist. Sowohl die Feststellung von Einheitswerten als auch die weiter nach § 19 Abs. 3 BewG zu treffenden Feststellungen haben nach § 19 Abs. 4 BewG nur zu erfolgen, wenn und soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind.
Auf die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen finden nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 die Vorschriften über die Steuerfestsetzung (bzw. ab 1. Januar 1987: die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung) sinngemäß Anwendung. Angesprochen sind damit vorrangig die §§ 155 ff. AO 1977 und damit auch die Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden (§§ 172 bis 177 AO 1977). Nach § 172 Abs. 1 AO 1977 darf ein Steuerbescheid (und damit kraft der Anwendungsregel des § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auch ein Feststellungsbescheid), wenn er nicht Zölle und Verbrauchsteuern betrifft und soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, u. a. nur aufgehoben oder geändert werden, soweit dies gesetzlich zugelassen ist. § 173 Abs. 1 AO 1977 ordnet die Aufhebung oder Änderung an, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die entweder zu einer höheren Steuer führen (Nummer 1) oder, unter der weiteren Voraussetzung, daß den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden trifft, zu einer niedrigeren Steuer führen (Nummer 2). Diese bereits historische Unterscheidung beruht im Kern auf der Überlegung, daß dem Steuerpflichtigen grundsätzlich alle Tatsachen bekannt sind, während sie der Finanzbehörde grundsätzlich unbekannt sind und erst durch die dem Steuerpflichtigen auferlegte Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsermittlung (z. B. aufgrund von ihm abzugebender Erklärungen) bekanntwerden (§§ 88, 90 AO 1977). Aus dieser unterschiedlichen Nähe zu den erheblichen Tatsachen folgt, daß die Finanzbehörde bisweilen aufgrund unvollständiger Tatsachenkenntnis entscheiden muß. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist jedoch, daß das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache oder eines Beweismittels nicht auf einer Verletzung der der Finanzbehörde obliegenden Ermittlungspflicht beruht, sofern der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht voll genügt hat (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, 489, BStBl II 1986, 241).
Der Senat vermag sich der Auffassung des FG Rheinland-Pfalz (EFG 1985, 485), daß eine Änderung der Artfeststellung nach § 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 173 Abs. 1 AO 1977 nicht möglich sei, nicht anzuschließen. Zutreffend ist das FG Rheinland-Pfalz davon ausgegangen, daß die jeweils hinsichtlich Wert, Art und Zurechnung getroffenen Feststellungen selbständige und selbständig mit Rechtsbehelfen anfechtbare Entscheidungen darstellen (vgl. das Urteil des III. Senats des BFH vom 13. November 1981 III R 116 /78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88, dem sich der Senat in seinem Urteil in BFHE 148, 329, BStBl II 1987, 292 angeschlossen hat). Richtig ist auch, daß wegen der Eigenart des Ausspruchs der nach § 19 Abs. 3 BewG zu treffenden Feststellungen über die Art oder die Zurechnung ein Mehr oder Weniger an steuerlicher Erheblichkeit nicht immer offenkundig wird.
Die in § 181 Abs. 1 AO 1977 angeordnete sinngemäße Anwendung von Vorschriften bedeutet deren Anwendung unter Beachtung der Besonderheiten des Feststellungsverfahrens und verlangt damit die zweckgerichtete Anwendung der Vorschriften, die in Bezug genommen sind. Daraus folgt die Notwendigkeit, die Abgrenzung der gebotenen Änderung nach § 173 Abs. 1 Nummer 1 AO 1977 einerseits und Nummer 2 andererseits so vorzunehmen, daß sie dem Charakter des Verwaltungsaktes gerecht wird. Dabei ist von einer konkreten Prüfung des steuerlichen Folgeergebnisses, das je nach Steuerart unterschiedlich sein kann, abzusehen. Der Umstand, daß das FA von Amts wegen gegen den Willen des Steuerpflichtigen die Änderung einer Feststellung vornimmt, indiziert unwiderlegbar, daß die Finanzbehörde von der in § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gegebenen Änderungsbefugnis in der Annahme Gebrauch macht, die Änderung führe im Ergebnis zu einer steuerlichen Mehrbelastung. In gleicher Weise begründet der Umstand, daß der Steuerpflichtige eine Änderung beantragt, das unwiderlegbare Indiz, daß die begehrte Änderung nach Auffassung des Steuerpflichtigen im Ergebnis zu einer Minderbelastung in steuerlicher Hinsicht führt, er also eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 begehrt. Nicht anzuschließen vermag sich der Senat der Auffassung des FG Baden-Württemberg (Urteil vom 24. Oktober 1985 III 458/82, EFG 1986, 107), daß bei der sinngemäßen Anwendung von § 173 Abs. 1 AO 1977 auf Artfeststellungsbescheide der Unterschied in den tatbestandlichen Voraussetzungen zwischen den in § 173 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO 1977 geregelten Fällen außer Betracht zu bleiben hat. Denn durch eine solche Auslegung würde der vom Gesetz gezogene Rahmen gesprengt; § 173 Abs. 1 AO 1977 verlangt vielmehr eine Entscheidung darüber, ob eine Änderung zugunsten oder zu ungunsten vorgenommen wird bzw. werden soll.
Dieser Auslegung der Vorschriften des § 181 Abs. 1 Satz 1 und des § 173 Abs. 1 AO 1977 steht nicht die vom BewG eröffnete Möglichkeit der fehlerbeseitigenden Fortschreibung (§ 22 Abs. 3 BewG) entgegen. Denn diese betrifft als Fortschreibung stets einen anderen Stichtag als denjenigen, zu dem der geänderte bzw. zu ändernde Feststellungsbescheid ergangen ist (vgl. § 22 Abs. 4 BewG). Außerdem stimmt der Fehlerbegriff des § 22 Abs. 3 BewG nicht überein mit dem in der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 geregelten Sachverhalt. Im letztgenannten Fall beruht die Fehlerhaftigkeit lediglich auf Unkenntnis des wirklichen Sachverhalts. Deshalb gebietet § 173 Abs. 1 AO 1977, aus dem wirklichen (verborgen gebliebenen) Sachverhalt innerhalb der Feststellungsfrist (vgl. § 181 Abs. 1 i. V. m. § 169 Abs. 1 AO 1977) die richtigen Rechtsfolgen durch Änderung des Verwaltungsakts zu ziehen. § 22 Abs. 3 BewG spricht dagegen alle Rechtsfehler an, also auch solche, die nach § 177 AO 1977 nicht Anlaß einer Änderung sein, sondern nur im Wege der Saldierung bei Änderung aus anderen Gründen berichtigt werden können. § 22 Abs. 3 BewG ist damit eng mit der Dauerwirkung der nach dem BewG festzustellenden Einheitswerte verknüpft und läßt die Berichtigung von Fehlern zu dem in § 22 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BewG genannten Stichtag zu, obgleich eine Änderung nach § 181 Abs. 1 i. V. m. §§ 172 ff. AO 1977 tatbestandlich ausgeschlossen oder wegen Ablaufs der Feststellungsfrist unzulässig ist.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lagen die Voraussetzungen für die vom FA vorgenommene und daher nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu beurteilende Änderung vor. Die vom FG im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung, das FA habe seine Ermittlungspflicht verletzt, vermag der Senat nicht zu teilen. Nach Auffassung des FG hätte das FA sich vor Bekanntgabe des ursprünglichen Nachfeststellungsbescheides die Bauzeichnungen vorlegen lassen oder - was wegen der Zweifel daran, ob das Grundstück nicht wegen der dem FA bekannten Merkmale im Sachwertverfahren zu bewerten sei, besonders nahe gelegen hätte - das Grundstück in Augenschein nehmen müssen. Diese Ausführungen sind nicht schlüssig, weil das FG - wenn auch im Zusammenhang mit seiner Entscheidung über die Änderung der Wertfeststellung - ausgeführt hat, alle dafür wesentlichen Umstände habe das FA aus der Erklärung zur Einheitswertfeststellung sowie der Beilage hierzu entnehmen können. Weshalb sich dann für die Artfeststellung Zweifel an der Richtigkeit der Erklärung, daß das Wohngrundstück zwei Wohnungen enthalte (darunter eine vermietete), die jeweils mit Küche und Bad ausgestattet seien, aufdrängen mußten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Denn die der Finanzbehörde obliegende Ermittlungspflicht (§ 88 AO 1977, früher § 204 der Reichsabgabenordnung - RAO -) beinhaltet nicht die Verpflichtung, von Amts wegen Feststellungen zu treffen, sofern nicht die Erklärung des Steuerpflichtigen selbst unvollständig oder widersprüchlich ist oder sich aus den sonst bekannten Umständen Zweifel an der Richtigkeit der abgegebenen Erklärung aufdrängen. Die Finanzbehörde darf sich vielmehr auf die Richtigkeit der Steuererklärung verlassen, die der Steuerpflichtige gemäß § 166 Abs. 1 RAO nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben hatte (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1970 I R 123/67, BFHE 98, 171, BStBl II 1970, 296, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
b) Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat aus seiner Sicht zutreffend keine Feststellungen darüber getroffen, ob die vom Kläger als zweite Wohnung angesehenen Räume im Dachgeschoß so beschaffen waren, daß die Führung eines selbständigen Haushalts in ihnen am Stichtag möglich war, insbesondere die notwendigen Nebenräume wie Küche (oder Raum mit Kochgelegenheit), Toilette und Bad, vorhanden waren (vgl. die BFH-Urteile vom 15. März 1974 III R 11/73, BFHE 112, 198, BStBl II 1974, 403; vom 22. Juni 1979 III R 17/77, BFHE 129, 65, BStBl II 1980, 175; vom 25. Juli 1980 III R 46 /78, BFHE 132, 99, BStBl II 1981, 152, und vom 25. Oktober 1985 III R 31/81, BFHE 145, 425, BStBl II 1986, 278).
Fundstellen
Haufe-Index 415318 |
BFH/NV 1988, 690 |