Leitsatz (amtlich)
Verpflegungsmehraufwendungen können pauschal als Werbungskosten anerkannt werden, wenn ein Arbeitnehmer im Anschluß an den Dienst Fortbildungsveranstaltungen an einer Verwaltungsakademie besucht. Die Regelmäßigkeit ist gegeben, wenn er während des ganzen Semesters an der Mehrzahl der Arbeitstage mehr als 12 Stunden von der Wohnung abwesend ist.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1; LStDV § 20 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Der in H. als Arbeitnehmer tätige Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) hat seinen Wohnsitz in einer Entfernung von 52 km in L. Nach insoweit erfolglosem Lohnsteuerermäßigungsverfahren wies das FG die Klage des Steuerpflichtigen ab, soweit dieser zusätzlich zu den vom FA bereits anerkannten Werbungskosten Mehraufwendungen wegen mehr als 12stündiger Abwesenheit von der Wohnung auch für solche Tage, an denen er unmittelbar nach Dienstende nach Hause zurückkehrte, geltend machte. Es war der Auffassung, daß der Steuerpflichtige nur deshalb länger als 12 Stunden abwesend war, weil er aus persönlichen Gründen seinen Wohnsitz in erheblicher Entfernung vom Arbeitsort gewählt hatte. Das FG gab der Klage jedoch insoweit statt, als der Steuerpflichtige nach Dienstschluß im Rahmen eines Abendstudiums Veranstaltungen der Verwaltungsakademie in H. besucht hatte und erkannte für 101 Tage Mehrverpflegungsaufwendungen von 2,50 DM je Tag als Werbungskosten an. Es verpflichtete das FA, dementsprechend den Lohnsteuerfreibetrag 1968 um 252,50 DM zu erhöhen. Es führte u. a. aus: An den Tagen, an denen der Steuerpflichtige im Anschluß an den Dienst Veranstaltungen der Verwaltungsakademie besucht habe, wäre er auch innerhalb des Bereichs von 40 km mehr als 12 Stunden abwesend gewesen. Seine Abwesenheit sei in diesem Fall beruflich bedingt, weil die Verwaltungsakademien der Fortbildung der Beamten im ausgeübten Beruf dienten, ihr Besuch von den Dienstherren gewünscht und gefördert werde und das Diplom der Akademie dem beruflichen Fortkommen des Beamten förderlich sei. Die für den Besuch aufgewendete Zeit sei daher der beruflich bedingten Abwesenheit hinzuzurechnen (Urteil des BFH VI 249/62 U vom 15. März 1963, BFH 76, 818, BStBl III 1963, 298). Dem Steuerpflichtigen stehe ein Abzug für Verpflegungsmehraufwand zu, obwohl er nur an 101 von insgesamt 235 Arbeitstagen aus beruflichen Gründen länger als 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend gewesen sei. Eine vom Steuerpflichtigen behauptete Abwesenheit von 121 Tagen sei durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Das FA habe den Abzug in Übereinstimmung mit der BFH-Rechtsprechung versagt, weil der Kläger nicht an der "überwiegenden" Zahl der Arbeitstage in dieser Weise seiner Wohnung ferngeblieben sei. Dem vermöge der Senat sich auch nach erneuter Prüfung nicht anzuschließen.
Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das finanzgerichtliche Urteil, das in Entscheidungen der Finanzgerichte 1969 S. 398 veröffentlicht ist, Bezug genommen. Im Ergebnis lehnte das FG die vom BFH vorgenommene typisierende Beurteilung, nach der Werbungskosten nur bei regelmäßig mehr als 12stündiger Abwesenheit von der Wohnung anerkannt werden können (Urteil VI R 322/66 vom 4. August 1967, BFH 90, 23, BStBl III 1967, 782), ab und vertrat die Auffassung, § 9 EStG gebiete den Abzug aller dem Steuerpflichtigen erwachsenen Werbungskosten unabhängig davon, ob sie regelmäßig oder unregelmäßig auftreten.
Mit der Revision trägt das FA vor, der Steuerpflichtige sei ununterbrochen bei gleichbleibender regelmäßiger Arbeitszeit bei der Knappschaft beschäftigt. Wenn er daneben in Abendkursen die Verwaltungsakademie besuche, so seien die Verhältnisse während des ganzen Jahres unverändert, selbst wenn die Semester der Akademie in zeitlichem Umfang denen der Hochschulen angeglichen seien. Das FG sei von der Rechtsprechung des BFH im Urteil VI R 322/66 (a. a. O.) abgewichen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA ist im Ergebnis nicht begründet.
Im Urteil VI R 283/70 vom 9. November 1971 (BStBl II 1972, 145) hat der Senat erneut grundsätzlich zu den Voraussetzungen Stellung genommen, unter denen bei mehr als 12stündiger Abwesenheit von der Wohnung pauschal Werbungskosten wegen Verpflegungsmehraufwendungen anerkannt werden können. Der Senat hat auf die ständige Rechtsprechung hingewiesen, nach der bei der Abgrenzung der Lebenshaltungskosten und der Werbungskosten eine Aufteilung u. a. nur in Betracht kommt, wenn der berufliche Anteil nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, daß ein etwaiger Mehrverpflegungsaufwand bei nur gelegentlicher mehr als 12stündiger Abwesenheit bei der gebotenen typisierenden Betrachtung stets als von untergeordneter Bedeutung angesehen werden muß und daß ein solcher Aufwand erst dann ein berücksichtigungsfähiges Gewicht erlangt, wenn das Arbeitsverhältnis durch die lange Abwesenheit geprägt wird, wenn der Arbeitnehmer also regelmäßig, d. h. bei gleichbleibenden Verhältnissen auf das Jahr gesehen an der Mehrzahl der Arbeitstage, so lange von der Wohnung abwesend ist. Hieran ist festzuhalten.
Obwohl das FG die vorgenannten Grundsätze zur Abgrenzung von Lebenshaltungskosten und Werbungskosten verkannt hat, indem es auch bei nicht regelmäßiger mehr als 12stündiger Abwesenheit von der Wohnung Mehrverpflegungsaufwendungen als Werbungskosten anerkennen will, war die Revision des FA zurückzuweisen, weil die Entscheidung aus anderen Gründen richtig ist (§ 126 Abs. 4 FGO). Die vom FG für 101 Tage festgestellte mehr als 12stündige Abwesenheit von der Wohnung ist im Falle des Steuerpflichtigen durch den Besuch der Verwaltungsakademie bedingt. Diese hält ihre Vorlesungen aber nicht durchgehend während des ganzen Kalenderjahres, sondern lediglich während der laufenden Semester. Die mehr als 12stündige Abwesenheit des Steuerpflichtigen verteilt sich also nicht gleichmäßig auf das ganze Jahr, sondern konzentriert sich jeweils auf die Zeiten der Semester. Es ist aber, ohne daß es im einzelnen der Feststellung dieser Zeiten bedarf, offensichtlich, daß während der Semester die beruflich bedingte Tätigkeit des Steuerpflichtigen durch die ungewöhnlich lange Abwesenheit von der Wohnung bestimmt und geprägt worden ist, da er während dieser Zeit ganz überwiegend ungewöhnlich lange abwesend war. Die Äußerung des Senats in der Entscheidung VI R 322/66 (a. a. O.) darüber, unter welchen Voraussetzungen er bei einer Änderung der "Arbeitsbedingungen" während des Kalenderjahres eine Regelmäßigkeit annehmen würde, beinhaltet lediglich ein Beispiel für eine rechtlich einwandfreie mögliche Sachverhaltswürdigung. Diese Äußerung darf aber nicht dahin verstanden werden, daß, wenn die Verhältnisse nicht während des ganzen Kalenderjahres gleichlagen, Regelmäßigkeit nur bei einer Änderung der Arbeitsbedingungen bejaht werden könnte. Auch eine Änderung der beruflich bedingten Tätigkeit aus anderen Gründen, wie im Streitfall durch den Besuch der Verwaltungsakademie, kann Regelmäßigkeit begründen. Es bestehen auch keine Bedenken, den Zeitraum des jeweiligen Semesters als einen solchen von längerer Dauer zu beurteilen. Bei einer Änderung der Arbeitsbedingungen hat der Senat im Urteil VI R 322/66 (a. a. O.) auch schon einen Zeitraum von 3 Monaten genügen lassen; an dem Erfordernis, daß die ungewöhnlich lange Abwesenheit an allen Arbeitstagen gegeben sein müßte, hält der Senat nicht mehr fest.
Fundstellen
Haufe-Index 413043 |
BStBl II 1972, 151 |
BFHE 1972, 527 |