Leitsatz (amtlich)

Die Grundsätze über die Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten bei mehr als 12stündiger Abwesenheit von der Wohnung gelten auch für im Schichtbetrieb eingesetzte Arbeitnehmer.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 1; LStDV § 20 Abs. 2 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) ist Polizeibeamter. Er arbeitete im Streitjahr 1966 in einer Art Schichtbetrieb. Jede Schicht umfaßte einen Zeitraum von vier Tagen; der vierte Tag war Ruhetag. Insgesamt war der Steuerpflichtige 88mal - jeweils von dem zweiten auf den dritten Arbeitstag - mehr als 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend.

Das FA lehnte auch im Einspruchsverfahren den Antrag ab, (88x 2,50 DM =) 220 DM als Werbungskosten wegen mehr als 12stündiger Abwesenheit von der Wohnung anzuerkennen. Zur Begründung führte es an, der Steuerpflichtige sei nicht regelmäßig, d. h. mindestens an 120 Tagen im Jahr, länger als 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend gewesen, sondern nur an jedem vierten Tag.

Mit der Klage trug der Steuerpflichtige u. a. vor, es seien ihm an den Tagen mit überlanger Abwesenheit tatsächlich Mehraufwendungen für Verpflegung entstanden. Er habe je nach Diensteinteilung im Nachtdienst zwischen 22.00 Uhr bis 24.00 Uhr eine Mahlzeit in einer Gaststätte oder Imbißstube einnehmen müssen. Der Preis je Mahlzeit habe ohne Getränke etwa bei 3 DM gelegen. Da er noch Getränke, u. a. einen Kaffee gegen Morgen hin habe zu sich nehmen müssen, habe er je Nachtdienst einen Mehraufwand von 3 bis 3,50 DM gehabt.

Das FG gab der Klage statt. Es äußerte unter Hinweis auf das Urteil des Niedersächsischen FG IV L 71/68 vom 19. Februar 1969 (EFG 1969, 398) zunächst Bedenken gegen die Rechtsprechung des BFH, nach der Werbungskosten nur bei regelmäßig mehr als 12stündiger Abwesenheit von der Wohnung anerkannt werden könnten, wobei das Wort "regelmäßig" zuletzt vom BFH (vgl. Urteil VI R 322/66 vom 4. August 1967, BFH 90, 23, BStBl III 1967, 782) im Sinn von "an der Mehrzahl der Arbeitstage" verwendet worden sei. Es führte aus: die einschränkende Behandlung der Verpflegungsmehraufwendungen durch den BFH sei auch dem Steuerpflichtigen wenig verständlich, dessen Aufwendungen je Tag mit überlanger Abwesenheit kaum niedriger seien, wenn er statt 120mal nur 80- oder 90mal länger als 12 Stunden im Jahr von seiner Wohnung abwesend gewesen sei. Einer abschließenden Stellungnahme zu der vom BFH im Urteil VI R 322/66 vom 4. August 1967 (a. a. O.) vertretenen Auffassung bedürfe es aber nicht, da diese auf den Regelfall abgestimmt sei. Die vorliegende Streitsache zeige jedoch die Besonderheit, daß sich die Arbeitszeit des Steuerpflichtigen im Rahmen des Schichtbetriebs von einem auf den anderen Tag erstrecke. Sehe man die Arbeitszeit im Rahmen des Viertageturnus im Zusammenhang, so sei der Steuerpflichtige mit entsprechenden mehrstündigen Zwischenpausen in drei Schichten von 13.00 Uhr des ersten Tages bis jeweils 6.00 Uhr des dritten Tages insgesamt 24 Stunden eingesetzt gewesen. Der Einsatz vom zweiten auf den dritten Tag habe dann jeweils eine mehr als 12stündige Abwesenheit von der Wohnung bedingt. Unter diesen Umständen könne von einer "regelmäßigen" Abwesenheit ausgegangen werden. Auch der BFH habe bei einem Feuerwehrmann, der abwechselnd Bereitschaftsdienst und Freizeit von je 24 Stunden gehabt habe, für jeden zweiten Tag einen Mehraufwand für Verpflegung anerkannt und ausgeführt, die Stunden der Abwesenheit von der Wohnung dürften nicht schematisch für jeden Kalendertag angesetzt werden (Urteil des BFH IV 291/55 U vom 4. Oktober 1956, BFH 63, 452, BStBl III 1956, 370). Die Anerkennung eines Mehrverpflegungsaufwands von je 2,50 DM für 88 Zeiträume mit mehr als 12stündiger Abwesenheit führe im Streitfall auch tatsächlich zu einem zutreffenden Ergebnis. Der Steuerpflichtige habe dargelegt, daß er an den "Tagen" mit mehr als 12stündiger Abwesenheit einen Mehraufwand gehabt habe, der eindeutig auf die überlange, berufsbedingte Abwesenheit von seiner Wohnung zurückgegangen sei. Die Beträge, die er für seine Mahlzeiten angesetzt habe, seien bescheiden und glaubhaft.

Mit der Revision rügt das FA Verstoß gegen § 9 EStG durch unrichtige Auslegung des Werbungskostenbegriffs.

Der Steuerpflichtige trägt vor, in einer Schichtrunde falle der Begriff "Arbeitstag" nicht mit dem Begriff "Tag" zusammen. Der BFH (Urteil VI R 322/66, a. a. O.) verwende bewußt den Begriff "Arbeitstag" und nicht "Tag". Es ergebe sich hiernach eine beruflich bedingte Abwesenheit von mehr als 12 Stunden an der Mehrzahl der Arbeitstage. Im übrigen seien ihm nach den Feststellungen des FG Mehraufwendungen wegen der beruflichen überlangen Abwesenheit von der Wohnung tatsächlich entstanden. Diese Kosten seien von den Kosten der privaten Lebensführung einwandfrei trennbar und damit Werbungskosten.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des FA ist begründet.

Im Urteil VI R 283/70 vom 9. November 1971 (BStBl II 1972, 145) hat der Senat erneut grundsätzlich zu den Voraussetzungen Stellung genommen, unter denen bei mehr als 12stündiger Abwesenheit von der Wohnung pauschal Werbungskosten wegen Verpflegungsmehraufwendungen anerkannt werden können. Der Senat hat auf die ständige Rechtsprechung hingewiesen, nach der bei der Abgrenzung der Lebenshaltungskosten und der Werbungskosten eine Aufteilung u. a. nur in Betracht kommt, wenn der berufliche Anteil nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, daß ein etwaiger Mehrverpflegungsaufwand bei nur gelegentlicher mehr als 12stündiger Abwesenheit bei der gebotenen typisierenden Betrachtung stets als von untergeordneter Bedeutung angesehen werden muß und daß ein solcher Aufwand erst dann ein berücksichtigungsfähiges Gewicht erlangt, wenn das Arbeitsverhältnis durch die lange Abwesenheit geprägt wird, wenn der Arbeitnehmer also regelmäßig, d. h. bei gleichbleibenden Verhältnissen auf das Jahr gesehen an der Mehrzahl der Arbeitstage so lange von der Wohnung abwesend ist. Hieran ist festzuhalten.

Von diesen Grundsätzen ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch bei im Schichtbetrieb beschäftigten Arbeitnehmern auszugehen. Eine Besonderheit besteht lediglich, wie der BFH bereits in dem Urteil IV 291/55 U vom 4. Oktober 1956 (a. a. O.) ausgesprochen hat, darin, daß die Zahl der Arbeitstage, an denen eine mehr als 12stündige Abwesenheit gegeben ist, nicht nach den Kalendertagen, sondern nach den Schichten zu ermitteln ist. Läßt man im Streitfall den vierten freien Tag außer Betracht, so hat der Steuerpflichtige, verteilt auf drei Kalendertage, jeweils drei Schichten abgeleistet, von denen aber nur die letzte, sich von 20 Uhr des zweiten bis 6 Uhr des dritten Kalendertages erstreckende Schicht zu einer mehr als 12stündigen Abwesenheit von der Wohnung geführt hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob auch die Gesamtzahl der Arbeitstage nach den Schichten oder ob sie nach den Kalendertagen, an denen der Steuerpflichtige gearbeitet hat, zu berechnen ist; denn bei jeder dieser Berechnungsarten würden sich insgesamt drei Arbeitstage ergeben. Der Steuerpflichtige war hiernach an drei Arbeitstagen jeweils nur einmal mehr als 12 Stunden von der Wohnung abwesend. Bei dieser Sachlage liegt eine regelmäßige ungewöhnlich lange Abwesenheit von der Wohnung, durch die das Berufsleben des Steuerpflichtigen bestimmt und geprägt wird, nicht vor; denn er war an der überwiegenden Zahl der Arbeitstage nicht ungewöhnlich lange von der Wohnung abwesend. In diesem Punkte unterscheidet sich der Fall von dem Fall des Urteils IV 291/55 U (a. a. O.). Dort handelte es sich um einen Feuerwehrmann, bei dem sich eine 24stündige Dienstbereitschaft und eine entsprechende Ruhezeit ablösten, bei dem also die berufliche Tätigkeit ausschließlich in ungewöhnlich langen Arbeitszeiten bestand. In diesem Falle wurde das Arbeitsverhältnis tatsächlich im Sinne der Rechtsprechung des Senats dadurch geprägt, daß der Arbeitnehmer ungewöhnlich lange von der Wohnung abwesend war.

Im Streitfall können hiernach Verpflegungsmehraufwendungen nicht pauschal als Werbungskosten anerkannt werden. Aber auch die Tatsache, daß das FG einen tatsächlichen, durch die mehr als 12stündige Abwesenheit von der Wohnung bedingten Mehrverpflegungsaufwand als glaubhaft gemacht ansieht, kann die Anerkennung von Werbungskosten nicht rechtfertigen. Für Verpflegungsaufwendungen, die während der Dienstzeit erbracht werden, gilt ebenfalls der allgemeine Grundsatz, daß sie den Lebenshaltungskosten (§ 12 Nr. 1 EStG) zuzurechnen sind, wie der Senat etwa schon in seinem Urteil VI R 236/69 vom 13. Februar 1970 (BFH 98, 350, BStBl II 1970, 391) dargelegt hat. Wenn daher der Steuerpflichtige glaubhaft macht, daß er während der Dienstzeit Verpflegungsmehraufwendungen erbracht hat, so ist hiermit allein über den Charakter dieser Aufwendungen als Lebenshaltungskosten oder Werbungskosten noch gar nichts ausgesagt. Das gilt selbst dann, wenn es sich wie im Streitfall um eine Tätigkeit während der Nachtzeit handelt, in der sonst üblicherweise keine Nahrung aufgenommen wird. Denn der Grundsatz, daß die Ernährung zur Lebenshaltung gehört, ist von der Art der beruflichen Tätigkeit (z. B. Schwere der Arbeit, ungünstige oder lange Arbeitszeit) ebensowenig abhängig wie von den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers (z. B. überdurchschnittlicher Nahrungsbedarf). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz erscheint auch bei nachgewiesenen Aufwendungen, die während einer mehr als 12stündigen Abwesenheit von der Wohnung erbracht werden, nur dann vertretbar und gerechtfertigt, wenn die lange Abwesenheit nicht nur gelegentlich gegeben ist, sondern wenn sie das Arbeitsverhältnis prägt, also regelmäßig gegeben ist, so daß nach der Lebenserfahrung typisierend Mehraufwendungen von einigem Gewicht als erbracht angesehen werden können.

Die Lage ist hier anders als bei Dienstreisen oder auch bei doppelter Haushaltsführung. Eine Dienstreise etwa setzt eine Abwesenheit vom Ort der regelmäßigen Arbeitsstätte voraus. Der Arbeitnehmer muß sich verpflegen, ohne auf die verbilligenden Möglichkeiten eines eigenen Haushalts oder auch seiner gewohnten beruflichen Umgebung zurückgreifen zu können. Das führt schon bei der einzelnen Dienstreise zu abgrenzbaren Mehraufwendungen von einigem Gewicht, die gegebenenfalls nach typisierenden Merkmalen als Werbungskosten anerkannt werden können. Ähnliches gilt auch bei doppelter Haushaltsführung insbesondere Verheirateter. Bei Aufwendungen während einer einmaligen oder nur gelegentlichen mehr als 12stündigen Abwesenheit von der Wohnung sind aber weder hinsichtlich der Abgrenzbarkeit noch hinsichtlich der Gewichtigkeit ähnliche oder vergleichbare Voraussetzungen gegeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413044

BStBl II 1972, 149

BFHE 1972, 529

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