Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesszinsen auf die nach Rücktrag eines Verlustes erstattete Einkommensteuer
Leitsatz (NV)
- Folgebescheide sind Verwaltungsakte, die die Regelungen eines Feststellungs-, eines Steuermessbescheides oder eines sonstigen für die Festsetzung einer Steuer verbindlichen Verwaltungsaktes (sog. Grundlagenbescheid) als bindend übernehmen (Rechtsprechung).
- Der Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahres ist kein Grundlagenbescheid für das Verlustabzugsjahr.
- Die durch § 10d EStG vorgegebene Reihenfolge des Abzugs des einheitlich und gesondert festgestellten Verlustes ändert nichts daran, dass der Gewinnfeststellungsbescheid als solcher gleichermaßen bindend ist für die Veranlagung im Verlustentstehungsjahr wie die im Verlustabzugsjahr (Rechtsprechung). Die betreffenden Einkommensteuerbescheide sind insoweit Folgebescheide i.S. des § 182 Abs. 1 AO 1977 des Feststellungsbescheides.
- Der während eines gerichtlichen Verfahrens ergehende und zur Erledigung des Rechtsstreits führende Feststellungsänderungsbescheid ist als Grundlagenbescheid bei der Ermittlung eines Verlustrücktrags nach § 10d Satz 2 EStG bindend und begründet für die durch den Verlustrücktrag ausgelöste Erstattung von Einkommensteuer Anspruch auf Prozesszinsen gemäß § 236 Abs. 2 Nr. 1a i.V.m. Abs. 1 AO 1977.
Normenkette
AO 1977 § 182 Abs. 1, § 236 Abs. 2; EStG § 10d
Verfahrensgang
Hessisches FG (EFG 2000, 534) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) waren an einer KG beteiligt. Im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung der KG für 1986 lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) zunächst die Anerkennung eines im Sonderbetriebsvermögen der Klägerin angefallenen Verlustes ab und stellte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 73 887 DM fest. Nach Klageerhebung erließ das FA im Laufe des Rechtsstreits am 24. Juni 1996 einen geänderten Feststellungsbescheid für 1986, durch den die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für 1986 mit ./. 281 067 DM festgestellt wurden. Der Rechtsstreit wurde daraufhin übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Das FA erließ am 14. November 1996 einen gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1986. Danach beträgt die für 1986 festgesetzte Einkommensteuer 0 DM und der Gesamtbetrag der Einkünfte ./. 120 157 DM. Ferner setzte das FA durch Zinsbescheid vom 20. Dezember 1996 Prozesszinsen für die Herabsetzung der Einkommensteuer 1986 in Höhe von 34 314 DM fest.
Aufgrund des sich 1986 ergebenden Verlustrücktrags änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 1984 nach § 10d Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1986 und setzte die Einkommensteuer 1984 mit Bescheid vom 12. Dezember 1996 um 57 184 DM herab. Den Antrag der Kläger, auch hinsichtlich dieser Steuererstattung Prozesszinsen für den Zeitraum von der Klageerhebung (11. Juli 1990) bis zum Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheides 1984 (12. Dezember 1996) festzusetzen, lehnte das FA ab.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (die Entscheidung ist abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2000, 534).
Das FA rügt mit der vom FG zugelassenen Revision fehlerhafte Anwendung des § 236 Abs. 2 Nr. 2 a i.V.m. Abs. 1 AO 1977. Dem FG sei zwar zuzustimmen, dass die AO 1977 den Begriff "Folgebescheid" für Verwaltungsakte verwende, die die "Regelungen eines Feststellungs-, Steuermessbescheids oder eines sonstigen für die Festsetzung einer Steuer verbindlichen Verwaltungsaktes (sog. Grundlagenbescheid) als bindend übernehmen". Änderungsbescheide nach § 10d EStG seien aber keine Folgebescheide i.S. von § 182 Abs. 1 AO 1977, § 236 Abs. 2 Nr. 2 a AO 1977. Dem Feststellungsbescheid 1986 fehle es insoweit an der gesetzlichen Anordnung einer Bindungswirkung für das Jahr 1984. Eine solche unmittelbare Beziehung zwischen der aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung herabgesetzten Steuer und des Folgebescheides sei aber erforderlich, weil § 236 Abs. 2 Nr. 2 a AO 1977 gerade nicht die Fälle erfassen wollte, in denen die Erstattung lediglich mittelbar Folge einer gerichtlichen Entscheidung sei.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Zu Recht hat das FG den Klägern Prozesszinsen gemäß § 236 AO 1977 auf die nach Rücktrag eines Verlustes aus 1986 erstattete Einkommensteuer 1984 zuerkannt.
1. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 AO 1977). Gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der zu erstattende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Diese Regelung ist nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 a AO 1977 entsprechend anzuwenden, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer führt. Zweck der Vorschrift ist es, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 13. Juli 1994 I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl II 1995, 37).
Folgebescheide sind Verwaltungsakte, die die Regelungen eines Feststellungs-, Steuermessbescheids oder eines sonstigen für die Festsetzung einer Steuer verbindlichen Verwaltungsaktes (sog. Grundlagenbescheid) als bindend übernehmen; für steuerliche Grundlagenbescheide ist die Bindungswirkung ausdrücklich gesetzlich bestimmt (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1987 I R 350/83, BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600). Werden Besteuerungsgrundlagen ―hier der Verlust der KG in 1986― einheitlich und gesondert festgestellt, so bindet der Grundlagenbescheid den Folgebescheid, soweit sein feststellender Inhalt reicht (§ 182 Abs. 1 AO 1977).
2. Der Gewinnfeststellungsbescheid 1986 ist ein Grundlagenbescheid. Er ist nicht nur für die Einkommensteuerfestsetzung des Verlustentstehungsjahres bindend, sondern auch für die Jahre des Verlustabzugs gemäß § 10d EStG (vgl. BFH-Urteile vom 4. Juli 1989 VIII R 217/84, BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792, und vom 27. Oktober 1989 III R 38/88, BFH/NV 1990, 369). Auch wenn über Grund und Höhe des abziehbaren (rücktragbaren) Verlustes nicht im Entstehungsjahr 1986, sondern im Veranlagungsjahr 1984 zu entscheiden ist, in dem sich der Verlustrücktrag einkommensteuerrechtlich auswirkt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1993 XI R 12/93, BFH/NV 1994, 710, m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 10. November 1987 VIII R 17-19/84, BFH/NV 1989, 278, und Urteil vom 12. Januar 1966 I 184/63, BStBl III 1966, 270), so ist das FA bei der dafür erforderlichen Ermittlung der in 1986 nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte an den am 24. Juni 1996 geänderten Feststellungsbescheid für 1986 gebunden, soweit dessen Feststellungen reichen (§ 182 Abs. 1 AO 1977).
3. Der Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahres 1986 ist kein Grundlagenbescheid für das Verlustabzugsjahr 1984, auch wenn 1984 nur noch die Verluste zum Abzug kommen, die 1986 noch nicht ausgeglichen wurden (vgl. BFH-Urteile vom 28. Oktober 1999 VIII R 7/97, BFH/NV 2000, 564; vom 14. November 1989 VIII R 109/86, BFH/NV 1990, 624).
Die durch § 10d EStG vorgegebene Reihenfolge des Abzugs des einheitlich und gesondert festgestellten Verlustes ändert nichts daran, dass der Feststellungsbescheid 1986 als solcher ―soweit seine Feststellungen reichen― gleichermaßen bindend ist für die Veranlagungen 1984 und 1986, die betreffenden Einkommensteuerbescheide mithin insoweit Folgebescheide i.S. des § 182 Abs. 1 AO 1977 des Feststellungsbescheides sind. Dass der Feststellungsbescheid im Streitfall über die Grenzen eines Veranlagungsjahres hinaus bindende Wirkungen entfaltet, ergibt sich aus der besonderen Funktion des § 10d EStG, einen die Abschnittsbesteuerung übergreifenden Verlustausgleich zu gewährleisten.
4. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 a i.V.m. Abs. 1 AO 1977 sind danach erfüllt. Der Änderungsbescheid vom 24. Juni 1996 führte zur Erledigung des Rechtsstreits betreffend die Gewinnfeststellung 1986 und des Weiteren zur Herabsetzung der Einkommensteuer 1984 durch den Verlustrücktrag nach § 10d EStG.
Der auf dem Verlustrücktrag beruhende Erstattungsanspruch betreffend Einkommensteuer 1984 war mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 1986, aus dem der Verlust stammt, entstanden (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 104/98, BFHE 192, 21, BStBl II 2000, 491), der Zinslauf begann am 11. Juli 1990, dem Tag der Rechtshängigkeit des später erledigten Rechtsstreits (§ 236 Abs. 2 Nr. 2 a i.V.m. § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).
Fundstellen
Haufe-Index 592382 |
BFH/NV 2001, 1026 |
BFH/NV 2002, 83 |
BFHE 2002, 1 |
BB 2001, 2414 |
DStRE 2002, 322 |
HFR 2002, 90 |