Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
In einem gegen ihn gerichteten steuerlichen Ermittlungsverfahren kann sich im allgemeinen ein Steuerpflichtiger der Mitwirkung an der Aufklärung eines unklaren Vermögenszuwachses nicht mit der Behauptung entziehen, es handle sich um fremde Gelder; er habe sich aber den Geldgebern gegenüber durch Ehrenwort verpflichtet, ihre Namen dem Finanzamt nicht zu nennen und würde durch die Benennung der Geldgeber seine geschäftlichen Beziehungen gefährden.
Es ist kein Ermessensfehler, wenn die Finanzbehörden eine vom Steuerpflichtigen angebotene eidesstattliche Versicherung nicht entgegennehmen, solange einfachere und überzeugendere Beweismittel vorhanden sind.
Normenkette
AO §§ 164, 171, 175-176, 204-205, 205a
Tatbestand
Der Beschwerdegegner (Bg.) hatte einen Futtermittelhandel; daneben betrieb er eine kleine Landwirtschaft. Für die Zeit vom 1. Januar 1946 bis 20. Juni 1948 ergab sich ein ungeklärter Vermögenszuwachs von 87.113 RM, der im wesentlichen auf ein Guthaben von 100.000 RM bei der K.-Bank zurückzuführen war. Das Finanzamt betrachtete den ungeklärten Vermögenszuwachs als unversteuerten Gewinn. Der Bg. behauptete, daß etwa 70.000 RM aus dem Guthaben bei der K.-Bank vier anderen Personen gehört hätten, nämlich einem Gewerbetreibenden und drei Landwirten. Er weigerte sich, die Namen dieser Personen zu nennen. Mit der Nachversteuerung von 28.000 bis 30.000 RM erklärte er sich einverstanden. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht gab der Berufung des Bg. statt und veranlagte ihn entsprechend seinem Einverständnis. Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Rechtsanwendung. Er erstrebte die Wiederherstellung der Einspruchsentscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zutreffend geht das Finanzgericht davon aus, daß nach § 205 in Verbindung mit § 171 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) der Steuerpflichtige auf Verlangen des Finanzamts die Richtigkeit seiner Steuererklärung nachzuweisen habe. Wo die Angaben eines Steuerpflichtigen zu Zweifeln Anlaß geben, hat er die Erklärung zu ergänzen, den Sachverhalt aufzuklären und seine Behauptungen, soweit ihm dies nach den Umständen zugemutet werden kann, zu beweisen.
Das Finanzgericht glaubt es dem BG. nicht zumuten zu können, die Namen der angeblichen vier Geldgeber zu nennen. Die Rechtsausführungen des Finanzgerichts zu diesem Punkt sind bedenklich. Die Vorschrift des § 171 AO steht in dem Abschnitt, der die Pflichten der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren festlegt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift trifft den Steuerpflichtigen eine uneingeschränkte Aufklärungspflicht (Darlegungspflicht). Eine Nachweispflicht obliegt ihm, soweit ihm der Nachweis den Umständen nach zugemutet werden kann. Das Recht, in einem gegen ihn gerichteten steuerlichen Ermittlungsverfahren die Mitwirkung an der Aufklärung eines unklaren Sachverhalts zu verweigern, steht dem Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht zu. Er hat nicht wie dritte Personen, die in einem nicht gegen sie gerichteten steuerlichen Ermittlungsverfahren als Auskunftspersonen gehört werden, ein Auskunftsverweigerungsrecht (vgl. dazu §§ 176 ff. AO). § 171 AO ist eine Ermessensvorschrift und steht als solche unter dem höheren Gesichtspunkt von Recht und Billigkeit. Ermessensvorschriften müssen im Einzelfall unter Abwägung der in Frage stehenden Interessen und unter Berücksichtigung ihres Zwecks, der Verwirklichung des Rechts zu dienen, ausgelegt werden. Unter diesen Gesichtspunkten können sich Grenzen für die Pflicht eines Steuerpflichtigen zur Sachaufklärung ergeben. So hat der Reichsfinanzhof im Urteil VI A 82/34 vom 1. Februar 1934 (Reichssteuerblatt S. 218) das Recht des Finanzamts auf Aufklärung eingeschränkt, weil die Aufklärung dem Steuerpflichtigen eine unverhältnismäßig große Mehrarbeit gebracht hätte. Das gleiche muß gelten, wenn im Einzelfall andere schwerwiegende Interessen eines Steuerpflichtigen verletzt würden. Grundsätzlich ist aber daran festzuhalten, daß die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren, vor allem die Aufklärungspflicht, im öffentlichen Interesse nicht ungebührlich eingeschränkt werden darf. Die Aufklärungspflicht des Steuerpflichtigen bildet das Gegenstück zu der amtlichen Ermittlungspflicht der Finanzbehörden (§ 204 AO). Die Ermittlungspflicht der Finanzbehörden und die Aufklärungspflicht der Steuerpflichtigen dienen der Verwirklichung einer gerechten und gleichmäßigen Besteuerung, verfolgen also ein schwerwiegendes öffentliches Interesse. Auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen an der Aufklärung kann insbesondere nicht verzichtet werden, wenn ungewöhnliche Verhältnisse vorliegen, die nur der Steuerpflichtige aufklären kann (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 827/34 vom 23. Januar 1935, Reichssteuerblatt 1935 S. 306), oder wenn die Behauptungen eines Steuerpflichtigen mit der Erfahrung des täglichen Lebens in Widerspruch stehen. Das Finanzamt braucht dem Steuerpflichtigen nicht die Unrichtigkeit seiner Behauptungen nachzuweisen. Eine förmliche Beweislast kennt das Besteuerungsverfahren nicht. Sie obliegt weder den Finanzbehörden noch dem Steuerpflichtigen. Jedenfalls kann sich ein Steuerpflichtiger, wenn ein ungeklärter Vermögenszuwachs festgestellt worden ist, der Aufklärung nicht mit der Behauptung entziehen, das festgestellte Vermögen gehöre nicht ihm, sondern anderen Personen; er habe sich aber den Geldgebern gegenüber vertraglich oder durch Ehrenwort verpflichtet, ihre Namen nicht zu nennen. Wollte man in solchen Fällen den Steuerpflichtigen gestatten, die Mitwirkung an der Sachaufklärung zu verweigern, so würde die Arbeit der Finanzbehörden ungebührlich erschwert und das öffentliche Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung gefährdet.
Die Steuerpflichtigen können sich in einem gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren auch nicht darauf berufen, die Namhaftmachung der Geschäftsfreunde könne ihnen nicht zugemutet werden, weil bei Erteilung der Auskunft die Geschäftsfreunde der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt und ihre eigenen geschäftlichen Beziehungen belastet würden. Selbst das Auskunftsverweigerungsrecht, das dritten Personen in einem nicht gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren zusteht, reicht nicht so weit. Denn nach § 176 AO können sie die Auskunft nur verweigern, wenn sie sich selbst oder einen Angehörigen (§ 10 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen würden.
Es ist nicht zu erkennen, inwiefern sich aus § 164 AO, den das Finanzgericht anführt, für den Bg. ein Recht ergeben soll, die Namen der angeblichen Geldgeber nicht zu nennen. Die Vorschrift bestimmt, daß die Steuerpflichtigen auf Verlangen nachweisen müssen, wem das Geld auf einem Bankguthaben gehört bzw. daß es ihnen nicht gehört. § 164 Abs. 1 Satz 2 AO bestimmt, daß das Recht des Finanzamts, den Sachverhalt zu ermitteln, unberührt bleibe.
Verweigert ein Steuerpflichtiger die ihm nach § 171 AO gesetzlich obliegende Mitwirkung an der Sachaufklärung, so können die Finanzbehörden Zwangsmittel anwenden (§ 202 AO). Sie können aber auch darauf verzichten und statt dessen auf Grund des ihnen zustehenden Rechts der freien Tatsachen- und Beweiswürdigung aus der Weigerung der Steuerpflichtigen entsprechende Folgerungen ziehen.
Im vorliegenden Fall hat das Finanzgericht keine Umstände festgestellt, die den Bg. berechtigen könnten, die vom Finanzamt verlangte Namhaftmachung der angeblichen Geldgeber zu verweigern. Es führt vielmehr selbst mehrere Tatsachen an, die Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der Angaben erwecken könnten, so daß schon aus diesem Grunde das Finanzamt ein berechtigtes Interesse hatte, zur Feststellung der Wahrheit die Namen der angeblichen Geldgeber zu erfahren. So stellt z. B. das Finanzgericht fest, daß sich der Bg. auf Vereinbarungen mit dem Bankgeschäftsführer Sch. berufe, der aber nicht als Zeuge gehört werden könne, weil er inzwischen verstorben sei. Es stellt ferner fest, der Bg. habe entgegen den üblichen Gepflogenheiten angeblich keinen Beleg über die Hingabe der 100.000 RM erhalten; er habe ferner die Anmeldung des Betrages bei der Altgeldumstellung unterlassen und gegenüber den Prüfungsbeamten zunächst das Guthaben geleugnet. Es durfte auch nicht außer Betracht bleiben, daß es sich um einen erheblichen Betrag handelte.
Der Bg. hat keinen Anspruch darauf, statt der Namhaftmachung der angeblichen Geldgeber zu einer Versicherung an Eides Statt zugelassen zu werden, daß es sich um fremde Gelder handle (§ 174 AO). Ob eine eidesstattliche Versicherung abgenommen werden soll, müssen die Finanzbehörden im Einzelfall nach ihrem Ermessen entscheiden. Es bedeutet keinen Ermessensfehler, wenn die Finanzbehörden eine eidesstattliche Versicherung nicht entgegennehmen, sofern es einfachere und überzeugendere Beweismittel gibt, wie z. B. im vorliegenden Fall die Benennung der Namen der Geldgeber, und eine eidesstattliche Versicherung nur einen geringen Beweiswert haben würde, weil der Steuerpflichtige in eigener Sache die Erklärung abgeben würde.
Die Vorentscheidung wird aufgehoben, weil das Finanzgericht die §§ 205, 171 Abs. 1 und 164 AO unrichtig ausgelegt hat und, wenn es sich über den Umfang der Aufklärungspflicht des Bg. klar gewesen wäre, möglicherweise nicht zu der Feststellung gekommen wäre, daß in Höhe von 70.000 RM fremde Gelder vorlägen. Da aus diesen Gründen die Aufhebung der Vorentscheidung geboten ist, erübrigt es sich, auf die Ausführungen des Finanzgerichts zu § 205a Abs. 2 AO einzugehen. Es sei aber darauf hingewiesen, daß im allgemeinen auch im Rahmen des § 205a AO die Berufung auf eine angebliche vertragliche Schweigepflicht die Zurechnung gemäß § 205a Abs. 3 AO nicht ausschließt. Das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 81/50 S vom 23. Februar 1951 (Slg. Bd. 55 S. 204, Bundessteuerblatt III S. 77) steht dem nicht entgegen.
Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen. Dieses hat bei der weiteren Sachbehandlung davon auszugehen, daß der Bg. auf Verlangen der Finanzbehörden die Namen der angeblichen Geldgeber zu nennen hat. Kommt er dieser Pflicht nach, so hat das Finanzgericht die dadurch entstandene neue Lage zu beurteilen. Verweigert er weiterhin die Nennung der Namen, so muß das Finanzgericht diesen Umstand im Rahmen des gesamten Falles würdigen.
Fundstellen
Haufe-Index 408387 |
BStBl III 1956, 68 |
BFHE 1956, 182 |
BFHE 62, 182 |