Leitsatz (amtlich)
Ein Milchtank-Kraftfahrzeug verliert seine Eigenschaft als Sonderfahrzeug im Sinne des § 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. d, Satz 2 KraftStG nicht, wenn seine Trittbahnen durch Anbringen eines Eisengestänges zu sog. Kannenbahnen hergerichtet werden.
Normenkette
KraftStG 1961 i.d.F. des ÄndG vom 17. März 1964 (BGBl I 1964 S. 145) § 2 Nr. 6 S. 1 Buchst. d; KraftStG 1961 i.d.F. des ÄndG vom 17. März 1964 (BGBl I 1964 S. 145) § 2 Nr. 6 S. 2
Tatbestand
I.
Die Klägerin (und Revisionsbeklagte), eine KG, befördert die von ihr erworbene Rohmilch von den Milchsammelstellen der Milchlieferungsgenossenschaften ihres Einzugsgebiets in ihre Molkerei und verwendet hierfür Milchtankkraftwagen (im folgenden: Milchtankwagen, auch kurz: Fahrzeug) und Anhänger mit Milchtanks. Bei dem Milchtankwagen ist der Tankaufbau (ähnlich wie bei Treibstoffahrzeugen) fest auf dem Fahrgestell gelagert. Der (in sich dreifach unterteilte) Tank hat eine Grundfläche von 5,4x 1,53m und oben drei verschließbare Öffnungen. Längs des Tanks befinden sich je 40,7 cm breite Trittflächen, die außen mit einem 46 cm hohen Eisengestänge versehen sind (sog. (Kannengalerien oder Kannenbahnen). Diese Trittbahnen dienen der Wartung des Tanks und -- nach Anbringen des Eisengestänges -- dem Abstellen von bis zu 28 Milchkannen. Die Kannen werden mitgeführt, um erforderlichenfalls die über das Fassungsvermögen des Tanks hinaus angelieferte oder die Milchmenge aufzunehmen, die zur Füllung eines der drei Einzelbehälter des Tanks nicht ausreicht.
Das FA -- Beklagter und Revisionskläger -- vertrat die Auffassung, daß der Milchtankwagen nicht als Sonderfahrzeug im Sinne des § 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. d, Satz 2 KraftStG 1961 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 17. März 1964 -- KraftStG -- (BGBl I, 145) gelten könne.
Der Einspruch gegen die Steuerfestsetzung war erfolglos.
Das FG München gab der Klage durch Urteil vom 1. Februar 1968 IV 41/67 aus den in den EFG 1968, 319 wiedergegebenen Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 2 Nr. 6 KraftStG und beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als der Milchtankwagen als Sonderfahrzeug anerkannt worden ist.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist nicht begründet.
Der Milchtankwagen wird nach den mit einer Verfahrensrüge nicht angegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) ausschließlich zur Beförderung von Milch, Magermilch, Molke oder Rahm verwendet. Die Steuerbefreiung hängt also davon ab, ob das Fahrzeug nach seiner Bauart und seinen mit ihm fest verbundenen Einrichtungen nur für die Beförderung von Milch, Magermilch, Molke oder Rahm geeignet und bestimmt ist (§ 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. d, Satz 2 KraftStG).
Das Fahrzeug ist nach Bauart und mit ihm fest verbundenen Einrichtungen ein an sich gerade für die Beförderung dieser Güter geeignetes und bestimmtes Spezialfahrzeug. Das FA bezweifelt nicht, daß das Fahrzeug in seiner fabrikmäßigen Konstruktion -- also ohne die von der Klägerin durch Anbringung eines Eisengestänges geschaffenen Kannenbahnen -- ein Sonderfahrzeug im Sinne des § 2 Nr. 6 Satz 2 KraftStG ist, verneint dies aber im vorliegenden Falle, da auf den Kannenbahnen als zusätzlichen freien Ladeflächen nicht nur bestimmte, steuerbegünstigte, sondern beliebige Güter in beliebigen, mit dem Fahrzeug nicht fest verbundenen Behältern befördert werden könnten. Das ist -- als Aussage auf sich selbst gestellt -- richtig. Richtig ist auch, daß das Fahrzeug nach Bauart und besonderen Einrichtungen nicht nur für den besonderen Verwendungszweck bestimmt, sondern auch objektiv nur für den begünstigten Zweck geeignet sein muß. Aus diesen gesetzlich genau beschriebenen Voraussetzungen ergibt sich zwangsläufig der eingegrenzte Anwendungsbereich der Vergünstigungsvorschrift. Diese Grenzen der Gesetzesanwendung dürfen von Verwaltung und Gerichten nicht überschritten werden (Art. 20 Abs. 3 GG; Urteil des BFH vom 16. Juni 1971 II R 45/66, BFHE 103, 361, 364, BStBl II 1972, 65). Andererseits kann sich die Anwendung von Vergünstigungsvorschriften erforderlichenfalls dann nicht nur am buchstäblichen Wortlaut orientieren, wenn dadurch der mit der Vergünstigungsvorschrift eindeutig beabsichtigte Zweck nahezu vereitelt würde. Auch ein Milchtankwagen mit lediglich fabrikmäßigen Trittflächen ist im buchstäblichen Sinn objektiv nicht "nur" zur Beförderung von Milch, Magermilch, Molke oder Rahm, sondern ohne Veränderungen am Fahrzeug selbst auch zur Beförderung anderer Flüssigkeiten geeignet. Soll das Gesetz nicht inhaltlos werden, muß unter Beachtung der von ihm gezogenen Grenzen auch der mit der Befreiungsvorschrift beabsichtigte Zweck berücksichtigt werden (vgl. auch BFH-Urteil vom 2. Dezember 1969 II 120/64, BFHE 97, 311, 312, 313, BStBl II 1970, 119).
Dabei ist für den vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, ob die Grenze (negativ) dahin gezogen werden kann, daß ein Fahrzeug erst dann nicht mehr als Sonderfahrzeug angesehen werden kann, wenn es wegen seiner Konstruktion (Bauart und festen Einrichtungen) "konkret" möglicher- oder vernünftigerweise auch für einen anderen als den begünstigten Zweck verwendet werden könnte. Der Fall des Urteils des Hessischen FG vom 28. April 1967 V 1442/66 (EFG 1967, 531), auf den sich das FG bezieht, liegt insofern anders, als dort die ausschließliche Eignung des Fahrzeugs im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft gegen eine solche auch im gewerblichen Betrieb abzugrenzen ist (§ 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. a in Verbindung mit Satz 2 KraftStG). Im vorliegenden Falle muß sich die ausschließliche Eignung aus der Konstruktion des Fahrzeugs selbst im Hinblick auf die zu befördernden Güter ergeben. Grundsätzlich sind durch § 2 Nr. 6 KraftStG nur Beförderungen im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft begünstigt, nicht jedoch gewerbliche Unternehmen. Als ausdrückliche Ausnahme hiervon sind Fahrzeuge -- ohne Rücksicht auf Halter, Verwendung in oder für land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Anfangs- und Endpunkt der Beförderung -- nur wegen der Art der Güter durch § 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst d, Satz 2 KraftStG begünstigt (Entwurf eines KraftStÄndG, Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/902 [neu] Begründung letzter Absatz; Drucksache IV/1281, A. Bericht Abs. 3, 4; Drucksache IV/1690, A. Bericht Abs. 6).
Im Vordergrund dieser Ausnahme im Rahmen der ganzen, mehrere unterschiedliche Tatbestände enthaltenden Befreiungsvorschrift steht also die Absicht des Gesetzes, die eigens zur Beförderung von Milch, Magermilch, Molke oder Rahm hergerichteten Sonderfahrzeuge kraftfahrzeugsteuerrechtlich nur wegen der Art dieser Erzeugnisse als Grundnahrungsmittel und auch wegen deren besonderer Eigenschaften (Empfindlichkeit bei Beförderungen, Erfordernis sofortiger Verarbeitung, raschen Verbrauchs) zu begünstigen. Die Trittbahnen sind zur Wartung der Fahrzeuge unentbehrlich und konstruktionsmäßig vorgegeben. Wenn die Klägerin ein im Verhältnis zu dem kostspieligen Sonderfahrzeug einfaches Eisengestänge zur Aufnahme von Milchkannen anbrachte, um die rationelle, vom Gesetz allein erstrebte Verwendungsmöglichkeit -- die Beförderung von Milch, Magermilch, Molke oder Rahm -- des Fahrzeugs zu erhöhen, so muß dies schon im Blick auf die Eignung des Fahrzeugs als unschädlich angesehen werden, wenn sich diese zusätzliche Verwendungsmöglichkeit der Trittbahnen aus einer Eigenschaft des Fahrzeugs ergibt, die sich -- wie hier -- dessen Gesamtbild und -zweck nur einfügt und unterordnet. Bei dieser -- auch konstruktionsmäßigen -- Vorgegebenheit kann es für das Spezialfahrzeug weniger darauf ankommen, ob die Trittbahnfläche die im Verwaltungsweg für Pritschenfahrzeuge als unschädlich zugebilligte Grenze von 20 v. H. der Gesamtladefläche übersteigt (vgl. die von den Beteiligten angeführte Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 23. Oktober 1967 S 6108 -- 1/49 -- 53481); vielmehr kann das Fassungsvermögen der mitführbaren 28 Milchkannen im Verhältnis zum Fassungsvermögen des Großtanks noch als untergeordnet angesprochen werden. Wesentlicher ist, daß der Zweck der Milchkannen dem des Tanks in mehrfacher Hinsicht ein- und untergeordnet ist. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG dienen die Kannen nicht nur dazu, die über das Fassungsvermögen des Tanks hinaus angelieferte Milch aufzunehmen, sondern auch dazu, die Milch aufzunehmen, die zur Füllung eines der drei Einzelbehälter des Tanks nicht ausreicht. Die ungenügende Füllung eines der drei Einzelbehälter führt beim Fahren zu ggf. verkehrsgefährdenden Gewichtsverlagerungen und vor allem durch die Erschütterungen dazu, daß die Milch zu ihrem vorgesehenen Zweck nicht mehr verwendet werden kann. Diese Besonderheiten rechtfertigen es, die sinnvolle, dem steuerbegünstigten Zweck dienstbar gemachte, sich für diese Zweckerfüllung als nützlich erweisende zusätzlich geschaffene Verwendbarkeit der Trittbahnen als eine Konstruktionseigenschaft des Spezialfahrzeugs anzusprechen, welche dessen ausschließliche Eignung gerade und nur zur Beförderung von Milch, Magermilch, Molke oder Rahm nicht beeinträchtigt. Das muß um so mehr gelten, als es sich nur um eine Ergänzung an dem auch im übrigen nur zur Beförderung der begünstigten Güter geeigneten Fahrzeug handelt, während im Falle des o. a. Urteils des Hessischen FG vom 28. April 1967 (EFG 1967, 531) zu entscheiden ist, ob das ganze Fahrzeug auch für einen nicht begünstigten Zweck verwendbar ist.
Alles dies kann nicht -- wie das FA meint -- mit dem Einwand entkräftet werden, daß der Hilfszweck durch das Mitführen der Kannen auf dem Anhänger erreicht werden könne. Abgesehen davon, daß der Tankwagen nach den Wegeverhältnissen die Anlieferungsstellen unter Umständen nur ohne Anhänger erreichen kann und daß dem Halter die Anschaffung eines Anhängers, nur um die Steuerfreiheit des Tankwagens selbst nicht zu gefährden, nicht zugemutet werden könnte, ist die Frage nach dem Charakter eines Fahrzeugs als Sonderfahrzeug im Sinne des § 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. d, Satz 2 KraftStG nur aus dem Gesamtbild des Fahrzeugs allein zu beantworten.
Es kommt hinzu, daß das Gesetz ausdrücklich die Steuerbefreiung auch für den Fall zugesteht, daß auf dem Rückweg von der Molkerei Milcherzeugnisse befördert werden. Unter diesen Milcherzeugnissen (im Sinne des inzwischen nicht mehr geltenden § 28 Abs. 2 der BefStÄndDV 1962 -- BGBl I 1962, 182 --) befinden sich weniger umfangreiche, deshalb in kleineren Behältnissen zu befördernde und vor allem auch feste Güter wie die sog. Rücklieferungsbutter (vgl. auch Bundestagsdrucksache IV/1281, A. Bericht Abs. 4). Wenn das Gesetz die Rücklieferung solcher Erzeugnisse (nur auf Sonderfahrzeugen) dem Grunde nach ebenfalls begünstigt, erscheint es nur sinnvoll, daß die hierfür auf solchen Sonderfahrzeugen erforderlichenfalls geschaffenen festen Einrichtungen der Steuerbefreiung nicht entgegenstehen.
Fundstellen
Haufe-Index 70405 |
BStBl II 1973, 461 |
BFHE 1973, 78 |