Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Vermutung, daß im Zollvormerkverfahren abgefertigtes und nicht fristgemäß der Zollstelle wiedergestelltes Zollgut mit dem Ablauf der Wiedergestellungsfrist in den freien Verkehr getreten ist, kann nicht durch die Wiedergestellung oder Wiederausfuhr der Ware nach Ablauf der Wiedergestellungsfrist widerlegt werden.
Normenkette
ZG § 103 Abs. 3
Tatbestand
Auf Antrag der Beschwerdeführerin (Bfin.) wurden in der Zeit vom 24. Mai bis 24. Juli 1956 durch das Zollamt 30 Stück Leuchtstoffröhren, 1 Stativ und 2 Vadikonröhren auf Zollvormerkscheine Nr. 46, 55 und 36 abgefertigt. Die Vidikonröhren dienten zum Einbau in auszuführende Vidikonkameraanlagen, die übrigen Gegenstände zum Einbau in einen auszuführenden Fernsehübertragungswagen. Mit Ausnahme einer Vidikonröhre versäumte die Bfin. bei sämtlichen Waren die Wiedergestellungsfristen. Die Zollstelle vereinnahmte daraufhin die für die Abgaben geleisteten Sicherheiten in Höhe von 738,35 DM und teilte dies der Bfin. mit.
Die Anfechtung gegen die hierüber gemachte Mitteilung blieb erfolglos.
In der Rechtsbeschwerde rügt die Bfin. unrichtige Anwendung des § 103 des Zollgesetzes (ZG). Diese Bestimmung besage nicht, daß die unbedingte Zollschuld bei nicht fristgemäßer Wiedergestellung des Zollguts entstehe. Die Vermutung des § 103 Abs. 3 ZG sei widerlegbar. Sie könne insbesondere durch den Nachweis widerlegt werden, daß die Ware auch nach Ablauf der Wiedergestellungsfrist nicht in den freien Verkehr getreten sei. Diesen Nachweis habe die Bfin. geführt; die vorgemerkten Gegenstände seien nach Ablauf der Wiedergestellungsfrist der Zollstelle vorgeführt und anschließend zur Ausfuhr abgefertigt worden. Das Zollgut sei niemals zur übernahme in den freien Verkehr vorgesehen gewesen, es sei als Eigentum der ausländischen Kunden an diese zurückgegeben worden. Damit sei die Vermutung des § 103 Abs. 3 ZG widerlegt. Die gegenteilige Auffassung sei weder mit dem Zweck des ZG noch mit einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise (ß 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) vereinbar.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Die Einwendungen der Bfin. sind nicht zutreffend. Wird Zollgut, das zum Zollvormerkverkehr abgefertigt ist, nicht fristgemäß wiedergestellt, so wird auf Grund der Vorschriften des § 103 Abs. 3 ZG vermutet, daß das Zollgut mit Ablauf der Wiedergestellungsfrist in den freien Verkehr entnommen ist. Diese Vermutung ist nur in beschränktem Umfang widerlegbar. Das Zollgut kann innerhalb der Wiedergestellungsfrist untergegangen und dadurch die bedingt entstandene Zollschuld fortgefallen sein. Weist dies der Zollbeteiligte nach, so ist auch bei Nichtgestellung des Zollguts während des Laufs der Wiedergestellungsfrist das Zollgut nicht als in den freien Verkehr entnommen anzusehen. Die gesetzliche Vermutung des § 103 Abs. 3 ZG ist dadurch widerlegt. Der Zollbeteiligte kann der Zollstelle, die das Zollgut zum Zollvormerkverkehr abgefertigt hat, auch nachweisen, daß er das Zollgut innerhalb der Frist bei einer anderen zur weiteren Abfertigung befugten Zollstelle wiedergestellt hat (vgl. § 51 Abs. 1 der Zollvormerk-Ordnung - ZVormO -) und dadurch die Vermutung des § 103 Abs. 3 ZG entkräften. Diese Vermutung kann der Zollbeteiligte aber nicht dadurch widerlegen, daß er nach Ablauf der Wiedergestellungsfrist die Ware der Zollstelle gestellt oder sie ausführt. Das Schicksal der Ware nach Ablauf der Wiedergestellungsfrist, also was mit ihr dann geschieht, ist für die Zollschuld ohne Bedeutung, denn der Zollvormerkverkehr ist beendet, die Ware ist im freien Verkehr, die Zollschuld ist unbedingt geworden. Insoweit ist die gesetzliche Vermutung des § 103 Abs. 3 ZG nicht widerlegbar.
Diese Auslegung ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Zollvormerkverkehrs. Das ZG bezeichnet die Zollverwendung, Zollagerung und Zollveredelung von Zollgut im unmittelbaren Besitz des Zollbeteiligten, die durch das Zollvormerkverfahren gesichert wird, als Zollvormerkverkehr (ß 101 Abs. 1 ZG). Um eine Verwendung von Zollgut handelt es sich bei den im vorliegenden Fall auf Einfuhrzollvormerkscheine zum vorübergehenden Gebrauch bzw. zur Verwendung als Vorbild (vgl. § 49 Abs. 1 ZVormO) abgefertigten Gegenständen. Die Abfertigung zu einem Zollvormerkverkehr ist unmittelbar Abfertigung zu einem Zollverkehr, weil die abgefertigte Ware bis zur Wiedergestellung Zollgut bleibt (ß 6 Abs. 3 ZG). Sie ist aber mittelbar zugleich Abfertigung zum freien Verkehr (ß 1 Abs. 6 ZVormO), weil es eine besondere Eigenart des Zollvormerkverfahrens ist, daß "der Zollbeteiligte die Wahl hat, das zum Zollverkehr abgefertigte Zollgut der Zollstelle wieder zu gestellen oder es ohne erneute Zollabfertigung selbst in den freien Verkehr zu entnehmen" (Begründung zum Zollgesetz S. 25). Bei jeder Abfertigung von Zollgut zu einem Zollvormerkverkehr ist es deshalb ungewiß, ob das Zollgut künftig wiedergestellt oder in den freien Verkehr entnommen wird. Wegen dieser Ungewißheit ist die Zollschuld die durch die Abfertigung von Zollgut zu einem Zollvormerkverkehr entsteht, eine bedingte Zollschuld. Wird das Zollgut in den freien Verkehr entnommen, so wird die bereits bedingt entstandene Zollschuld unbedingt. Wird das Zollgut dagegen wiedergestellt, so fällt die bedingt entstandene Zollschuld wieder fort (vgl. § 45 Abs. 2 ZG). Wegen dieser Ungewißheit muß auch der Zollanspruch stets vorgemerkt werden. Zur Sicherung des Zollaufkommens und im Belange einer geordneten Verwaltung ist es notwendig, daß die Ungewißheit, ob die Zollschuld unbedingt wird oder wieder fortfällt, innerhalb einer bestimmten Frist aufhört. Die Zollvormerkverkehre müssen abgewickelt werden, gestellte Sicherheiten zurückgegeben oder vereinnahmt werden. Im § 103 Abs. 2 ZG ist deshalb angeordnet: Für die Wiedergestellung des Zollguts werden Fristen bestimmt. Die Zollvormerkverkehre sind durch die Fristen begrenzt. Mit dem Ablauf der Wiedergestellungsfrist endete der Zollvormerkverkehr. Die Ware ist nunmehr im freien Verkehr. Die Ungewißheit, ob die Zollschuld wieder fortfällt oder unbedingt wird, ist beseitigt (ß 103 Abs. 3 ZG). Würde der Zollbeteiligte diese gesetzliche Vermutung dadurch widerlegen können, daß er die Ware nach Fristablauf wiedergestellt oder vorführt, so würde der Fristablauf völlig bedeutungslos sein. Dann könnten solche Zollvormerkverkehre nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums abgewickelt werden, und es würde die Ungewißheit, ob die bedingt entstandene Zollschuld wieder fortfällt oder unbedingt wird, unbegrenzt bestehen bleiben. Das ist aber nicht der Sinn und Zweck des Zollvormerkverkehrs (vgl. Galleiske, Die Entstehung der Einfuhrzollschuld, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1939 S. 255/256; Schulz-Zimmermann, Der Veredelungsverkehr, S. 364; Schübel, Das Zollverfahrensrecht, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1939 S. 245/246).
Es entspricht im übrigen auch gerade einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, daß die Ungewißheit darüber, ob Zollgut in die deutsche Wirtschaft übergeführt wird oder nicht, innerhalb einer bestimmten Frist beseitigt wird.
Die Vorinstanz ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß infolge nicht rechtzeitiger Wiedergestellung die für die vorgemerkten Waren bedingt entstandene Zollschuld unbedingt geworden ist (ß 45 Abs. 2 Satz 2 ZG). Die für die Abgaben geleisteten Sicherheiten sind daher mit Recht durch das Zollamt vereinnahmt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 409084 |
BStBl III 1958, 287 |
BFHE 1959, 39 |
BFHE 67, 39 |