Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung des Gegenstands des Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
Hebt die Finanzbehörde nach Rechtshängigkeit den angefochtenen Verwaltungsakt aus verfahrensrechtlichen Gründen auf, ohne dem mit der Klage verfolgten Begehren sachlich zu entsprechen, wird ein zeitlich später erlassener Verwaltungsakt, der dieselbe Steuersache betrifft, auf Antrag des Klägers zum Gegenstand des Verfahrens. Das gilt auch dann, wenn die Finanzbehörde die Hauptsache für erledigt erklärt, der Kläger aber der Hauptsacheerledigung widersprochen hat.
Normenkette
FGO § 68; AO 1977 § 124 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In den Erklärungen zur gesonderten Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin auf den 31.Dezember 1980 bzw. 1981 errechnete die Klägerin unter Berücksichtigung des Betriebsergebnisses der letzten drei Jahre vor dem Stichtag den gemeinen Wert für je 100 DM Nennkapital auf 68 DM bzw. 77 DM. Mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheiden vom 17.Juli 1984 stellte das Finanzamt (FA) den gemeinen Wert der Anteile für je 100 DM Nennkapital auf beide Stichtage auf je 98 DM fest. Auf den Einspruch der Klägerin hat das FA ―nach vorherigem Hinweis― in der Einspruchsentscheidung vom 4.Juli 1986 unter Änderung der angefochtenen Bescheide den gemeinen Wert der Anteile auf den 31.Dezember 1980 bzw. 1981 auf 100 DM je 100 DM des gesamten Nennkapitals festgestellt. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb aufrechterhalten.
Mit der Klage hat die Klägerin zunächst sinngemäß begehrt, unter Änderung der angefochtenen Feststellungsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung den gemeinen Wert der Anteile für je 100 DM des gesamten Stammkapitals auf den 31.Dezember 1980 auf 68 DM und auf den 31.Dezember 1981 auf je 77 DM festzustellen.
Während des Klageverfahrens hat das FA mit Schreiben vom 30.September 1986 an die Klägerin die Feststellungsbescheide und die Einspruchsentscheidung "gem. § 172 Abs.1 Nr.2 a AO aufgehoben". Zur Begründung hat es unter Hinweis auf ein Urteil des Finanzgerichts (FG) Köln ausgeführt, die Feststellungsbescheide seien als nichtig i.S. des § 125 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) anzusehen, weil ihnen mangels Benennung der Feststellungsbeteiligten in den Bescheiden die nach § 119 Abs.1 AO 1977 notwendige inhaltliche Bestimmtheit fehle. Dem FG gegenüber hat das FA die Hauptsache für erledigt erklärt.
Die Klägerin hat der Hauptsacheerledigung widersprochen und geltend gemacht, die Aufhebung der Bescheide nach § 172 Abs.1 Nr.2 Buchst.a AO 1977 sei nicht möglich gewesen, weil damit weder ihrem Antrag entsprochen worden sei, noch sie der Aufhebung zugestimmt habe.
Mit Bescheid vom 3.November 1986 hat das FA den gemeinen Wert der Anteile an der Klägerin zu den beiden Stichtagen erneut auf 100 DM je 100 DM Stammkapital festgestellt. Die Klägerin hat daraufhin beantragt, diesen Bescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Sie rügt Verletzung von § 172 Abs.1 Nr.2 Buchst.a AO 1977 sowie von § 68 FGO.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
1. Das FG hat ausgeführt, die Voraussetzungen des § 68 FGO seien nicht erfüllt. Der ursprünglich angefochtene Verwaltungsakt habe seine Rechtswirkungen schon durch den Aufhebungsbescheid verloren und sei demgemäß nicht durch den neuen Bescheid geändert oder ersetzt worden. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Nach § 68 FGO wird bei Änderung oder Ersetzung des angefochtenen Verwaltungsakts nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt dieser auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Entscheidend ist dabei die prozeßrechtliche Frage, ob ein mit Rechtsbehelfen angreifbarer Verwaltungsakt den ursprünglichen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt hat, so daß dem Kläger im Falle seines Antrages ein gesondertes Rechtsbehelfsverfahren hinsichtlich dieses Bescheides erspart wird. Welche Bedeutung den Begriffen "Änderung" oder "Ersetzung" nach den allgemeinen abgabenrechtlichen Verfahrensvorschriften zuzulegen ist, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 24.Juli 1984 VII R 122/88, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791). Allerdings wird der Anwendungsbereich des § 68 FGO gegenständlich begrenzt durch die sachliche Beziehung, die zwischen dem mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakt und jenem Verwaltungsakt besteht, den der Kläger durch seinen Antrag in das Verfahren einführen will: beide Verwaltungsakte müssen "dieselbe Steuersache" betreffen (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 8.November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219, unter B II 4. a am Ende und vom 25.Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Ein derartiger sachlicher Zusammenhang besteht zwischen den Feststellungsbescheiden vom 17.Juni 1984 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.Juli 1986 (vgl. § 44 Abs.2 FGO) und dem (zusammengefaßten) Feststellungsbescheid vom 3.November 1986. Denn jeweils ist die gesonderte Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin zum 31.Dezember 1980 bzw. 31.Dezember 1981 Regelungsmaterie der Verwaltungsakte.
Der Einführung des (zusammengefaßten) Feststellungsbescheids vom 3.November 1986 in das Klageverfahren aufgrund Antrags der Klägerin steht der Umstand nicht entgegen, daß das FA die ursprünglich zulässig angefochtenen (zur Voraussetzung zulässiger Klageerhebung als Voraussetzung auch für die wirksame Einführung eines Änderungs- bzw. Ersetzungsbescheids vgl. BFH-Urteil vom 11.Dezember 1986 IV R 184/84, BFHE 148, 422, BStBl II 1987, 303, unter 2. der Gründe) Feststellungsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung zeitlich vor Erlaß dieses Verwaltungsakts aufgehoben hatte (zum Antrag nach § 68 FGO bei Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts und seiner Ersetzung vgl. auch BFH-Urteil vom 26.November 1986 I R 256/83, BFH/NV 1988, 82). Diese "Aufhebung" erfolgte ausschließlich aus formellen Gründen ―wobei dahingestellt bleiben kann, ob die Aufhebung für sich betrachtet rechtmäßig war―, ohne daß dadurch eine Entscheidung in materieller Hinsicht (in der Sache) getroffen wurde. Der Aufhebung mußte und sollte vielmehr ―auch aus der Sicht der Finanzbehörde― eine erneute Sachentscheidung in derselben Steuersache nachfolgen, denn dem Klagebegehren der Klägerin (sowie ihrem in der abgegebenen Erklärung mitenthaltenen Antrag, vgl. § 3 Satz 2 der Anteilsbewertungsverordnung ―AntBewVO―) war durch den Aufhebungsakt allein nicht Rechnung getragen. Deshalb war auch materiell die Hauptsache des Prozesses nicht i.S. des Senatsurteils vom 31.Oktober 1990 II R 45/88 (BFHE 162, 215, BStBl II 1991, 102) in der Weise erledigt, daß kein Raum mehr für einen Antrag nach § 68 FGO verblieben war.
Der Prozeß war in dem Zeitpunkt, in dem die Klägerin den Antrag nach § 68 FGO stellte, auch noch anhängig, denn die einseitige Erledigungserklärung eines Beteiligten ―hier des FA― bewirkt noch keine Beendigung des Rechtsstreits (vgl. BFH-Beschluß vom 23.Oktober 1968 VII B 7/66, BFHE 94, 46, BStBl II 1969, 80). Solange aber das Klageverfahren noch nicht beendet und insofern dem mit der Klage verfolgten Begehren sachlich nicht entsprochen ist, ermöglicht § 68 FGO nach seinem Sinn und Zweck dem Kläger die Einführung eines dieselbe Steuersache betreffenden Verwaltungsakts in den Finanzprozeß. Dabei ist es gleichgültig, ob ―wie in dem der Entscheidung in BFH/NV 1988, 82 zugrunde liegenden Sachverhalt― die aus formellen Gründen erfolgte Aufhebung des nunmehr ersetzten Verwaltungsakts gleichzeitig mit dem ersetzenden Verwaltungsakt wirksam wird (§ 124 Abs.1 AO 1977) oder zwischen dem Wirksamwerden beider Verwaltungsakte eine Zeitspanne liegt. Denn im einen wie im anderen Fall wird der angefochtene Verwaltungsakt nach logisch vorhergehender Aufhebung aus verfahrensrechtlichen Gründen durch den nachfolgenden Verwaltungsakt in derselben Sache i.S. des § 68 FGO "ersetzt". In diesem Zusammenhang ist es weiter ohne Bedeutung, ob der ursprünglich zulässig angefochtene Verwaltungsakt wirksam oder unwirksam war (vgl. BFH-Urteil vom 20.April 1988 I R 41/82, BFHE 153, 530, BStBl II 1988, 868, unter II. A 2.).
2. Die Sache ist nicht spruchreif, weil das FG ―von seinem Standpunkt aus zutreffend― keine Feststellungen getroffen hat, die eine Sachentscheidung ermöglichen. Sie ist deshalb an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 63635 |
BFH/NV 1991, 44 |
BStBl II 1991, 527 |
BFHE 164, 11 |
BFHE 1992, 11 |
BB 1991, 2513 |
BB 1991, 2513-2514 (LT) |
DB 1991, 1364 (KT) |
DStR 1991, 1491 (K) |
HFR 1991, 539 (LT) |
StE 1991, 202 (K) |