Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des Begriffs "freiwillige Zuwendungen" in § 12 Ziff. 2 EStG.
Gewährt ein Steuerpflichtiger, ohne gesetzlich unterhaltspflichtig zu sein, auf Grund einer freiwillig begründeten wirksamen Zusage seinem geschiedenen Ehegatten eine laufende Unterhaltsrente, so schließt § 12 Ziff. 2 EStG den Abzug der Rente als Sonderausgabe nicht aus.
Normenkette
EStG § 10/1/1, § 12 Nr. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Betrag von 6.000 DM, die der Beschwerdeführer (Bf.) im Jahre 1954 als Rente an seine geschiedene Ehefrau gezahlt hat, als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgesetzt werden kann.
Die Ehe war, wie der Bf. behauptet, auf die Klage der Ehefrau ohne Schuldausspruch geschieden worden; er habe sich dann notariell und freiwillig zu einer Unterhaltsrente an seine geschiedene Ehefrau verpflichtet. Das Finanzamt erkannte unter Berufung auf § 12 Ziff. 2 EStG die Rente nicht als Sonderausgabe an, weil der Bf. seiner geschiedenen Ehefrau gegenüber kraft Gesetzes zum Unterhalt verpflichtet gewesen sei. Eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG gewährte das Finanzamt nicht, weil die Zahlungen die Grenze der zumutbaren Eigenbelastung (ß 51 Abs. 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -) nicht überstiegen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht trat im Ergebnis dem Finanzamt bei. Seine Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1957 S. 309 (408) veröffentlicht.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das Finanzgericht hat nicht geprüft, ob die geschiedene Ehefrau dem Bf. als gesetzlich unterhaltsberechtigte Person gegenüberstand. Von seinem Standpunkt aus konnte es in der Tat die eine Alternative des Abzugsverbots des § 12 Ziff. 2 EStG, auf die das Finanzamt abgestellt hatte (Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen), außer Betracht lassen, weil es die andere Alternative des § 12 Ziff. 2 EStG, die das Finanzamt nicht erörtert hatte, für gegeben hielt, nämlich daß die Rente als "freiwillige Zuwendung" nicht abzugsfähig sei. Das Finanzgericht legt § 12 Ziff. 2 EStG so aus, daß der Nachsatz "auch wenn diese Zuwendungen auf einer besonderen Vereinbarung beruhen" sich nicht nur auf "gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen", sondern auch auf "freiwillige Zuwendungen" beziehe. Es betrachtet als nach § 12 Ziff. 2 EStG nicht abzugsfähig alle "freiwilligen Zuwendungen, auch wenn diese auf einer besonderen Vereinbarung beruhen". Diese Auslegung führt zu dem Ergebnis, daß z. B. auch Unterhaltsrenten, die auf Grund einer formgerechten und verbindlichen schenkweisen Zusage gesetzlich nicht unterhaltsberechtigten Personen gewährt werden, beim Geber nicht als Sonderausgaben abgesetzt werden können. Das wiederum hat zur Folge, daß sie von den Empfängern nach § 22 Ziff. 1 EStG nicht als wiederkehrende Bezüge versteuert zu werden brauchen.
Diese Auslegung des § 12 Ziff. 2 EStG steht, wie das Finanzgericht erkennt, mit der überwiegenden Meinung im Fachschrifttum, aber auch mit der ständigen Verwaltungsübung (vgl. z. B. Abschn. 123 Abs. 1 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien 1957) und der Rechtsprechung (vgl. z. B. das Urteil des Reichsfinanzhofs VI 585/37 vom 27. Oktober 1937, Steuer und Wirtschaft 1937 Nr. 630; Finanzgericht Karlsruhe, Deutsche Steuer-Rundschau 1952 S. 496) im Widerspruch. Auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hat bisher die Vorschrift im Sinne der herrschenden Lehre ausgelegt, die davon ausgeht, daß hinsichtlich der Freiwilligkeit die einzelne Leistung in Betracht zu ziehen sei; wird die einzelne Leistung aus einem wirksam begründeten Rentenstammrecht geschuldet und geleistet, so soll keine freiwillige Leistung vorliegen, auch wenn das Rentenstammrecht als solches freiwillig und unentgeltlich begründet worden ist. Die Einschränkung, "auch wenn die Zuwendungen auf einer besonderen Vereinbarung beruhen", wird nur auf Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen bezogen, nicht, wie das Finanzgericht will, auch auf freiwillige Zuwendungen. Vgl. z. B. Littmann, Einkommensteuerrecht, 6. Auflage, 1959, Anmerkung 41 zu § 12 EStG; Herrmann-Heuer, 7. Auflage, Band II, Anmerkung 8, Abs. 1 zu § 12 EStG; Blümich-Falk, 7. Auflage, Anmerkung 7, Abs. 3 zu § 12 EStG; Hartz-Over, Lohnsteuerrecht, Stichwort "Renten" unter II 3a; Oswald, Steuer und Wirtschaft 1958 Sp. 54. Für die Auffassung des Finanzgerichts scheint sich Becker in der Anmerkung zu dem erwähnten Urteil des Reichsfinanzhofs VI 585/37 a. a. O. (Steuer und Wirtschaft 1937 Sp. 1490) auszusprechen; in "Grundlagen der Einkommensteuer" S. 348 vertritt er eine vermittelnde Meinung.
Der Senat verbleibt bei der bisherigen Rechtsauslegung. Der Wortlaut der Bestimmung schließt die Auslegung des Finanzgerichts nicht eindeutig aus, wenngleich die Wortfassung die bisherige Auslegung näherlegt.
Für die Beibehaltung der bisherigen Auslegung sprechen aber gewichtige sachliche Gründe. Es würde die Rechtssicherheit gefährden, wenn die Gerichte ohne zwingende Notwendigkeit von einer jahrelang angewandten und fast allgemein anerkannten Rechtsauslegung zu einer anderen möglichen Rechtsauslegung übergehen wollten, zumal wenn die Betroffenen im Vertrauen auf die bisherige Regelung disponiert haben. Die Auslegung des § 12 Ziff. 2 EStG hat für den Bereich des bürgerlichen Rechts Bedeutung, da die Beteiligten, insbesondere geschiedene Ehegatten, ihre bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsvereinbarungen unter Zugrundelegung der bisherigen steuerlichen Auswirkung getroffen haben. Die Auslegung des § 12 Ziff. 2 EStG wirkt sich gleichzeitig auf den, der Renten zahlt, und den, der sie erhält, aus; der Abzug beim Geber (ß 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG) und der Zufluß beim Empfänger (ß 22 Ziff. 1 EStG) sind aufeinander abgestellt. Kann der Geber die Leistungen als Sonderausgaben abziehen, so muß der Empfänger sie versteuern; wird aber dem Geber der Abzug versagt, so braucht der Empfänger den Bezug der Einkommensteuer nicht zu unterwerfen. Eine änderung der Rechtsauffassung würde also die beiderseitige einkommensteuerliche Belastung, von der die Beteiligten bei der Bemessung der Unterhaltsleistungen oft ausgegangen sind, verschieben und damit die Geschäftsgrundlage für die Vereinbarung beeinflussen. Ein solcher Eingriff in bürgerlich-rechtliche Verhältnisse durch änderung der Steuerrechtsprechung ist nur zu vertreten, wenn ein zwingender Anlaß dazu besteht (vgl. Urteil des Senats VI 13/57 U vom 1. August 1958, BStBl 1958 III S. 390, Slg. Bd. 67 S. 300). Den Erwägungen des Finanzgerichts kommt ein solches Gewicht nicht zu.
Dazu kommt, daß der Senat in der Entscheidung VI 27/56 U vom 8. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 207, Slg. Bd. 64 S. 550) bereits ausgesprochen hat, daß er den Anwendungsbereich des § 12 Ziff. 2 EStG nicht über das notwendige Maß hinaus ausdehnen möchte; denn grundsätzlich soll derjenige die Einkommensteuer entrichten, der die dem Lebensunterhalt dienenden Bezüge gehabt hat, soweit das Gesetz nicht klar etwas anderes bestimmt.
Die bisherige Auslegung führt auch, wenn man die Besteuerung von Geber und Nehmer zusammen betrachtet, im allgemeinen zu einer geringeren steuerlichen Gesamtbelastung, weil der Geber die Zuwendungen von seinem meist größeren Einkommen absetzen kann, der Empfänger aber wegen seines oft geringen Einkommens mit den an sich steuerpflichtigen Bezügen nicht oder nur in geringer Höhe besteuert wird. Auch dieser Gesichtspunkt kann bei der Entscheidung der Streitfrage nicht außer Betracht bleiben.
Das Finanzgericht meint, die von ihm vertretene Auslegung des § 12 Ziff. 2 EStG führe zu einer gerechteren und gleichmäßigeren Besteuerung und verdiene deshalb den Vorzug. Worauf das Finanzgericht diese Annahme stützt, ist nicht ersichtlich. Da sich, wie erwähnt, § 12 Ziff. 2 EStG gleichzeitig beim Geber und Nehmer auswirkt, geht es im Grund nur um eine Belastungsverschiebung.
Die Vorentscheidung ist demnach wegen unrichtiger Anwendung von § 12 Ziff. 2 EStG aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil das Finanzgericht nicht geprüft hat, ob, wie das Finanzamt behauptet, die geschiedene Ehefrau einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen den Bf. hatte. Es bedarf dazu der Einsicht in das Scheidungsurteil, dessen Tenor für die steuerliche Beurteilung maßgebend ist. Ist, wie der Bf. behauptet, die Ehe auf Klage der Ehefrau ohne Schuldausspruch geschieden worden, so hat die Ehefrau nach § 61 Abs. 2 des Ehegesetzes keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen den Bf. (Urteile des Senats VI 60/55 U vom 31. Mai 1957, BStBl 1957 III S. 263, Slg. Bd. 65 S. 80; VI 273/56 U vom 20. Februar 1959, BStBl 1959 III S. 172). Das Finanzgericht hat in dieser Hinsicht den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Fundstellen
Haufe-Index 409439 |
BStBl III 1959, 345 |
BFHE 1960, 218 |
BFHE 69, 218 |