Leitsatz (amtlich)
Die Ersatzzustellung eines Schriftstückes durch Niederlegung bei der Postanstalt ist nur nach einem vergeblichen Zustellungsversuch in der Wohnung des Zustellungsadressaten zulässig. Sie ist unwirksam, wenn der Postbeamte in der Annahme, es handle sich um die Wohnung, die Zustellung in den Büroräumen des Zustellungsadressaten versucht hat.
Normenkette
VwZG § 3 Abs. 3; ZPO §§ 181-183
Tatbestand
Das Urteil des FG wurde zur Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde an die Anschrift des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) in A, X-Straße, aufgegeben. Da der Zustellungsbeamte dort weder den Kläger noch einen empfangsberechtigten Dritten antraf, legte er das Urteil bei der Postanstalt nieder. Gegen die Entscheidung des FG legte der Kläger Revision ein. Auf mehrere Anträge des Klägers hin verlängerte der Vorsitzende des Senats die Revisionsbergründungsfrist bis zum 31. Oktober 1972. An diesem Tage beantragte der Kläger telegraphisch eine weitere Verlängerung bis zum 30. November bzw. 31. Dezember 1972. Dieses Telegramm ging am 1. November 1972 beim BFH ein. Auf einen Hinweis des Vorsitzenden des Senats beantragte der Kläger telegraphisch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Fristverlängerung für die Revisionsbegründung bis Ende Dezember. Dieses Telegramm wurde am 26. November 1972 in den Hausbriefkasten des BFH eingeworfen. Im Schreiben vom 25. November 1972, das beim BFH am 28. November 1972 einging, bestätigte der Kläger sein Telegramm und wiederholte den Antrag auf Fristverlängerung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ebenfalls am 28. November 1972 ging ein Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten ein, der wiederum den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und darüber hinaus zur Begründung der Revision Verfahrensrügen enthielt. Der Kläger ließ darin insbesondere vortragen, die Aufforderungen des FG zur Klagebegründung und zur Vorlage eines ärztlichen Attestes seien ebenso wie die Ladung zur mündlichen Verhandlung an die Büroanschrift A, X-Straße, gerichtet gewesen. Dieses Büro sei damals wegen eines Unfalls nicht besetzt gewesen. Der Postbote habe daher die Schriftstücke des FG beim Postamt niedergelegt. Für die Aufforderung zur Abgabe der Klagebegründung und zur Vorlage des ärztlichen Attestes habe er Benachrichtigungszettel vorgefunden. Über die Niederlegung der Ladung sei eine Benachrichtigung nicht aufzufinden gewesen. Er habe deshalb die Ladung erst erhalten, nachdem der Termin zur mündlichen Verhandlung bereits verstrichen war. Wenn die Ladung an seine Wohnanschrift A, Y-Straße, gerichtet worden wäre, hätte sie ihn fristgerecht erreicht, weil er sich während seiner Krankheit dort aufgehalten habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig.
Der Kläger hat die Revisionsbegründungsfrist nicht versäumt; denn die Revisionsfrist und damit auch die Revisionsbegründungsfrist begannen wegen eines Mangels der Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils nicht zu laufen (vgl. Beschluß des BFH vom 3. Oktober 1972 VII B 152/70, BFHE 107, 163, BStBl II 1973, 84, und Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 29. Juni 1972 II R U 62/70, Blätter für Steuer-, Sozial- und Arbeitsrecht 1972 S. 277). Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist damit gegenstandslos.
Urteile des FG sind, wenn sie nicht verkündet werden, gemäß § 104 Abs. 2 FGO zuzustellen. Nach § 53 Abs. 2 FGO erfolgt die Zustellung von Amts wegen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Das FG wählte von den dort vorgesehenen Arten die Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde (§ 3 VwZG). Als Anschrift des Empfängers (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG) vermerkte es "A, X-Straße". Unter dieser Anschrift befindet sich nach der Überzeugung des Senats nicht die Wohnung, sondern ein Büro des Klägers. Der Kläger hat Bestätigungen der Sekretärin K, des H, R und Dr. med. B vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß er in A, X-Straße, ein Büro und in A, Y-Straße, eine Wohnung unterhalten hat. Der Kläger hat auch die Zweitschrift einer Anmeldebestätigung eingereicht, wonach er am 30. Mai 1969 seine Hauptwohnung als Hauptmieter in A, Y-Straße, angemeldet hat.
Für die Zustellung durch den Postbediensteten gelten nach § 3 Abs. 3 VwZG die Vorschriften der §§ 180 bis 186 und 195 Abs. 2 ZPO. Danach ist die Ersatzzustellung durch Niederlegen des Schriftstücks bei der Postanstalt nur nach einem vergeblichen Zustellungsversuch in der Wohnung des Zustellungsadressaten zulässig. Bei einer Zustellung im Geschäftslokal kann gemäß § 183 ZPO - diese Vorschrift gilt für alle, die eine dauernde Erwerbstätigkeit ausüben (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, § 183, Anm. 1) - bei Abwesenheit des Zustellungsadressaten nur an einen anwesenden Gehilfen zugestellt werden. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt ist nicht vorgesehen (vgl. auch Beschluß des BGH vom 12. März 1968 X ZB 12/67, Monatsschrift für Deutsches Recht 1968 S. 493). Dies gilt auch dann, wenn für den die Zustellung ausführenden Postbeamten nicht erkennbar ist, daß der Zustellungsadressat unter der angegebenen Anschrift nicht eine Wohnung, sondern ein Büro unterhält, weil die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt objektiv vorliegen müssen (vgl. Stein-Jonas-Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 183, Fußnote 1; Thomas-Putzo, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, § 182 Anm. 4).
In der Postzustellungsurkunde (PZU) vom 5. April 1972 ist bescheinigt, daß der Postbedienstete den Kläger in seiner Wohnung nicht angetroffen habe. Der PZU kommt insoweit gemäß § 418 ZPO widerlegbare Beweiskraft zu. Da dem Postbeamten die Sendung nur mit der Anschrift des Büros des Klägers übergeben wurde, ist der Senat davon überzeugt, daß die Zustellung nur im Büro des Klägers und nicht auch in dessen Wohnung Y-Straße versucht wurde.
Der in der Niederlegung des finanzgerichtlichen Urteils bei der Postanstalt liegende Mangel der Zustellung konnte nach § 9 Abs. 1 VwZG nicht geheilt werden, weil mit der Zustellung des Urteils die Revisionsfrist beginnt (§ 9 Abs. 2 VwZG).
Fundstellen
Haufe-Index 70624 |
BStBl II 1973, 877 |
BFHE 1974, 174 |