Leitsatz (amtlich)
Eine Ersatzzustellung gemäß § 182 ZPO ist auch dann zulässig, wenn der Postbeamte die Zustellung vergeblich in - möglicherweise Bürozwecken dienenden - Räumen versucht hat, deren Anschrift der Zustellungsempfänger selbst als seine Wohnung angegeben hat.
Normenkette
AO §§ 91, 247; ZPO §§ 181-183; VwZG § 3
Tatbestand
Eine Ersatzzustellung gemäß § 182 ZPO ist auch dann zulässig, wenn der Postbeamte die Zustellung vergeblich in - möglicherweise Bürozwecken dienenden - Räumen versucht hat, deren Anschrift der Zustellungsempfänger selbst als seine Wohnung angegeben hat.
Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) fristgerecht Klage gegen zwei Einspruchsentscheidungen erhoben hat, die ihm gemäß § 182 ZPO zugestellt worden sind.
Dem Kläger wurden die von dem Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) erlassenen Einspruchsentscheidungen vom 25. November 1969 betreffend Einkommensteuer der Jahre 1960 und 1966 mit Postzustellungsurkunde (PZU) am 26. November 1969 in der Weise zugestellt, daß der Postbeamte den Brief, der die an Dr. A, Steuerbevollmächtigter in X, B-Straße 4, gerichteten Einspruchsentscheidungen enthielt, bei der Postanstalt zu X Schalter 5, niederlegte und den Kläger gleichzeitig von dieser Niederlegung benachrichtigte. Die mit Schriftsatz vom 31. Dezember 1969, eingegangen beim FA am 2. Januar 1970, eingelegten Klagen hat das FG zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung gemäß § 73 FGO verbunden und wegen Versäumung der Klagefrist als nicht zulässig angesehen mit der Begründung, eine Zustellung im Geschäftslokal (§ 183 ZPO) könne zwar nicht durch Niederlegung des zu übergebenden Schriftstücks nach § 182 ZPO bewirkt werden. Diese sei nur bei einer vergeblichen Zustellung in der Wohnung des Empfängers möglich. Der Kläger könne sich aber nach Treu und Glauben, nicht auf die Rechtsunwirksamkeit der Zustellung berufen, da er seit Jahren in seinen Steuererklärungen gegenüber dem FA als seine Wohnung X, B-Straße 4, angegeben und mehrere, gemäß § 182 ZPO dort durchgeführte Ersatzzustellungen gegen sich habe gelten lassen. Das FA habe daher annehmen können, daß der Kläger gegen eine Zustellung in der B-Straße 4 keine Einwände erheben werde, und sei daher einer näheren Nachprüfung der tatsächlichen Wohnverhältnisse des Klägers enthoben gewesen. Der Kläger habe am 2. Dezember 1969 die Einspruchsentscheidungen erhalten. Die Voraussetzungen nach § 56 Abs. 1 FGO wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen für den Kläger nicht vor. Die Fristversäumnis könne auch nicht seinem Büro angelastet werden, da es sich um die eigenen Steuerangelegenheiten des Klägers gehandelt habe.
Mit der Revision trägt der Kläger vor, die Ersatzzustellung sei nicht zulässig gewesen, da die objektiven Voraussetzungen des § 182 ZPO nicht vorgelegen hätten. Dem FA sei bekannt gewesen, daß der Wohnsitz des Klägers der Vorort Y gewesen sei, den er auch in seiner Einkommensteuererklärung 1968 angegeben habe. Daher sei eine nähere Nachprüfung seiner tatsächlichen Wohnverhältnisse durch das FA nicht erforderlich gewesen. Die in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1966 angegebene Anschrift sei - für das FA offenkundig - falsch angegeben worden, seine, des Klägers Wohnung, sei mit seinem Büro objektiv verwechselt worden. Wegen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die in einem Rechtsstaat großzügig zu handhaben sei, habe das FG ein Versehen des Büropersonals als Entschuldigungsgrund abgelehnt, obwohl das FG zuvor ausgeführt habe, das Büro und nicht die Wohnung des Klägers sei maßgeblich für die Zustellung. Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Klagen wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig zu verwerfen waren. Die Zustellung der Einspruchsentscheidungen an die Anschrift des Klägers "X, B-Straße 4" war durch Niederlegung des die Einspruchsentscheidungen enthaltenden Briefes beim Postamt gemäß § 182 ZPO wirksam zustande gekommen und dadurch die Rechtsbehelfsfrist in Lauf gesetzt worden.
Gemäß § 247 AO ist die Entscheidung über einen Rechtsbehelf schriftlich bekanntzugeben. Der Ausdruck "Bekanntgabe" bedeutet hier die wirksame Zustellung nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - (Urteil des BFH vom 9. September 1970 I R 113/69, BFHE 100, 179, BStBl II 1971, 9). Das FA hat den Weg der Zustellung durch die Post mit PZU gewählt (§ 3 VwZG). In § 3 Abs. 3 VwZG wird für das Zustellen durch den Postbediensteten auf die Vorschriften der §§ 180 bis 186 und 195 Abs. 2 ZPO verwiesen. Eine Zustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt gemäß § 182 ZPO setzt, wie sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt, voraus, daß die Zustellung nach § 181 ZPO ("nach diesen Vorschriften") nicht ausführbar war, daß also die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung nicht angetroffen wurde. Für einen Gewerbetreibenden i. S. des § 183 ZPO, also für jemanden, der wie der Kläger eine dauernde Erwerbstätigkeit ausübt, sieht diese Vorschrift vor, daß die Zustellung an einen "Gewerbegehilfen" im Geschäftslokal erfolgen kann, sofern der Geschäftsinhaber nicht angetroffen wird. Nach einem lediglich im Geschäftslokal des Zustellungsempfängers vorgenommenen vergeblichen Zustellungsversuch ist jedoch - worauf auch das FG zutreffend hinweist - die Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt nicht zugelassen.
Die Niederlegung des Briefes mit den Einspruchsentscheidungen bei der Postanstalt X, Schalter 5, durch den Postbeamten bedeutete im Streitfall keinen Mangel in der Zustellung. Der Kläger hatte als seine Wohnung in der Einkommensteuererklärung des Streitjahres 1966 (eine Einkommensteuererklärung 1960 hatte er nicht abgegeben) und damit übereinstimmend in dem Antrag auf Verlängerung der Einkommensteuererklärungsfrist 1960 und in den die Streitjahre 1960 und 1966 betreffenden Einspruchsschreiben sowie in anderen, unmittelbar vor Zustellung der Einspruchsentscheidungen für 1960 und 1966 beim FA eingegangenen Schreiben die Anschrift "X, B-Straße 4" angegeben. Er kann sich nicht darauf berufen, seine Einkommensteuererklärung 1968 bezeichne "X-Y, Haus Z" als seine Wohnung; denn diese Erklärung stammt vom 30. April 1970, ist also ungefähr fünf Monate nach Ergehen der Einspruchsentscheidungen beim FA eingegangen. In den hier bedeutsamen Schreiben für 1960 und 1966 gibt der Kläger eine Anschrift an, von der das FA annehmen konnte und mußte, daß sie die Wohnung des Klägers ist und er dorthin die Zustellung der für ihn bestimmten Schriftstücke wünschte. Für die Zustellung der in Rede stehenden Einspruchsentscheidungen bot sich daher dem FA aufgrund der eigenen Angaben des Klägers als Wohnungsanschrift die Anschrift "X, B-Straße 4" an, so daß der Kläger sich an dem von ihm erzeugten Rechtsschein festhalten und die Wirksamkeit der erfolgten Zustellung gegen sich gelten lassen muß, solange dieser Rechtsschein nicht durch nachweisbare Tatsachen widerlegt ist. Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat weder in dem Verfahren vor dem FG noch in seiner Revisionsbegründungsschrift vorgetragen, seine tatsächliche Wohnung sei nur X-Y, Haus Z, und in X, B-Straße 4, unterhalte er nur und ausschließlich ein Büro bzw. ein Geschäftslokal i. S. des § 183 ZPO. Sein erstmaliger Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem FG ging nach dem Tatbestand der Vorentscheidung lediglich dahin, die Zustellung der Einspruchsentscheidungen sei nicht rechtsgültig erfolgt, weil die Zustellung im Büro des Klägers vorgenommen worden und in einem solchen Fall die Ersatzzustellung durch Niederlegung nach § 182 ZPO nicht zulässig sei. In der Revisionsbegründung, die wiederum wie die Revisionsschrift "X, B-Straße 4" als Anschrift angibt, wird lediglich dargetan, fast sämtlichen Beamten des FA sei hinreichend bekanntgewesen, daß der "Wohnsitz" des Klägers sich im Vorort Y befinde. Diese Erklärung zum Wohnsitz, der gemäß § 13 Abs. 1 StAnpG eine Wohnung voraussetzt, ergibt über die Wohnverhältnisse des Klägers keine eindeutige, für die Frage der Zustellung ausschlaggebende Klärung. Für die Zustellung ist allein die Wohnungsangabe bedeutsam, die der Zustellungsempfänger selbst in den die Streitjahre betreffenden Erklärungen und Schreiben und zur Zeit der Zustellung dem FA gegenüber gemacht hatte. Die Anschrift war nicht für das FA erkennbar oder - wie der Kläger meint - offenkundig falsch. Dementsprechend hatte das FA nur die Möglichkeit, den Brief an diese, möglicherweise als Zweitwohnung benutzte Wohnung zu richten. Der dem FA gegenüber hervorgerufene Rechtsschein gilt insoweit auch für den zustellenden Postbeamten, als dieser den Brief als an die Wohnung und nicht an das Büro des Klägers gerichtet ansehen mußte. Infolgedessen mußte er wegen der Unmöglichkeit der Übergabe an den Kläger in der B-Straße 4 nicht die Wohnung in X-Y aufsuchen (vgl. Nr. 13 Abs. 2 a, bb der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum VwZG), sondern die Ersatzzustellung vornehmen, nachdem er die Zustellung gemäß § 181 ZPO auszuführen vergeblich versucht hatte.
Das Urteil des BFH vom 17. Juli 1973 VIII R 104/72 (BFHE 110, 174, BStBl II 1973, 877) steht dem nicht entgegen. Dort war geklärt, daß die Zustellung nicht in der Wohnung, sondern in dem Büro des Empfängers versucht worden war. In einem solchen Fall ist die Annahme des Postbeamten, es handele sich um die Wohnung, nicht endgültig entscheidend. Denn der Zustellungsbeamte hat die Zustellungsempfänger durch eigene Prüfung festzustellen und zunächst selbst zu entscheiden, ob die tatsächlichen Voraussetzungen der Ersatzzustellung vorliegen. Seine Feststellungen binden indessen das Gericht nicht. Kommt es im Rechtsstreit auf die Wirksamkeit der Zustellung an, so entscheidet das Gericht, ob objektiv die Voraussetzungen vorlagen (vgl. Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 32. Aufl., Einführung zu §§ 181 bis 185 Anm. 3, und Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 7. Aufl., § 181 Anm. 4).
Eine andere Frage, die in dem BFH-Urteil VIII R 104/72 nicht entschieden zu werden brauchte, ist aber, ob dem Gericht für seine Entscheidung ausreichende und beweisbare Tatsachen vorgetragen sind. Denn die Behauptungs- und Beweis- bzw. Darlegungslast dafür, daß die PZU - mit der Feststellung des Zustellungsbeamten: "da ich den Empfänger ... selbst in der Wohnung nicht angetroffen habe" - gemäß §§ 417 ff. ZPO unrichtig sei, trägt derjenige, der sich darauf beruft (vgl. Thomas/Putzo, a. a. O.). Der von dem Kläger selbst durch die Angaben über seine Wohnung in den Schreiben an das FA geschaffene Rechtsschein wurde von ihm nicht widerlegt. Danach ist auch für die Frage der Wirksamkeit der Ersatzzustellung davon auszugehen, daß ihr der Versuch einer Zustellung in der Wohnung des Klägers nach § 181 ZPO vorausgegangen war. Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung können, soweit sie neues tatsächliches Vorbringen in der Revisionsinstanz enthalten, nicht mehr gewürdigt werden (§ 118 Abs. 2 FGO).
Das FG-Urteil ist daher im Ergebnis zu bestätigen, so daß die Revision mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückgewiesen werden muß.
Fundstellen
Haufe-Index 71522 |
BStBl II 1975, 791 |
BFHE 1976, 90 |