Erste Tätigkeitsstätte eines angestellten Bauleiters

Eine (stillschweigende) Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers ergibt sich nicht allein daraus, dass der Arbeitnehmer die Einrichtung (aus der maßgeblichen Sicht ex ante) nur gelegentlich zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit aufsuchen muss, im Übrigen aber seine Arbeitsleistung ganz überwiegend außerhalb der festen Einrichtung erbringt.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.

Sachverhalt

Kläger sind Eheleute, die für die Streitjahre 2015 bis 2017 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Die Kläger wohnten in W. Der Kläger war in den Streitjahren als Bauleiter bei der Y-AG, einem international tätigen Bauunternehmen, beschäftigt. Die Y-AG unterhielt eine Niederlassung in der X-Straße in Z.

Nach § 1 des Arbeitsvertrags des Klägers war sein "Einstellungsort" in Z. Ihm stand in den Streitjahren ein Firmenwagen auch zur privaten Nutzung zur Verfügung. In ihren Lohnsteuer-Anmeldungen und den Lohnabrechnungen des Klägers berücksichtigte die Y-AG im Rahmen der Nutzung des Firmenwagens für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte die sog 0,03 %-Regelung. Ausgehend von einem Listenpreis des Fahrzeugs von 24.900 EUR und einer Entfernung von 29 km zwischen der Wohnung der Kläger und der von der Y-AG in der X-Straße in Z angenommenen ersten Tätigkeitsstätte des Klägers setzte diese insoweit einen Sachbezug in Höhe von monatlich 216,63 EUR an.

In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machten die Kläger bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit unter anderem Werbungskosten für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte geltend. Als Ort der ersten Tätigkeitsstätte gaben die Kläger jeweils "Z" an. Sie erklärten, der Kläger habe die erste Tätigkeitsstätte im Jahr 2015 an 215 Tagen (gemäß berichtigter Anlage N), im Jahr 2016 an 209 Tagen und im Jahr 2017 an 217 Tagen aufgesucht. Außerdem machten sie Verpflegungsmehraufwendungen des Klägers mit einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden an 178 Tagen im Jahr 2015 (gemäß berichtigter Anlage N), an 162 Tagen im Jahr 2016 und an 168 Tagen im Jahr 2017 geltend. Zum Beleg der Verpflegungsmehraufwendungen reichten sie Bescheinigungen der Y-AG ein.

Das Finanzamt (FA) erkannte die Verpflegungsmehraufwendungen für 2015 nicht an. Die Entfernungspauschale berücksichtigte das FA hingegen erklärungsgemäß für 215 Tage. Für 2016 und 2017 setzte es die Verpflegungsmehraufwendungen demgegenüber wie erklärt an, kürzte dafür aber die Entfernungspauschale auf 47 Tage (2016) beziehungsweise auf 49 Tage (2017).

Einspruch gegen die Einkommensteuerbescheide

Die Kläger legten gegen die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre Einsprüche ein, mit denen sie unter anderem geltend machten, der Kläger habe in Z keine erste Tätigkeitsstätte gehabt. Das FA wies den Einspruch für 2015 als unbegründet zurück und setzte die Einkommensteuer für 2016 und 2017 nach einem Hinweis auf die Möglichkeit einer verbösernden Einspruchsentscheidung höher fest. Der Kläger habe in Z über eine erste Tätigkeitsstätte verfügt. Die Verpflegungsmehraufwendungen seien mangels Nachweises der Abwesenheit von mehr als acht Stunden von der ersten Tätigkeitsstätte nicht anzuerkennen.

Das FG gab der hiergegen erhobenen Klage statt.

Entscheidung: BFH hält die Revision des FA für unbegründet

Der BFH hat entschieden, dass der Kläger in der Niederlassung der Y-AG in der X-Straße in Z nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügte. Das FG hat ausgehend hiervon den Arbeitslohn des Klägers zu Recht um die sich aus der Anwendung der 0,03 %-Regelung ergebenden Beträge reduziert und die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten anerkannt.

Hierzu führt der BFH u.a. aus:

  • Für die private Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs zu privaten Fahrten gilt nach § 8 Abs. 2 Satz 2 des EStG die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entsprechend. Kann ein Dienstwagen auch für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte genutzt werden, erhöht sich dieser Wert gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG nach Maßgabe der tatsächlichen Benutzung des Dienstwagens für solche Fahrten. Der Zuschlag nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG (0,03 %-Regelung) kommt nur zur Anwendung, wenn und soweit der Arbeitnehmer den Dienstwagen tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte nutzt. Nach diesen Rechtsgrundsätzen scheidet der Ansatz eines Nutzungsvorteils nach der 0,03 %-Regelung im Streitfall aus. Denn der Kläger verfügte in den Streitjahren nicht über eine erste Tätigkeitsstätte, so dass die Nutzung des ihm von der Y-AG überlassenen Kraftfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von vornherein nicht in Betracht kam.
  • Nach der gesetzlichen Konzeption ‑ und der die Neuordnung des steuerlichen Reisekostenrechts prägenden Grundentscheidung ‑ wird die erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits(vertrag)- oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien.
  • Die rechtliche Würdigung des FG, in der Zuordnung des Klägers zum Bezirk der Niederlassung der Y-AG in Z nicht auch eine Zuordnung zu dem Gebäude der Niederlassung in der X-Straße zu erblicken, von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Insbesondere waren die Tätigkeiten, die der Kläger der Y-AG als Bauleiter schuldete, so angelegt, dass sie jedenfalls ganz überwiegend außerhalb des Gebäudes der Niederlassung in Z zu erbringen waren. Bei dieser Sachlage kann nicht ohne weitere ‑ im Streitfall fehlende ‑ Anhaltspunkte angenommen werden, eine Zuordnung des Klägers zum Bezirk der Niederlassung in Z bedeute auch gleichzeitig eine Zuordnung zu dem Niederlassungsgebäude in Z. Der Kläger war der Niederlassung der Y-AG in Z vielmehr lediglich aus organisatorischen Gründen zugeordnet, ohne dass damit auch eine Festlegung des Tätigkeitsorts verbunden war. Dies stellt keine Zuordnung des Arbeitnehmers im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG dar.
  • Das FG hat dem Kläger auch den Werbungskostenabzug wegen des Verpflegungsmehraufwands zu Recht zugesprochen. Mehraufwendungen des Arbeitnehmers für die Verpflegung sind nach Maßgabe von § 9 Abs. 4a EStG als Werbungskosten abziehbar. Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist nach § 9 Abs. 4a Satz 2 und 3 EStG zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine nach Abwesenheitszeiten gestaffelte Verpflegungspauschale anzusetzen. Hat der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte, gelten die Sätze 2 und 3 entsprechend (§ 9 Abs. 4a Satz 4 Halbsatz 1 EStG). Denn liegen die Voraussetzungen des Absatz 4 nicht vor und ist der Arbeitnehmer gleichwohl außerhalb seiner Wohnung beruflich tätig, befindet er sich ebenfalls auf Auswärtstätigkeit. Nach § 9 Abs. 4a Satz 6 EStG ist der Abzug der Verpflegungspauschalen allerdings auf die ersten drei Monate einer längerfristigen beruflichen Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte beschränkt. Da der Kläger ‑ entgegen der vom FA vertretenen Auffassung ‑ nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügte, sind die Abwesenheitszeiten des Klägers von seiner Wohnung aus zu berechnen.

BFH, Urteil v. 14.9.2023, VI R 27/21; veröffentlicht am 9.11.2023

Alle am 9.11.2023 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen