Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Ordnungsmäßigkeit der Rüge von Verfahrensmängeln
Leitsatz (NV)
1. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nur dann ordnungsgemäß erhoben, wenn dargelegt wird, was der Revisionskläger vorgetragen haben würde, wenn ihm rechtliches Gehör gewährt worden wäre.
2. Die Rüge des Revisionsklägers, er habe zu dem Ergebnis einer Beweisaufnahme nicht Stellung nehmen können, ist unbegründet, wenn das FG mit der Beweisaufnahme zugleich mündliche Verhandlung anberaumt und den Revisionskläger ordnungsgemäß geladen hat.
3. Lehnt das FG einen Vertagungsantrag ab, weil es zu der Überzeugung gekommen ist, daß die vom Kläger geltend gemachte Krankheit nicht glaubhaft gemacht wurde, so liegt darin keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
4. Die Rüge des Revisionsklägers, das FG habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und insbesondere präsente Beweismittel bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen, ist nicht ordnungsgemäß erhoben, wenn nicht dargelegt wird, aus welchen konkreten Beweismitteln sich eine andere Beweiswürdigung ergibt.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 2; ZPO § 227 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger leistete in den Jahren 1969 bis 1973 unter der Berufsbezeichnung ,,Steuerbevollmächtigter" geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen, ohne zum Steuerbevollmächtigten bestellt zu sein, die Prüfung als Steuerbevollmächtigter bestanden zu haben oder von der Prüfung befreit worden zu sein. Das FA sah seine diesbezüglichen Einkünfte als gewerbliche an. Einspruch und Klage, die sich auf diverse Streitpunkte erstreckten, blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.
A. 1. Die Rüge des Klägers, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden, ist insoweit nicht ordnungsgemäß erhoben, als sie das vom FA in der letzten mündlichen Verhandlung in den Rechtsstreit eingeführte Schreiben der Firma K vom 5. August 1981 betrifft. Der Kläger hat mit der Revision nicht dargelegt, was er in bezug auf das genannte Schreiben dem FG noch vorgetragen haben würde. Soweit er in der Revisionsbegründung ausführt, er würde dem FG seinen beruflichen Werdegang geschildert haben, ist ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Schreiben der Firma K vom 5. August 1981, dem beruflichen Werdegang des Klägers und der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht zu erkennen. Das Schreiben vom 5. August 1981 betrifft seinem Inhalt nach den beruflichen Werdegang des Klägers nicht. Damit ist die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht schlüssig. Zur Schlüssigkeit der Rüge gehört, daß substantiiert dargelegt wird, wozu sich der Beteiligte nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte. Das entsprechende Erfordernis ergibt sich aus der Überlegung, daß derjenige, der nichts hätte vortragen können, sich auch nicht auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs berufen kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355).
2. a) Die Rüge des Klägers, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden, ist unbegründet, soweit sie die Tatsache betrifft, daß das FG aufgrund der Beweisaufnahme und der mündlichen Verhandlung vom 2. September 1981, an denen der Kläger nicht teilgenommen hatte, ein Urteil erließ. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs besteht im wesentlichen darin, daß jeder am Verfahren beteiligten Person Gelegenheit gegeben werden muß, sich zu den Tatsachen und Ergebnissen zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 11. Oktober 1966 2 BvR 252/66, BVerfGE 20, 280, 282, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 119 Nr. 3, Rechtsspruch 2, und vom 14. Januar 1969 2 BvR 314/68, BVerfGE 25, 40, 43, StRK, Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1, Rechtsspruch 100; BFH-Urteile vom 26. Oktober 1970 III R 122/66, BFHE 101, 49, BStBl II 1971, 201, 203, und vom 22. Dezember 1981 VII R 104/80, BFHE 135, 149, BStBl II 1982, 356). Diese Gelegenheit hatte der Kläger. Ausweislich der in der FG-Akte abgehefteten Postzustellungsurkunde ist er am 1. August 1981 zu dem Termin vom 2. September 1981 geladen worden. Aus der abgehefteten Durchschrift der Ladung ergibt sich, daß u.a. in der Streitsache wegen Einkommensteuer 1969 bis 1971 und 1973 eine mündliche Verhandlung anberaumt war. In dieser sollten zwei namentlich genannte Zeugen zu einem näher bezeichneten Beweisthema vernommen werden. Ausdrücklich wurde der Kläger darauf hingewiesen, daß bei seinem Nichterscheinen auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne. Der Kläger hat mit der Revisionsbegründung nichts vorgetragen, was in Widerspruch zu diesen Feststellungen stehen würde. Deshalb ist von der ordnungsmäßigen Ladung des Klägers zu der mündlichen Verhandlung am 2. September 1981 auszugehen. Damit hatte der Kläger unter dem Gesichtspunkt der ordnungsgemäßen Ladung Gelegenheit, sowohl zu dem Verfahren insgesamt als auch zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen.
b) Soweit der Kläger geltend macht, er habe aus Krankheitsgründen an der mündlichen Verhandlung vom 2. September 1981 nicht teilnehmen können, ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht gegeben. Nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und § 227 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) können ein Termin nur aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt bzw. eine Verhandlung vertagt werden. Nach § 227 Abs. 3 ZPO sind die erheblichen Gründe auf Verlangen des Vorsitzenden glaubhaft zu machen. Ausweislich eines entsprechenden Aktenvermerks des Vorsitzenden des zuständigen Senats des FG in den FG-Akten hat dieser am 31. August 1981 in Gegenwart des Berichterstatters um 11.30 Uhr mit dem Kläger telefoniert und ihm gesagt, daß ,,im Hinblick auf die bereits geladenen Zeugen und die bereits eingetretenen Verzögerungen in der Erledigung des Prozesses eine Terminverlegung nur bei rechtzeitiger Vorlage eines amtsärztlichen Attestes in Betracht komme". Der Kläger hat jedoch weder ein amtsärztliches Attest über die behauptete Krankheit vorgelegt noch dieselbe in anderer Weise glaubhaft gemacht. Damit konnte das FG zu der freien Überzeugung kommen, daß der Kläger an dem Erscheinen in der mündlichen Verhandlung nicht gehindert war. Außerdem erklärte der Kläger ausweislich des bereits erwähnten Vermerks am 31. August 1981 telefonisch gegenüber dem Vorsitzenden des zuständigen Senats, ,,er wolle lieber auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vom 2. September 1981 verzichten und bitte den Senat um eine abschließende Entscheidung". In dieser Erklärung liegt der freiwillige Verzicht des Klägers auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung, der den Verlust des entsprechenden Rügerechts im Revisionsverfahren zur Folge hat (§ 155 FGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO).
c) Soweit der Kläger geltend macht, er sei durch eine falsche Auskunft der Leiterin der Geschäftsstelle daran gehindert worden, rechtzeitig eine Begründung für seinen Antrag auf Terminsaufhebung bzw. Vertagung einzureichen, ist seine Rüge schon deshalb unbegründet, weil der Kläger ausweislich der FG-Akte nach seinem Gespräch mit der Geschäftsstelle des FG von dem Vorsitzenden des zuständigen Senats angerufen und über die zutreffende Rechtslage informiert wurde. Damit kann das Telefongespräch mit der Geschäftsstelle nicht mehr ursächlich dafür gewesen sein, daß der Kläger es einerseits unterließ, seine Verhinderung nachzuweisen, und andererseits sogar ausdrücklich auf seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtete.
3. Die Rüge des Klägers, das FG habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und insbesondere präsente Beweismittel (gelber Ordner) bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen, ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Nach § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO muß die Revisionsbegründung, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Dabei ist unter einem Verfahrensmangel jeder Fehler zu verstehen, der dem FG bei der Handhabung des Verfahrens unterläuft. Zu den Verfahrensmängeln gehören Fehler in der Sachverhaltsaufklärung, weil das FG gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO von Amts wegen gehalten ist, den Sachverhalt unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel so vollständig wie möglich aufzuklären. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung ist deshalb auch im Streitfall gleichzeitig Rüge der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes und in diesem Sinne Verfahrensrüge. Solche Rügen müssen aber durch die vorgebrachten Tatsachen den Mangel bei der Aufklärung des Sachverhalts erweisen. Der Kläger hätte deshalb im Rahmen der Revisionsbegründung darlegen müssen, aus welchen in dem gelben Ordner abgehefteten Unterlagen sich Gewinnminderungen in Höhe von 10 500 DM unter dem Gesichtspunkt privat veranlaßter Einnahmen bzw. der Nachweis einer unselbständigen Aushilfstätigkeit des Klägers bei der Firma L bzw. der Nachweis über den Umfang der behaupteten betrieblichen Kellernutzung ergeben. Dazu mußte der Kläger dem erkennenden Senat die Unterlagen innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vorlegen, weil ohne die Vorlage der Mangel bei der Aufklärung des Sachverhalts nicht erwiesen werden konnte. Statt dessen enthält die Revisionsbegründung nur eine allgemeine Bezugnahme auf den im FG-Verfahren vorgelegten gelben Ordner, ohne daß der Senat erkennen kann, ob der gelbe Ordner die maßgeblichen Unterlagen enthielt bzw. ob die maßgeblichen Unterlagen Rückschlüsse auf die steuerrechtliche Beurteilung der Streitfragen zuließen. Ist aber die Rüge mangelnder Sachverhaltsaufklärung nicht ordnungsgemäß erhoben, so ist sie revisionsrechtlich als unbegründet zu behandeln.
B. 1. Soweit der Kläger die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist vorab darauf hinzuweisen, daß der erkennende Senat als Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, da keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben wurden (siehe A.). Der Senat kann insoweit nur prüfen, ob das FG bei der Würdigung des von ihm festgestellten Sachverhalts gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze verstoßen hat. Dabei liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze nicht schon dann vor, wenn eine Schlußfolgerung des FG nicht zwingend ist. Die Prüfung des Revisionsgerichts ist darauf beschränkt, ob das FG eine allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat.
2. Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Kläger in den Streitjahren unter der Berufsbezeichnung ,,Steuerbevollmächtigter" geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leistete, ohne zum Steuerbevollmächtigten bestellt zu sein, die Prüfung als Steuerbevollmächtigter bestanden zu haben oder von der Prüfung befreit worden zu sein. Gegenüber diesen Feststellungen hat zwar der Kläger eingewendet, vor der Oberfinanzdirektion die Prüfung als Steuerbevollmächtigter abgelegt und zum Steuerbevollmächtigten bestellt worden zu sein. Dieses Vorbringen beinhaltet jedoch keine zulässige und begründete Revisionsrüge i. S. des § 118 Abs. 2 FGO, sondern ist neu und damit für das Revisionsverfahren unbeachtlich. Den von ihm festgestellten Sachverhalt hat das FG zutreffend dahin gewürdigt, daß der Kläger eine gewerbliche Tätigkeit ausübte und ihm deshalb der Freibetrag gemäß § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes nicht zusteht. Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, der der Senat auch für den Streitfall beipflichtet, daß Einkünfte aus selbständiger Arbeit nur derjenige erzielt, der die eigene berufliche Qualifikation und das Recht zur eigenverantwortlichen und selbständigen Ausübung eines freien Berufs besitzt (vgl. BFH-Urteile vom 19. Mai 1981 VIII R 143/78, BFHE 133, 396, BStBl II 1981, 665; vom 17. November 1981 VIII R 121/80, BFHE 135, 421, BStBl II 1982, 492; vom 3. Dezember 1981 IV R 79/80, BFHE 134, 565, BStBl II 1982, 267; vom 23. Mai 1984 I R 122/81, BFHE 141, 505, BStBl II 1984, 823).
3. Das FG hat ferner in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Kläger trotz der gerichtlichen Verfügung vom 9. April 1981 und trotz seiner Zusage in der mündlichen Verhandlung vom 21. Mai 1981 nicht durch Vorlage der Erlöskontenblätter die Einbeziehung privat veranlaßter Zahlungen in die Betriebseinnahmen nachgewiesen hat. Da das FG den vom Kläger eingereichten gelben Ordner vorliegen hatte, war ihm die entsprechende Feststellung grundsätzlich möglich. Sie berechtigte das FG, die Betriebseinnahmen des Klägers gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 162 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu schätzen und dabei ungeklärte Vermögenszugänge als steuerpflichtige Einnahmen zu behandeln (vgl. BFH-Urteile vom 20. Oktober 1966 IV 142, 311/63, BFHE 87, 504, BStBl III 1967, 201, und vom 13. November 1969 IV R 22/67, BFHE 97, 409, BStBl II 1970, 189).
4. Das FG hat weiter festgestellt, daß der Kläger für die Firma L selbständig tätig war. Es hat deshalb die von der Firma L gezahlten Entgelte den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugerechnet. An die tatsächlichen Feststellungen des FG ist der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Die daraus gezogenen Schlußfolgerungen begegnen steuerrechtlich keinen Bedenken.
5. Das FG hat außerdem festgestellt, daß der Kläger das Haus C-Straße nur zu 22 v. H. betrieblich nutzte. Die betriebliche Nutzung hat es den Maßen der Bauzeichnung vom November 1971, den Feststellungen des Steuerfahndungsprüfers und (teilweise) den Angaben des Klägers entnommen. Die Feststellungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Aus ihnen ergibt sich, daß die Hausaufwendungen ebenfalls nur zu 22 v. H. Betriebsausgaben sind.
Fundstellen
Haufe-Index 414053 |
BFH/NV 1986, 412 |