Leitsatz (amtlich)
Die Zahlung des Versicherungsentgelts für eine Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr ist nicht von der Versicherungsteuer ausgenommen.
Normenkette
VersStG 1959 § 4 Nr. 5
Tatbestand
Die Klägerin betreibt in ihrem Versicherungsgeschäft unter anderem die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr. Bei dieser sind nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen die eingezahlten Prämien ohne Zinsen und ausschließlich eines etwaigen Zuschlags für unterjährige Entrichtung der Prämie beim Tode der für die Rückgewähr maßgebenden Person, spätestens aber nach Vollendung eines bestimmten Lebensjahres oder zu einem dem Datum nach vereinbarten Zeitpunkt ohne Abzug für etwa geleistete Unfallentschädigung zurückzuerstatten; der Versicherungsnehmer kann die Versicherung, soweit sie sich auf die Prämienrückgewähr bezieht, jederzeit für den Schluß des laufenden Versicherungsjahres kündigen.
Die Klägerin ist der Ansicht, diese Art der Unfallversicherung sei als Lebensversicherung von der Versicherungsteuer ausgenommen. Das FA hat gegen sie eine Versicherungsteuerabschlagzahlung auch aus diesen Beträgen festgesetzt. Die OFD hat die Beschwerde der Klägerin, das FG deren Berufung zurückgewiesen. Das FG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen (EFG 1965 Nr. 181 S. 150).
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Der Versicherungsteuer unterliegt nach näherer Maßgabe des § 1 VersStG die Zahlung des Versicherungsentgelts (§ 3 VersStG) auf Grund eines durch Vertrag oder auf sonstige Weise entstandenen Versicherungsverhältnisses. Für den Begriff des Versicherungsvertrags gibt § 2 VersStG zwei besondere, hier nicht einschlägige Vorschriften; im übrigen folgt er zwangsläufig der Begriffsbildung des bürgerlichen Rechts. Ausgenommen von der Besteuerung ist unter anderem gemäß § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG die Zahlung des Versicherungsentgelts für eine Versicherung, durch die Ansprüche auf Kapital-, Renten- oder sonstige Leistungen im Falle des Erlebens, der Krankheit, der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, des Alters, des Todes oder in besonderen Notfällen begründet werden. Dies gilt aber nicht für die Unfallversicherung sowie die Haftpflichtversicherung und sonstige Sachversicherungen (§ 4 Nr. 5 Satz 2 VersStG), unbeschadet der in § 4 Nr. 3 VersStG mit Unterausnahmen verfügten Befreiung der Unfallversicherung nach der Reichsversicherungsordnung.
Die Voraussetzungen des § 1 VersStG sind erfüllt. Es kommt allein darauf an, ob die geleisteten Zahlungen im Sinne des § 4 Nr. 5 VersStG auf eine Lebensversicherung oder auf eine Unfallversicherung geleistet wurden. Für die Beantwortung dieser Frage ist von den Merkmalen auszugehen, welche das Vertragsverhältnis überhaupt zu einem Versicherungsverhältnis machen. Denn wenn und soweit ein Versicherungsverhältnis nicht vorläge, würde sich erübrigen, dieses von der Besteuerung auszunehmen.
Abgesehen von den Prämien (Beiträgen) des Versicherungsnehmers (§ 1 Abs. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes - VVG -) wird sowohl bei der Lebensversicherung als auch bei der Unfallversicherung ein Versicherungsvertrag essentiell durch die Verpflichtung des Versicherers bestimmt, nach dem Eintritt des Versicherungsfalles den vereinbarten Betrag an Kapital oder Rente zu zahlen oder die sonst vereinbarte Leistung zu bewirken (§ 1 Abs. 1 Satz 2 VVG). Insoweit nicht anders als bei der Schadensversicherung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VVG) wird also der Versicherungsvertrag durch seinen aleatorischen Charakter gekennzeichnet; der Versicherer übernimmt gegen Zahlung der vereinbarten Prämien (Beiträge) bestimmte Leistungen für einen dem Entstehen oder dem Zeitpunkt des Entstehens nach ungewissen Versicherungsfall. Die versicherte Gefahr liegt dabei in der Person des Versicherungsnehmers oder des anderen, auf dessen Person dieser die Versicherung nimmt. Dieses Risiko trägt der Versicherer nach Maßgabe des Versicherungsvertrags. Ein Vertrag, durch den ein Versicherungsunternehmen ein Risiko eingeht, ohne ein fremdes Risiko (im weiteren Sinne) auf sich zu nehmen, ist kein Versicherungsvertrag.
Ist der Eintritt des Versicherungsfalles bei einer nur auf einen bestimmten Zeitpunkt genommenen Personenversicherung gewiß, so liegt ein Versicherungsvertrag nur dann vor, wenn der aleatorische Charakter eines ungewissen Risikos dadurch wirksam wird, daß die Prämien bei Eintreten eines bestimmten, zumindest dem Zeitpunkt nach ungewissen Ereignisses (z. B. dem Tod des Versicherungsnehmers) von diesem Zeitpunkt an nicht mehr bezahlt zu werden brauchen. Sparverträge, bei denen nach Ablauf einer gewissen Zeit der einbezahlte Betrag mit oder ohne Zinsen zurückzuzahlen ist, sind keine Versicherungen.
"Versichert" (im engeren und eigentlichen Sinne) ist hier nur das Unfallrisiko. Beim Tode des Versicherungsnehmers, bei Erreichen eines bestimmten Lebensalters oder zu dem sonst vereinbarten Zeitpunkt werden dagegen nur die (unverzinsten) Prämien zurückbezahlt, also eine "Sparleistung" erstattet. Folglich können die der Besteuerung unterworfenen Prämien nur als solche aus einer Unfallversicherung, nicht aber als solche aus einer Lebensversicherung der Versicherungsteuer unterliegen.
Greift demnach die Besteuerung nur deshalb ein, weil eine Unfallversicherung vorliegt, so können die Prämien nicht als Entgelt einer - auch in § 4 Nr. 5 VersStG von der Unfallversicherung unterschiedenen - Lebensversicherung von der Steuer befreit sein. Auf die - von der Klägerin beanstandeten - textgeschichtlichen Erwägungen des FG kommt es somit nicht an.
Für die zwar auf das Versicherungsvertragsgesetz zurückführende, im übrigen aber allein versicherungsteuerrechtliche Begriffsbildung ist es unerheblich, daß gemäß § 12 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) auf den Geschäftsplan und die Deckungsrücklagen unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen die für die Lebensversicherung geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind. Zwar werden die Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes über die Charakterisierung der einzelnen Versicherungszweige durch die Vorgegebenheiten des Versicherungsvertragsgesetzes beeinflußt, nicht aber umgekehrt die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes durch die des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Nicht die öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes, sondern die privatrechtlichen Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes charakterisieren den Vertrag im bürgerlichrechtlichen Sinne und - daran anknüpfend - auch im Sinne des Versicherungsteuergesetzes.
Ebenso kann dahingestellt bleiben, wie eine Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr im Rahmen des Einkommensteuergesetzes (§ 10) und des Altsparergesetzes (§ 2 Abs. 1 Nr. 5) einzuordnen ist. Denn jede dieser Vorschriften hat ihren eigenen Sinnzusammenhang und Zweck; ein innerer Widerspruch des § 4 Nr. 5 VersStG zu diesen Gesetzen ist ausgeschlossen.
Das wird am deutlichsten beim Unterhaltsicherungsgesetz (USG), auf das sich die Klägerin ebenfalls beruft. Denn dieses bezweckt die Sicherung des Lebensbedarfs der zur Erfüllung der Wehrpflicht einberufenen Wehrpflichtigen und der freiwillig Dienenden (§ 1 Abs. 1 USG); nach diesen und nicht nach versicherungs- oder steuerrechtlichen Gesichtspunkten sind die zu ersetzenden Aufwendungen aufgezählt. Aber auch zu § 10 EStG wird nicht angenommen, daß die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr eine Lebensversicherung sei; sie wird dieser allenfalls für die Anwendung des § 10 EStG unter bestimmten Voraussetzungen gleichgestellt (vgl. das Urteil des BFH VI 18/60 U vom 11. Januar 1963, BFH 76, 642, BStBl III 1963, 234, mit Bezugnahme auf das BFH-Urteil VI 237/59 U vom 11. Januar 1963, BFH 76, 376, BStBl III 1963, 138). Die Einheit der Rechtsordnung, auf welche sich die Klägerin beruft, fordert nicht, daß mehrere Gesetze unterschiedlicher Zielsetzung den gleichen Inhalt haben müßten.
Fraglich kann somit allenfalls sein, ob die auf die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr gezahlten Prämien in vollem Umfang Versicherungsentgelt im Sinne des § 3 VersStG sind, oder ob sie nicht zu einem erheblichen Teil als bloße Sparleistungen außerhalb der Versicherungsteuerpflicht liegen. Indessen bleibt der Vertrag im ganzen ein Versicherungsvertrag, auch wenn durch die in bezug auf die Prämien getroffenen Vereinbarungen wirtschaftlich die Elemente eines Sparvertrags überwiegen mögen. Denn der Sparvertrag ist als solcher keine, zumindest keine dem Versicherungsvertrag entgegengesetzte Kategorie des bürgerlichen Rechts. Die geleisteten Prämien sind also Prämien im Sinne des § 1 Abs. 2 VVG und in vollem Umfang Versicherungsentgelt im Sinne des § 3 VersStG, obwohl aus der Sicht des Versicherungsnehmers im Grunde nur ihre Zinsen das Unfallrisiko des Versicherers abdecken und die unverzinsten Prämien später erstattet werden. Daß der Versicherer selbst anders rechnet und anders rechnen muß, und daß er seine Auslagen und die erforderliche Rücklage zunächst nicht nur den Zinsen entnehmen kann, sondern dafür die Gesamtheit der ersten Prämien heranziehen muß, ändert aus den bereits eingangs dargestellten Gründen an dieser - hier zugunsten der Klägerin angestellten - Erwägung nichts. Ihr kann jedenfalls nicht entnommen werden, der Vertrag sei als ein aus Unfallversicherung (§§ 179 ff. VVG) und Darlehen (§§ 607 ff. BGB) gemischter zu beurteilen. In bürgerlich-rechtlicher Qualifikation kann man also den Versicherungsvertrag allenfalls als einen untypischen bezeichnen.
Die zu § 3 VersStG getroffene Aussage wird durch § 9 VersStG bestätigt. Diese Vorschrift würde die volle Besteuerung der Prämien selbst dann erzwingen, wenn der Vertrag im ganzen bürgerlich-rechtlich nicht mehr als Versicherungsvertrag mit besonderen Abreden, sondern als gemischter Vertrag anzusprechen wäre. Denn während gemäß § 9 Abs. 1 VersStG die Steuer unter den dort bezeichneten Voraussetzungen erstattet wird, wenn das Versicherungsentgelt ganz oder zum Teil zurückgezahlt worden ist, nimmt § 9 Abs. 2 Nr. 2 VersStG davon den Fall aus, daß "die Prämienrückgewähr ausdrücklich versichert war". Diese Vorschrift hat nur Sinn unter der Voraussetzung, daß die Prämien auch insoweit, als ihre Rückgewähr ausdrücklich "Versichert" war, Teil des Versicherungsentgelts im Sinne des § 3 Abs. 1 VersStG waren, also anders als im Falle des § 3 Abs. 2 VersStG die Prämie im Sinne des § 1 Abs. 2 VVG nicht in einen versicherungsteuerrechtlich relevanten und einen versicherungsteuerrechtlich irrelevanten Teil aufzuspalten ist.
Diese Bedeutung des § 9 Abs. 2 Nr. 2 VersStG wird belegt durch einen Vergleich mit der wortgleichen Vorschrift des § 10 Abs. 2 Nr. 3 VersStG 1937. Denn diese mußte zwangsläufig auch den in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b VersStG 1937 erwähnten Fall der "Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr" einschließen. Der Wegfall der allein den Tarif betreffenden Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 VersStG 1937 (Art. 1 Nr. 3 der Verordnung zur Änderung des Versicherungsteuergesetzes vom 31. August 1944, RGBl I 1944, 208) hat den Aussagegehalt des § 10 VersStG 1937 nicht geändert. Das Gesetz ist nicht im ganzen novelliert worden. Die Neufassung des § 10 VersStG 1937 durch Abschn. III Art. 4 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung verkehrsteuerrechtlicher Vorschriften vom 25. Mai 1959 (BGBl I 1959, 261) hat allein stilistische Bedeutung. Die Vorschrift, welche in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Juli 1959 (BGBl I 1959, 540) als § 9 erscheint, erhielt in Absatz 1 den gleichen Wortlaut wie zuvor; ebenso stimmt der hier maßgebende Wortlaut des neuen Absatzes 2 Nr. 2 wörtlich mit Absatz 2 Nr. 3 der früheren Fassung überein. Dem Wortlaut nach eine Änderung enthält lediglich die Zusammenfassung der bisherigen Nummern 1 und 2 des Absatzes 2 zur neuen Nummer 1; sachlich sagt auch diese Vorschrift genau das gleiche aus wie der von ihr abgelöste § 10 Abs. 2 VersStG 1937 in seinen Nummern 1 und 2. Die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr muß also auch im Sinne des Versicherungsteuergesetzes 1959 als eine Versicherung angesehen werden, bei der "die Prämienrückgewähr ausdrücklich versichert" ist (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 VersStG). Ist ausdrücklich angeordnet, daß die Steuer aus diesem Grunde nicht zu erstatten ist (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 VersStG), so ist damit vorausgesetzt, daß die Prämie zuvor in vollem Umfang als Versicherungsentgelt der Besteuerung unterlag (§ 1 VersStG). Dieses Ergebnis entspricht der Definition des Versicherungsentgelts in § 3 VersStG.
Der in der mündlichen Verhandlung hilfsweise erhobene Einwand der Klägerin, die Nichtbefreiung der vertraglichen Unfallversicherung durch § 4 Nr. 5 Satz 2 VersStG bei gleichzeitiger Befreiung der gesetzlichen Unfallversicherung nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) durch § 4 Nr. 3 VersStG (soweit diese nicht auf §§ 843, 1029, 1198 a. F. RVO beruht) verstoße gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), greift nicht durch. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine überwiegend zwangsweise öffentlich-rechtliche Versicherung durch die öffentliche Hand in bezug auf die Besteuerung überhaupt mit einer freiwilligen Privatversicherung verglichen werden kann. Im vorliegenden Fall scheitert der Vergleich in Ansehung der Versicherungsträger jedenfalls daran, daß ein Wettbewerb zwischen den Trägern der Unfallversicherung und den privaten Versicherungen ausgeschlossen ist. Denn die Unfallversicherung nach der Reichsversicherungsordnung (§§ 537 ff. RVO) ist regelmäßig Zwangsversicherung; die freiwillige Versicherung gemäß §§ 843, 1029, 1198 a. F. RVO (vgl. §§ 762, 830, 891 n. F. RVO) ist von der Befreiung ausgenommen (§ 4 Nr. 3 VersStG). Befreit sein mag allerdings auch die freiwillige Versicherung gemäß § 539 a. F., § 545 n. F. RVO; sie ist aber gleichermaßen auf Arbeitsunfälle beschränkt wie die gesetzliche Versicherung der Arbeitnehmer und durch die Anknüpfung an diese veranlaßt (vgl. § 537 Nrn. 7 bis 9, § 538 a. F., § 539 Abs. 1 Nrn. 2, 5, 6, § 543 n. F. RVO); sie kann die Privatversicherung des durch § 539 a. F., § 545 n. F. RVO erfaßten Personenkreises nicht ersetzen.
Auch in Beziehung auf die Versicherten verletzt die unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung nicht den Gleichheitssatz. Für die letztgenannte Gruppe freiwillig Versicherter gilt das schon deshalb, weil es ihnen freisteht, die Steuerpflicht zu vermeiden, wenn sie sich mit der Unfallversicherung nach der Reichsversicherungsordnung begnügen. Bei einem allgemeinen Vergleich derer, welche nicht an der Unfallversicherung nach der Reichsversicherungsordnung teilhaben können, mit den in dieser kraft Gesetzes Versicherten mag davon abgesehen werden, daß die Beiträge der Arbeitnehmer nicht von diesen, sondern von dem Unternehmer aufzubringen sind (§§ 731, 649 a. F., § 723 n. F. RVO). Jedenfalls fällt ins Gewicht, daß die kraft Gesetzes versicherten Arbeitnehmer von der Unfallversicherung nicht nur Vorteile haben. Vielmehr nehmen ihnen §§ 898 ff. a. F., §§ 636 ff. n. F. RVO im Falle einer Fahrlässigkeit des Unternehmers Ersatzansprüche gegen diesen, welche den Wert der ihnen zustehenden Versicherungsleistungen unter Umständen weit übersteigen würden. Die Versicherung nach der Reichsversicherungsordnung und die privatrechtliche Versicherung sind also auch in dieser Beziehung nicht vergleichbar.
Fundstellen
Haufe-Index 69365 |
BStBl II 1971, 224 |
BFHE 1971, 545 |