Leitsatz (amtlich)
Gelegenheitsarbeiter, die zu bestimmten, unter Aufsicht durchzuführenden Verlade- und Umladearbeiten herangezogen werden, sind auch dann Arbeitnehmer, wenn sie die Tätigkeit nur für einige Stunden ausüben.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1; LStDV § 1 Abs. 2-3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (OHG) betreibt auf dem Gelände der Städtischen Großmarkthalle X eine Abfertigungs-Spedition. Sie hat keinen eigenen Fuhrpark und beschäftigt nur drei ständige Angestellte (Expedient und zwei Bürokräfte). Arbeiter für die Beladung der Lkw und für Umladungen (vom Eisenbahnwaggon in Lkw) werden nicht ständig beschäftigt, weil diese Arbeiten nur übernommen werden, wenn der Auftraggeber (Absender) darum ersucht. Bei den meisten Versendungsgeschäften besorgen die Empfänger die Umladearbeiten. Zu Ladearbeiten, welche die OHG selbst übernommen hat, zieht sie Personen aus dem Kreis der Gelegenheitsarbeiter, die vor der Großmarkthalle ihre Dienste anbieten, heran.
Mit Haftungsbescheid vom 25. November 1965 forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) von der OHG wegen Nichtvornahme des Lohnsteuerabzugs von den Entgelten der Aushilfsarbeiter für 1963 bis Mai 1964 Lohnsteuer nach.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die OHG geltend, daß die Gelegenheitsarbeiter selbständig gewerblich tätig seien. Das FG vernahm den bei der OHG seinerzeit tätigen Expedienten als Zeugen und wies die Klage ab. Es führte u. a. aus: Aushilfsbeschäftigungen seien grundsätzlich nach der Art der Aushilfstätigkeit selbst, unabhängig von einer etwaigen Hauptbeschäftigung, zu beurteilen (vgl. Urteil des BFH vom 24. November 1961 VI 183/59 S. BFHE 74, 97, BStBl III 1962, 37). Bei den Gelegenheitsarbeitern der Großmarkthalle, die gewöhnlich nur arbeiteten, wenn sie kurzfristig Geld benötigen, lasse sich eine Hauptbeschäftigung ohnehin selten feststellen. Die Gelegenheitsarbeiter hätten bei der OHG nur jeweils einen Tag gearbeitet, wobei ihre Tätigkeit in der Regel spätestens im Laufe des Nachmittags beendet gewesen sei. Dies spreche zwar gegen eine Eingliederung, schließe diese jedoch nicht aus (BFH-Urteil VI 183/59 S). Für eine Eingliederung spreche demgegenüber, daß die Arbeiter lediglich einfache Arbeiten verrichtet hätten, daß sie nicht Herr ihrer Zeit und hinsichtlich der Arbeitsleistung örtlich gebunden gewesen seien. Gegenüber diesen Unselbständigkeitsmerkmalen könne die Tatsache, daß der beauftragte Arbeiter manchmal einen oder zwei weitere Arbeiter mit herangezogen habe, nicht als entscheidender Faktor für Selbständigkeit gewertet werden. Dies sei eine organisatorische Vereinfachungsmaßnahme gewesen, wie sie auch zwischen Gastwirten und Kapellenleitern üblich sei, ohne die Arbeitnehmereigenschaft der Kapellenmitglieder zu berühren (z. B. BFH-Urteil vom 11. Juni 1968 VI R 102/67, BFHE 93, 135, BStBl II 1968, 726). Zudem habe der Expedient der Ladegruppe den vereinbarten Preis zwar gemeinsam ausgezahlt, das Geld aber in Scheinen und Münzen so hingegeben, daß es sofort aufgeteilt werden konnte; denn ein Gelegenheitsarbeiter habe dem anderen nach Aussage des Zeugen nicht getraut.
Mit der Revision rügt die OHG Verletzung des § 19 Abs. 1 EStG. Werde die Arbeitskraft nur für Gelegenheitsarbeiten von wenigen Stunden Dauer zu einem von Fall zu Fall vereinbarten Entgelt zur Verfügung gestellt, so könne niemals eine Eingliederung angenommen werden. Die Gelegenheitsarbeiter wollten sich vielmehr jedweder Einordnung entziehen, dieser also ausdrücklich entgehen. Das angefochtene Urteil verkenne auch den Begriff der Weisungsgebundenheit. Jeder, der für einen Dritten tätig werde, sei den Weisungen dieses Dritten unterworfen. Das gelte für unselbständige Arbeitnehmer wie für selbständige Gewerbetreibende (z. B. Schneidermeister für die Fertigung eines Anzuges, Installateure für die Anbringung der Installation) sowie auch für die freiberuflich Tätigen. Ein Vergleich mit Musikkapellen im Gastwirtschaftsbetrieb sei irrig. Entscheidend sei, daß die Gelegenheitsarbeiter echte Schwarzarbeiter seien, und daß Schwarzarbeiter nach einem Erlaß des Bundesministers der Finanzen regelmäßig nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses, sondern selbständig tätig würden. Soweit das FG zur Frage, ob die Gelegenheitsarbeiter Schwarzarbeiter sind, Feststellungen unterlassen habe, habe es seine Ermittlungspflicht verletzt. In der mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtigte der OHG ergänzend auf Entscheidungen von FG und das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 1973 5 AZR 568/72 (NJW 1973, 1994) hingewiesen, die nach seiner Auffassung für vergleichbare Sachverhalte Selbständigkeit angenommen hätten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der OHG ist nicht begründet.
Das FG hat den Begriff der nichtselbständigen Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG) nicht verkannt und ist zutreffend von der Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 2 und 3 LStDV ausgegangen, die mit der Rechtsprechung des BFH (z. B. Urteile vom 7. April 1972 VI R 58/69, BFHE 105, 274, BStBl II 1972, 643, und vom 21. Juli 1972 VI R 188/69, BFHE 106, 220, BStBl II 1972, 738) übereinstimmt. Danach ist im Ergebnis Voraussetzung für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses u. a. eine Eingliederung in das Unternehmen als abhängiges, unselbständiges Glied. Das FG hat zwar nicht ausdrücklich diese Worte gebraucht, es hat aber auf die Fassung des § 1 Abs. 3 LStDV Bezug genommen, nach der u. a. in einem Dienstverhältnis steht, wer "seine Arbeitskraft schuldet, d.h. in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist". Dies aber bedeutet Eingliederung in ein Unternehmen.
Die Vorinstanz ist ferner zutreffend davon ausgegangen, daß für die Beurteilung das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend ist. Seine Auffassung, daß die Kürze der jeweiligen Tätigkeit der Gelegenheitsarbeiter zwar gegen eine Eingliederung spricht, diese aber nicht ausschließt, entspricht der vom Senat im Urteil VI 183/59 S dargelegten Rechtslage. Wenn die Vorinstanz dann aus dem Übergewicht anderer für die Unselbständigkeit sprechender Faktoren (Bindung der Gelegenheitsarbeiter an Zeit und Ort in Verbindung mit der Tatsache, daß sie nur einfache Arbeiten verrichteten und der laufenden Kontrolle des Expedienten unterlagen) ihre Tätigkeit insgesamt als unselbständig beurteilte, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Dabei hat das FG auch den Begriff der Weisungsgebundenheit nicht verkannt. Die Tätigkeit des aufsichtsführenden Expedienten beschränkte sich nach den Feststellungen des FG keineswegs auf die Erteilung von Rahmenanweisungen, wie sie auch bei der Beauftragung von Gewerbetreibenden oder freiberuflich Tätigen üblich sind. Sie umfaßte vielmehr alle Einzelheiten, z. B. auch über die Art der Verladung und Stapelung des Ladegutes und spricht somit für eine Weisungsgebundenheit im Sinne einer Eingliederung.
Die Tätigkeit der Gelegenheitsarbeiter, wenn sich einer von ihnen zur Durchführung der Arbeiten noch weiterer Arbeiter bediente, ist auch mit den Verhältnissen bei Musikkapellen in Gastwirtschaften, wenn nur der Kapellenleiter mit dem Gastwirt verhandelt, vergleichbar. In beiden Fällen handelt es sich seitens des Arbeitgebers um eine Vereinfachungsmaßnahme, die, wie die Vorinstanz festgestellt hat, die Eingliederung in den Betrieb nicht in Frage stellt. Diese Beurteilung wird durch die von der Revision betonten Unterschiede zwischen den beiden Vergleichsfällen nicht berührt.
Schließlich vermag auch das Vorbringen der Revision, daß die Gelegenheitsarbeiter Schwarzarbeiter gewesen seien, die Entscheidung nicht zu beeinträchtigen. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung VI 183/59 S betont, daß Aushilfsbeschäftigungen grundsätzlich nach der Art der Aushilfstätigkeit selbst zu beurteilen seien. Maßgebend für die Beurteilung sind allein die von der Vorinstanz im einzelnen untersuchten Merkmale. Ob darüber hinaus die Tätigkeit den Charakter von Schwarzarbeit im Sinne des Erlasses des Bundesministers der Finanzen hatte, kann dahingestellt bleiben. Das FG brauchte deshalb zu dieser Frage nicht Stellung zu nehmen und konnte somit auch seine Ermittlungspflicht nicht verletzen.
Das von der Revision angeführte Urteil des Bundessozialgerichts 5 AZR 568/72 befaßt sich mit der Frage, ob im Streitfall wirtschaftliche Unabhängigkeit im Sinne des § 2 des Bundesurlaubsgesetzes und damit ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis gegeben war, aus dem ein Urlaubsanspruch hergeleitet werden konnte. Für den vorliegenden Rechtsstreit kann den Erwägungen dieser Entscheidung schon deshalb keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden, weil der Begriff der nichtselbständigen Arbeit in § 19 EStG unabhängig von anderen Rechtsgebieten geregelt ist, und deshalb der Arbeitnehmerbegriff anderer Rechtsgebiete für das Einkommen(Lohn-)steuerrecht nicht gilt (vgl. Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 1 Anm. 8 - 4. Erg. Lfg.-).
Fundstellen
Haufe-Index 70812 |
BStBl II 1974, 301 |
BFHE 1974, 326 |