Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuerbefreiung bei Modernisierung von Altbauten
Leitsatz (NV)
Das GrESBWG begünstigt die Schaffung neuen Wohnraumes. Zu mehr als 50 % beschädigt i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GrESBWG ist ein Gebäude deshalb nur dann, wenn die Gebäudesubstanz schadhaft ist. Ebensowenig kann die grundlegende Modernisierung vorhandenen Wohnraums dem Abriß eines Gebäudes und der Neuerrichtung gleichgestellt werden (§ 1 Abs. 2 GrESBWG).
Normenkette
GrESBWG SH § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrESBWG SH § 1 Abs. 1 Nr. 2; GrESBWG SH § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Die Kläger erwarben mit Vertrag vom 13. Mai 1982 ein Grundstück jeweils zu bestimmten Miteigentumsanteilen zum Preis von insgesamt . . . DM. Das Grundstück war mit einer 1907 bis 1908 errichteten Jugendstilvilla bebaut, die die damaligen Eigentümer zunächst allein benutzt hatten, und die später durch Umbau in mehrere Mietwohnungen aufgeteilt wurde. Die Erwerber beabsichtigten, das Haus zu renovieren und es in fünf Eigentumswohnungen aufzuteilen. In dem Kaufvertrag erklärten sie, der Aufwand für die Renovierung betrage mindestens 1/3 der Kosten eines vergleichbaren Neubaues, und beantragten Grunderwerbsteuerbefreiung für den Erwerb. Das Gebäude ist zwischenzeitlich ,,unter Erhaltung der Bausubstanz in größtmöglichem Umfang" renoviert und in Eigentumswohnungen aufgeteilt worden.
Das beklagte Finanzamt (FA) vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 des Gesetzes über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer bei Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaues und bei Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur (GrESBWG) lägen nicht vor, und erhob durch Steuerbescheide vom 12. Juli 1982 aus dem Erwerb der Miteigentumsanteile Grunderwerbsteuer. Die Einsprüche der Kläger wies das FA zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg. . . .
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die unrichtige Anwendung des § 1 Abs. 2 GrESBWG und mangelnde Sachaufklärung (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) durch das FG.
Das FG habe zu Unrecht eine Gesetzeslücke verneint. Wenn der Erwerb eines bebauten Grundstücks von der Grunderwerbsteuer befreit ist, falls der Erwerber das Gebäude bis zum Kellergeschoß abreißt und ein neues Gebäude errichtet, müsse die einen höheren Aufwand erfordernde Renovierung, durch die ebenfalls steuerbegünstigter Wohnraum geschaffen werde, ebenfalls grunderwerbsteuerbefreit sein. . . .
Das FG habe auch den Sachverhalt nicht genügend ermittelt, wenn es davon ausgehe, daß vor der Modernisierung mehrere Mietwohnungen geschaffen worden sind. Tatsächlich sei das Haus durch Errichtung dünner Zwischenwände in fünf Wohnungen aufgeteilt worden, die in baulicher und sanitärer Hinsicht unzureichend ausgestattet gewesen seien mit der Folge, daß lediglich eine Wohnung vermietbar und eine umfassende Modernisierung erforderlich gewesen sei. Diese Tatsache sei entscheidungserheblich, weil die Kläger also neuen Wohnraum geschaffen hätten.
Zu Unrecht gehe das FG davon aus, daß Abriß und Neubau teuerer gewesen wären als die vorgenommene Renovierung. Tatsächlich verhalte es sich umgekehrt. Auch dies sei entscheidungserheblich, weil der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, daß eine fassadenerhaltende Modernisierung billiger und deshalb dieser Sachverhalt nicht geregelt worden sei.
Entscheidungsgründe
Der Erwerb der Miteigentumsanteile unterlag gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Schleswig-Holsteinischen GrEStG i. d. F. vom 3. Februar 1967 der Grunderwerbsteuer. Die Voraussetzungen für eine Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 bzw. Abs. 2 GrESBWG i. d. F. vom 16. September 1974 (BStBl I, 941, zuletzt geändert am 20. Dezember 1977) lagen nicht vor. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrESBWG ist von der Grunderwerbsteuer befreit der Erwerb eines unbebauten Grundstücks oder eines Grundstücks mit völlig zerstörtem Gebäude zur Errichtung von steuerbegünstigten Wohnungen und gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrESBWG der Erwerb eines Grundstücks mit zu mindestens 50 v. H. beschädigtem Gebäude. Als unbebaut gilt gemäß § 1 Abs. 2 GrESBWG ein Grundstück, wenn der Erwerber oder der Bauherr das darauf stehende Gebäude bis zum Kellergeschoß abreißt.
Zu Unrecht hat allerdings das FG der Klage schon deshalb den Erfolg versagt, weil die Kläger nicht die in § 6 Abs. 2 GrESBWG vorgesehene Bescheinigung vorgelegt haben; denn für die materiell vorläufige Befreiung des Erwerbsvorgangs von der Grunderwerbsteuer ist nach § 6 Abs. 1 GrESBWG lediglich erforderlich, daß der Erwerber dem zuständigen FA eine schriftliche Erklärung einreicht, aus der sich ergibt, daß es sich um einen steuerbegünstigten Erwerb i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Gesetzes handelt, wenn die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Befreiungsvorschrift erfüllt sind. Die in § 6 Abs. 2 GrESBWG vorgesehene Bescheinigung ist demgegenüber zum Nachweis dafür vorzulegen, daß die Wohnungen errichtet sind und den Vorschriften der Wohnungsbaugesetze für die Inanspruchnahme der Grundsteuervergünstigung entsprechen; sie ist deshalb allein im Zusammenhang mit einer eventuell gebotenen Nacherhebung der Steuer nach § 7 GrESBWG von Bedeutung. Soweit das FG darüber hinaus auch das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 2 i. V. m. Abs. 2 GrESBWG verneint hat, ist die Entscheidung nicht zu beanstanden. Die Kläger haben weder Miteigentumsanteile an einem unbebauten Grundstück, noch an einem Grundstück mit einem völlig zerstörten Gebäude erworben, noch die aufstehende Jugendstilvilla bis zum Kellergeschoß abgerissen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 GrESBWG). Das Gebäude war auch nicht zu mehr als 50 v. H. beschädigt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 GrESBWG); denn zu mehr als 50 v. H. beschädigt ist ein Gebäude nur dann, wenn die Gebäudesubstanz im Zeitpunkt des Erwerbs schadhaft ist (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 1982 II R 180/80, BFHE 135, 346, BStBl II 1982, 415).
Eine über den möglichen Wortsinn des Gesetzes hinausgehende Ausdehnung des gesetzlichen Tatbestandes auf andere Sachverhalte ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig, die im Streitfall nicht vorliegen. Voraussetzung für eine ergänzende Rechtsfortbildung ist, daß die gesetzliche Regelung eines bestimmten Sachbereichs keine besondere Bestimmung für eine Frage enthält, die nach dem gesetzlichen Grundgedanken und dem inneren System des jeweiligen Gesetzes hätte mitgeregelt werden müssen. Keine Regelungslücke in diesem Sinne liegt vor, wenn rechtspolitisch eine entsprechende Regelung nur wünschenswert wäre (vgl. ausführlich BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111, 329, BStBl II 1974, 295, 297). § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GrESBWG betreffen nur den Erwerb unbebauter Grundstücke bzw. solcher Grundstücke, bei denen die aufstehende Gebäudesubstanz zu mindestens 50 v. H. beschädigt ist, zur Errichtung oder Fertigstellung eines steuerbegünstigten Gebäudes, mithin zum Neubau und Wiederaufbau von Wohnungen. Die in Abs. 2 zur Klarstellung (ausdrücklich Landtags-Drucksache Nr. 642, IV. Wahlperiode 1958) nach dem Urteil des BFH in BFHE 71, 179, BStBl III 1960, 315 getroffene Regelung, daß als unbebaut ein Grundstück auch gilt, wenn das aufstehende Gebäude abgerissen wird, hält sich ausdrücklich innerhalb der in § 1 Abs. 1 tatbestandlich begrenzten Zielsetzung der Neubauförderung. Eine erweiternde Auslegung auf andere Zielsetzungen, wie die Verbesserung der Qualität von Wohnungen, ist nicht zulässig. Auch der Umstand, daß durch das ModEnG (i.d.F. vom 12. Juli 1978, BGBl I, 993) Modernisierungsförderung als gemeinsame Länder- und Bundesaufgabe in Form verschiedener Förderungsarten (wie Darlehen, Steuern, Gebührenbegünstigung) gesetzlich konkretisiert wurde, rechtfertigt keine andere Auffassung. Zwar ist als Folge des ModEnG § 17 Abs. 1 Satz 2 II. WoBauG mit der Grundsteuerbegünstigung für bestimmte Modernisierungsaufwendungen eingeführt worden. Eine Erweiterung des Katalogs der Grunderwerbsteuerbegünstigungen auf Erwerbe zur Modernisierung von Wohnungen ist im GrESBWG jedoch nicht erfolgt.
Die Kläger konnten sich auch nicht mit Erfolg unter Hinweis auf Art. 3 des Grundgesetzes (GG) darauf berufen, in anderen Bundesländern werde mit Rücksicht auf die Zielsetzung des § 17 II. WoBauG in der Praxis auch der Erwerb bebauter Grundstücke zur Modernisierung von Wohnungen grunderwerbsteuerbegünstigt; denn selbst wenn andere Bundesländer andere wohnungsbaupolitische Zielsetzungen mit einer zusätzlichen Grunderwerbsteuerbefreiung ausgestattet hätten, bliebe dem einzelnen Landesgesetzgeber überlassen, welche Erwerbszwecke er mit einer Grunderwerbsteuerbefreiung ausstattet (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 16. März 1983 I BvR 1077/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1983, 227 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch den Beschluß vom 14. Juni 1983 1 BvR 1691, 82, Der Betrieb - DB - 1983, 1681).
Soweit die Kläger mit der Revision ungenügende Sachverhaltsermittlung rügen, weil
1. das FG zu Unrecht davon ausgegangen sei, die Kosten für einen Neubau seien geringer als die Modernisierungs- und Renovierungskosten und
2. keine Feststellungen über den sanitären und baulichen Zustand der Wohnungen getroffen habe, sind die Verfahrensrügen unbegründet. Zu den Voraussetzungen für eine Rüge mangelnder Sachaufklärung gehört u. a., daß die behaupteten aufgrund der Ermittlung zu erwartenden Ergebnisse nach materiellem Recht entscheidungserheblich sind (z. B. BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489, 493). Dies ist jedoch nicht der Fall, denn, wie ausgeführt, ist die Frage, ob i. S. des § 17 II. WoBauG neuer grundsteuerbegünstigter Wohnraum geschaffen wurde, für die Grunderwerbsteuerbefreiung des § 1 GrESBWG ohne Bedeutung (vgl. auch Urteil in BFHE 135, 346, 348, BStBl II 1982, 415).
Fundstellen
Haufe-Index 414459 |
BFH/NV 1987, 531 |