Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Rübenkraut (Rübensirup) ist nach der Verkehrsauffassung kein landwirtschaftliches Erzeugnis.
UStG 1951 (In der für 1955 geltenden Fassung) § 7 Abs. 2 Ziff. 2 a; UStDB (in der für 1955 geltenden
Normenkette
UStG § 7/2/2/a, §§ 24, 12/2/1; UStDB § 55/5
Tatbestand
Die Bfin., die einen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, stellt in einem Nebenbetrieb Rübenkraut (Rübensirup) aus Zuckerrüben, die sie fast ausschließlich selbst angebaut hat, her. Das Rübenkraut füllt sie in Eimer oder Dosen ab und verkauft es dann in der Regel an Großhändler. Das Finanzamt unterwarf diese Umsätze dem Steuersatz von 4 v. H. Die Bfin. hingegen ist der Auffassung, die Lieferungen von Rübenkraut seien gemäß § 7 Abs. 2 Ziff. 2 a UStG 1951 (in der für den Veranlagungszeitraum 1955 geltenden Fassung) mit dem Steuersatz von 1,5 v. H. zur Umsatzsteuer heranzuziehen. Rübenkraut stelle ein landwirtschaftliches Erzeugnis dar.
Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht schloß sich der Auffassung des Finanzamts an und verneinte ebenfalls die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Nach seiner Ansicht, zu der das Finanzgericht unter anderem auf Grund von drei schriftlichen Gutachten gekommen ist, ist "eine einheitliche Verkehrsauffassung über die umsatzsteuerliche Eigenschaft des Rübenkrautes als landwirtschaftliches oder als industrielles Erzeugnis nicht gegeben".
Mit der Rb. rügt die Bfin. unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Nach § 7 Abs. 2 Ziff. 2 Buchst. a a. a. O. ermäßigt sich die Umsatzsteuer auf 1,5 v. H. für die Lieferungen von Gegenständen, die innerhalb eines landwirtschaftlichen Betriebs im Inland erzeugt werden, soweit der Erzeuger sie selbst liefert. Voraussetzung für die Anwendung dieses ermäßigten Steuersatzes ist gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 UStDB 1951 (in der für 1955 geltenden Fassung), daß der gelieferte Gegenstand nach der Verkehrsauffassung als landwirtschaftliches Erzeugnis anzusehen ist. Die Beurteilung der Frage, ob im einzelnen Falle ein Gegenstand nach der Verkehrsauffassung als landwirtschaftliches Erzeugnis anzusehen ist, fällt im wesentlichen in das Gebiet der Tatsachenfeststellung und - würdigung. Daher ist der Senat gemäß §§ 288, 296 AO an die Feststellung der Verkehrsauffassung des Finanzgerichts gebunden, falls nicht die Vorentscheidung insoweit gegen den Inhalt der Akten oder gegen die Denkgesetze verstößt. Zutreffend hat das Finanzgericht die Gutachter aus den Kreisen gewählt, in denen sich die Auffassung des Verkehrs über Rübenkraut feststellen läßt, falls sich überhaupt eine allgemeine Verkehrsauffassung darüber, ob Rübenkraut als landwirtschaftliches oder industrielles Erzeugnis anzusehen ist, gebildet hat. Die Verkehrsauffassung über ein Erzeugnis entsteht grundsätzlich bei den Abnehmern des Produkts. Das sind im vorliegenden Falle die Lebensmittelgroß- und - einzelhändler sowie die Verbraucher. Geht man somit davon aus, daß Bedenken gegen die Wahl geeigneter Gutachter durch das Finanzgericht nicht bestehen, so ist weiterhin zu beachten, daß die Ausführungen der Gutachter keine Anhaltspunkte dafür erkennen lassen, sie hätten sich bei der Abfassung der Gutachten von sachfremden Erwägungen oder rechtsirrigen Schlußfolgerungen leiten lassen. Das Finanzgericht konnte daher mit Recht auf Grund der erstatteten Gutachten zu dem Ergebnis kommen, daß eine einheitliche Auffassung darüber, ob Rübenkraut ein landwirtschaftliches oder ein industrielles Erzeugnis ist, bei den Abnehmern nicht besteht.
Der Senat vermag demgegenüber der Bfin. nicht zu folgen, wenn diese vorträgt, das Finanzgericht habe dem Umstand, daß die von der Vorsitzenden des Hausfrauenbundes befragten Hausfrauen sofort geantwortet hätten, Rübenkraut sei ein landwirtschaftliches Erzeugnis, zu Unrecht keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Das Finanzgericht hat vielmehr zutreffend diese äußerungen der Hausfrauen unbeachtet gelassen. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn das Finanzgericht als maßgebend angesehen hat, daß die überwiegende Mehrheit der befragten Frauen ihre sofortige Stellungnahme berichtigte, weil sie nach einigem überlegen berücksichtigten, daß nach ihrer Erfahrung in der Landwirtschaft hergestelltes Rübenkraut nicht in den Handel komme. Diese auf der Erfahrung der Hausfrauen beruhende Folgerung wird durch die auch sonst allgemein im Verkehr anzutreffende Meinung gestützt, nach der Gegenstände, die regelmäßig von Fabriken in den Handel gebracht werden, auch dann nicht als landwirtschaftliches Erzeugnis gelten, wenn die Fabrikanten sie fast ausschließlich aus von Landwirten bezogenen Erzeugnissen fertigstellen. Berücksichtigt man weiter, daß die übrigen beiden Gutachten zeigen, in den Kreisen der Lebensmittelhändler bestünden unterschiedliche Auffassungen über die hier zu erörternde Frage, so läßt die vom Finanzgericht getroffene Feststellung keinen Denkfehler erkennen. Mit Recht hat das Finanzgericht bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung die persönlichen Verhältnisse der Bfin. und die besondere Gestaltung ihres Betriebes unberücksichtigt gelassen. Die Verkehrsauffassung kann sich immer nur auf Grund der normalen und allgemein üblichen Verhältnisse bilden. Da die vom Finanzgericht gezogene Folgerung keinen Rechtsirrtum und keinen Verstoß gegen den wesentlichen Akteninhalt erkennen läßt, ist somit der Senat an diese Feststellung des Finanzgerichts gebunden.
Ist deshalb davon auszugehen, daß die Verkehrsauffassung Rübenkraut nicht als landwirtschaftliches Erzeugnis ansieht, dann hat das Finanzgericht zu Recht die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes verneint. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 a. a. O. sind bereits dann nicht erfüllt, wenn eine Verkehrsauffassung darüber, daß der in Betracht kommende Gegenstand ein landwirtschaftliches Erzeugnis ist, nicht gegeben ist. Nicht erforderlich ist für die Nichtanwendung dieser Vorschrift, daß die Verkehrsauffassung den Gegenstand für ein industrielles Erzeugnis hält.
Fundstellen
Haufe-Index 410480 |
BStBl III 1962, 297 |
BFHE 1963, 81 |
BFHE 75, 81 |