Leitsatz (amtlich)
Zur ordnungsmäßigen Erhebung der Klage gehört in aller Regel, daß die Klageschrift vom Verfasser eigenhändig unterschrieben ist. An Stelle der eigenhändigen Unterschrift genügen andere Innerhalb der Klagefrist vorliegende Umstände nur dann, wenn sie im gleichen Ausmaß wie die Unterschrift geeignet sind, Klarheit über den Verfasser der Klage und über dessen Willen zu vermitteln, den Schriftsatz für den Rechtsverkehr freizugeben. Lediglich die Verwendung des Kopfbogens einer bevollmächtigten Anwaltssozietät und die namentliche Angabe des Verfassers in Maschinenschrift unter dem Text der Klage ersetzen die eigenhändige Unterschrift nicht.
Normenkette
FGO § 64 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtiger) wurde als Geschäftsführer einer GmbH vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA –) durch Bescheid vom 4. Februar 1965 zur Haftung für die Umsatzsteuer 1963 der GmbH herangezogen. Sein Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage auf Aufhebung des Bescheids durch Prozeßurteil abgewiesen, weil auf der am 29. Dezember 1967 eingegangenen Klageschrift anstelle der eigenhändigen Unterschrift der Name des Prozeßbevollmächtigten (Rechtsanwalt Dr. S.) lediglich in Maschinenschrift vermerkt war. Das FG hat dazu im wesentlichen ausgeführt: Die schriftliche Erhebung der Klage nach § 64 Abs. 1 FGO verlange nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich die eigenhändige Unterzeichnung der Klageschritt durch den Kläger oder seinen Prozeßbevollmächtigten. Dieses Signum allein schaffe – abgesehen von den von anderen in der Rechtsprechung anerkannten, hier aber nicht in Frage stehenden Merkmalen – die erforderliche Klarheit darüber, daß das Schriftstück vom Kläger oder seinem Bevollmächtigten stamme sowie mit dessen Wissen und Willen beim Gericht eingegangen sei und daß es sich nicht nur um einen Entwurf handle. Insbesondere wenn die Klage aus einer Anwaltskanzlei stamme, lasse das Fehlen der eigenhändigen Unterschrift vermuten, daß der bearbeitende Anwalt die Verantwortung für den Schriftsatz nicht übernommen habe. Eine Heilung des Mangels durch Erklärungen und Nachweise, die nach Ablauf der Klagefrist eingereicht würden, sei nicht möglich.
Gegen diese Entscheidung hat der Steuerpflichtige Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen. Er führt dazu aus: Die Rechtsprechung des BFH, auf die sich das FG berufen habe, könne nicht aufrechterhalten werden. Das Erfordernis der Schriftlichkeit für die Klage in § 64 Abs. 1 FGO bedeute nicht, daß die Klage eigenhändig unterzeichnet sein müsse. Es genüge vielmehr, wenn die Klarheit, die das FG für wesentlich erachte, auf andere Weise gewonnen werden könne. Diese Auffassung setze sich sowohl in der Gesetzgebung (§ 238 Abs. 1 Satz 2 AO n. F.) wie in der Literatur (Kohlbrügge in Deutsches Verwaltungsblatt 1961 S. 536 – DVBl 1961, 536 –; Späth in Steuerrechtsprechung in Karteiform – StRK –, Finanzgerichtsordnung, § 64, Rechtssprüche 5 und 6, sowie § 120, Rechtsspruch 37) als auch in der Rechtsprechung (Bundesverwaltungsgericht – BVerwG – in DVBl 1970, 278; Bundessozialgericht – BSG – in Monatsschrift für Deutsches Recht 1966 S. 90 – MDR 1966, 90 –, und Bundesverfassungsgericht – BVerfG – in Neue Juristische Wochenschrift 1963 S. 755 – NJW 1963, 755 –)immer stärker durch. Im vorliegenden Falle habe es nicht zweifelhaft sein können, daß die Klage vom Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. S., verlaßt worden und mit dessen Willen in den Einlauf des Gerichts gelangt sei, da dessen Name im Kopf des Schriftsatzes vorgedruckt und am Ende des Textes maschinenschriftlich vermerkt gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß durch eine – nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten erklärte – Klage, die dem Erfordernis der Schriftlichkeit nach § 64 Abs. 1 FGO nicht genügt, die Klagefrist von einem Monat (§ 47 Abs. 1 FGO) nicht gewahrt wird. Der Mangel kann nicht durch spätere Erklärungen geheilt werden (BFH-Urteil III R 86/68 vom 29. August 1969, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 97 S. 226, 231 f, – BFH 97, 226, 231 f. –, BStBl II 1970, 89; BVerwG-Beschluß VI B 2 u. 7.61 vom 27. Oktober 1961, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 13 S. 141 – BVerwGE 13, 141), es sei denn, daß nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Nachholung einer ordnungsmäßigen Klageerhebung anerkannt werden kann.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, auf die das FG im angefochtenen Urteil Bezug genommen hat und die in neueren Urteilen aufrechterhalten wurde (vgl. Urteile III 32/70 vom 18. Dezember 1970, BFH 101, 349, BStBl II 1971, 329, und III R 127/69 vom 15. Januar 1971, BFH 101, 475, BStBl II 1971, 397), genügt es für die ordnungsmäßige Klageerhebung nicht, daß der notwendige Inhalt einer Klage (§ 65 Abs. 1 FGO) rechtzeitig (§ 47 Abs. 1 FGO) in einem Schriftsatz dem Gericht unterbreitet wird; vielmehr muß in aller Regel hinzutreten, daß der Schriftsatz vom Verfasser eigenhändig unterschrieben ist. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, nach der Rechtsprechung des BFH und nach Auffassung des Senats gerechtfertigt, wo andere innerhalb der Klagefrist vorliegende Umstände in gleichem Ausmaß, wie es durch eigenhändige Unterschrift hätte geschehen können, dem Gericht die Klarheit über den Urheber der nicht unterzeichneten Klageschrift und über dessen Willen vermitteln, den Schriftsatz für den Rechtsverkehr freizugeben. So hat der BFH in ständiger Rechtsprechung die telegrafische Einlegung der Klageschrift anerkannt; er bat auch zustimmend zur Auffassung des BVerfG in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 15 S. 288 [291] geäußert, daß ein eigenhändig unterschriebenes Begleitschreiben zu einem nicht unterschriebenen bestimmenden Schriftsatz geeignet sein könne, die Schriftlichkeit des Schriftsatzes im Sinne des Prozeßrechts herbeizuführen (BFH-Urteil III R 86/68 vom 29. August 1969, BFH 97, 226, BStBl II 1970, 89). Auch das BVerwG, das seit der Entscheidung seines Großen Senats vom 15. Juni 1959 (BVerwGE 10, 1) an der eigenhändigen Unterschrift für bestimmende Schriftsätze nicht mehr unbedingt festhält (vgl. dazu die Kritik von Ule in DVBl 1961, 180), ist der Auffassung, daß bei Fehlen der Unterschrift dem Erfordernis der Schriftlichkeit nur dann genügt ist, wenn auf andere Weise der Ausschluß einer Manipulation gewährleistet und dem Bedürfnis der Rechtssicherheit genügt sei. Es stützt diese Überzeugung auf die Erwägung, daß das Erfordernis der Schriftlichkeit die eigenhändige Unterzeichnung nicht um ihrer selbst willen, sondern nur deshalb einschließe, weil in aller Regel allein die eigenhändige Unterschrift die Verläßlichkeit der Eingabe sicherstelle (BVerwG-Urteil IV C 119/68 vom 25. November 1970, MDR 1971, 330).
Nach Auffassung des Senats entspricht die Klageschrift des vorliegenden Falles vom 27. Dezember 1967 diesen Anforderungen nicht. Dieser Schriftsatz, der nur in knapper Form den in § 65 Abs. 1 FGO vorgeschriebenen oder empfohlenen Inhalt hat, könnte insbesondere – zumal er aus der Kanzlei einer größeren Anwaltssozietät stammt – für den zur Unterschrift berechtigten Anwalt durch einen anderen lediglich entworfen und aufgrund eines Kanzleiversehens abgesandt worden sein, ohne daß er zur Kenntnis eines vertretungsberechtigten Anwalts gelangt war, oder könnte, wenn er auch vom maschinenschriftlich bezeichneten Anwalt Dr. S. diktiert worden war, ohne dessen Willen zur Post gegeben worden sein. Hätte diese gedachte Lage tatsächlich bestanden, so hätte sich der Steuerpflichtige – wenn die Sache trotzdem vor Gericht als rechtshängig behandelt worden wäre – etwa gegenüber einer Verurteilung in die Kosten des Verfahrens mit Erfolg darauf berufen können, daß keine ordnungsgemäße Klage erhoben worden sei. Diese Überlegung zeigt, daß die Merkmale, die der Steuerpflichtige für das Erfordernis der Schriftlichkeit seiner Klage genügen lassen will, nicht in demselben Grade die von einer Klageschrift zu fordernde Klarheit über Urheberschaft und über den Willen des Urhebers, die Klage bei Gericht einzureichen, herbeizuführen geeignet sind, wie die eigenhändige Unterschrift.
Das FG hat die Klage daher mit Recht gemäß § 64 Abs. 1 FGO als förmlich unzureichend behandelt. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß der erkennende Senat im vorliegenden Falle weder von einer Entscheidung des BFH noch von einer solchen des BVerwG abweicht. Es besteht deshalb kein Anlaß, die Sache entsprechend der Anregung des Steuerpflichtigen gemäß § 11 Abs. 3 FGO dem Großen Senat des BFH oder gemäß § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (Bundesgesetzblatt I S. 661) dem Gemeinsamen Senat vorzulegen.
Zutreffend hat das FG auch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Dabei ist zwar entgegen der Auffassung des FG nicht maßgebend, daß Wiedereinsetzung gemäß § 56 FGO nur bei Fristversäumung gewährt werden kann, hier aber die Klage wegen eines Formfehlers unzulässig ist. Denn in solchen Fällen versäumt der Kläger stets auch die Frist zur Einreichung einer ordnungsmäßigen Klage. Es kann ihm daher grundsätzlich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 56 FGO Wiedereinsetzung gewährt werden. Der Auffassung des VI. Senats des BFH im Urteil VI R 230/68 vom 20. Februar 1970 (BFH 98, 233, BStBl II 1970, 329), auf die sich das FG gestützt hat, kann insoweit nicht zugestimmt werden. Die Wiedereinsetzung war jedoch entsprechend den weiteren Ausführungen des FG deshalb nicht möglich, weil innerhalb der Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO die ordnungsmäßige Klage nicht nachgeholt wurde, für die Wiedereinsetzung aber die Nachholung der versäumten Rechtsbehandlung innerhalb dieser Frist eine unabdingbare Voraussetzung ist.
Die Revision muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden.
Fundstellen
BFHE 106, 4 |
BFHE 1972, 4 |
NJW 1973, 80 |