Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Abzinsung bei der Bildung von Rückstellungen für Rekultivierungskosten, Einplanierungskosten und Abbruchkosten für Gebäude eines Steinbruchunternehmens.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Streitig ist die Höhe von Rückstellungen, die die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GmbH, die ein Steinbruchunternehmen betreibt - für Rekultivierungskosten bzw. Einplanierungskosten in Steinbrüchen und in einer Kalkspatgrube sowie für Abbruchkosten für Gebäude in ihren Bilanzen für die Streitjahre (1960 bis 1965) gebildet hat.
1. Den Steinbruch W. nutzt die Klägerin aufgrund einer ihr vertraglich bestellten, im Grundbuch eingetragenen beschränkten persönlichen Dienstbarkeit. Sie ist verpflichtet, die zur Steingewinnung nicht mehr nutzbaren Flächen zu rekultivieren. Die Rekultivierung muß für die gesamte Fläche bis zum 31. Dezember 2030 abgeschlossen sein. Die Rückstellung für sie betrug am 31. Dezember 1960 = 84 000 DM und wurde bis zum 31. Dezember 1965 auf 121 000 DM erhöht. An diesem Tage waren 8 250 qm Ödland und 9 953 qm Wege und Verarbeitungsplätze (= 18 203 qm) ausgebeutet. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erkannte für alle sechs Streitjahre nur 84 000 DM als angemessen an. Das FA berechnete die Rückstellung zum 31. Dezember 1965 für die Ödlandfläche (abgezinst mit 5,5 v. H. auf 15 Jahre) mit 36 954 DM, für die Wege und Verarbeitungsplätze (abgezinst mit 5,5 v. H. auf 50 Jahre) mit 6 843 DM (= 43 797 DM), beließ es indes bei der Rückstellung in Höhe von 84 000 DM, da es sie in dieser Höhe bereits für frühere Jahre anerkannt hatte und sich mit Rücksicht auf Treu und Glauben an diesen Betrag gebunden ansah.
2. Den Steinbruch Z. betreibt die Klägerin als Pächterin. Die Pachtzeit endet am 31. Dezember 1987. Die Klägerin ist verpflichtet, nach Beendigung des Pachtverhältnisses den noch vorhandenen Abraum einzuplanieren. Bis zum 31. Dezember 1965 waren 2 900 qm ausgebeutet. Die Rückstellung zur Erfüllung dieser Verpflichtung betrug am 31. Dezember 1960 und 1961 jeweils 23 200 DM, am 31. Dezember 1962 bis 1965 jeweils 29 000 DM. Das FA ging demgegenüber - bezogen auf den 31. Dezember 1965 - von Kosten in Höhe von 5 DM je ausgebeuteter Fläche aus und bemaß die Rückstellung (abgezinst mit 5,5 v. H. auf 22 Jahre) auf 4 232 DM. Diesen Wertansatz legte es auch der Steuerberechnung für die Streitjahre 1960 bis 1964 zugrunde, da für diese Jahre die Größe der jeweils abgebauten Fläche nicht festlag.
3. Auch die Kalkspatgrube A. betreibt die Klägerin aufgrund von Pachtverträgen. Diese haben eine durchschnittliche Laufzeit bis zum 31. Dezember 1980. Aufgrund der Verträge trifft die Klägerin für die über Tage abgebauten Flächen eine Rekultivierungsverpflichtung, hinsichtlich des unter Tage abgebauten Kalkspats die Verpflichtung, die Schächte aufzufüllen und mit Stahlbetondeckeln zu verschließen. Die Klägerin hatte in ihren Handelsbilanzen ursprünglich keine Rückstellung gebildet. Nach einem von ihr eingeholten Kostenvoranschlag betragen die zu erwartenden Kosten 160 214 DM. Dem Stand des Abbaus des Vorkommens gemäß verfolgte die Klägerin vor dem FG die Anerkennung einer Rückstellung von 45 v. H. aus 160 214 DM (= 72 100 DM) für alle sechs Streitjahre, während das FA die Rückstellung - beginnend für das Jahr 1960 mit 5 000 DM und von Jahr zu Jahr um 5 000 DM steigernd (bis zum 31. Dezember 1964 = 25 000 DM) - schätzte.
4. In B. unterhält die Klägerin auf Pachtgelände Betriebsgebäude, die nach dem Vertrag bei Pachtende (am 31. Dezember 2030) abgebrochen werden müssen. Da der Steinbruch indes noch vor Ende der Pachtzeit ausgebeutet sein wird, schätzt die Klägerin den Abbruchszeitpunkt auf das Jahr 2005. Die Abbruchkosten schätzen die Beteiligten übereinstimmend auf 100 000 DM. Die Klägerin bemaß die Rückstellung für die Streitjahre auf 18 000 DM, 21 000 DM, 24 000 DM, 27 000 DM, 30 000 DM und 34 500 DM, während das FA sie zum 31. Dezember 1965 (abgezinst mit 5,5 v. H. auf 40 Jahre) mit 2 350 DM errechnete, es jedoch für die Streitjahre angesichts seines früheren Verhaltens bei einem Ansatz von 15 000 DM beließ.
Einspruch und Klage blieben in diesen Punkten ohne Erfolg. Das FG führte aus:
Die Klägerin habe aufgrund der von ihr abgeschlossenen Verträge neben den in Rede stehenden Verpflichtungen in erster Linie laufende, sich nach dem Abbau bemessende Leistungen zu erbringen. Die Rekultivierungs- und Auffüllungsverpflichtungen seien deshalb als Nebenleistungen mit ihrem Barwert (= Teilwert) zu bemessen und dieser angesichts der jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte auf den Gegenwartswert abzuzinsen (Urteil des BFH vom 12. März 1964 IV 456/61 U, BFHE 80, 138, BStBl III 1964, 525). Auf das BFH-Urteil vom 27. November 1968 I 162/64 (BFHE 94, 383, BStBl II 1969, 247) - betreffend die Entfernungsverpflichtung eines Elektrizitätsunternehmens - könne sich die Klägerin für ihre gegenteilige Auffassung nicht berufen, da im Streitfalle ihre Verpflichtungen zutreffend mit dem Wert errechnet worden seien, den sie an den jeweiligen auf Jahre hinausgeschobenen Fälligkeitszeitpunkten haben würden. Auch die Klägerin würde im Falle des etwaigen Verkaufs ihres Betriebes diese zum Teil erst in 50 Jahren zu erfüllenden Verpflichtungen den Aktiven nicht mit dem Nennwert gegenüberstellen, sondern mit ihrem abgezinsten Wert.
Zwar sei der Wert derartiger Verpflichtungen mit weit hinausgeschobenem Fälligkeitszeitpunkt in der Regel nur schätzungsweise zu ermitteln und deshalb der Versuch einer Verfeinerung dieses Schätzwerts durch den Abzug von Zwischenzinsen wenig überzeugend. Im Streitfalle sei jedoch dieser Wert (als Ausgangswert) unter Beachtung aller für den jeweiligen Bilanzstichtag verfügbaren Daten ermittelt worden, so daß die für grobe Schätzungen vertretene Auffassung der Unzulässigkeit einer Abzinsung hier nicht Platz greife. Zukünftige Preisveränderungen könnten nur berücksichtigt werden, sofern sie sich bereits am Bilanzstichtag konkret abzeichneten.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, sie für die Streitjahre 1960 bis 1965 jeweils von Körperschaftsteuerbeträgen in Höhe von 7 481 DM, 4 410 DM, 16 170 DM, 6 370 DM, 5 880 DM und 4 804 DM freizustellen, hilfsweise die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Zur Begründung trägt sie vor:
Verfahrensrechtlich werde mangelnde Sachaufklärung gerügt. Das FG habe als Ausgangswerte für die Berechnung der Rückstellung für die Verpflichtungen der Klägerin diejenigen Werte angesehen, die sich nach Maßgabe der im Einvernehmen mit dem FA angenommenen Preise für Arbeit und Material ergeben hätten. Das FG habe die Bedeutung dieser Berechnung nicht aufgeklärt. Es habe sich dabei "um Werte zur Zeit der jeweiligen Bilanzierung" gehandelt. Es unterliege indessen keinem Zweifel, daß die Ausgangswerte - als die tatsächlich anfallenden Kosten für Arbeit und Material im Zeitpunkt der Erfüllung dieser Verpflichtungen - auch nicht annähernd zu ermitteln seien. Bereits zur Zeit der mündlichen Verhandlung vor dem FG sei zu übersehen gewesen, daß die von der Klägerin in den Streitjahren gebildeten Rückstellungen zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen nicht ausreichen würden.
Es widerspreche aber auch dem materiellen Recht, als Rückstellungen für künftige Aufwendungen einen abgezinsten Betrag anzusetzen, wenn feststehe, daß die künftigen Aufwendungen mit Sicherheit höher sein würden als der schon am Bilanzstichtag feststehende, nicht abgezinste Betrag dieser Kosten.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Den im Streitfall zu bildenden Rückstellungen liegen dem Grunde nach gewisse, der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeiten zugrunde. Für die Bewertung dieser Rückstellungen gelten die Grundsätze für die Bewertung von Verbindlichkeiten (BFH-Urteil vom 19. Januar 1972 I 114/65, BFHE 104, 422 [429 f.], BStBl II 1972, 392 [394]). Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen, d. h. mindestens mit den Anschaffungskosten, sonst mit ihrem höheren Teilwert. Was dies im einzelnen bedeutet, läßt sich nur nach der Eigenart der jeweiligen Verbindlichkeit bestimmen.
a) Bei der Bewertung der Rückstellungen für die Verpflichtungen zur Rekultivierung bzw. Einplanierung ausgebeuteter Grundstücke besteht die Schwierigkeit, die in einem erst weit in der Zukunft liegenden Zeitpunkt aufzubringenden Kosten (den letztlichen Erfüllungsbetrag der Schuld) auf die jeweiligen Bilanzstichtage zurückzubeziehen. Dies kann nur durch eine mehr oder weniger exakte Schätzung erreicht werden. Dabei ist auf den einzelnen Bilanzstichtag der Betrag zu ermitteln, der nach den zu diesem Zeitpunkt möglichen Erkenntnisquellen die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat. Die Wertermittlung für Rückstellungen dieser Art führt nur dann zu einem wirtschaftlich vernünftigen und wertmäßig einigermaßen gesicherten Ergebnis, wenn der Betrag der ihrem Umfang nach jährlich ohne weiteres erfaßbaren Verpflichtungen ermittelt und einer Rückstellung zugeführt wird. Entsprechend den Grundsätzen, die der erkennende Senat in seinem Urteil vom 16. September 1970 I R 184/67 (BFHE 100, 443, BStBl II 1971, 85) für sogenannte Wiederauffüllverpflichtungen entwickelt hat, ist als Rückstellung der Betrag anzusetzen, den der Steuerpflichtige nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag aufwenden müßte, um den im laufenden Wirtschaftsjahr ausgebeuteten Teil des Geländes zu rekultivieren bzw. einzuplanieren. Dieses Bewertungsverfahren berücksichtigt, in welchem Maße die Verhältnisse des einzelnen Wirtschaftsjahres für die wirtschaftliche Entstehung der ihrer Höhe nach ungewissen Schuld ursächlich waren. Es stellt außerdem auf die an den Bilanzstichtagen maßgebenden Preisverhältnisse ab. Auf diese Weise wächst der Rückstellungsbetrag nach Maßgabe der durch den Abbau im jeweiligen Wirtschaftsjahr zugewachsenen Verpflichtung so kontinuierlich an, daß sich schließlich Rückstellung und tatsächlich anfallende Kosten im Zeitpunkt der Fälligkeit im großen und ganzen decken werden.
Nach diesen Erwägungen ist für eine Abzinsung kein Raum. Abzinsung ist die Ermittlung des Bar- oder Gegenwartswerts nach der Zinseszinsrechnung für ein gegebenes Endkapital (vgl. Dr. Gablers Wirtschaftslexikon, 1. Bd., S. 71). Ohne daß sich der erkennende Senat mit der Frage der Abzinsung bei Rückstellungen allgemein zu befassen bräuchte, würde eine Abzinsung danach mindestens voraussetzen, daß der Betrag der letztlich zu erfüllenden Verbindlichkeit wenigstens annähernd geschätzt werden könnte. Dies ist bei Rückstellungen der hier in Frage stehenden Art schon im Hinblick auf die nicht abzusehende Preisentwicklung in den Jahren bis zur Erfüllung der Verbindlichkeiten schlechterdings ausgeschlossen. Außerdem führt die allmähliche Ansammlung des Schuldbetrags zu einem ähnlichen Ergebnis, wie es dem Abzinsungsgedanken entspricht (BFH-Urteil I 162/64).
b) Für die Rückstellung, die die Klägerin wegen ihrer Verpflichtung zum Abbruch der Betriebsgebäude zu bilden hat, gilt gleichfalls, daß die letztlich aufzuwendenden Abbruchkosten auch nicht annähernd vorausgesehen werden können. Indes entfällt hier die Möglichkeit, die Ermittlung des jährlichen Zuführungsbetrags zur Rückstellung an einem bereits geschaffenen Zustand (wie z. B. dem Umfang der Ausbeute bei den übrigen, hier streitigen Verpflichtungen) auszurichten. Entscheidend für die Bemessung der Rückstellung muß aber auch hier sein, in welchem Umfang das einzelne Wirtschaftsjahr für die Entstehung der Verbindlichkeit im wirtschaftlichen Sinne ursächlich ist. Danach sind zunächst die Kosten zu errechnen, die nach den Preisverhältnissen des Bilanzstichtages erforderlich wären, um den Abbruch vorzunehmen. Nur so kann für den jeweiligen Bilanzstichtag ein einigermaßen zuverlässiger Ausgangswert gewonnen werden. Von dem so ermittelten Wert ist derjenige Betrag abzuziehen, der bereits für frühere Bilanzstichtage der Rückstellung zugeführt wurde. Derjenige Teil des Restbetrags, der sich bei gleichmäßiger Aufteilung auf die einzelnen Jahre bis zur Erfüllung der Verbindlichkeit für das laufende Wirtschaftsjahr ergibt, ist der Rückstellung auf den Bilanzstichtag zuzuführen.
Auch bei dieser Bewertungsmethode entfällt eine Abzinsung. Denn die Tatsache, daß die Abbruchsverpflichtung in einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt zu erfüllen ist, wird auch hier bereits dadurch berücksichtigt, daß der Wert der Verpflichtung nicht mit ihrem Endbetrag, sondern mit einem geringeren zeitanteiligen Wert angesetzt wird (BFH-Urteil I 162/64).
2. Die Feststellungen des FG lassen es nicht zu, zu beurteilen, ob die von der Klägerin gebildeten Rückstellungen durchweg den oben dargestellten Grundsätzen entsprechen, insbesondere, ob bei der Bemessung der den Rückstellungen zuzuführenden Beträge folgerichtig von den Preisverhältnissen des Bilanzstichtages ausgegangen worden ist. Zur abschließenden Klärung dieser Frage geht die Sache an das FG zurück. Zu dem von der Klägerin vorgebrachten Verfahrensmangel (mangelnde Sachaufklärung des FG in bezug auf die angesetzten Ausgangswerte) braucht der Senat unter diesen Umständen nicht Stellung zu nehmen. Die Beteiligten erlangen durch die Zurückverweisung Gelegenheit zu neuem tatsächlichem Vorbringen (§ 100 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 71373 |
BStBl II 1975, 480 |
BFHE 1975, 218 |