Leitsatz (amtlich)
Zahlt ein Darlehensschuldner im Einvernehmen mit dem Gläubiger ein zu Beginn des Jahres in Anspruch genommenes Darlehen am Ende eines Kalenderjahres zurück und wird das Darlehen aufgrund einer schon bei der Rückzahlung zwischen Darlehensschuldner und Darlehensgläubiger getroffenen Vereinbarung zu Beginn des folgenden Jahres erneut gewährt und ausbezahlt, so kann darin eine mißbräuchliche Umgehung des § 8 Nr.1 GewStG liegen.
Orientierungssatz
Ein Rechtsmißbrauch (§ 6 StAnpG, § 42 AO 1977) liegt dann vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 § 42; StAnpG § 6; GewStG § 8 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die ... Erzeugnisse herstellt und vertreibt. Sie hatte sich im Mai 1975 von der X-Stiftung, die von dem inzwischen verstorbenen früheren Alleininhaber der Klägerin errichtet worden war, ein Darlehen in Höhe von 100 000 DM gewähren lassen, das mit 8,5 v.H. pro Jahr verzinst werden sollte. Nach Angaben der Klägerin diente ihr der Darlehensbetrag zur Tilgung laufender Geschäftsschulden. In der Folgezeit zahlte sie die Kreditsumme jeweils am Jahresende aus eigenen Mitteln an die Darlehensgeberin zurück und erhielt den Betrag zu Beginn des folgenden Jahres wieder auf ihr Konto überwiesen. Diese Handhabung beruhte auf einer Vereinbarung, die die Klägerin und die Darlehensgeberin jeweils gegen Jahresende telefonisch getroffen und schriftlich bestätigt hatten.
Die Bewegungen auf dem Darlehenskonto stellten sich im einzelnen wie folgt dar:
Eingang Rückzahlung
Mai 1975 15.12.1975
2.1.1976 20.12.1976
6.1.1977 15.12.1977
6.1.1978.
Nach einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung kam der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) zu der Auffassung, daß die Rückzahlung der Darlehensbeträge unberücksichtigt bleiben müsse, weil es sich hierbei um einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts handle. Ein wirtschaftlich beachtlicher Grund habe --abgesehen von der beabsichtigten Steuerersparnis-- nicht bestanden; die Abwicklung der Darlehensverhältnisse jeweils zum Jahresende sei offensichtlich unangemessen. Das FA behandelte die Darlehensschulden als Dauerschulden, erhöhte bei der Festsetzung der Gewerbesteuermeßbeträge den um die Zinsen geminderten Gewinn für die Erhebungszeiträume 1976 um 8 216 DM und 1977 um 8 075 DM und verminderte den Verlustabzug aus dem Erhebungszeitraum 1975 um die für das Darlehen geschuldeten Zinsen in Höhe von 4 792 DM.
Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im wesentlichen mit folgender Begründung statt: Ein Rechtsmißbrauch bestehe nicht. Die Klägerin habe der von der Darlehensgeberin jeweils im Dezember verlangten Rückerstattung des Darlehens zugestimmt, weil sie zu diesem Zeitpunkt keinen Kreditbedarf gehabt habe und im übrigen in der Lage gewesen sei, die Kreditsumme aus eigenen liquiden Mitteln zurückzuzahlen. Es sei wirtschaftlich vernünftig und entspreche kaufmännischen Überlegungen, wenn zur Finanzierung der laufenden Geschäfte genügend eigenes Kapital zur Verfügung stehe. Es sei auch nicht zu bezweifeln, daß die Aufnahme der Darlehen jeweils in der ersten Woche der Folgejahre auf betrieblichen Gründen beruht habe. Das FA selbst habe die Eigenschaft der Darlehen als Betriebsschulden nicht in Frage gestellt und den Abzug der Zinsaufwendungen bei der Ermittlung des gewerblichen Gewinns als Betriebsausgaben zugelassen. Die Hinzurechnungen der Dauerschuldzinsen beim Gewerbeertrag seien daher rückgängig zu machen. Auf dieser Grundlage berechnete das FG antragsgemäß die einheitlichen Meßbeträge für den Gewerbeertrag der Jahre 1976 und 1977 neu.
Mit seiner (vom Senat durch Beschluß vom 10.Februar 1982 I B 83/81 zugelassenen) Revision rügt das FA Verletzung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) und des § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Klägerin teilt die Auffassung des FG.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet.
1. Das FG hat den Zusammenhang mit Schulden, die der "nicht nur vorübergehenden Stärkung des Betriebskapitals" dienen (§ 8 Nr.1 2.Alternative des Gewerbesteuergesetzes --GewStG--), mit der Begründung verneint, die Darlehensvaluta habe dem Betrieb in den Streitjahren nur jeweils vom 2.Januar bis 20.Dezember 1976 und vom 6.Januar bis 15.Dezember 1977, also weniger als 12 Monate, zur Verfügung gestanden. Dem kann nicht gefolgt werden. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des FG hat die Klägerin die Darlehensmittel zur Abdeckung laufender Geschäftsschulden verwendet. Bei Schulden dieser Art spielt die Dauer der Laufzeit eine erhebliche Rolle (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8.Februar 1984 I R 15/80, BFHE 140, 468, BStBl II 1984, 379). Die tatsächlichen Feststellungen des FG lassen nur den Schluß zu, daß die Voraussetzungen einer Steuerumgehung (§ 42 AO 1977) im Streitfall vorgelegen haben. Das FG hat die rechtliche Tragweite des Rechtsmißbrauchs nicht zutreffend erkannt.
2. Ein Rechtsmißbrauch (§ 6 des Steueranpassungsgesetzes --StAnpG--, § 42 AO 1977) liegt dann vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (vgl. BFH-Urteile vom 11.Juli 1973 I R 144/71, BFHE 109, 566, BStBl II 1973, 806, und vom 31.Juli 1984 IX R 3/79, BFHE 142, 347, BStBl II 1985, 33).
a) Das FG hat sich insbesondere auf das BFH-Urteil vom 4.August 1977 IV R 57/74 (BFHE 123, 50, BStBl II 1977, 843) gestützt, in dem der BFH unter Bezugnahme auf § 6 StAnpG ausgeführt hat, dem Mindestkredit eines Kontokorrentkreditverhältnisses mit einer Bank werde der Charakter einer Dauerschuld i.S. des § 8 Nr.1 GewStG nicht dadurch genommen, daß der Kontokorrentkredit jeweils für zwei bis drei Wochen im Jahr durch Aufnahme eines entsprechenden Kredits bei einer anderen Bank abgedeckt wird. Dem kann jedoch nicht allgemein entnommen werden, eine Steuerumgehung scheide stets schon dann aus, wenn der Steuerpflichtige für einen kurzen Zeitraum mit Eigenmitteln einen Kredit abgedeckt hat. Vielmehr hat der BFH im Zusammenhang mit anderen Rechtsvorschriften eine Steuerumgehung angenommen, wenn mit dem Ziel der Inanspruchnahme einer Steuervergünstigung kurz vor steuerrechtlich relevanten Stichtagen ohne vernünftigen wirtschaftlichen Grund einem Betrieb Mittel zugeführt und kurz darauf wieder entnommen worden sind. Dies betraf vor allem die Fälle der Steuervergünstigung wegen nicht entnommenen Gewinns (§ 10a des Einkommensteuergesetzes --EStG--; BFH-Urteile vom 24.Juni 1969 I R 174/66, BFHE 97, 415, BStBl II 1970, 205, und vom 18.Januar 1972 VIII R 125/69, BFHE 104, 419, BStBl II 1972, 344). Ähnlich liegt der vom III.Senat im Urteil vom 18.Dezember 1968 III R 71/68 (BFHE 94, 546, BStBl II 1969, 232) entschiedene Fall, in dem der III.Senat des BFH eine Steuerumgehung dann bejaht hat, wenn eine Gesellschaft kurz vor dem Bilanzstichtag Mittel entnommen und kurz danach wieder eingelegt hat.
b) Das FG hat das Vorliegen vernünftiger Gründe für die Rückzahlung der Darlehen am Ende des Jahres und für die Neugewährung zu Beginn des nächsten Jahres zu Unrecht angenommen. Zwar steht es dem Kaufmann grundsätzlich frei, in welchem Umfang und für welche Zeit er sein Unternehmen mit Fremd- oder mit Eigenmitteln finanzieren will. Wenn er einen Kredit im Einvernehmen mit dem Gläubiger zurückzahlt, weil er ihn nicht mehr benötigt, so ist dies kaufmännisch vernünftig. Im Streitfall ist das FG jedoch selbst davon ausgegangen, daß die Darlehen aufgrund eines Kapitalbedarfs der Klägerin aufgenommen worden sind. Wenn jeweils zu Beginn des Jahres ein Kapitalbedarf bestanden hat, so ist es unangemessen, wenn kurz vor dem Ende des abgelaufenen Jahres das Darlehen zurückgezahlt, jedoch zu Beginn des nächsten Jahres ein Betrag in gleicher Höhe wieder als Darlehen zur Verfügung gestellt wird. Dies gilt vor allem dann, wenn dieses Vorgehen auf einer gegenseitigen Vereinbarung von Gläubiger und Schuldner beruht.
So lagen die Dinge hier. Nach dem vom FG in Bezug genommenen Schriftwechsel waren die Vertragsparteien bereits bei Rückzahlung der Darlehen jeweils davon ausgegangen, daß entsprechende Beträge zu Beginn des nächsten Jahres wieder zurückgezahlt werden würden. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Klägerin vom 11.Dezember 1975 und dem Schreiben des Vorstandsmitglieds der Y-Bank an die Klägerin vom 23.Dezember 1976. Daß die Klägerin die Mittel dazu hatte, das Darlehen Ende der Jahre 1976 und 1977 zurückzuzahlen, schließt einen Rechtsmißbrauch ebensowenig aus, wie in den vom BFH zu § 10a EStG entschiedenen Fällen.
3. Da das FG zu Unrecht davon ausgegangen ist, die Rückzahlung der Darlehen mit eigenen Mitteln der Klägerin reiche schon aus, um einen Rechtsmißbrauch auszuschließen, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.
Aufgrund der Feststellungen des FG kann der erkennende Senat abschließend entscheiden, daß die Klägerin durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts § 8 Nr.1 GewStG umgangen hat. Der Steueranspruch ist daher so entstanden, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstanden ist (§ 42 AO 1977). Die bei der Einkommensteuer als Betriebsausgaben (§ 4 Abs.4 EStG) abgezogenen Darlehenszinsen sind gemäß § 8 Nr.1 GewStG als Dauerschuldzinsen zu erfassen. Die Klage ist als unbegründet abzuweisen (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 60985 |
BStBl II 1985, 680 |
BFHE 144, 264 |
BFHE 1986, 264 |
BB 1985, 2033-2034 (ST) |
DB 1985, 2385-2386 (ST) |
DStR 1985, 742-742 (ST) |
HFR 1986, 6-7 (ST) |