Leitsatz (amtlich)
Für Provisionsansprüche von Handelsvertretern aus vermittelten, am Bilanzstichtag aber von ihm noch nicht ausgeführten Geschäften kann der Geschäftsherr grundsätzlich keine Rückstellungen bilden.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3; HGB § 87a
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin, eine GmbH, betrieb eine Textilfabrik. Sie hatte ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr. Am Bilanzstichtag 30. Juni 1965 hatte sie für den Herbst 1965 einen Auftragsbestand von insgesamt 5 854 595 DM. Davon waren bei Aufstellung des Inventars Waren im Werte von 1 670 222 DM bereits angefertigt. Somit verblieb ein Auftragsbestand von 4 184 373 DM. Erstmals zum 30. Juni 1965 bildete die Klägerin für Provisionsansprüche ihrer Handelsvertreter aus vermittelten, aber am Bilanzstichtag noch nicht ausgeführten Geschäften eine Rückstellung. Diese berechnete sie unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen Provision von 4,27 v. H. aus 4 184 373 DM. Die Rückstellung belief sich auf 179 000 DM.
Das FA erkannte die Rückstellung nicht an. Es erhöhte entsprechend bei der endgültigen Körperschaftsteuerveranlagung 1965 das Einkommen der Klägerin. Der Einspruch blieb im Streitpunkt ohne Erfolg.
In ihrer Klage berief sich die Klägerin auf die handelsrechtlichen Vorschriften (§§ 87, 87a Abs. 3 HGB). Danach sei der Provisionsanspruch des Handelsvertreters mit der Vermittlung des Geschäfts rechtlich entstanden. § 87a Abs. 3 HGB regle nur die Fälligkeit des Anspruchs. Die Rückstellung sei richtigerweise nach den Provisionen aus dem gesamten Auftragsbestand zu berechnen. Sie sei deshalb auf 250 000 DM zu erhöhen.
Das FG wies die Klage als unbegründet zurück. Es bezog sich auf die ständige Rechtsprechung des BFH, die darauf abstelle, daß die vom Geschäftsherrn geschuldeten Provisionen dem Wirtschaftsjahr zur Last fielen, in dem sich das Lieferungsgeschäft, von dessen Erfüllung die Provisionsforderung abhängig sei, vollende. Solange das Liefergeschäft noch in der Schwebe sei, könnten Provisionsverpflichtungen nicht passiviert werden (vgl. BFH-Urteil IV 255, 256/64 U vom 3. Dezember 1964, BFHE 81, 257, BStBl III 1965, 93). Bei wirtschaftlicher Betrachtung sei es sinnvoll, das Lieferungsgeschäft und die Provisionsverpflichtung in einem einheitlichen Zusammenhang zu sehen. Es könne deshalb im Streitfall dahingestellt bleiben, ob aus § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB gefolgert werden müsse, daß der Provisionsanspruch bereits mit Abschluß des vermittelten Geschäfts entstehe oder ob nach § 87a Abs. 1 HGB erst die Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer den Anspruch des Vertreters zur Entstehung bringe.
In ihrer Revision beantragt die Klägerin die Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des berichtigten Körperschaftsteuerbescheides 1965. Sie geht davon aus, daß sie in der Vorinstanz mit Zustimmung des FA eine Bilanzänderung (§ 4 Abs. 2 des EStG) erklärt habe, durch die der Rückstellungsbetrag auf 250 000 DM erhöht worden sei. Sie ist der Auffassung, daß nicht erst die Ausführung, sondern schon der Abschluß der Liefergeschäfte für die Entstehung der Provisionsansprüche entscheidend sei. Zivilrechtlich und steuerrechtlich müßten Liefergeschäft und Vermittlungsgeschäft getrennt beurteilt werden. Während das Liefergeschäft vor der Ausführung oder Zahlung als schwebendes Geschäft nicht zu bilanzieren sei, gelte dies nicht für das Vermittlungsgeschäft des Handelsvertreters. Wenn der Unternehmer aufgrund der Vermittlung das Liefergeschäft abgeschlossen habe, seien alle Leistungen des Handelsvertreters erbracht, die zur Entstehung seines Provisionsanspruchs erforderlich seien. Nach Abschluß des Liefervertrages befinde sich das Handelsgeschäft nicht mehr in der Schwebe. Es sei einseitig, nämlich durch den Handelsvertreter erfüllt. Übrig bleibe auf seiten des Unternehmers eine Verbindlichkeit, die passiviert werden müsse. Die Möglichkeit, daß der Provisionsanspruch nach § 87a Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 HGB später unter bestimmten Voraussetzungen wegfalle, beinhalte nicht aufschiebende, sondern auflösende Bedingungen. Nach dem Abschluß des Liefergeschäfts sei der Provisionsanspruch entstanden, nur noch nicht fällig. Die Sache könne nicht anders behandelt werden als bei angestellten provisionsberechtigten Reisenden, deren Gehälter passivierungsfähig seien.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision. Es bestreitet, daß es in der Vorinstanz seine Zustimmung zu einer Bilanzänderung erteilt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
RFH und BFH haben in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz vertreten, daß der Geschäftsherr Provisionsverpflichtungen solange nicht passivieren könne, als das Lieferungsgeschäft in der Schwebe sei. Das Lieferungsgeschäft und der mit ihm in Beziehung stehende Agenturvertrag seien als einheitlicher Vorgang zu betrachten (vgl. RFH-Urteile VI 298/41 vom 18. März 1942, RStBl 1942, 562; VI 318/42 vom 24. März 1943, RStBl 1943, 449; BFH-Urteile I 79/53 U vom 21.Juli 1953, BFHE 57, 646, BStBl III 1953, 247; IV 255, 256/64 U, a. a. O.; ferner die nicht veröffentlichten Urteile IV 67/64 vom 28. September 1967 und IV 289/63 vom 20. März 1968). An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat im Ergebnis fest.
Eine Passivierung von Provisionsverbindlichkeiten für vermittelte, vom Unternehmer jedoch noch nicht ausgeführte Geschäfte kann nicht mit der Begründung begehrt werden, daß solche Provisionsschulden am Bilanzstichtag unbedingt oder nur auflösend bedingt bestanden hätten. Nach den handelsrechtlichen Vorschriften entstehen Provisionsschulden des Geschäftsherrn gegenüber seinen Handelsvertretern unbedingt erst mit der Ausführung des vermittelten Geschäfts, wenn - wie im Streitfall - keine von § 87a HGB abweichenden Vereinbarungen vorliegen. Aus dem Wortlaut des § 87a Abs. 2 HGB kann nicht hergeleitet werden, daß der Provisionsanspruch bereits mit Abschluß des vermittelten Geschäfts unbedingt entstehe. Er ist vielmehr durch die Ausführung des Geschäfts aufschiebend und nicht auflösend bedingt (vgl. § 87a Abs. 1 HGB). Er fällt nicht etwa bei Nichtausführung weg. Zur Vermeidung von Wiederholungen bezieht sich der Senat insoweit auf seine Darlegungen in dem Urteil I 111/64 vom 3. Mai 1967 (BFHE 88, 498, BStBl III 1967, 464) und auf die handelsrechtlichen Ausführungen in dem Urteil des III. Senats des BFH III R 23/70 vom 26. Mai 1972 (BFHE 106, 105, BStBl II 1972, 668).
Allerdings schließt der Umstand, daß eine Schuld aufschiebend bedingt ist, ihre Passivierung nicht aus. Sie kann passiviert werden, sofern sie bis zum Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht ist.
Eine Rückstellung für die bezeichneten Provisionsverbindlichkeiten ist indessen auch nicht unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, daß schon vor dem Zeitpunkt der Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer eine durch den Abschluß des Geschäfts verursachte wirtschaftliche Last (wirtschaftliche Vermögensminderung) anzunehmen wäre. Das ergibt sich aus den folgenden Erwägungen. Der Provisionsanspruch des Handelsvertreters nach § 87 HGB ist erfolgsabhängig. Es besteht eine ähnliche Rechtslage wie bei dem Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB (vgl. BFH-Urteile I R 15/68 vom 24. Juni 1969, BFHE 96, 101, BStBl II 1969, 581; I R 39, 40/70 vom 28. April 1971, BFHE 102, 270, BStBl II 1971, 601). Beide Ansprüche setzen, wie der erkennende Senat zuletzt in der Entscheidung I R 39, 40/70 (a. a. O.) ausgeführt hat, nicht allein eine Tätigkeit des Handelsvertreters, sondern auch einen bestimmten Erfolg dieser Tätigkeit voraus. Bevor dieser Erfolg nicht eingetreten ist, kann von einer Minderung des Vermögens des Unternehmers nicht die Rede sein. Nach § 87a Abs. 1 Satz 1 HGB hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, "sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat". Zumindest hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, "sobald und soweit der Dritte das Geschäft ausgeführt hat" (§ 87a Abs. 1 Satz 3 HGB). Steht fest, daß der Dritte nicht leistet, so entfällt der Anspruch auf Provision; bereits empfangene Beträge sind zurückzugewähren (§ 87a Abs. 2 HGB). Nur dann behält der Handelsvertreter einen Anspruch auf die Provision, wenn feststeht, daß der Unternehmer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist und auch dies nicht, wenn die Ausführung des Geschäfts aus einem Grunde unmöglich geworden ist, den der Unternehmer nicht zu vertreten hat oder weil die Ausführung dem Unternehmer nicht zuzumuten war (§ 87a Abs. 3 HGB). Diesen handelsrechtlichen Vorschriften ist zu entnehmen, daß der Untornehmer in der Regel, d. h. von den genannten Ausnahmen abgesehen, frühestens in dem Zeitpunkt seiner Ausführung des Geschäfts mit dem Provisionsanspruch des Handelsvertreters als einer wirtschaftlichen Last zu rechnen hat. Vor diesem Zeitpunkt ist auch nach handelsrechtlichen Grundsätzen eine Passivierung nicht geboten.
Ob handelsrechtlich ein Passivierungswahlrecht anzuerkennen sei (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz II 6/68 vom 6. Juli 1971, EFG 1971, 531), braucht der Senat nicht zu prüfen. Denn auch bei Bejahung der Frage folgt daraus keine steuerrechtliche Befugnis zur Passivierung. Nur eine handelsrechtliche Passivierungspflicht könnte auch steuerrechtlich bindend sein (vgl. BFH-Beschluß Großer Senat Gr. S. 2/68 vom 3. Februar 1969, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291).
Da die Klägerin mit ihrem Revisionsbegehren unterliegt, erübrigt es sich, auf die Frage einer Bilanzänderung einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 70307 |
BStBl II 1973, 212 |
BFHE 1973, 426 |