Leitsatz (amtlich)
Ein Lediger, der nach einer Versetzung oder Abordnung an einen anderen Beschäftigungsort die Voraussetzungen für die Annahme eines doppelten Haushalts hinsichtlich seiner mit eigenen Möbeln eingerichteten Wohnung am bisherigen Wohnort nicht erfüllt, kann - jedenfalls für eine gewisse Übergangszeit - Aufwendungen für ein möbliertes Zimmer am Beschäftigungsort und für gelegentliche Fahrten zur Beaufsichtigung der alten Wohnung als Werbungskosten geltend machen.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1; LStR Abschn. 26
Tatbestand
Der im Streitjahr ledige Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtige) ist Beamter des höheren Dienstes. Er ist zum 1. November 1965 von seinem Dienstort im Saarland nach Berlin abgeordnet worden, um dort einen erkrankten Beamten zu vertreten. Die Abordnung sollte nach seinen Angaben ursprünglich nur bis Frühjahr 1966 dauern, war dann tatsächlich aber wegen der Langwierigkeit der Erkrankung des Beamten auch mit dem Ablauf des Jahres 1966 noch nicht beendet. Der Steuerpflichtige hat im Saarland eine eigene Wohnung, die er auch während seiner Abordnung beibehalten hat. In Berlin hat er in Untermiete ein möbliertes Zimmer bewohnt.
Beim Lohnsteuer-Jahresausgleich 1966 beantragte der Steuerpflichtige u. a. , als Werbungskosten für doppelte Haushaltsführung 2 432,72 DM zu berücksichtigen. Diese Aufwendungen setzten sich nach seinen Angaben zusammen aus 1 180 DM für Zimmermiete in Berlin, 3 641 DM Mehraufwendungen für Verpflegung (331 Aufenthaltstage in Berlin ... 11 DM), 164 DM Kosten für vier Heimfahrten von Berlin nach dem Saarland. Von der Summe dieser Beträge von 5 586 DM zog der Steuerpflichtige die Trennungsentschädigung von 3 252,28 DM ab, die er von seinem Dienstherrn erhalten hatte, so daß die von ihm geltend gemachte Differenz verblieb. Das FA lehnte auch im Einspruchsverfahren die Berücksichtigung dieser Aufwendungen mit der Begründung ab, daß Trennungsentschädigungen und Beschäftigungstagegelder, die im Bereich des öffentlichen Dienstes gezahlt würden, die dienstlich veranlaßten Mehraufwendungen abgelten.
Mit der Klage verwies der Steuerpflichtige auf das Urteil des BFH VI 305/64 vom 18. Februar 1966 (BFH 86, 85, BStBl III 1966, 385), wonach die Trennungsentschädigung nicht den Höchstbetrag der anzuerkennenden Werbungskosten darstelle. Er trug vor, Mehraufwendungen für Verpflegung seien ihm in Berlin deshalb entstanden, weil er in seinem Berliner Zimmer im Gegensatz zur Wohnung im Saarland keine Kochgelegenheit gehabt habe und mit Rücksicht auf ein Leberleiden darauf angewiesen sei, auch abends in einer Gaststätte warm zu essen.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG widersprach zwar der Auffassung des FA. Es war andererseits aber der Ansicht, daß die Anwendung der in Abschn. 26 Abs. 1 Nr. 1 LStR genannten Beträge von 11 DM täglich für Mehraufwendungen von Verpflegung bei Ledigen regelmäßig zu einer unzutreffenden Besteuerung führe. Solche Mehraufwendungen könnten bei Ledigen nur in Ausnahmefällen anerkannt werden. Dem Kläger sei zuzugeben, daß für ihn ein solcher Ausnahmefall insofern vorliegen möge, als ihm in Berlin nicht oder jedenfalls nicht im gleichen Umfange eine Kochgelegenheit zur Verfügung gestanden habe. Die Mehraufwendungen zur Verpflegung könnten im Jahre 1966 aber keinesfalls mehr als 1 200 DM betragen haben; denn der Steuerpflichtige habe sein Mittagessen sowohl im Saarland als auch in Berlin in einer Kantine einnehmen können, so daß nur für die Abendmahlzeiten Mehraufwendungen überhaupt in Betracht kämen. Setze man von der Trennungsentschädigung von 3 252 DM die Zimmermiete von 1 180 DM und die Reisekosten von 164 DM ab, so verblieben noch immer 1 908 DM. Damit seien etwaige Mehraufwendungen für Verpflegung jedenfalls voll abgegolten.
Mit der Revision rügt der Steuerpflichtige Verletzung des § 9 EStG durch Nichtanwendung von Erfahrungssätzen. Er trägt vor: Das FG setze sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH im Urteil VI 143/60 U vom 11. August 1961 (BFH 73, 669, BStBl III 1961, 509). Zwar seien typisierende Richtsätze dann nicht anwendbar, wenn sie im Einzelfall wegen außergewöhnlicher Verhältnisse zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führten. Solche "im Einzelfall außergewöhnlichen Verhältnisse" dürften aber nicht grundsätzlich stets dann angenommen werden, wenn Ledige den Pauschsatz für Verpflegungsmehraufwand für sich in Anspruch nähmen. Der Ledige sei weder ein "Einzelfall" noch etwas "Außergewöhnliches". Die Finanzverwaltung habe auch nach Ergehen des BFH-Urteils VI 143/60 U (a. a. O.) für Ledige keine besonderen Sätze für Verpflegungsmehraufwand eingeführt. Das FG habe zudem außer acht gelassen, daß der Verpflegungsmehraufwand neben dem allein erwähnten Abendessen auch das Frühstück und die gesamte Verpflegung an den Wochenenden zu berücksichtigen habe. Auch habe es seine besondere Situation, in der Verpflegungsmehraufwand schon wegen seiner Krankheit notwendig gewesen sei, übersehen. Hinzu komme, daß er sich im Vertrauen auf die Anwendung des Pauschalsatzes, der durch das FA für die beiden ersten Monate seiner Abordnung nach Berlin anerkannt worden sei, keine Einzelbelege habe ausstellen lassen, weshalb er keinen Nachweis mehr habe führen können.
Das FA schließt sich im wesentlichen der Auffassung des FG an. Das FG habe die Schätzung der Finanzverwaltung durch eine andere ersetzt. Diese sei nicht nur vertretbar, sondern entspreche auch der Lebenserfahrung. Die Schätzung habe auf einen Einzelfall abgestellt, auch wenn das FG eine Gruppe von gleichen Einzelfällen ebenso behandeln wolle. Der BFH sei deshalb an die Schätzung des FG gebunden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Steuerpflichtigen ist nicht begründet.
Der Senat hat in seiner Rechtsprechung auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung über Mehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung in § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG ab 1967 (auf Grund StÄndG 1966 vom 23. Dezember 1966, BGBl I 1966, 702, BStBl I 1967, 2) anerkannt, daß solche Mehraufwendungen unter bestimmten Voraussetzungen Werbungskosten im Sinne des § 9 EStG sein können (vgl. z. B. Urteil VI R 274/67 vom 14. Februar 1969, BFH 95, 161, BStBl II 1969, 341, sowie das neuerliche Urteil VI R 285/70 vom 9. November 1971, (BStBl II 1972, 148). Er hat dabei die in Abschn. 26 Abs. 1 LStR 1966 (und früher) enthaltenen Verwaltungsanweisungen über die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung als zutreffende Auslegung des Werbungskostenbegriffs in § 9 EStG beurteilt. Hieran ist im Grundsatz festzuhalten.
Die Annahme einer doppelten Haushaltsführung setzt insbesondere voraus, daß der Arbeitnehmer außerhalb des Orts beschäftigt ist, an dem er einen eigenen Hausstand unterhält, und daß er am Beschäftigungsort wohnt. Der Steuerpflichtige hat im Jahre 1966 im Saarland in diesem Sinne keinen eigenen Hausstand mehr unterhalten.
Das "Unterhalten" eines eigenen Hausstandes erfordert mehr als den bloßen Besitz einer mit eigenen Möbeln ausgestatteten Wohnung. Zum Unterhalten gehört vielmehr des weiteren, daß der eigene Hausstand auch zur Lebensführung genützt wird. Diese Voraussetzung ist ohne weiteres gegeben bei einem verheirateten Arbeitnehmer, dessen Familie nach einer Versetzung zunächst noch am bisherigen Wohnort wohnen bleibt, während er selbst am Beschäftigungsort ein möbliertes Zimmer anmietet. Der Arbeitnehmer ist in diesem Falle gezwungen, neben dem Haushalt am Beschäftigungsort, den er allein führt, auch noch den Haushalt am bisherigen Wohnort, den er als Hausstand zusammen mit den Familienangehörigen führt, zu unterhalten; denn dort lebt seine Familie auch weiterhin und dort behält der Arbeitnehmer gemeinsam mit seinen Angehörigen den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen. Bei einem Ledigen ist das indessen anders. Ein Lediger kann nicht - wie eine stets aus mehreren Personen bestehende Familie - gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten anwesend sein, sondern immer nur an einem Ort. Er kann deshalb auch bei einer natürlichen Betrachtungsweise nicht allein zu gleicher Zeit zwei verschiedene Haushalte an verschiedenen Orten unterhalten. Lebt ein Lediger in einem möblierten Zimmer am Beschäftigungsort, so "unterhält" er hier seinen Haushalt; in seiner Wohnung mit eigenen Möbeln am früheren Wohnort aber ruht der Haushalt. Wird bei einem verheirateten Arbeitnehmer die Haushaltsführung, die normalerweise sich nur in der Familienwohnung abspielt, aufgesplittert und auf zwei verschiedene Haushalte verlagert, so ist ohne weiteres einsichtig, daß sich hieraus Mehraufwendungen ergeben und daß diese als Werbungskosten berücksichtigt werden müssen, sofern nicht aus besonderen Gründen ein Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis nicht in Betracht kommt. Nur auf diesen Fall einer vollen Aufteilung der Lebensführung hinsichtlich Wohnen und Essen sind die Regelungen abgestellt, die die LStR über die Höhe der anzuerkennenden Mehraufwendungen als Werbungskosten treffen. Insbesondere der Pauschalsatz von 11 DM täglich bei einem voraussichtlichen Gesamtarbeitslohn im Kalenderjahr von mehr als 9 000 DM für notwendige Mehraufwendungen für Verpflegung erscheint nur unter der Voraussetzung vertretbar und angemessen, daß sich die Verpflegungsaufwendungen des Arbeitnehmers erheblich erhöhen, weil - jedenfalls im Grundsatz - nicht mehr die ganze Familie einheitlich an einer Stelle verpflegt werden kann, sondern in zwei verschiedenen Haushalten verpflegt werden muß. Diese Voraussetzungen sind bei einem Ledigen nicht gegeben, so daß auch von der Sache her die bei doppelter Haushaltsführung vorgesehenen typisierenden Regelungen nicht angemessen sein würden.
Der Senat hat zwar in seiner Entscheidung VI 143/60 U vom 11. August 1961 (a. a. O.) angenommen, daß allein schon auf Grund des Besitzes einer Wohnung mit eigener Möbelausstattung die für doppelte Haushaltsführung entwickelten Grundsätze Anwendung finden könnten, ohne daß eine Führung des Haushalts dahin gefordert werden dürfte. Hieran hält der Senat aber nicht mehr fest. Insbesondere trifft die Begründung, daß die seinerzeitige Auffassung mit Abschn. 22 Abs. 4 Satz 5 LStR 1957 übereinstimme, in dieser Form nicht zu. In Abschn. 22 Abs. 4 Satz 5 LStR 1957 (gleichlautend mit Abschn. 22 Abs. 4 Satz 5 LStR 1966) wird lediglich zum Begriff des eigenen Hausstandes Stellung genommen. Der Senat hat bei seiner früheren Entscheidung verkannt, daß die doppelte Haushaltsführung, wie in Abschn. 26 Abs. 1 Satz 1 LStR zutreffend ausgeführt wird, das "Unterhalten" eines eigenen Hausstandes und nicht nur dessen Besitz voraussetzt. Eine Ausnahme hält der Senat - ohne diese Frage indessen endgültig zu entscheiden - allenfalls bei kurzen Abwesenheitszeiten eines Ledigen für möglich. Insoweit wäre dann an den Grundsätzen des Urteils VI 143/60 U (a. a. O.) festzuhalten.
Im Streitfall spricht bereits die erhebliche Entfernung zwischen dem Saarland und Berlin gegen die Annahme, daß der Steuerpflichtige über einen längeren Zeitraum an beiden Orten jeweils gleichzeitig einen eigenen Haushalt unterhalten haben könnte. Die Tatsache, daß er seine Wohnung im Saarland nur viermal im Jahre 1966 aufgesucht hat, bestätigt, daß er dort im Jahre 1966 trotz Beibehaltung der dortigen Wohnung jedenfalls keinen Haushalt "geführt" oder "unterhalten" hat. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, daß er nur abgeordnet und nicht versetzt war. Es kann dahinstehen, ob das FA zu Recht für die Zeit vom 1. November bis 31. Dezember 1965 noch eine doppelte Haushaltsführung angenommen hat. Nach zweimonatiger Abwesenheit war jedenfalls mit dem Beginn des Jahres 1966 eine doppelte Haushaltsführung nicht mehr gegeben. Da der Steuerpflichtige demach im Streitjahr im Saarland keinen Haushalt mehr unterhalten hat, hat das FG im Ergebnis zutreffend die Anwendung der bei doppelter Haushaltsführung geltenden Grundsätze in seinem Falle abgelehnt.
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß der Steuerpflichtige im Streitjahr Trennungsentschädigungen erhalten hat. Der Senat hat bereits in der Entscheidung VI R 274/67 vom 14. Februar 1969 (a. a. O.) ausgesprochen, daß die steuerrechtliche Frage, welche Aufwendungen als Werbungskosten anzuerkennen seien, mit der beamtenrechtlichen Frage, welche Entschädigungen dem Beamten zu gewähren seien, grundsätzlich nichts zu tun hat. Hieran ist festzuhalten.
Das FG hat den Abzug der Zimmermiete in Berlin und der Kosten für vier Fahrten nach dem Saarland als Werbungskosten zugelassen. Dem ist zuzustimmen. Da der Steuerpflichtige nach Berlin nur abgeordnet, aber nicht versetzt war, kann davon ausgegangen werden, daß ihm ein Umzug nach Berlin nicht zuzumuten war. Der Fall des Steuerpflichtigen ist damit dem vom Senat im Urteil VI 32/60 U vom 17. Februar 1961 (BFH 72, 461, BStBl III 1961, 169) entschiedenen Fall vergleichbar. In diesem Falle war nach der Versetzung eines ledigen Arbeitnehmers ein Umzug noch nicht möglich gewesen, weil er noch keine neue Wohnung hatte finden können. Der Senat hat als Werbungskosten die Mehraufwendungen anerkannt, die dem Arbeitnehmer durch die Beibehaltung der Wohnung und durch gelegentlich notwendig werdende Fahrten zur Regelung der mit der Wohnung zusammenhängenden Angelegenheiten erwachsen waren. Der Senat folgt dem FG darin, daß - abweichend von der vorgenannten Entscheidung VI 32/60 U (a. a. O.) - zu den Mehrkosten die Miete für die Wohnung am Beschäftigungsort, nicht aber die Miete für die Wohnung am bisherigen Wohnort gehört; denn nur jene Miete fällt durch die Abordnung oder Versetzung zusätzlich an.
Das FG hat im Schätzungswege Mehraufwendungen für Verpflegung von 1 200 DM als Werbungskosten anerkannt. Der Senat sieht von einer Stellungnahme zu der Frage, ob insoweit überhaupt Werbungskosten anerkannt werden durften, ab, weil die Entscheidung des Streitfalls nicht davon abhängt. Denn der nach Auffassung des FG noch als Werbungskosten zu berücksichtigende Mehraufwand für Verpflegung ist auch unter Berücksichtigung der unzweifelhaft anzuerkennenden Werbungskosten mit (1 200 + 1 180 + 164 =) 2 544 DM niedriger als die Bezüge, die der Steuerpflichtige von seinem Dienstherrn mit Rücksicht auf seinen Aufenthalt in Berlin steuerfrei erhalten hat (3 252,28 DM).
Die Revision war aus den vorstehenden Erwägungen zurückzuweisen. Eines Eingehens auf die weiter aufgeworfenen Fragen, welche Bedeutung die Zahlung von Trennungsentschädigung auf die Anerkennung von Pauschsätzen als Werbungskosten hat und ob die Pauschsätze für Mehrverpflegungsaufwand nach Abschn. 26 Abs. 1 LStR 1966 ohne Einschränkungen auch auf Ledige angewendet werden müssen, bedarf es daher nicht mehr. Etwaige Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen auf Grund seines Gallenleidens gehören als Krankheitskosten zu den außergewöhnlichen Belastungen, können aber nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 69751 |
BStBl II 1972, 155 |
BFHE 1972, 533 |