Leitsatz (amtlich)
1. Eine Optionserklärung i.S. des § 19 Abs.4 UStG 1973 kann durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden, z.B. dadurch, daß ein Kleinunternehmer dem Finanzamt auf einem für die Regelbesteuerung vorgesehenen Vordruck eine USt-Erklärung einreicht, in welcher er unter Mitwirkung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe die USt nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes errechnet und den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat.
2. Der Senat hält daran fest, daß die Optionsfrist nach § 19 Abs.4 UStG 1973 a.F. für das Jahr des Unternehmensbeginnes nicht vor Ablauf des zehnten Tages nach dem Ende des ersten Voranmeldungszeitraumes in dem auf den Unternehmensbeginn folgenden Kalenderjahr endet (BFH-Urteil vom 17.August 1978 V R 21/76, BFHE 126, 88).
3. Die Neufassung des § 19 Abs.4 UStG 1973 (Art.17 Nr.8 EGAO 1977) zum 1.Januar 1977 (Art.102 Abs.1 EGAO 1977) hat jedenfalls in denjenigen Fällen zur Verlängerung der Optionsfrist bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung geführt, in denen die Optionsfrist beim Jahreswechsel 1976/77 noch nicht abgelaufen war.
4. Eine Option kann nach § 19 Abs.4 UStG 1973 n.F. bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung zurückgenommen werden.
5. Unter Unanfechtbarkeit i.S. des § 19 Abs.4 UStG 1973 n.F. ist die formelle Bestandskraft der erstmaligen Steuerfestsetzung zu verstehen, die auch in einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung oder in einer Steueranmeldung bestehen kann.
Orientierungssatz
1. Unanfechtbarkeit einer Steuerfestsetzung liegt vor, wenn diese nicht oder nicht mehr mit den ordentlichen Rechtsbehelfen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens oder mit den Rechtsbehelfen des Steuerprozesses angefochten werden kann, während es auf die Statthaftigkeit außerordentlicher Rechtsbehelfe nicht ankommt. Die Unanfechtbarkeit als formelle Bestandskraft ist unabhängig vom Vorhandensein materieller Bestandskraft, bei der es um die Verbindlichkeit einer Verwaltungsentscheidung geht (Lit.).
2. Die Abgabe einer Steuererklärung ist zwar vorrangig eine Wissenserklärung, in welcher der Steuerpflichtige Angaben über Tatsachen und rechtliche Verhältnisse macht. In der Einreichung von Steuererklärungen kann aber auch die Abgabe von Willenserklärungen, insbesondere von Erklärungen über die Ausübung steuerrechtlicher Gestaltungsrechte, zu sehen sein (Lit.).
Normenkette
AO 1977 §§ 164, 168; EGAO 1977 Art. 17 Nrn. 7-8, Art. 97 § 1, Art. 102 Abs. 1; UStG 1973 § 19 Abs. 4
Tatbestand
I. Die Kläger betrieben vom Beginn des Jahres 1976 an in Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein .... In ihrer am 22.Mai 1978 beim beklagten Finanzamt eingegangenen Umsatzsteuererklärung 1976 meldeten sie Umsätze in Höhe von 25 601 DM an, für die sie Umsatzsteuer nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 berechnet hatten, und machten Vorsteuerabzug in Höhe von 248,07 DM geltend. Hieraus hatten sie --irrtümlich-- eine Steuerschuld in Höhe von 2 568,22 DM ermittelt.
Für die Steueranmeldung verwendeten die Kläger einen Vordruck USt 2 A - Umsatzsteuererklärung 1976 (Regelbesteuerung) -. Bei der Ausfertigung der Steueranmeldung hatte der jetzige Prozeßbevollmächtigte der Kläger, ein Rechtsanwalt, mitgewirkt.
Mit geändertem, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheid (§ 164 Abs.2 der Abgabenordnung --AO 1977--) vom 27.Juni 1978 korrigierte das Finanzamt den Rechenfehler und setzte die Umsatzsteuer auf 2 523,05 DM fest.
Mit Schreiben vom 23.August 1978 erklärten die Kläger sodann, sie hätten bei der Abgabe der Umsatzsteuererklärung 1976 für die Regelbesteuerung optiert. Sie nähmen die Option nunmehr zurück, und beantragten, die Umsatzsteuer 1976 entsprechend einer beigefügten berichtigten Umsatzsteuererklärung unter Anwendung von § 19 Abs.1 UStG 1973 auf 656,72 DM festzusetzen.
Das Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 13.September 1978 diesen Antrag ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Klage haben die Kläger die Aufhebung der Umsatzsteuerfestsetzung und der Einspruchsentscheidung sowie eine Festsetzung der Umsatzsteuer entsprechend ihrer berichtigten Umsatzsteuererklärung begehrt.
Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Auf die Option und deren Rücknahme komme zwar gemäß Artikel 102 Art.1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14.Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341) § 19 Abs.4 UStG 1973 in der Fassung des Artikels 17 Nr.8 EGAO 1977 zur Anwendung. Diese Vorschrift sei jedoch dahin auszulegen, daß eine Rücknahme der Option nur bis zur Unanfechtbarkeit der Erstveranlagung möglich sei. Darunter falle auch die Unanfechtbarkeit einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 und § 168 AO 1977).
Mit der Revision verfolgen die Kläger das Klagebegehren weiter. Sie rügen die Verletzung des § 19 Abs.4 UStG 1973 in der Fassung des Artikels 17 Nr.8 EGAO 1977 sowie des § 164 AO 1977.
Das Finanzamt ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Finanzamt hat es zu Recht abgelehnt, die Umsatzsteuerfestsetzung 1976 aufgrund des Schreibens der Kläger vom 23.August 1978 gemäß § 164 Abs.2 AO 1977 zu ändern. Die Kläger hatten bezüglich des Jahres 1976 für die Regelbesteuerung optiert. Sie konnten die Option mit dem erwähnten Schreiben nicht mehr wirksam zurücknehmen.
1. Gemäß § 19 Abs.1 UStG 1973 unterlagen die Kläger aufgrund der bei ihnen unstreitig gegebenen entsprechenden Voraussetzungen von Gesetzes wegen nicht der sog. Mehrwertsteuer (Regelbesteuerung), sondern der Allphasenbruttoumsatzsteuer --für Kleinunternehmer-- (vgl. zu den beiden Steuersystemen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19.April 1979 V R 11/72, BFHE 127, 447, BStBl II 1979, 420). Die Kläger hatten jedoch eine befristete Möglichkeit nach § 19 Abs.4 UStG 1973, für die Regelbesteuerung zu optieren, indem sie dem Finanzamt erklärten, daß sie ihre Umsätze nicht nach § 19 Abs.1 bis 3 UStG 1973, sondern nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes 1973 der Besteuerung unterwerfen wollten. Von dieser Optionsmöglichkeit haben die Kläger Gebrauch gemacht, indem sie in ihrer ursprünglichen Umsatzsteuererklärung 1976 die Umsatzsteuer nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes 1973 errechnet hatten und die Erklärung beim Finanzamt einreichten.
a) Eine Optionserklärung für die Regelbesteuerung kann dem Finanzamt gegenüber auch konkludent abgegeben werden. Zwar ist in § 19 Abs.4 Satz 1 UStG 1973 davon die Rede, daß der Unternehmer erklären könne, er wolle seine Umsätze nicht der Besteuerung nach den Abs.1 bis 3 des § 19 UStG 1973, sondern nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes unterwerfen. Dies darf jedoch weder in dem Sinne verstanden werden, daß der Gesetzgeber - in unangemessenem Formalismus - für die Optionserklärung einen bestimmten Erklärungswortlaut habe vorschreiben wollen, noch ist hieraus zu schließen, daß eine Option allein durch eine ausdrückliche Erklärung vorgenommen werden könnte. Der Gesetzgeber hat offenbar lediglich festlegen wollen, welchen Inhalt eine Erklärung haben müsse, damit sie als Optionserklärung gewürdigt werden dürfe. Für die Annahme, Optionserklärungen könnten nicht durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden, fehlt es an zureichenden Anhaltspunkten.
b) Eine Option für die Regelbesteuerung durch konkludentes Verhalten kann von einem sog. Kleinunternehmer auch in der Weise erklärt werden, daß dieser dem Finanzamt auf einem für die Regelbesteuerung vorgesehenen Vordruck eine Umsatzsteuererklärung einreicht, in welcher er unter Mitwirkung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe die Umsatzsteuer nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes berechnet und den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat.
Im Urteil vom 19.Februar 1976 V R 23/73 (BFHE 118, 483, BStBl II 1976, 400) hat der Senat die Frage noch unbeantwortet gelassen, ob die Abgabe einer Umsatzsteuererklärung auf einem für die Regelbesteuerung vorgesehenen Vordruck als Abgabe einer Optionserklärung angesehen werden kann. Sodann hat der Senat in dem - nicht amtlich veröffentlichten - Urteil vom 23.Juni 1983 V R 117/76 unter Hinweis auf Weiß (UStR 1976, 144) ausgesprochen, die Abgabe einer Steuererklärung auf einem für sog. Regelbesteuerer bestimmten Vordruck besage für sich allein noch nicht, daß der Kläger hiermit zugleich einen Verzicht auf die bisherige Besteuerungsform habe erklären wollen; im Entscheidungsfall war allerdings zusätzlich zu berücksichtigen, daß der Kläger keinerlei Vorsteuerabzug geltend gemacht hatte, nicht einmal den Vorsteuerabzug nach Durchschnittssätzen. Aufgrund einer erneuten Überprüfung der Rechtslage kommt der Senat nunmehr zu der eingangs wiedergegebenen Auffassung.
Die Abgabe einer Steuererklärung ist zwar vorrangig eine Wissenserklärung, in welcher der Steuerpflichtige Angaben über Tatsachen und tatsächliche Verhältnisse macht. Darin erschöpft sich jedoch das Wesen einer Steuererklärung nicht. In der Regel verlangen die Erklärungsvordrucke, daß der Steuerpflichtige nicht nur Angaben tatsächlichen Inhalts macht, sondern daß er darüber hinaus auch rechtliche Wertungen vornimmt und rechtliche Schlußfolgerungen zieht. Diese können wiederum, falls dem Steuerpflichtigen steuerrechtliche Gestaltungsrechte eingeräumt sind, davon abhängen, ob und ggf. in welchem Sinne die Gestaltungsrechte ausgeübt werden. Aufgrund dessen werden oftmals Erklärungen über die Ausübung steuerrechtlicher Gestaltungsrechte mit der Abgabe von Steuererklärungen verbunden oder in die Steuererklärungen aufgenommen. Den Steuererklärungen ist es mithin nicht wesensfremd, in ihrer Einreichung auch die Abgabe von Willenserklärungen, insbesondere von Erklärungen über die Ausübung steuerrechtlicher Gestaltungsrechte, zu sehen (vgl. Tipke/Kruse, AO, 11.Aufl., vor § 149 Rdn.3).
Die Vordrucke für Steuererklärungen können derart gefaßt sein, daß sie eine ausdrückliche Ausübung der steuerrechtlichen Gestaltungsrechte vorsehen. Unter solchen Umständen wird sich regelmäßig die Frage nach dem Vorliegen von Erklärungen in anderer als ausdrücklicher Form nicht stellen. Sind die Vordrucke nicht entsprechend eingerichtet, können in der Einreichung von Steuererklärungen gleichwohl durch schlüssiges Verhalten abgegebene Erklärungen zur Ausübung steuerrechtlicher Gestaltungsrechte zu sehen sein. Hierfür kommt vor allem in Betracht, daß bei unterschiedlichen Vordrucken für den Fall der Ausübung des Gestaltungsrechts einerseits und der Nichtausübung andererseits der Steuerpflichtige ein bestimmtes Formular verwendet. Eine entsprechende Erklärung durch schlüssiges Verhalten kann ferner darin zu erblicken sein, daß der Steuerpflichtige im Rahmen der ihm auferlegten rechtlichen Wertungen und Schlußfolgerungen (siehe oben) erkennbar eine Rechtslage zugrunde legt, wie sie nur bei Ausübung bzw. Nichtausübung des Gestaltungsrechts maßgebend ist.
Bei der diesbezüglichen Würdigung kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Von ihnen hängt es ab, ob durch das Finanzamt der Inhalt einer Steuererklärung zweifelsfrei zugleich als Erklärung zur Ausübung des steuerrechtlichen Gestaltungsrechts aufgefaßt werden darf oder ob dem Inhalt eine solche Bedeutung nicht zukommt, etwa weil die Verwendung eines bestimmten Vordruckes durch den Steuerpflichtigen auf nichts anderes als den Umstand zurückzuführen ist, daß das Finanzamt dem Steuerpflichtigen versehentlich ein unzutreffendes Formular übersandt hat.
Beide erörterten Anhaltspunkte für eine Option durch schlüssiges Verhalten sind im vorliegenden Fall gegeben. Die Kläger hatten aufgrund des § 18 Abs.1 Satz 1 UStG 1973 n.F. für das Streitjahr eine Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben, in der sie die Umsatzsteuer nach § 16 Abs.1 bis 4 und § 17 UStG 1973 selbst zu berechnen hatten. Hierfür standen ihnen die Vordrucke USt 2 A - Umsatzsteuererklärung 1976 (Regelbesteuerung) - sowie USt 2 B - Umsatzsteuererklärung 1976 (§ 19 UStG) - zur Verfügung.
Die Kläger haben sich bei der Einreichung der ursprünglichen Umsatzsteuererklärung des ersteren Vordruckes bedient. Hierdurch, sowie durch den Umstand, daß sie statt einer Steuerberechnung nach § 19 Abs.1 bis 3 UStG 1973 (Berechnung nach vereinnahmten Entgelten und von der Bemessungsgrundlage zuzüglich der Umsatzsteuer; Steuersatz: 4 v.H.; Abzug eines Umsatzfreibetrages; Ausschluß des Vorsteuerabzuges) die Steuerberechnung nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes vornahmen (Besteuerung nach vereinbarten Entgelten; Steuerberechnung von der Bemessungsgrundlage - ohne Umsatzsteuer-; Anwendung der Steuersätze aus § 12 UStG 1973; Vorsteuerabzug), haben die Kläger hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, sie wollten ihre Umsätze statt der Besteuerung nach § 19 Abs.1 bis 3 UStG 1973 der nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes unterwerfen. Für eine bloß irrtümliche Verwendung des für die Regelbesteuerung vorgesehenen Vordruckes und für eine lediglich versehentliche Berechnung der Steuer nach den allgemeinen Vorschriften fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Die Mitwirkung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe bei der Anfertigung der Steuererklärung gibt im Gegenteil einen Anhalt dafür, daß die Vordrucksverwendung und die Steuerberatung nicht auf Irrtümern beruhen.
c) Die Option der Kläger war nicht etwa unter dem Gesichtspunkt wirkungslos, daß die Optionserklärung verspätet abgegeben worden wäre. Denn nach der im vorliegenden Fall anwendbaren Fassung des § 19 Abs.4 UStG 1973 aufgrund des Artikels 17 Nr.8 EGAO 1977 war die Optionsfrist noch nicht abgelaufen, als die Kläger ihre ursprüngliche Umsatzsteuererklärung eingereicht haben.
Gemäß § 19 Abs.4 Satz 1 UStG 1973 in der ursprünglichen Fassung bestand die Optionsmöglichkeit für die Regelbesteuerung dem Gesetzeswortlaut nach nur bis zum zehnten Tage nach Ablauf des ersten Voranmeldungszeitraumes eines Kalenderjahres. Dennoch ist die Optionsfrist für das Jahr 1976 von den Klägern nicht versäumt worden. Der Senat hat nämlich entschieden, daß für einen Kleinunternehmer, der sein Unternehmen erst im Laufe eines Kalenderjahres beginnt, die Frist nicht vor Ablauf des zehnten Tages nach dem Ende des ersten Voranmeldungszeitraumes in dem auf den Geschäftsbeginn folgenden Kalenderjahr endet (BFH-Urteil vom 17.August 1978 V R 21/76, BFHE 126, 88). Hierbei hat der Senat darauf abgestellt, daß ein Unternehmer im ersten Jahr seiner unternehmerischen Betätigung die Beantwortung der Fragen, ob sein Gesamtumsatz die Grenze von 60 000 DM nicht übersteige, ob er demzufolge unter § 19 Abs.1 bis 3 UStG 1973 falle und sich mithin für ihn das Problem einer Option für die Regelbesteuerung stelle, nicht aufgrund von Umsatzverhältnissen des Vorjahres beantworten könne, sondern daß er sich insoweit an den - voraussichtlichen - Umsatz des laufenden Jahres halten müsse. Angesichts dessen kann es für die Anwendung der Grundsätze aus dem Urteil V R 21/76 (a.a.O.) auf den vorliegenden Fall nicht darauf ankommen, daß die Kläger ihre unternehmerische Betätigung schon zu Beginn des Jahres 1976 aufgenommen haben und nicht zu einem späteren Datum im Jahresverlauf.
Wäre die ursprüngliche Fassung des § 19 Abs.4 UStG 1973 über das Ende des Jahres 1976 hinaus in Kraft geblieben, so hätten die Kläger für 1976 bis zum 10.Februar bzw. 10.April 1977 für die Regelbesteuerung optieren können. Diese Frist ist für den vorliegenden Fall durch die Änderung des § 19 Abs.4 UStG 1973 weiter hinausgeschoben worden.
Durch Artikel 17 Nr.8 EGAO 1977 erhielt § 19 Abs.4 UStG 1973 eine neue Fassung. Aufgrund von dessen Satz 1 kann eine Option für die Regelbesteuerung "bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§ 18 Abs.1 und 4)" erklärt werden. Die Fassungsänderung ist gemäß Artikel 102 Abs.1 EGAO 1977 am 1.Januar 1977 in Kraft getreten. Diesbezügliche Übergangsvorschriften sind vom Gesetzgeber nicht erlassen worden, insbesondere nicht in Gestalt des Artikels 97 § 1 EGAO 1977 (a.A. Urteil des FG Nürnberg vom 28.Januar 1981 II 2 /80, EFG 1981, 423). Die zitierte Vorschrift trifft eine nähere Regelung des Übergangs auf das neue Recht ausschließlich für den Bereich des in der Abgabenordnung enthaltenen Verwaltungsverfahrensrechts. Sie sagt nichts darüber aus, unter welchen Umständen sich die im Umsatzsteuergesetz 1973 geregelte Frist der Option für die Regelbesteuerung statt nach dem bisherigen nach neuem Recht richtet. Angesichts dessen ist davon auszugehen, daß mit dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 19 Abs.4 UStG 1973 am 1.Januar 1977 die bisherige Fassung ihre Gesetzeskraft verloren hat.
Der Senat braucht im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, ob die erörterte Gesetzesänderung dahin zu verstehen ist, daß für die Zeit nach dem 31.Dezember 1976 die Optionsmöglichkeit Kleinunternehmern schlechthin für jegliches Kalenderjahr eröffnet wurde, deren Steuerfestsetzung noch nicht unanfechtbar im Sinne der neuen Fassung des § 19 Abs.4 UStG 1973 war, also auch in solchen Fällen, in denen der Kleinunternehmer die Gelegenheit aufgrund der zuvor geltenden Fassung des § 19 Abs.4 UStG 1973, für die Regelbesteuerung zu optieren, bereits versäumt hatte. Denn hier liegt ein derartiger Fall nicht vor. Wie bereits ausgeführt worden ist, war die Optionsfrist für die Kläger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesänderung (Jahreswechsel 1976/77) noch nicht verstrichen. Deshalb kann es hier nur darum gehen, ob es dem Willen des Gesetzgebers entsprechen würde, daß in einem Fall wie dem vorliegenden die aufgrund des bisherigen Rechts eigentlich bestehende Möglichkeit, auch nach dem 31.Dezember 1976 noch für die Regelbesteuerung im Jahre 1976 zu optieren, infolge der Gesetzesänderung weggefallen wäre, oder ob nicht statt dessen angenommen werden muß, daß der Gesetzgeber die Optionsmöglichkeit vom 1.Januar 1977 ab habe fortbestehen lassen wollen, und zwar nach Maßgabe der neuen gesetzlichen Regelung.
Im Hinblick darauf, daß die erörterte Gesetzesänderung auf Verlängerung, nicht auf Verkürzung der Optionsfrist angelegt ist, kommt der Senat zu der in der zweiten Alternative wiedergegebenen Ansicht. Dementsprechend hatten die Kläger die Möglichkeit, hinsichtlich des Jahres 1976 bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung für die Regelbesteuerung zu optieren, so daß die Optionsfrist bei der Einreichung der ursprünglichen Umsatzsteuererklärung 1976 noch nicht verstrichen war.
2. Die Kläger haben ihre Option für die Regelbesteuerung im Streitjahr mit Schreiben vom 23.August 1978 nicht mehr wirksam zurücknehmen können.
a) Allerdings ist die Optionsrücknahme nicht daran gescheitert, daß eine Option im Sinne des § 19 Abs.4 UStG 1973 n.F. etwa überhaupt nicht hätte zurückgenommen werden können.
Die im Umsatzsteuergesetz 1973 vorgesehenen Optionserklärungen sind einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen, die rechtsgestaltend auf das bestehende Rechtsverhältnis einwirken. Im Falle einer Option nach § 19 Abs.4 UStG 1973 wird durch die dem Steuerpflichtigen eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit ein Wechsel in der Besteuerungsform herbeigeführt. An die Stelle der Besteuerung nach § 19 Abs.1 UStG 1973 für Kleinunternehmer tritt die Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes (Regelbesteuerung), so daß das Umsatzsteuerrechtsverhältnis aufgrund der einseitigen Willenserklärung eine inhaltliche Umgestaltung erfährt (vgl. BFH-Urteil vom 13.Dezember 1984 V R 32/74, BFHE 142, 327, BStBl II 1985, 173 m.w.N.).
Trotz dieser Zugehörigkeit zu der Art von steuerrechtlichen Willenserklärungen, denen ein sogenanntes selbständiges Gestaltungsrecht zugrunde liegt, d.h. ein Gestaltungsrecht, bei dem der Zweck seiner Ausübung schon durch die Ausübung selbst erreicht wird, nicht erst mit einer entsprechenden Entscheidung der Finanzbehörde, ist eine Option nach § 19 Abs.4 UStG 1973 nicht etwa vom Zugang beim Finanzamt ab schlechthin von der Rücknahme ausgeschlossen. Zwar gilt grundsätzlich, daß die erörterten steuerrechtlichen Willenserklärungen entsprechend der Regelung in § 130 Abs.1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vom wirksamen Zugang beim Finanzamt ab nicht mehr rückgängig gemacht werden können (zur Frage einer Anfechtung vergleiche Tipke/Kruse, a.a.O.), vor § 149 Rdnr.5). Dieser Grundsatz ist jedoch nicht maßgebend, wenn das Gesetz --wie hier-- eine Rücknahme zuläßt.
§ 19 Abs.4 UStG 1973 sieht in seiner hier maßgebenden Fassung aufgrund des Artikels 17 Nr.8 EGAO 1977 ebensowenig wie § 19 Abs.2 UStG 1980 ausdrücklich vor, daß die Option für die Regelbesteuerung zurückgenommen werden darf. Die Zurücknahmemöglichkeit ist jedoch vom Gesetzgeber sinngemäß zugelassen worden. In beiden Vorschriften ist nämlich in Beziehung auf die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit des --für die Zukunft wirkenden-- Widerrufs der Option festgelegt, daß vom Eintritt der Unanfechtbarkeit (§ 19 Abs.4 Satz 2 UStG 1973 n.F.) bzw. der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§ 19 Abs.2 Satz 2 UStG 1980) ab die Option den Unternehmer für mindestens fünf Kalenderjahre bindet. Aus der Anknüpfung des Bindungsbeginns statt an den Zugang der Optionserklärung beim Finanzamt an das Ende der Optionsfrist folgt, daß vor der Unanfechtbarkeit eine Bindung an eine erklärte Option nicht vorliegt, woraus weiter zu schließen ist, daß eine Option zurückgenommen werden kann, und zwar bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung.
b) Die Optionsrücknahme ist jedoch im Hinblick darauf wirkungslos, daß die Rücknahmeerklärung im Schreiben vom 23.August 1978 dem Finanzamt erst nach Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung für das Jahr 1976 zuging.
In § 19 Abs.4 UStG 1973 n.F. ist der Zeitpunkt des Eintritts der Bindung an eine Option, der zugleich das zeitliche Ende der Rücknahmemöglichkeit bestimmt (siehe oben), an die Unanfechtbarkeit geknüpft (Satz 2). Wie der Zusammenhang mit Satz 1 der Vorschrift ergibt, ist unter Unanfechtbarkeit die der Steuerfestsetzung zu verstehen. Gemeint ist damit die erstmalige Steuerfestsetzung, die auch in einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung oder in einer Steueranmeldung bestehen kann (vgl. §§ 164 und 168 AO 1977).
Unanfechtbarkeit einer Steuerfestsetzung liegt vor, wenn diese nicht oder nicht mehr mit den ordentlichen Rechtsbehelfen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens (§§ 347 ff* AO 1977) oder mit den Rechtsbehelfen des Steuerprozesses (§§ 40 ff. und 115 ff. FGO) angefochten werden kann, während es auf die Statthaftigkeit außerordentlicher Rechtsbehelfe nicht ankommt (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 Rdnr.9). Die Unanfechtbarkeit als formelle Bestandskraft ist unabhängig vom Vorhandensein materieller Bestandskraft, bei der es um die Verbindlichkeit einer Verwaltungsentscheidung geht (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 110 FGO Rdnr.2 zu dem entsprechenden Begriff der materiellen Rechtskraft bei gerichtlichen Entscheidungen).
Unanfechtbarkeit als formelle Bestandskraft bedeutet ferner nicht Unabänderbarkeit. Dementsprechend können formell bestandskräftig, also unanfechtbar, auch Steuerfestsetzungen werden, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen (§ 164 AO 1977), sowie Steueranmeldungen, die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (§ 168 AO 1977) und daher wie diese abänderbar sind. Für die Unanfechtbarkeit ist schließlich nicht von Bedeutung, ob die Festsetzung aufgrund anderer Vorschriften (§§ 165, 172 ff. AO 1977) geändert werden darf.
Eine Bestätigung dafür, daß dies mit Unanfechtbarkeit gemeint ist, findet sich in der Klammerverweisung des § 19 Abs.4 Satz 1 UStG 1973 n.F. Die zugleich mit der Neufassung des § 19 Abs.4 UStG 1973 in Kraft getretenen neuen Fassungen des § 18 Abs.1 und 4 UStG 1973 (vgl. Art.17 Nr.7 und Art.102 Abs.1 EGAO 1977), auf die in der Klammer Bezug genommen wird, regeln u.a. die vom Unternehmer vorzunehmende Steueranmeldung sowie den Fall, daß die Steuer durch das Finanzamt abweichend von der Anmeldung festgesetzt wird. Der Hinweis auf die grundsätzlich einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehende und daher ebenso abänderbare Steueranmeldung (vgl. § 168 AO 1977) macht deutlich, daß es für die Unanfechtbarkeit nicht auf die Abänderbarkeit ankommen soll (vgl. Urteil des FG Nürnberg II 2/80, a.a.O.). Zugleich wird hierdurch klargestellt, daß für den maßgebenden Zeitpunkt die Unanfechtbarkeit der erstmaligen Steuerfestsetzung entscheidend ist.
3. Unter den gegebenen Umständen braucht nicht geklärt zu werden, ob für das zeitliche Ende der Möglichkeit einer Optionsrücknahme auf die Unanfechtbarkeit der am 22.Mai 1978 beim Finanzamt eingegangenen Steueranmeldung der Kläger oder des am 27.Juni 1978 abgesandten Steuerbescheides abzustellen ist. Denn die am 31.August 1978 beim Finanzamt eingegangene Rücknahmeerklärung der Kläger in dem Schreiben vom 23.August 1978 ist im einen wie im anderen Falle verspätet zugegangen.
Fundstellen
Haufe-Index 61030 |
BStBl II 1986, 420 |
BFHE 145, 457 |
BFHE 1986, 457 |
BB 1986, 1000-1002 (ST) |
DB 1986, 893-894 (ST) |
DStR 1986, 274-274 (S) |
HFR 1986, 422-422 (ST) |