Entscheidungsstichwort (Thema)
(Pfändung von zukünftig entstehenden oder fällig werdenden Sozialleistungsansprüchen - Pfändungsfreibeträge des § 850c ZPO unterschreiten den durchschnittlichen Sozialhilfebedarf - keine Vorwegnahme bevorstehender gesetzgeberischer Entscheidungen durch richterliche Rechtsfortbildung)
Leitsatz (amtlich)
1. Zukünftig entstehende oder fällig werdende Ansprüche können grundsätzlich abgetreten, verpfändet und gepfändet werden, sofern für die zukünftige Forderung eine ausreichend konkretisierte rechtliche Grundlage besteht. § 54 SGB I enthält für die Pfändung von Sozialleistungsansprüchen (hier: Rentenanspruch gegen die Bundesknappschaft) keine hiervon abweichende Regelung.
2. Für die gemäß § 54 Abs.3 Nr.2 SGB I erforderliche Prüfung, daß durch die Pfändung der zukünftigen Forderung im Zeitpunkt der späteren Fälligkeit der Rente keine Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt eintreten wird, reicht es aus, wenn nach einer im Pfändungszeitpunkt durchzuführenden Prognose nach den zu diesem Zeitpunkt erkennbaren Umständen nichts für den Eintritt der Hilfebedürftigkeit spricht.
3. Die Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO bieten derzeit keine Gewähr, daß durch die Pfändung das sozialhilferechtlich zu bestimmende Existenzminimum des Schuldners nicht angetastet wird.
Orientierungssatz
1. Der Senat hält an der von ihm im Urteil vom 7.7.1987 VII R 94/84 vertretenen gegenteiligen Rechtsansicht, wonach eine Hilfebedürftigkeit i.S. der Vorschriften des BSHG bei Beachtung des § 850c ZPO regelmäßig ausgeschlossen ist, nicht mehr fest.
2. Der BFH ist nicht befugt, im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung bevorstehende gesetzgeberische Entscheidungen vorwegzunehmen (vgl. BAG-Urteil vom 6.2.1991 4 AZR 348/90).
Normenkette
AO 1977 § 309; ZPO §§ 850c, 850f; SGB I § 54 Abs. 3 Nr. 2; AO 1977 § 319; BSHG § 22
Verfahrensgang
FG Münster (Entscheidung vom 10.08.1990; Aktenzeichen XVI 5053/89 AO) |
Tatbestand
I. Mit Verfügung vom 27.Juli 1988 pfändete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) wegen Steuerrückständen sämtliche Ansprüche, Forderungen und Rechte des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) gegen die Bundesknappschaft, insbesondere das Rentenanwartschaftsrecht und den künftigen Anspruch auf Zahlung einer Rente bei Eintritt des Versicherungsfalles. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) zurück. Zur Begründung führte sie aus: Die Pfändung der Rentenansprüche widerspreche nicht der Pfändungsschutzvorschrift des § 54 des Sozialgesetzbuches Allgemeiner Teil (SGB I).
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers mit der Begründung ab, Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung seien im Rahmen des § 54 Abs.3 Nr.2 SGB I generell pfändbar. Dies gelte nicht nur für nach § 40 SGB I entstandene und fällige, sondern auch für künftige Forderungen, denn § 54 Abs.2 oder Abs.3 SGB I enthalte kein dem § 46 Abs.6 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechendes Pfändungsverbot. Die Pfändung zukünftiger Rentenzahlungen sei auch nicht unbillig, weil die Altersrente Lohnersatzfunktion besitze. Der Kläger werde durch die Pfändung auch nicht hilfebedürftig nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), denn die zusätzliche Pfändungsschranke des § 54 Abs.3 Nr.2 SGB I habe bei Bezügen mit Lohnersatzfunktion keine Bedeutung, weil die nach § 850c der Zivilprozeßordnung (ZPO) unpfändbaren Bezüge der Höhe nach stets über den Regelsätzen nach § 22 des BSHG lägen. Das FG-Urteil ist teilweise abgedruckt in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991 S.234.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision. Er macht geltend, es handele sich bei den gepfändeten Rentenansprüchen ihrer Rechtsnatur nach grundsätzlich um unveräußerliche und damit unpfändbare Rechte i.S. des § 857 Abs.3 ZPO, die nach bisherigem Recht ausnahmslos unpfändbar gewesen seien. Nach § 54 SGB I könnten nunmehr nur Ansprüche auf laufende Geldleistungen gepfändet werden. Zukünftige Ansprüche --wie vorliegend der erst mit Vollendung des 65.Lebensjahres entstehende Rentenanspruch (§ 40 SGB I)-- seien weiterhin unpfändbar.
Nach § 54 SGB I sei eine Pfändung ferner nur zulässig, wenn der Berechtigte durch die Pfändung nicht hilfebedürftig nach den Vorschriften des BSHG werde. Diese gesetzliche Voraussetzung müsse im Zeitpunkt der Pfändung erfüllt sein. Da die Hilfebedürftigkeit erst bei Fälligkeit des zukünftigen Anspruchs mit Vollendung des 65.Lebensjahres, nicht aber schon gegenwärtig beurteilt werden könne, fehle es an einer unabdingbaren Voraussetzung für die Pfändung. Es sei auch nicht möglich, die Hilfebedürftigkeitsprüfung erst im Zeitpunkt der Rentenfälligkeit nachzuholen, da zu diesem Zeitpunkt die Pfändung bereits unanfechtbar geworden sei. Das FG gehe auch zu Unrecht davon aus, die im Gesetz geforderte Hilfebedürftigkeitsprüfung sei entbehrlich, weil schon § 850c ZPO die Gewähr dafür biete, daß durch die Pfändung das soziale Existenzminimum des Schuldners nicht angetastet werde. Wäre dies richtig, hätte der Gesetzgeber auf diese (zusätzliche) Voraussetzung verzichten können. Die Annahme des FG sei zudem unrichtig, denn nach Berechnungen des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ergebe sich, daß die Bedarfsschwelle nach dem BSHG für Alleinstehende derzeit mit 1 080 DM anzusetzen sei gegenüber einer Pfändungsfreigrenze nach § 850c ZPO von derzeit nur 754 DM.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG, die Pfändungsverfügung und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Pfändung von zukünftigen Ansprüchen auf Sozialversicherungsrente grundsätzlich zulässig ist. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers handelt es sich bei einem Anspruch auf Zahlung von Sozialversicherungsrente nicht um ein höchstpersönliches, der Pfändung entzogenes Recht. Unpfändbar ist zwar das Rentenstammrecht; die Ausübung des aus der Rentenanwartschaft fließenden Rechts auf zukünftige Zahlung von Sozialversicherungsrente kann jedoch einem Dritten überlassen werden und ist damit gem. § 857 Abs.3 ZPO pfändbar (Schimanski/Emmerich/Warode/Lueg, Knappschaftsversicherung, Anhang C 1 SGB I § 54 Anm.5). Hiervon geht auch § 54 SGB I aus. Nachdem sowohl nach der Fassung des Reichsknappschaftsgesetzes vom 1.Juli 1926 (RGBl I, 369, dort § 224) sowie nach § 92 des Gesetzes zur Neuregelung der knappschaftlichen Rentenversicherung vom 21.Mai 1957 (BGBl I 1957, 533) die Pfändung von Knappschaftsrenten nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig war (zur historischen Entwicklung vgl. Urteil des Bundesgerichtshofes --BGH-- vom 25.Oktober 1984 IX ZR 110/83, BGHZ 92, 339), können nunmehr Ansprüche auf laufende Geldleistungen seit dem 1.Januar 1976 nach dem im Verwaltungsvollstreckungsverfahren nach § 319 AO 1977 entsprechend anwendbaren § 54 SGB I grundsätzlich gepfändet werden, soweit die Rente die für Arbeitseinkommen geltenden jeweiligen Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO überschreitet und die Pfändung der Billigkeit entspricht. Um zu vermeiden, daß der Gläubiger letztlich auf Kosten der Allgemeinheit vollstreckt, ist die Pfändung weiterhin an die Voraussetzung geknüpft, daß der Schuldner durch die Pfändung nicht hilfebedürftig nach den Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird (§ 54 Abs.3 Nr.2 SGB I).
2. Das FG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß nicht nur gegenwärtige, gem. § 40 SGB I schon entstandene, sondern auch zukünftige Ansprüche auf Zahlung von Sozialversicherungsrente pfändbar sind.
a) Es entspricht allgemeiner Rechtsansicht, daß nicht nur fällige, sondern auch zukünftige Forderungen gepfändet werden können, sofern für diese eine ausreichend konkretisierte rechtliche Grundlage vorhanden ist, die ihre Bestimmung nach ihrer Art (Inhalt) und der Person des Drittschuldners ermöglicht. Unerheblich ist, ob die Höhe der Forderung noch ungewiß oder unbestimmt ist oder noch unklar ist, ob eine Forderung überhaupt entstehen wird (Zöller, Zivilprozeßordnung, 16.Aufl., § 829 Tz.2, m.w.N.). Entsteht die Forderung nicht oder liegt sie unterhalb der Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO, so geht die Pfändung ins Leere. Im Streitfall ist für die gepfändete Forderung eine hinreichend konkretisierte rechtliche Grundlage vorhanden, denn durch die Zahlung von Beiträgen ist zwischen dem Kläger und der Bundesknappschaft ein Sozialversicherungsverhältnis entstanden, aus dem sich die künftige Forderung ergibt. Demgemäß hat auch die Bundesknappschaft in ihrer Drittschuldnererklärung die Pfändung anerkannt.
b) Für die Pfändung zukünftiger Sozialleistungen gilt in "Ermangelung besonderer Vorschriften" (§ 857 Abs.3 ZPO) nichts Abweichendes, denn durch § 54 SGB I wird die Pfändung zukünftiger Sozialleistungen nicht ausgeschlossen (ebenso Oberlandesgericht --OLG-- Karlsruhe, Beschluß vom 27.September 1983 15 W 55/83, Der Deutsche Rechtspfleger --Rpfleger-- 1984, 155; Kammergericht Berlin, Beschluß vom 11.Februar 1986 1 W 351/85/51, Rpfleger 1986, 230; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluß vom 8.September 1987 1 W 75/87, Juristisches Büro --JurBüro-- 1988, 932; a.A. Landgericht Bielefeld, Beschluß vom 21.November 1989 3 T 974/89, JurBüro 1990, 784; Landgericht Hildesheim, Beschluß vom 4.April 1990 5 T 116/90, JurBüro 1990, 1054; Landgericht Frankenthal, Beschluß vom 27.August 1990 1 T 303/90, Rpfleger 1991, 164).
Der Wortlaut des § 54 SGB I enthält keinen Ausschlußtatbestand für die Pfändung zukünftiger Sozialleistungen; in Absatz 1 wird lediglich die Pfändung von Ansprüchen auf Dienst- und Sachleistungen untersagt. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber ein Verbot der Pfändung zukünftiger Ansprüche zwar in dem etwa zeitgleich verabschiedeten § 46 Abs.6 AO 1977 (Verbot der Pfändung von Steuererstattungsansprüchen vor ihrer Entstehung), nicht aber in § 54 SGB I getroffen hat. Auch daraus, daß § 54 Abs.2 und 3 SGB I nur Regelungen über die Pfändung von Ansprüchen auf "einmalige" und "laufende" Geldleistungen enthält, folgt nichts Gegenteiliges. Zwar entsteht nach § 40 SGB I ein Sozialleistungsanspruch erst, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Im Streitfall würde es hieran noch fehlen, weil für das nach dem Klägervortrag in Betracht kommende Knappschaftsruhegeld neben dem Ablauf der 60-monatigen Wartezeit, die Vollendung des vorgeschriebenen Lebensalters, eine Antragstellung und die Bewilligung durch die Bundesknappschaft erforderlich wären. Der gesetzgeberischen Differenzierung zwischen Ansprüchen auf Sach- und Dienstleistungen (§ 54 Abs.1 SGB I), einmaligen (Absatz 2) und laufenden Geldleistungen (Absatz 3) in § 54 SGB I ist jedoch eine Regelung über den Zeitpunkt eines möglichen Pfändungszugriffs --nach oder auch schon vor Entstehung des Anspruchs-- nicht zu entnehmen. Gegen eine Pfändungsbeschränkung auf schon entstandene Ansprüche spricht weiter der grundsätzliche Gleichlauf der Abtretungs-, Verpfändungs- und Pfändungsregelungen (§§ 400, 1274 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--, § 851 ZPO). Nach der für die Abtretung und Verpfändung getroffenen Regelung des § 53 SGB I können auch zukünftige Sozialleistungsansprüche (z.B. zur Sicherung von Vorschüssen auf Sozialleistungsansprüche) abgetreten und verpfändet werden (Urteile des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 25.Oktober 1984 11 RA 42/83, SozR 1300, Nr.39, und des BGH vom 22.Juni 1989 III ZR 72/88, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1989, 2383 unter II.). Hätte der Gesetzgeber entgegen dem allgemeinen Rechtsgrundsatz die Pfändung zukünftiger Sozialleistungsansprüche ausschließen wollen, hätte es einer ausdrücklichen Regelung (entsprechend § 46 Abs.6 AO 1977) bedurft.
3. Die Pfändung zukünftiger Ansprüche auf Sozialleistungen scheidet schließlich auch nicht deshalb aus, weil nach § 54 Abs.3 Nr.2 SGB I eine Pfändung nur dann zugelassen werden darf, wenn der Leistungsberechtigte hierdurch nicht hilfebedürftig nach den Vorschriften des BSHG wird, und diese Feststellung mit praktischen Schwierigkeiten verbunden sein kann.
a) Nach überwiegender Auffassung der Landgerichte folgt indes die Unzulässigkeit einer Vorauspfändung daraus, daß die Frage der Hilfebedürftigkeit des Schuldners im Zeitpunkt der Fälligkeit der künftigen Sozialleistung nur nach Kenntnis der zukünftigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse, der Rentenhöhe sowie der Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO sowie der Regelsätze nach § 22 BSHG in der jeweils geltenden Fassung beantwortet werden kann. Da die Feststellung der zukünftigen wirtschaftlichen Verhältnisse praktisch ausgeschlossen sei, fehle eine unabdingbare Pfändungsvoraussetzung (Landgericht Aurich, Beschluß vom 5.November 1990 3 T 133/90, Rpfleger 1991, 165; Landgericht Berlin, Beschluß vom 4.Januar 1989 81 T 1004/88, NJW 1989, 1738; Landgericht Bielefeld, JurBüro 1990, 784, und Beschluß vom 5.März 1990 3 T 167/90, JurBüro 1990, 1062; Landgericht Frankenthal, Rpfleger 1991, 164; Landgericht Köln, Beschluß vom 20.Oktober 1989 9 T 239/89, Rpfleger 1990, 129; Landgericht München I, Beschluß vom 15.Februar 1990 20 T 552/90, Rpfleger 1990, 375; Landgericht Osnabrück, Beschluß vom 7.November 1990 3 T 76/90, JurBüro 1991, 279; Landgericht Ulm, Beschluß vom 8.März 1990 5 T 11/90-01, Rpfleger 1990, 375; Landgericht Wiesbaden, Beschluß vom 20.Dezember 1983 4 T 497/83, Rpfleger 1984, 242; u.a.).
b) Nach einer vermittelnden Auffassung ist eine Pfändung nur dann zuzulassen, wenn die Möglichkeit einer effektiven Billigkeits- und Hilfebedürftigkeitsprüfung besteht, weil zwischen Pfändung und Fälligkeit des Anspruchs nur ein kurzer, überschaubarer Zeitraum liegt und eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr zu erwarten ist (Beschluß des OLG Karlsruhe, Rpfleger 1984, 155; Kammergericht Berlin, Rpfleger 1986, 230; Landgericht Wiesbaden, Rpfleger 1984, 242; Landgericht Düsseldorf, Beschluß vom 6.November 1989 25 T 734/89, JurBüro 1990, 266). Insbesondere die Pfändung künftiger Sozialrenten bei geringem Lebensalter des Schuldners viele Jahre vor Rentenfälligkeit sei daher ausgeschlossen (ebenso Stöber, Forderungspfändung, 9.Aufl., Rdnr. 1359 b).
c) Nach der Gegenauffassung kommt es auf die Kenntnis der zukünftigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners für die Beurteilung der Sozialverträglichkeit der Pfändung aus verschiedenen Gründen nicht an.
aa) Nach Ansicht der Vorinstanz (ebenso Urteil des BGH in BGHZ 92, 339, 346; Schleswig-Holsteinisches OLG, JurBüro 1988, 540; Landgericht Marburg, Beschluß vom 24.November 1988 3 T 264/88, Rpfleger 1989, 163; Klein/Orlopp, Kommentar zur Abgabenordnung, 4.Aufl., § 319 Anm.18) braucht bei Pfändung von Bezügen mit Lohnersatzfunktion der zukünftige Eintritt der Hilfebedürftigkeit nicht geprüft zu werden. Da die nach § 850c ZPO unpfändbaren Beträge stets oberhalb der Regelsätze im Sinne des BSHG lägen, laufe diese zusätzliche Pfändungsschranke regelmäßig leer.
bb) Es wird auch die Auffassung vertreten, für den Ausschluß der Hilfebedürftigkeit komme es nicht auf die zukünftigen Umstände im Fälligkeitszeitpunkt, sondern nur auf die im Zeitpunkt der Pfändung erkennbaren Umstände an (Beschluß des OLG Bremen vom 20.Januar 1988 2 W 152/87, JurBüro 1988, 932). Nur wenn der Schuldner nach den zu diesem Zeitpunkt erkennbaren Umständen voraussichtlich sozialhilfebedürftig werde, müsse die Pfändung unterbleiben. Sollten sich später die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners nachteilig entwickeln, obliege es diesem, im Wege der Erinnerung oder entsprechend § 850g bzw. § 850f ZPO beim Vollstreckungsgericht die Änderung der Pfändungsgrenzen herbeizuführen (so Schleswig-Holsteinisches OLG, JurBüro 1988, 540; Landgericht Verden, Beschluß vom 9.März 1982 1 T 619/81, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1982, 677; Landgericht Hamburg, Beschluß vom 23.Dezember 1987 9 T 229/87, NJW 1988, 2675; Stein/Jonas/Münzberg, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20.Aufl., § 850i Tz.79; Behr, Pfändung zukünftiger Rentenansprüche, Rpfleger 1988, 522; Zöller/Stöber, Zivilprozeßordnung, 16.Aufl., § 850i Tz.27).
4. Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Rechtsauffassung an, wonach die Pfändung zukünftiger Sozialleistungsansprüche nach Maßgabe der im Zeitpunkt der Pfändung erkennbaren Umstände zulässig ist.
a) Da § 54 Abs.3 Nr.2 SGB I für die grundsätzlich zulässige Pfändung zukünftiger Sozialleistungsansprüche die Feststellung voraussetzt, daß der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt der Fälligkeit der Ansprüche (Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 16.Aufl., § 850 Anm.1c; Stein/Jonas/Münzberg, a.a.O., § 850c Anm.13) nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird, verlangt das Gesetz vom Vollstreckungsgericht bzw. vom FA eine Prognoseentscheidung über die zukünftigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Vollstreckungsschuldners im Zeitpunkt der Rentenfälligkeit. Da der Gesetzgeber die Pfändung zukünftiger Sozialleistungsansprüche nicht ausgeschlossen hat, folgt hieraus, daß er für die in § 54 Abs.3 Nr.2 SGB I geforderte Hilfebedürftigkeitsprognose die dem FA im Zeitpunkt der Pfändung erkennbaren Umstände hat ausreichen lassen. Hierfür spricht auch die seit dem 1.Januar 1989 geltende Verfahrensregelung des § 54 Abs.6 SGB I. Danach sollen der Leistungsberechtigte und der Gläubiger vor der Entscheidung über die Pfändung u.a. zur Frage der Hilfebedürftigkeit nach den Vorschriften des BSHG gehört werden. Trägt der Leistungsberechtigte innerhalb der ihm gesetzten Frist keine Tatsachen vor, die die Annahme der Hilfebedürftigkeit rechtfertigen, so kann davon ausgegangen werden, daß die Pfändung zulässig ist.
Sollte sich später im Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs ergeben, daß entgegen der ursprünglichen Prognose bei Durchführung der Pfändung gleichwohl Sozialhilfebedürftigkeit eintritt, so muß es dem Schuldner überlassen bleiben, auf Grund zivilprozessualer Vorschriften eine Erhöhung des pfändungsfrei zu belassenden Betrages zu erreichen (vgl. hierzu die Änderungsmöglichkeiten nach den §§ 850f, 850g ZPO). Zur Zeit wird im Gesetzgebungsverfahren darüber beraten (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Sechsten Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen, BT-Drucks. 11/8016 vom 1.Oktober 1990), ob und auf welche Weise eine rechtliche Möglichkeit zur Anpassung des nach § 850c ZPO unpfändbaren Betrages an den jeweiligen individuellen Sozialhilfebedarf geschaffen werden kann (etwa durch Ergänzung der Härtefallklausel in § 850f Abs.1 ZPO um den Fall der Hilfebedürftigkeit nach den Vorschriften des BSHG). Die Entscheidung des Gesetzgebers muß abgewartet werden. Der Senat ist nicht befugt, im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung bevorstehende gesetzgeberische Entscheidungen vorwegzunehmen (ebenso Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 6.Februar 1991 4 AZR 348/90, NJW 1991, 2038).
b) Entgegen der Vorentscheidung kann auf eine auf die individuellen wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners ausgerichtete Hilfebedürftigkeitsprognose auch nicht deshalb verzichtet werden, weil schon die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO gewährleisten, daß dem Schuldner das wirtschaftliche Existenzminimum verbleibt; denn dies ist nicht der Fall. Dies ergibt sich u.a. daraus, daß § 850c ZPO im Interesse der Rechtsklarheit und Praktikabilität des Vollstreckungsverfahrens die Pfändungsfreigrenzen nur pauschal bemißt und diese bisher nur im Abstand von etwa 6 Jahren an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepaßt worden sind. So betrug die Pfändungsfreigrenze nach § 850c ZPO ab 1.April 1972: 338 DM, ab 1.April 1978: 559 DM und seit dem 1.April 1984 bis heute unverändert: 754 DM. Der Sozialhilfebedarf wird hingegen nach den individuellen Verhältnissen des Einzelfalles bestimmt (Stöber, a.a.O., Tz.1393; Christmann, Konkordanz von Schuldnerschutz und Sozialhilferecht, Rpfleger 1990, 403), wobei die Anhebung der Regelsätze der Hilfe zum Lebensunterhalt gem. § 22 Abs.3 BSHG durchschnittlich bereits alle 1 1/2 Jahre erfolgt ist (Urteil des BSG vom 20.Juni 1984 7 Ar 18/83, BSGE 57, 59, 67). Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß § 54 Abs.3 Nr.2 SGB I auf die Hilfebedürftigkeit im Sinne des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt (2.Abschn. des BSHG) insgesamt verweist und nicht nur --wovon die Vorinstanz ausgeht-- auf die von den Landesbehörden bestimmten Regelsätze gem. § 22 Abs.3 BSHG. Deshalb sind bei der Bemessung des notwendigen Lebensunterhalts zusätzlich zu den Regelsätzen die Kosten für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen (§ 3 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG; ebenso BFH-Urteil vom 8.Juni 1990 III R 14-16/90, BFHE 161, 109, BStBl II 1990, 969, und Vorlagebeschluß des Finanzgerichts Münster vom 1.Februar 1991 16 K 936/90 E, EFG 1991, 253, 256).
Auch in der Begründung zum Entwurf des Sechsten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen (BT-Drucks.11/8016) geht die Bundesregierung davon aus, daß die Pfändungsfreibeträge des § 850c ZPO den durchschnittlichen Sozialhilfebedarf derzeit unterschreiten. Der Senat hält deshalb an der von ihm (Urteil vom 7.Juli 1987 VII R 94/84, BFHE 150, 492, BStBl II 1987, 804) im Anschluß an eine --nicht tragende-- Erwägung des BGH (BGHZ 92, 339, 346) vertretenen gegenteiligen Rechtsansicht, wonach eine Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des BSHG bei Beachtung des § 850c ZPO regelmäßig ausgeschlossen sei, nicht mehr fest (ebenso: BSG in BSGE 57, 59, 67; Landgericht Bielefeld, JurBüro 1990, 784, 786, 1062, 1064; Landgericht Frankenthal, Rpfleger 1991, 164; Landgericht Aurich, Rpfleger 1991, 165).
5. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird die bislang nicht getroffenen Feststellungen, die als Grundlage einer Prognoseentscheidung gem. § 54 Abs.3 Nr.2 SGB I erforderlich sind, daß der Kläger durch die Pfändung der Rentenansprüche nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird, nachzuholen haben. Dabei wird es insbesondere die voraussichtliche Höhe der Rente und die sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers überprüfen müssen. Soweit die zu erwartende Rente im Bereich des derzeitigen Sozialhilfebedarfs liegt, dürfte eine positive Prognose ausgeschlossen und die Pfändung somit unzulässig sein. Das FG kann aber die nunmehr vom Gesetzgeber in § 54 Abs.6 Satz 2 SGB I getroffene Beweislastregel berücksichtigen. Danach kann, wenn der Schuldner keine Tatsachen vorträgt, die gegen die Billigkeit der Pfändung sprechen oder die die Annahme rechtfertigen, daß er durch die Pfändung hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird, davon ausgegangen werden, daß die Pfändung zulässig ist. Der Senat weist weiter darauf hin, daß die Frage der Billigkeit der Pfändung nach § 54 Abs.3 Nr.2 i.V.m. Abs.2 SGB I, die bei Lohnersatzleistungen i.d.R. gegeben sein dürfte, bisher nicht umfassend geprüft worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 63696 |
BFH/NV 1991, 71 |
BStBl II 1991, 869 |
BFHE 165, 165 |
BFHE 1992, 165 |
BB 1992, 54 |
BB 1992, 54-55 (LT) |
DStR 1991, 1569 (K) |
HFR 1992, 1 (LT) |
StE 1991, 384 (K) |