Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Kürzung des Vorwegabzugs bei Anrechnung des Ausgleichsanspruchs nach §89 b HGB auf Versorgungsanspruch
Leitsatz (NV)
Erhält ein Handelsvertreter den ihm gegen das von ihm vertretene Unternehmen zustehenden Versorgungsanspruch nicht zusätzlich zu einem etwaigen Ausgleichsanspruch nach §89 b HGB, sondern mindert der Versorgungsanspruch den Ausgleichsanspruch nach §89 b HGB, ist der Anspruch auf Altersversorgung nicht "ohne eigene Beitragsleistung" erworben. Der Vorwegabzug ist deshalb nicht nach §10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a, cc EStG zu kürzen.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. a, cc
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr als selbständiger Handelsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 110 626 DM. Im Einkommensteuerbescheid für 1991 gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) dem Kläger den ungekürzten Vorwegabzug nach §10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 4 000 DM. Der Bescheid ist u. a. hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen vorläufig (§165 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --).
Im Verfahren über den Einspruch des Klägers, mit dem er nachträglich einen Kinderfreibetrag geltend gemacht hatte, wies das FA den Kläger darauf hin, daß der Vorwegabzug um 9 v. H. der für das Streitjahr maßgeblichen Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Angestellte von 78 000 DM zu kürzen sei, sofern der Ausgleichsanspruch gemäß §89 b des Handelsgesetzbuches (HGB) nicht durch eine besondere Versorgungszusage gemindert sei. Der Kläger teilte dem FA daraufhin mit, er habe neben dem Ausgleichsanspruch nach §89 b HGB keinen zusätzlichen Versorgungsanspruch, und hielt den Einspruch aufrecht. In der Einspruchsentscheidung berücksichtigte das FA den beantragten Kinderfreibetrag, setzte die Steuer jedoch ohne Gewährung des Vorwegabzugs neu fest.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Auffassung des FA. Der aufgrund der Vertragsbeziehungen zu dem Unternehmen erworbene Anspruch nach §89 b HGB sei letztlich ein Versorgungsanspruch, den der Kläger ohne eigene Beitragsleistung erworben habe. Dieser Anspruch falle unter §10 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a, cc EStG. Zwar unterscheide sich der Ausgleichsanspruch nach §89 b HGB von einer Altersversorgung und könne ggf. schon in jungen Jahren dem Handelsvertreter zufließen; diese nachteiligen Folgen seien vom Gesetzgeber nach Änderung des §10 Abs. 3 EStG gewollt. Das FA habe die Vorschrift in Übereinstimmung mit den Einkommensteuer-Richtlinien -- EStR -- (Abschn. 106 Abs. 2 Nr. 1 c) angewandt.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1991 i. d. F. der Einspruchsentscheidung vom 28. Juni 1993 in der Weise zu ändern, daß ein Vorwegabzug in Höhe von 4 000 DM berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Klagestattgabe (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Der Vorwegabzug ist entgegen der Auffassung des FG nicht zu kürzen, wenn ein Versorgungsanspruch auf einen etwaigen Ausgleichsanspruch nach §89 b HGB angerechnet wird.
1. Nach §10 Abs. 3 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung sind Vorsorgeaufwendungen nur im Rahmen eines Grundhöchstbetrages, eines zusätzlichen Vorwegabzuges für Beiträge nach §10 Abs. 1 Nr. 2 EStG und eines hälftigen Höchstbetrages abziehbar. Der Vorwegabzug beträgt 4 000 DM, wenn, wie im Streitfall, kein Fall der Zusammenveranlagung vorliegt (§10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG). Dieser Betrag ist bei den in §10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a und b EStG aufgeführten Steuerpflichtigen zu kürzen um 9 v. H. und/oder 3 v. H. ... des Gewinns aus der Tätigkeit, mit der die Alters- oder Krankenversorgung zusammenhängt, höchstens des zu Beginn des Veranlagungszeitraums jeweils maßgebenden Jahresbetrages der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten oder des Anteils dieses Jahresbetrages, der auf die Dauer der Beschäftigung ... im Kalenderjahr entfällt. Zu kürzen ist der Vorwegabzug bei Steuerpflichtigen, die eine Berufstätigkeit ausüben und im Zusammenhang damit aufgrund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erwerben (§10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a, cc EStG). Hierzu gehören u. a. auch selbständige Handelsvertreter, die von einem Unternehmen, für das sie tätig sind, Altersversorgungsansprüche ohne eigene Beitragsleistung erwerben.
Die Kürzung des Vorwegabzugs hat keinen sachlichen Bezug zu der -- vom Vorläufigkeitsvermerk des angefochtenen Bescheides umfaßten -- Frage, ob die betragsmäßige Beschränkung der steuerlichen Berücksichtigung existenznotwendiger Privataufwendungen verfassungsgemäß ist. Der Vorwegabzug ist lediglich das rechtstechnische Instrument, mit dem insbesondere Arbeitnehmer und andere Personen, die im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit Anwartschaften auf eine Altersversorgung oder Leistungen im Krankheitsfall erlangen, ohne eigene Beiträge zu leisten, mit selbständig Tätigen gleichgestellt werden, die ihre Beiträge zur Altersvorsorge in voller Höhe aufbringen müssen (Senatsurteil vom 12. Oktober 1994 X R 260/93, BFHE 175, 563, BStBl II 1995, 119 unter 3.). Es bestand deshalb (auch) für das FG keine Veranlassung, die diesbezügliche Sachentscheidung bis zu einer Entscheidung über die Höchstbetragsgrenzen zurückzustellen (vgl. Senatsurteil vom 27. November 1996 X R 20/95, BFH/NV 1997, 540).
2. Der durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl I 1961, 981) eingeführte Vorwegabzug sollte diejenigen Steuerpflichtigen begünstigen, die ihre Beiträge zur Altersvorsorge in voller Höhe selbst aufbringen müssen. Bei Steuerpflichtigen, die nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegen, denen jedoch ohne eigene Beitragsleistung eine betriebliche Pensionsanwartschaft zugesagt wird, sollte der Vorwegabzug gekürzt werden (vgl. BTDrucks 8/292 S. 21).
Weil nach der Zivilrechtsprechung (z. B. Urteile des Bundesgerichtshofs vom 23. Mai 1966 VII ZR 268/64, BGHZ 45, 268, 273; vom 17. November 1983 I ZR 139/81, Betriebs-Berater 1984, 168, m. w. N.) eine ausschließlich mit Mitteln des Unternehmens aufgebrachte Versorgungsleistung in der Regel aus Billigkeitsgründen auf den Ausgleichsanspruch nach §89 b HGB anzurechnen ist, ordnete das StÄndG 1979 vom 30. November 1978 (BGBl I 1978, 1849) in §10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b, bb Satz 2 EStG ausdrücklich an, daß die Minderung eines etwaigen Ausgleichsanspruchs nach §89 b HGB durch einen Versorgungsanspruch und die Anrechnung eines Ausgleichsanspruchs auf den Versorgungsanspruch als "eigene Beitragsleistung" gilt und deshalb keine Kürzung vorzunehmen ist. Damit wurde berücksichtigt, daß der Anspruch nach §89 b HGB seiner Natur nach ein zusätzlicher Vergütungsanspruch des Handelsvertreters für seine vor Vertragsende geleisteten und nach Vertragsende fortwirkenden Dienste ist (ständige Rechtsprechung, z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 25. Juli 1990 X R 111/88, BFHE 162, 38, 42, BStBl II 1991, 218, m. w. N.; Glanegger in Heidelberger Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 3. Aufl., §84 Rz. 12, m. w. N.).
Durch das Steuerreformgesetz (StRG) 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093) wurden die Kürzungsbestimmungen insgesamt neu gefaßt und zum Teil wesentlich geändert. Die u. a. Handelsvertreter betreffende Kürzungsvorschrift des §10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a, cc EStG entspricht inhaltlich im wesentlichen der Vorgängervorschrift; allerdings wurde der bisherige Satz 2, wonach die Minderung eines etwaigen Ausgleichsanspruchs nach §89 b HGB durch einen Versorgungsanspruch und die Anrechnung eines etwaigen Ausgleichsanspruchs nach §89 b HGB auf einen Versorgungsanspruch als "eigene Beitragsleistung" gilt, nicht übernommen. Daraus folgt entgegen der Auffassung des FG und des FA nicht, daß nunmehr der Vorwegabzug in jedem Fall zu kürzen wäre, d. h. auch dann, wenn ein Versorgungsanspruch -- wie im Streitfall -- auf einen etwaigen Ausgleichsanspruch angerechnet wird.
a) Tatbestandliche Voraussetzung für die Kürzung des Vorwegabzugs ist der Erwerb eines Anspruchs auf Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung des Steuerpflichtigen. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Versorgungsanspruch mit einem Ausgleichsanspruch nach §89 b HGB verrechnet wird. Denn mit dem Anspruch nach §89 b HGB werden die bis zum Vertragsende vom Handelsvertreter für das vertretene Unternehmen geleisteten und nach Vertragsende fortwirkenden Dienste abgegolten; dem entspricht, daß diese Bezüge steuerrechtlich als laufender Gewinn aus Gewerbebetrieb erfaßt werden (z. B. BFH in BFHE 162, 38, BStBl II 1991, 218, m. w. N.). Ist der Ausgleichsanspruch nach §89 b HGB auf den Versorgungsanspruch anzurechnen, ist letzterer nicht ohne eigene Beitragsleistung erworben. Auf diese Beurteilung hat sich die Änderung der steuerrechtlichen Norm nicht ausgewirkt. Der durch das StRG 1990 gestrichene Satz 2 hatte nur klarstellende Bedeutung (vgl. auch Söhn in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, §10 P 66 t; Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., §10 EStG Anm. 402 a; Stephan in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, §10 EStG Rz. 282; Hutter in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, §10 EStG Rz. 396).
b) Dies bestätigt die Entstehungsgeschichte. Die amtliche Begründung zur Neufassung des §10 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b, bb EStG erläutert audrücklich, "die Minderung eines etwaigen Ausgleichsanspruchs nach §89 b HGB durch einen Versorgungsanspruch und die Anrechnung eines etwaigen Ausgleichsanspruchs nach §89 b HGB auf einen Versorgungsanspruch führt nicht zur Kürzung des Vorwegabzugs, weil dies eine eigene Beitragsleistung" sei. Der Gesetzgeber ging offensichtlich davon aus, daß es einer Klarstellung nicht (mehr) bedürfe.
c) Aus Abschn. 106 Abs. 2 Nr. 1 c EStR 1990 ergibt sich insoweit nichts anderes. Diese wiederholen lediglich den bisherigen Satz 2, denn danach ist nur zu kürzen bei Handelsvertretern, bei denen ein etwaiger Ausgleichsanspruch nach §89 b HGB durch einen Versorgungsanspruch nicht gemindert oder auf einen Versorgungsanspruch nicht angerechnet wird. Daran fehlt es, wenn -- wie im Streitfall -- der Handelsvertreter den Versorgungsanspruch nicht zusätzlich zu einem etwaigen Ausgleichsanspruch erhält.
3. Da das FG von einer anderen Auffassung ausgegangen ist, war das Urteil aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides wird die Steuer wie folgt festgesetzt: ...
Fundstellen
Haufe-Index 66570 |
BFH/NV 1998, 442 |
DStRE 1998, 162 |
HFR 1998, 357 |