Vorsorgeaufwendungen bei Bezug von steuerfreiem Arbeitslohn

Bei steuerfreiem Arbeitslohn für eine Tätigkeit in einem Drittstaat sind Vorsorgeaufwendungen (hier: Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung) nicht als Sonderausgaben abziehbar. Das gilt – ohne Verfassungsverstoß – auch dann, wenn im Tätigkeitsstaat keine steuerliche Entlastung für die Aufwendungen gewährt wird.

Hintergrund: Tätigkeit im Drittstaat

E war von seinem inländischen Arbeitgeber vorübergehend in die Volksrepublik China entsandt worden. Den inländischen Wohnsitz behielt er bei.

Der von E im Streitjahr 2016 bezogene Arbeitslohn entfiel zu 87,72% auf die in China und zu 12,28% auf die im Inland ausgeübte Tätigkeit. Das FA besteuerte nach Art. 15 Abs. 1 DBA-China den Arbeitslohn des E im Umfang des inländischen Tätigkeitsanteils (12,28%). Im Übrigen stellte es die Einkünfte unter Progressionsvorbehalt steuerfrei (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG)

E erklärte seine Beiträge zur inländischen gesetzlichen Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung als Sonderausgaben. Das FA bezog nur 12,28 % der geleisteten Beiträge in die Berechnung ein, da Vorsorgeaufwendungen, die mit steuerfreien Einnahmen in Zusammenhang stehen, nicht als Sonderausgaben abziehbar seien (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG).

Dem folgte das FG und wies Klage ab. Das Abzugsverbot sei verfassungsgemäß, und zwar selbst dann, wenn eine steuermindernde Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen in China rechtlich nicht möglich gewesen sei.

Entscheidung: Das Verbot des Sonderausgabenabzugs ist verfassungsgemäß

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Eine Verletzung von Verfassungsrecht liegt nicht vor. 

Keine Ausnahme vom Abzugsverbot

§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG schließt den Abzug der dort genannten (und vorliegend betroffenen) Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben aus, wenn sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Ausnahme nach Teilsatz 2 liegt nicht vor. Denn E übte seine Tätigkeit nicht in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat (bzw. in der Schweiz) aus.

Kein Verfassungsverstoß bei der Arbeitslosenversicherung

Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, Beiträge zu den in § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG genannten Versicherungen steuerlich überhaupt freizustellen (vgl. zuletzt BFH v. 9.9.2015, X R 5/13, BStBl II 2015, S. 1043, Rz. 20).

Das subjektive Nettoprinzip (Steuerfreiheit des Existenzminimums) verpflichtet nur, Beiträge zu Versicherungen, die den Schutz des Lebensstandards in Höhe des Existenzminimums gewährleisten, zum Abzug zuzulassen. Das Arbeitslosengeld dient jedoch nicht der Absicherung des Existenzminimums, sondern ist als Lohnersatzleistung ausgestaltet. Deshalb berühren Beiträge zu einer Arbeitslosenversicherung nicht das subjektive Nettoprinzip (BFH v. 23.1.2013, X R 32/08, BStBl II 2013, S. 423).

Auch kein Verfassungsverstoß hinsichtlich der Altersvorsorgeaufwendungen

Auch der Ausschluss des Sonderausgabenabzugs für die von E erbrachten Rentenversicherungsbeiträge (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStG) ist mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar:  

  • Das objektive Nettoprinzip ist nicht berührt. Denn § 10 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStG ordnet die Altersvorsorgeaufwendungen (materiell eigentlich die Einkunftssphäre betreffende Werbungskosten) mit konstitutiver Wirkung den Sonderausgaben zu. Die generellere Regelung (Werbungskostenabzug) ist damit gesperrt (BFH v. 19.8.2021, X R 4/19, BStBl II 2022, S. 256, Rz. 19).
  • Kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz Denn eine etwaige doppelte Besteuerung kann nicht bereits in der Aufbauphase, sondern erst mit Beginn der Rentenauszahlungsphase geltend gemacht werden (BFH v. 19.5.2021, X R 33/19, BFH/NV 2021, S. 992, Rz. 22).
  • Auch bei den Rentenversicherungsbeiträten ist (wie bei den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen, s.o.) das subjektive Nettoprinzip nicht verletzt. Wenn (zur Vermeidung der doppelten Inanspruchnahme von Vergünstigungen) Altersvorsorgeaufwendungen, die in Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen, vom Sonderausgabenabzug ausgeschlossen werden, wird das subjektive Nettoprinzip deshalb nicht berührt, weil die Steuerfreistellung der Einnahmen bereits bewirkt, dass die Vorsorgeaufwendungen aus im Inland nicht versteuertem Einkommen geleistet werden können. Eines zusätzlichen Sonderausgabenabzugs bedarf es nicht.
  • Unerheblich ist, dass die Einnahmen des E nicht in Gänze steuerfrei gestellt, sondern in China steuerlich belastet wurden. Der Ausschluss des Sonderausgabenabzugs bei grenzüberschreitenden Sachverhalten steht nicht generell unter dem Vorbehalt, dass die Vorsorgeaufwendungen in dem anderen Staat steuerlich abgezogen werden können. Diese Ausnahme gilt zur Wahrung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nur im Verhältnis zu EU- und EWR-Mitgliedstaaten sowie zur Schweiz (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG). Zu Drittstaaten gilt jedoch die Arbeitnehmerfreizügigkeit grundsätzlich nicht. Die Frage, ob eine Minderung der Leistungsfähigkeit vorliegt oder durch den Zufluss steuerfreier Einnahmen kompensiert wird, ist losgelöst von der steuerlichen Behandlung im Ausland zu beurteilen. Darauf hat der nationale Gesetzgeber keinen Einfluss.
  • Kein Verstoß gegen das Folgerichtigkeitsgebot. Der Gesetzgeber hat mit dem AltEinkG und dem damit umgesetzten Konzept einer nachgelagerten Besteuerung von Alterseinkünften grundsätzlich eine folgerichtige und den allgemeinen Gleichheitssatz nicht verletzende Regelung geschaffen. Er hat die durch das Verbot einer doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkünften gezogenen Grenzen nicht überschritten, solange und soweit die Beitragsleistungen "steuerfrei" gestellt werden (BVerfG v. 30.9.2015, 2 BvR 1066/10, HFR 2016, S. 72, Rz. 34).
  • Eine solche Steuerfreistellung liegt im Streitfall vor. Zwar mindern die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im vorliegend streitigen Umfang die inländische Bemessungsgrundlage wegen des Ausschlusstatbestands (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG) nicht. Jedoch werden die mit diesen Beiträgen verbundenen Lohneinkünfte des E aus China ebenfalls von der inländischen Bemessungsgrundlage ausgenommen, sodass E sie aus insoweit steuerbefreitem Einkommen leisten konnte.

Hinweis: Unzulässige Revision im Parallelfall

Die Revision war im Wesentlichen auf das Urteil des FG Düsseldorf v. 10.7.2018, 10 K 1964/17 E (EFG 2018, S. 1515) gestützt. Das FG Düsseldorf hatte in einem vergleichbaren Fall einen Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip bejaht. Das Urteil wurde rechtskräftig. Denn die dagegen vom FA eingelegte Revision wurde vom BFH aus prozessualen Gründen (ohne Hinweis zur Rechtsfrage) als unzulässig verworfen (BFH v. 26.2.2019, X R 23/18, BFH/NV 2019, S. 575).

BFH Urteil vom 14.12.2022 - X R 25/21 (veröffentlicht am 27.04.2023)

Alle am 27.04.2023 veröffentlichten BFH-Entscheidungen


Schlagworte zum Thema:  Einkommensteuer, Sonderausgaben, Ausland