Entscheidungsstichwort (Thema)
Zinslauf bei offenen Gewinnausschüttungen
Leitsatz (NV)
Erstmalige Beschlüsse über eine offene Gewinnausschüttung sind zwar rückwirkende Ereignisse i.S. des § 233a Abs. 2a AO 1977, sie lösen gleichwohl keinen abweichenden Zinslauf nach dieser Bestimmung aus (st. Rspr., z.B. Senatsurteil vom 22.10.2003 I R 15/03, BFHE 204, 6, BStBl II 2004, 398). Der Begriff des erstmaligen Gewinnverteilungsbeschlusses ist allerdings eng auszulegen; weitere Gewinnausschüttungen zu einem späteren Zeitpunkt sind als Änderungen des ursprünglichen Ausschüttungsbeschlusses nicht erfasst.
Normenkette
AO 1977 § 233a Abs. 2a
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Berechnung von Zinsen zur Körperschaftsteuer gemäß § 233a Abs. 2a der Abgabenordnung (AO 1977) für das Streitjahr 1997.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Sie reichte 1999 ihre Körperschaftsteuererklärung 1997 ein. Aus der Erklärung ergab sich, dass die Klägerin aufgrund entsprechender Gewinnverteilungsbeschlüsse in 1998 für das Wirtschaftsjahr 1996/97 (Zeitraum: 1. Dezember 1996 bis 30. November 1997) Gewinne in Höhe von insgesamt 119 Mio. DM ausgeschüttet hatte, und zwar 61 Mio. DM durch Beschluss vom Januar 1998, 51 Mio. DM durch Beschluss vom März 1998 und weitere 7 Mio. DM durch Beschluss vom Juli 1998.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Steuer durch Bescheid vom 2. Juli 1999 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 65 485 023 DM fest. Nach Anrechnung von Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer und nach Abzug der geleisteten Vorauszahlungen ergab sich ein durch die Klägerin noch zu zahlender Betrag in Höhe von 727 826 DM. Nachzahlungszinsen setzte das FA zu Lasten der Klägerin unter Hinweis auf § 233a AO 1977 in Höhe von 393 417 DM fest. Dabei ging das FA davon aus, dass die drei Gewinnverteilungsbeschlüsse rückwirkende Ereignisse darstellten, für die der besondere Zinslauf nach § 233a Abs. 2a AO 1977 gelten sollte. Dementsprechend wurden die Zinsen für den Zeitraum vom 1. April 1999 bis 5. Juli 1999 unter Hinzurechnung der gesamten Körperschaftsteuer-Minderung auf Ausschüttungen in Höhe von 25 500 000 DM berechnet. Die Klägerin legte dagegen Einspruch ein.
Während des Einspruchsverfahrens wurde der Körperschaftsteuerbescheid 1997 wiederholt geändert:
- Mit Bescheid vom 12. Oktober 1999 setzte das FA die Körperschaftsteuer auf 63 579 156 DM herab und änderte die Festsetzung der Zinsen entsprechend.
- Nach Ergehen des Senatsurteils vom 18. Mai 1999 I R 60/98 (BFHE 188, 542, BStBl II 1999, 634) schloss sich das FA der Auffassung des erkennenden Senats an, dass durch den erstmaligen Beschluss einer offenen Gewinnausschüttung für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr kein abweichender Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2a AO 1977 ausgelöst werde. Das FA berücksichtigte daher mit Zinsbescheid vom 10. Januar 2000 die erste, im Januar 1998 beschlossene Gewinnausschüttung in Höhe von 61 Mio. DM bei der Berechnung der Zinsen mit Zinslaufbeginn zum 1. April 1999; dies führte zu einer Reduzierung der Nachzahlungszinsen auf 143 809 DM. Hinsichtlich der im März und im Juli beschlossenen Gewinnausschüttungen bzw. der darauf beruhenden Körperschaftsteuer-Minderung ging das FA weiterhin von einem Beginn des Zinslaufs zum 1. April 2000 aus.
- Mit Änderungsbescheid vom 10. Juli 2000 setzte das FA die Körperschaftsteuer 1997 erneut herab, was im Ergebnis zu einer Festsetzung von Erstattungszinsen in Höhe von 43 489 DM führte. Dabei vertrat das FA nach wie vor die Auffassung, dass es sich bei den Beschlüssen vom März und Juli 1998 um rückwirkende Ereignisse i.S. des § 233a Abs. 2a AO 1977 gehandelt habe.
Der Einspruch der Klägerin wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster vom 12. Dezember 2003 9 K 5324/00 K ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 543 veröffentlicht.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das Urteil des FG verstoße gegen § 233a Abs. 2a AO 1977. Diese Vorschrift sei einschränkend auszulegen, wenn Gewinnausschüttungen vor erstmaliger Abgabe der Steuererklärung und/oder vor Ablauf der in § 233a Abs. 2 AO 1977 bestimmten Karenzzeit von 15 Monaten nach Ablauf des Veranlagungszeitraums erfolgten. Darüber hinaus habe das FG seine Amtsermittlungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt; denn es hätte --ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt und in Anbetracht des zeitlichen Zusammenhangs der in 1998 beschlossenen Gewinnausschüttungen-- feststellen müssen, ob es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht um einen einheitlichen Gewinnausschüttungsbeschluss in Stufen unter Berücksichtigung der Liquidität der Klägerin gehandelt habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG Münster vom 12. Dezember 2003 9 K 5324/00 K aufzuheben und unter Änderung des Zinsbescheides zur Körperschaftsteuer 1997 Erstattungszinsen aufgrund der Körperschaftsteuer in Folge der weiteren Gewinnausschüttungen im März und Juli 1998 für das Wirtschaftsjahr 1996/97 unter Berücksichtigung eines Zinslaufbeginns ab dem 1. April 1999 festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind Zinsen auf Steuern zu leisten, wenn die Festsetzung der Steuer zu einer Steuernachzahlung oder -erstattung führt. Maßgebend für die Zinsberechnung ist der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer einerseits und den anzurechnenden Steuerabzugsbeträgen, der anzurechnenden Körperschaftsteuer und den bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen andererseits (§ 233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977). Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977).
Soweit die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO 1977) beruht, beginnt der Zinslauf abweichend hiervon 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist (§ 233a Abs. 2a AO 1977). In einem derartigen Fall ist der für die Zinsberechnung maßgebliche Unterschiedsbetrag in der Weise zu ermitteln, dass er in Teil-Unterschiedsbeträge mit jeweils gleichem Zinslaufbeginn aufzuteilen ist; für jeden Teil-Unterschiedsbetrag sind Zinsen gesondert und in der zeitlichen Reihenfolge der Teil-Unterschiedsbeträge zu berechnen, beginnend mit den Zinsen auf den Teil-Unterschiedsbetrag mit dem ältesten Zinslaufbeginn (§ 233a Abs. 7 Satz 1 AO 1977). Diese durch das Jahressteuergesetz 1997 (JStG 1997) geschaffenen gesetzlichen Neuregelungen finden erstmals in jenen Fällen Anwendung, in denen das rückwirkende Ereignis nach dem 31. Dezember 1995 eingetreten ist (Art. 97 § 15 Abs. 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung --EGAO 1977-- i.d.F. des JStG 1997).
2. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass im Streitfall die beiden im März und Juli 1998 für das Wirtschaftsjahr 1996/97 beschlossenen Gewinnausschüttungen nicht dem Regelzinslauf des § 233a Abs. 2 AO 1977 unterliegen; denn es handelt sich nicht um "erstmalige" Beschlüsse im Sinne der Senatsrechtsprechung zu § 233a Abs. 2a AO 1977.
a) Beschlüsse über eine offene Gewinnausschüttung für ein abgelaufenes Wirtschaftjahr sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats rückwirkende Ereignisse i.S. des § 233a Abs. 2a AO 1977. Sie lösen gleichwohl keinen abweichenden Zinslauf nach dieser Bestimmung aus, wenn der betreffende Beschluss ein erstmaliger ist (Senatsurteile in BFHE 188, 542, BStBl II 1999, 634; vom 29. November 2000 I R 45/00, BFHE 193, 500, BStBl II 2001, 326; vom 22. Oktober 2003 I R 15/03, BFHE 204, 6, BStBl II 2004, 398, m.w.N.). Die Finanzverwaltung ist dem grundsätzlich gefolgt (Anwendungserlass zur Abgabenordnung --AEAO-- zu § 233a Tz. 10.3 - eingefügt durch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 3. Januar 2005, BStBl I 2005, 3 Tz. 17 Buchst. b).
Mit dieser Rechtsprechung hat der Senat den Anwendungsbereich des § 233a Abs. 2a AO 1977 im Wege der teleologischen Reduktion eingeschränkt. Er hat dies zum einen mit den körperschaftsteuerrechtlichen Besonderheiten von Gewinnausschüttungen nach §§ 27 ff. des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1996 und zum anderen mit dem Sinn und Zweck der Zinsregelungen in § 233a AO 1977 begründet; wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Entscheidungen Bezug genommen. Der Beschränkung auf den erstmaligen Beschluss einer Gewinnausschüttung bedurfte es, um anderenfalls drohenden Gestaltungsmöglichkeiten entgegenzuwirken (Senatsurteile in BFHE 188, 542, 547 f., BStBl II 1999, 634, 637; in BFHE 204, 6, 9, BStBl II 2004, 398, 400).
b) Der Senat hält vor diesem Hintergrund daran fest, dass der Begriff des erstmaligen Gewinnverteilungsbeschlusses eng auszulegen ist und nicht auf weitere Beschlüsse ausgedehnt werden kann (vgl. Senatsurteil in BFHE 204, 6, 8 f., BStBl II 2004, 398, 400). Hat eine Kapitalgesellschaft zunächst beschlossen, Gewinne in einer bestimmten Höhe auszuschütten, und beschließt sie zu einem späteren Zeitpunkt weitere Gewinnausschüttungen, so wird im Ergebnis der ursprüngliche Ausschüttungsbeschluss durch die nachfolgenden Beschlüsse der Höhe nach geändert. Es handelt sich bei den nachfolgenden Gewinnverteilungsbeschlüssen demnach nicht mehr um erstmalige Beschlüsse. Der von der Klägerin vertretenen Auffassung, dass mehrere zeitlich zusammenhängende Beschlüsse jedenfalls dann als ein "erstmaliger" Beschluss betrachtet werden können, wenn sie innerhalb der in § 233a Abs. 2 AO 1977 bestimmten Karenzzeit von 15 Monaten nach Ablauf des Veranlagungszeitraums gefasst werden, folgt der Senat nicht. Das gilt auch im Hinblick auf die von der Klägerin vorgeschlagene "wirtschaftliche Betrachtungsweise", wonach bezogen auf den Streitfall die in 1998 gefassten Beschlüsse als "einheitlicher Gewinnausschüttungsbeschluss in Stufen" zu behandeln sein sollen.
c) Das FG ist von den gleichen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, so dass kein Anlass bestand, der von der Klägerin mit der Revision aufgeworfenen Frage nach dem wirtschaftlichen Hintergrund der drei Gewinnverteilungsbeschlüsse nachzugehen und den Sachverhalt unter diesem Gesichtspunkt weiter aufzuklären. Die Rüge der Klägerin, das FG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, ist daher nicht berechtigt.
Fundstellen
Haufe-Index 1718303 |
BFH/NV 2007, 1065 |
HFR 2007, 632 |