Berücksichtigung von zurückgezahlten Erstattungszinsen als negative Einnahmen
Das Entstehen negativer Einnahmen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG setzt voraus, dass die vom Steuerpflichtigen aufgrund der erneuten Zinsfestsetzung zu zahlenden Zinsen auf denselben Unterschiedsbetrag und denselben Verzinsungszeitraum entfallen wie die aufgrund der früheren Zinsfestsetzung erhaltenen Erstattungszinsen.
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Zu dem Einkünften aus Kapitalvermögen gehören Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage. Erstattungszinsen i. S. d. § 233a AO sind Erträge in diesem Sinne (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG).
Sachverhalt: Kläger erklärt zurückgezahlten Zinsen als negative Kapitaleinkünfte
Der Kläger erklärte im Jahr 2012 (Streitjahr) bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen negative Einnahmen aus der Rückzahlung von Erstattungszinsen zur Einkommensteuer nach § 233a AO i. H. v. insgesamt 32.743 EUR. Diesem Betrag lagen folgende, frühere Veranlagungszeiträume betreffende Zinsfestsetzungen zugrunde.
Veranlagungszeitraum 2006
Mit Bescheid vom 1.2.2010 setzte das Finanzamt (FA) die Zinsen zur ESt auf - 46.184,00 EUR EUR zugunsten des Klägers fest. Bei der Berechnung der Zinsen legte es einen Unterschiedsbetrag von 419.850 EUR und einen Verzinsungszeitraum vom 1.4.2008 bis zum 4.2.2010 (22 volle Monate) zu Grunde.
Am 14.12.2011 setzte das FA die Zinsen zur ESt nur noch auf - 27.484 EUR fest. Bei der Berechnung ermittelte das FA zunächst auf der Basis eines abgerundeten Unterschiedsbetrags zu Ungunsten des Klägers von 85.000 EUR und eines Verzinsungszeitraums vom 1.4.2008 bis zum 19.12.2011 (44 volle Monate) Nachzahlungszinsen i. H. v. 18.700 EUR. Diesen Betrag verrechnete es mit den bisher festgesetzten Zinsen i. H. v. - 46.184 EUR. Den Differenzbetrag von 18.700 EUR zahlte der Kläger im Jahr 2012 an das FA.
Veranlagungszeitraum 2007
Mit Bescheid vom 1.2.2010 setzte das FA die Zinsen zur ESt auf - 23.610 EUR zugunsten des Klägers fest. Bei der Berechnung der Zinsen legte es einen abgerundeten Unterschiedsbetrag von 472.200 EUR und einen Verzinsungszeitraum vom 1.4.2009 bis zum 4.2.2010 (10 volle Monate) zu Grunde.
Am 14.11.2012 setzte das FA die Zinsen zur ESt auf 24.625 EUR fest. Bei der Berechnung der Zinsen ermittelte es zunächst auf der Basis eines abgerundeten Unterschiedsbetrags zu Ungunsten des Klägers von 224.350 EUR und eines Verzinsungszeitraums vom 1.4.2009 bis zum 19.11.2012 (43 volle Monate) Nachzahlungszinsen in Höhe von 48.235,25 EUR. Diesen Betrag verrechnete er mit den bisher festgesetzten Zinsen in Höhe von -23.610 EUR. Den im Abrechnungsteil des Bescheids ausgewiesenen Differenzbetrag zwischen den nunmehr festgesetzten (24.625 EUR) und den bereits erstatteten Zinsen (23.610 EUR) von 48.235 EUR zahlte der Kläger im Jahr 2012.
Veranlagungszeitraum 2010
Mit Bescheid vom 26.10.2012 setzte das FA die Zinsen zur ESt auf - 9.567 EUR fest. Bei der Berechnung der Zinsen legte es einen abgerundeten Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Klägers von 318.900 EUR und einen Verzinsungszeitraum vom 1.4.2012 bis zum 29.10.2012 (6 volle Monate) zu Grunde. Die festgesetzten Erstattungszinsen wurden an den Kläger im Jahr 2012 ausgezahlt.
Das FA erkannte die vom Kläger im Streitjahr gezahlten Zinsen nur insoweit als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen an, als diese auf denselben Unterschiedsbetrag und denselben Verzinsungszeitraum wie die zuvor festgesetzten Zinsen zur ESt entfielen. Im Übrigen behandelte es die gezahlten Beträge als nicht abzugsfähige Nachzahlungszinsen.
Dementsprechend berücksichtigte das FA für den Veranlagungszeitraum 2006 einen Betrag i. H. v. 9.350 EUR (= 85.000 EUR x 22 Monate x 0,5 %) sowie für den Veranlagungszeitraum 2007 einen Betrag i. H. v. rd. 11.218 EUR (= 224.350 EUR x 10 Monate x 0,5 %) als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen. Insgesamt ergaben sich danach negative Einnahmen aus Kapitalvermögen i. H. v. - 20.568 EUR, die das FA mit den im Streitjahr an den Kläger ausgezahlten Erstattungszinsen und weiteren positiven Kapitalerträgen verrechnete.
Den gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegten Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Die hiergegen erhobene Klage beim FG hatte keinen Erfolg.
Entscheidung: BFH bestätigt Auffassung des FG
Der BFH hat entschieden, dass das FG die im Streitjahr steuerlich zu berücksichtigenden negativen Einnahmen aus Kapitalvermögen der Höhe nach zutreffend ermittelt hat.
Materielles Recht gibt Unterscheidung vor
Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG Erstattungszinsen i. S. d. § 233a AO dem steuerbaren Bereich zugeordnet. Die Rückzahlung erhaltener Erstattungszinsen durch den Steuerpflichtigen führt daher grundsätzlich zu negativen Einnahmen aus Kapitalvermögen. Hierdurch unterscheidet sich die Rückzahlung von zunächst vereinnahmten Erstattungszinsen von der (erstmaligen) Begleichung von Nachzahlungszinsen, die gemäß § 12 Nr. 3 HS. 2 EStG der Sphäre der steuerrechtlich unbeachtlichen Einkünfteverwendung zugewiesen sind.
Aufgrund dieser durch das materielle Recht vorgegebenen Unterscheidung können nicht in jeder durch eine geänderte Zinsfestsetzung nach § 233a Abs. 5 AO ausgelösten Rückzahlung zuvor festgesetzter Zinsen negative Einnahmen aus Kapitalvermögen entstehen. Negative Einnahmen in diesem Sinne liegen nur dann vor, wenn die Rückzahlung der Zinseinnahmen durch das der Auszahlung zugrundeliegende Rechtsverhältnis veranlasst ist, es also zu einer Rückabwicklung der früheren Zinszahlung kommt.
Diese Voraussetzung ist in den Fällen, in denen zunächst Erstattungszinsen zugunsten des Steuerpflichtigen festgesetzt und an diesen ausgezahlt werden und es später zu einer Änderung der festgesetzten Steuer zuungunsten des Steuerpflichtigen und damit zu einer Neufestsetzung der Zinsen kommt, nur insoweit erfüllt, als die aufgrund der erneuten Zinsfestsetzung von dem Steuerpflichtigen an das Finanzamt gezahlten Zinsen für denselben Unterschiedsbetrag i. S. d. § 233a Abs. 5 Satz 2 bis 4 AO und denselben Verzinsungszeitraum anfallen. Denn nur insoweit ist die Rückzahlung der Zinsen an das Finanzamt durch das der Auszahlung von Erstattungszinsen zugrundeliegende Rechtsverhältnis veranlasst. Soweit es hingegen an einer zeitlichen und betragsmäßigen Überschneidung der gegenläufigen Unterschiedsbeträge und Verzinsungszeiträume fehlt, liegt keine Rückzahlung erhaltener Erstattungszinsen, sondern die (erstmalige) Zahlung von Nachzahlungszinsen vor.
BFH teilt klägerische Auffassung nicht
Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es für die einkommensteuerrechtliche Beurteilung der aufgrund einer erneuten Zinsfestsetzung nach § 233a Abs. 5 AO gezahlten Zinsen nicht darauf an, welcher Zinsbetrag abschließend festgesetzt worden ist. Denn weil in die erneute Zinsfestsetzung nach § 233a Abs. 5 Satz 3 AO die vorher festgesetzten Zinsen und die nach dem Unterschiedsbetrag i. S. d. § 233a Abs. 5 Satz 2 AO neu festzusetzenden Zinsen einfließen, kann es im Einzelfall dazu kommen, dass bei der Zinsfestsetzung Erstattungs- und Nachzahlungszinsen miteinander verrechnet werden, so dass der festgesetzte Zinsbetrag aus um Nachzahlungszinsen gekürzte Erstattungszinsen besteht. Würde man daher bei der Frage, in welchem Umfang die Rückzahlung erhaltener Zinsen als Rückerstattung von Erstattungszinsen oder als erstmalige Zahlung von Nachzahlungszinsen anzusehen ist, an den im Festsetzungsteil des Zinsbescheids enthaltenen Saldo anknüpfen, wären im Ergebnis auch einkommensteuerrechtlich unbeachtliche Nachzahlungszinsen steuermindernd berücksichtigt, was der gesetzlichen Wertung des § 12 Nr. 3 HS. 2 EStG zuwiderliefe. Zudem würden bei einer solchen Betrachtung auch solche Zinsbeträge berücksichtigt, die außerhalb des ursprünglichen Verzinsungszeitraums liegen und deshalb schon begrifflich nicht „rückabgewickelt“ werden können.
Rechnerischer Saldo unmaßgeblich
Im Übrigen stünde eine Verrechnung der gegenläufigen Zinsforderungen bis zur Höhe der zunächst erhaltenen Erstattungszinsen auch nicht mit der Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in Einklang, die hinsichtlich des Vorliegens einer sonstigen Kapitalforderung nach ihrem Wortlaut auf die jeweilige Kapitalforderung, nicht aber auf einen Saldo von Kapitalforderungen abstellt. Der gemäß § 233a Abs. 5 AO einheitlich neu festgesetzte Zinsbetrag stellt daher nur einen rechnerischen Saldo aus den einzubeziehenden Erstattungs- und Nachzahlungszinsen dar, dem jedoch keine materielle Aussage über die einkommensteuerrechtliche Beurteilung der gegenläufigen Zinsfestsetzungen zu entnehmen ist.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken
Soweit der Kläger einen Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip darin sieht, dass er nur einen Teil der an das FA gezahlten Zinsen als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen geltend machen könne, folgt dies aus der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen. Die Anordnung der Besteuerung von Erstattungszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen im Vergleich zur Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil dem Entstehen von Nachforderungsansprüchen einerseits und von Erstattungsansprüchen andererseits unterschiedliche Sachverhalte zugrunde liegen, die in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung und ihrer steuerrechtlich maßgeblichen Veranlassung nicht miteinander vergleichbar sind.
BFH Beschluss vom 01.08.2023 - VIII R 8/21 (veröffentlicht am 21.09.2023)
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