Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des Einheitswerts bei abweichendem Wirtschaftsjahr
Leitsatz (NV)
Die Verweisung auf den Beginn des Kalenderjahres (§ 106 Abs. 1, § 21 Abs. 2 Satz 1 BewG) geht ab 1993 in der Folge der Reform der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens ins Leere, wenn kein Antrag nach § 106 Abs. 3 BewG gestellt wird, der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens den Schluss des (abweichenden) Wirtschaftsjahres zu Grunde zu legen. Die Regelungslücke ist im Wege der teleologischen Extension dahingehend zu schließen, dass die in § 106 Abs. 3 BewG vorgesehene Rechtsfolge nicht nur auf Antrag, sondern regelmäßig eintritt.
Normenkette
BewG § 21 Abs. 2 S. 1, §§ 95, 99, 106 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Aktiengesellschaft, hält Aktien einer anderen AG. Sie ―die Klägerin― wurde am 22. Dezember 1992 in das Handelsregister eingetragen und hat laut Satzung ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr vom 16. Dezember bis zum 15. Dezember des jeweiligen Folgejahres. Die Dividenden der AG fließen der Klägerin regelmäßig in der ersten Hälfte des Monats Dezember zu; die Ausschüttung an ihre Aktionäre nimmt sie jeweils bis zum Jahresende vor. In der Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1995 erklärte die Klägerin anhand von Zwischenbilanzen das Vermögen mit den Werten zum 31. Dezember 1994; zu diesem Stichtag waren die Ausschüttungen der Klägerin an ihre Aktionäre bereits erfolgt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) stellte zunächst erklärungsgemäß den Einheitswert des Betriebsvermögens auf … DM fest. Mit Änderungsbescheid vom 4. Mai 2001 stellte das FA nach der vor den Ausschüttungen liegenden Steuerbilanz zum 15. Dezember 1994 den Einheitswert auf … DM fest.
Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 801 veröffentlichten Urteil gab das Finanzgericht (FG) der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt.
Mit der Revision trägt das FA im Wesentlichen vor, dass die von der Klägerin erstellte Zwischenbilanz auf den 31. Dezember 1994 keine Steuerbilanz sei und deswegen nach §§ 95, 109 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens nicht zu Grunde gelegt werden könne.
Das FA beantragt, der Ermittlung des Einheitswertes zum 1. Januar 1995 die Verhältnisse zum Schluss des abweichenden Wirtschaftsjahres zu Grunde zu legen und den Einheitswert auf den 1. Januar 1995 auf … DM festzusetzen.
Die Klägerin hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Das FG hat § 106 Abs. 1 und 3 BewG fehlerhaft angewendet. Soweit es die Auffassung vertritt, dass der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Klägerin die Verhältnisse vom Schluss des Kalenderjahres 1994 zugrunde zu legen sind, vermag ihm der erkennende Senat nicht zu folgen.
Nach § 106 Abs. 3 BewG kann für Betriebe, die regelmäßig jährliche Abschlüsse auf einen anderen Tag als den Schluss des Kalenderjahres machen, auf Antrag zugelassen werden, dass der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Schluss des Wirtschaftsjahres, das dem Feststellungszeitpunkt vorausgeht, zugrunde gelegt wird. Wird ein solcher Antrag nicht gestellt, sind die Verhältnisse im Feststellungszeitpunkt (§ 106 Abs. 1 BewG) maßgebend. Dies sind die Verhältnisse zu Beginn des Kalenderjahres (§ 21 Abs. 2 Satz 1 BewG).
Die Verweisung auf den Beginn des Kalenderjahres geht in der Folge des durch Art. 13 Nr. 8 des Steueränderungsgesetzes 1992 (StÄndG 1992, BGBl I 1992, 297) geänderten BewG, insbesondere §§ 95 und 109 BewG (Reform der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens), ab 1993 für Fälle nach § 106 Abs. 3 BewG ins Leere. Wegen der Bestands- und Wertidentität zwischen der Steuerbilanz und der Vermögensaufstellung (Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Januar 1999 II B 7/98, BFHE 187, 332, BStBl II 1999, 206; BFH-Urteil vom 16. Juni 1999 II R 24/98, BFH/NV 2000, 10) ist die Steuerbilanz notwendige Grundlage für die Vermögensaufstellung. Die Steuerbilanz wird aber nicht auf den Feststellungszeitpunkt, sondern auf den hiervon abweichenden Abschlusszeitpunkt erstellt. Diesen Fall regelt § 106 Abs. 1 BewG nicht.
Die durch die Neuregelung der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens entstandene Regelungslücke kann nicht dadurch geschlossen werden, dass auf den dem Feststellungszeitpunkt vorangehenden Tag Zwischenbilanzen erstellt werden. Eine Zwischenbilanz ist keine Steuerbilanz, weil sie nicht für Zwecke der Veranlagung der Ertragsteuern beim FA eingereicht wird (vgl. § 60 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung sowie BFH-Urteil vom 6. März 1985 I R 269/83, BFH/NV 1986, 92). Wegen der Bestands- und Wertidentität zwischen der Steuerbilanz und der Vermögensaufstellung sind Steuerbilanzen i.S. der §§ 95 ff. BewG nur die Bilanzen, die der steuerlichen Gewinnermittlung zu Grunde liegen und zum Abschluss des Wirtschaftsjahres erstellt werden (BFH in BFH/NV 2000, 10).
Die Regelungslücke ist jedoch im Wege der teleologischen Extension dahin gehend zu schließen, dass die in § 106 Abs. 3 BewG vorgesehene Rechtsfolge nicht nur auf Antrag, sondern regelmäßig eintritt (vgl. Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 17. Aufl., § 106 BewG Anm. 4; Moench/Glier/ Knobel/Viskorf, Bewertungs- und Vermögensteuergesetz, 3. Aufl., § 106 BewG Anm. 3). Die nach § 106 Abs. 3 BewG auf Antrag eintretende Rechtsfolge verwirklicht den gesetzlichen Grundgedanken und entspricht dem inneren System der durch das StÄndG 1992 geänderten Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, wonach die Vermögensaufstellung bestands- und wertidentisch der Steuerbilanz folgt (BFH in BFHE 187, 332, BStBl II 1999, 206). Die nach § 106 Abs. 3 und 1 BewG ohne Antrag eintretende Rechtsfolge dagegen wäre, dass ein Einheitswert des Betriebsvermögens nicht festgestellt werden könnte (siehe oben). Es ist ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber die plangemäße Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens und die damit verbundene Vermögensbesteuerung von einem Antrag der Steuerpflichtigen abhängig machen und ohne einen solchen Antrag eine planwidrige Nichtbesteuerung hinnehmen wollte. Dies wäre mit dem Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung nicht vereinbar. Dem mit der Neuregelung der Einheitsbewertung verfolgten Regelungsplan des Gesetzgebers entspricht es vielmehr, die in § 106 Abs. 3 BewG vorgesehene Rechtsfolge nicht nur auf Antrag, sondern regelmäßig eintreten zu lassen (vgl. auch BFH-Urteil vom 22. Januar 2003 II R 40/00, BFH/NV 2003, 1037).
Die Klägerin hat für die streitgegenständliche Feststellung auf den 1. Januar 1995 keinen Antrag nach § 106 Abs. 3 BewG gestellt. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das FG festgestellt, dass die Klägerin auch für die vorhergehende Feststellung einen solchen Antrag, an den sie gebunden wäre (§ 106 Abs. 3 Satz 2 BewG), nicht gestellt hat. Gleichwohl ist in entsprechender Anwendung des § 106 Abs. 3 BewG der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens die Schlussbilanz zum 15. Dezember 1994 zu Grunde zu legen.
Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Ausgehend von dem oben dargestellten Grundsatz sind der Ermittlung des Einheitswertes zum 1. Januar 1995 die Verhältnisse zum Schluss des abweichenden Wirtschaftsjahres, also die Steuerbilanzwerte zum 15. Dezember 1994, zu Grunde zu legen. Das FG hat festgestellt, dass das FA im angefochtenen Änderungsbescheid vom 4. Mai 2001 den Einheitswert auf der Grundlage der Steuerbilanz zum 15. Dezember 1994 festgestellt hat. Die Feststellung des FG ist nicht mit zulässigen Revisions- oder Gegenrügen angegriffen worden. Der Änderungsbescheid vom 4. Mai 2001 ist daher rechtmäßig. Die Klage war somit abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1140051 |
BFH/NV 2004, 921 |