Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Frist zur Stellung des Antrages auf Anwendung des Körperschaftsteuertarifs - § 32 b Abs. 1 Satz 2 EStG 1951 - ist eine Ausschlußfrist im Sinne des § 83 Abs. 1 Satz 3 AO. Bei Versäumung der Antragsfrist ist Nachsichtgewährung gemäß § 86 AO nicht möglich, da es sich bei dem versäumten Antrag nicht um einen rechtsmittelähnlichen Behelf handelt.
Zur Frage der Zulässigkeit nachträglicher Antragstellung, wenn sich die Beurteilungsgrundlage nach Ablauf der Antragsfrist ändert.
Normenkette
AO § 83 Abs. 1 S. 3, § 86
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer (Bf.) die Anwendung des Körperschaftsteuertarifs nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 des § 32 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1951 verlangen kann. Das Finanzamt und das - im Wege der Sprungberufung (ß 261 der Reichsabgabenordnung - AO -) angerufene - Finanzgericht haben dem Bf. diese Vergünstigung versagt, weil er den vom Gesetz geforderten schriftlichen Antrag erst nach Ablauf der Frist zur Einreichung seiner Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1951 gestellt hat.
Der Bf. ist Gesellschafter und Geschäftsführer einer OHG. Er hat seine Einkommensteuerklärung für den Veranlagungszeitraum 1951 am 15. Januar 1953, dem letzten Tage der für ihn geltenden Erklärungsfrist, eingereicht. Auf Seite 4 des Erklärungsvordrucks sind die Ziffern 1 bis 11 des Abschnitts F und damit auch die für eine Antragstellung nach § 32 b EStG 1951 vorgesehene Ziffer 10 durchgestrichen. Einen schriftlichen Antrag dieses Inhalts stellte der Bf. erstmals im Anschluß an eine vom 16. November 1953 bis 4. Dezember 1953 bei der Gesellschaft durchgeführte Betriebsprüfung mit Schriftsatz vom 9. April 1954, der bei dem Finanzamt am 14. April 1954 einging.
Das Finanzgericht hat bei dieser Sachlage die vom Gesetz geforderte Voraussetzung, wonach der Antrag schriftlich innerhalb der Steuererklärungsfrist für den in Betracht kommenden Veranlagungszeitraum zu stellen ist, nicht für gegeben erachtet. Es sieht in der Antragsfrist des § 32 b Abs. 1 EStG 1951 eine Ausschlußfrist, also eine Frist im Sinne des § 83 Abs. 1 Satz 3 AO, die nicht verlängert werden kann. Es hält auch eine Nachsichtgewährung gemäß § 86 AO schon deshalb nicht für möglich, weil es sich nach seiner Auffassung bei der versäumten Antragsfrist weder um eine Rechtsmittelfrist im Sinne des § 83 Abs. 2 AO noch um eine rechtsmittelähnliche Frist im Sinne der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze handle. Es hat deshalb dahin erkannt, daß das Finanzamt dem Bf. die Tarifvergünstigung zu Recht versagt habe.
Entscheidungsgründe
Auch der Rechtsbeschwerde (Rb.) muß der Erfolg versagt bleiben.
Nach § 32 b Abs. 1 EStG 1951 ist der Steuerpflichtige an seinen Antrag unwiderruflich für drei Veranlagungszeiträume gebunden. Mit Rücksicht auf diese sehr weitreichende Folge des Antrages fordert das Gesetz im Interesse eindeutiger Klarstellung Schriftlichkeit des Antrages. Hierzu macht der Bf. in seinen zur Begründung der Rb. eingereichten Schriftsätzen erstmals geltend, daß ihm die Erfüllung dieses Erfordernisses innerhalb der Einkommensteuer-Erklärungsfrist 1951 deshalb nicht möglich gewesen sei, weil für ihn bei Ablauf dieser Frist noch ungewiß gewesen sei, ob die vom Gesetz für die Tarifvergünstigung geforderte weitere Voraussetzung ordnungsmäßiger Buchführung der Gesellschaft anzuerkennen sei. Diese Frage sei zu dem für die Antragstellung maßgeblichen Zeitpunkt für die Veranlagungszeiträume II/1948 und 1949 Gegenstand eines die Gesellschaft betreffenden steuergerichtlichen Verfahrens gewesen, das in seiner Tragweite auch für den Veranlagungszeitraum 1951 von Bedeutung gewesen sei. Er habe sich deshalb darauf beschränkt, den schriftlichen Antrag in Aussicht zu stellen; er habe den Antrag aber wiederholt mündlich gestellt bzw. - insbesondere durch den inzwischen verstorbenen Wirtschaftsprüfer K. - stellen lassen. Unmittelbar nach Klarstellung der Sachlage habe er den Antrag auch schriftlich gestellt.
Es kann dahingestellt bleiben, welche rechtliche Bedeutung dem Vorbringen des Bf. unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben oder sonstigen allgemeinen rechtlichen Erwägungen etwa im Hinblick darauf zukommen könnte, daß das Finanzamt verpflichtet gewesen wäre, den Bf. oder auch seine Berater auf die Unerläßlichkeit schriftlicher Antragstellung hinzuweisen. Die in dieser Hinsicht geltend gemachten Tatsachen sind erstmals in dieser Instanz vorgebracht worden und können daher gemäß den §§ 288, 296 Abs. 1 AO nicht mehr berücksichtigt werden. Für das Finanzgericht bestand bei dem ihm vorliegenden Sachverhalt kein Anlaß, auf diesen Fragenbereich einzugehen oder nach dieser Richtung Ermittlungen anzustellen. Es hat die ihm nach § 243 Abs. 1 AO obliegende Ermittlungspflicht nicht verletzt. Ein Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten im Sinne des § 288 Zff. 1 AO ist nicht ersichtlich.
Das Finanzgericht hat auch mit rechtlich zutreffenden Gründen dargelegt, daß die vom Bf. versäumte Antragsfrist eine Ausschlußfrist ist, und daß im Falle ihrer Versäumung eine Nahsichtgewährung gemäß 86 AO ausscheidet, weil es sich nicht um eine rechtsmittelähnliche Frist handelt, die den Rechtsmittelfristen im Sinne der genannten Vorschrift gleichgestellt werden kann.
Ausschlußfristen sind solche Fristen, nach deren gesetzlich geregeltem Ablauf die Geltendmachung eines Rechts nicht mehr zulässig ist, nach deren Ablauf mithin Rechtsverlust eintritt. Um eine solche Frist handelt es sich hier. Der Steuerpflichtige soll sich bis zum Ablauf der Erklärungsfrist endgültig entscheiden, ob er von dem ihm zustehenden Wahlrecht Gebrauch machen will, damit für die kommenden drei Veranlagungszeiträume Klarheit geschaffen wird. Durch die Abgabe einer Erklärung nach § 32 b Abs. 1 EStG 1951 werden für ihn Rechte begründet. Die Erklärung ist somit keine rechtsfeststellende und auch keine Wissenserklärung im Sinne des § 83 Abs. 1 Satz 1 AO. Es kommt, worauf das Finanzgericht mit Recht hinweist, nicht darauf an, ob die in Betracht kommende Frist vom Gesetz als Ausschlußfrist bezeichnet wird. Die Rechtsnatur einer Frist ist jeweils ihrem Zwecke und ihrem Sinne zu entnehmen. Der Senat trägt keine Bedenken, in der Antragsfrist eine Ausschlußfrist im Sinne des § 83 Abs. 1 Satz 3 AO zu sehen, wie er das beispielsweise auch für die Antragsfrist im Falle des Lohnsteuer-Jahresausgleichs getan hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 77/51 U vom 11. Juli 1951 - Slg. Bd. 55 S. 405, Bundessteuerblatt (BStBl) 1951 III S. 161 -).
Da mithin dem Mangel der verspäteten Antragstellung nicht im Wege einer einfachen Fristverlängerung gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 AO abgeholfen werden kann, könnte dies - wenn überhaupt - im Ergebnis nur auf dem Wege der Nachsichtgewährung geschehen. Nachsicht kann aber nach § 86 AO unter anderem nur wegen der Versäumung einer Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels gewährt werden. Der Antrag gemäß § 32 b EStG 1951 ist kein Rechtsmittel. Es ist aber zu prüfen, ob er als rechtsmittelähnlicher Behelf im Sinne der Rechtsprechung anerkannt und damit einem Rechtsmittel im Sinne des § 86 AO gleichgestellt werden kann. Dies ist mit dem Finanzgericht zu verneinen. Die Rechtsprechung hat eine derartige Gleichstellung für solche Anträge anerkannt, mit denen - wie beispielsweise im Falle des Lohnsteuer-Jahresausgleichs oder der Veranlagung wegen berechtigten Interesses (ß 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG, § 57 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV - 1951) oder wie im Falle der Wertfortschreibung gemäß § 225 a Abs. 1 AO - das Ziel verfolgt wird, bereits durchgeführte Verfahren (Lohnsteuerverfahren, Bewertungsverfahren) nach Art eines Rechtsmittelverfahrens zu überprüfen und tatsächlich gegebenen, steuerlich bedeutsamen Vorgängen anzugleichen oder anzupassen, die bis dahin keine Berücksichtigung finden konnten (vgl. die Urteile des erkennenden Senats IV 77/51 U vom 11. Juli 1951 - Slg. Bd. 55 S. 405, BStBl 1951 III S. 161 - und IV 637/54 U vom 15. März 1956 - Slg. Bd. 62 S. 425, BStBl 1956 III S. 157 -). Die Rechtsprechung hat aber jede ausdehnende Anwendung des Begriffes "Rechtsmittel" auf andere Tatbestände, die mit den vorgenannten nicht vergleichbar sind, abgelehnt. So zum Beispiel - unter Aufgabe ihres ursprünglichen Standpunktes - für das Gebiet der Umsatzsteuer-Vergütungsanträge, obwohl hier noch eine gewisse Parallele insofern gezogen werden könnte, als es sich bei diesen Anträgen darum handelt, eine bereits eingetretene umsatzsteuerliche Vorbelastung im Wege der Vergütung rückgängig zu machen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V 176/41 vom 25. September 1942 - Reichssteuerblatt 1942 S. 962 - und Urteil des Bundesfinanzhofs V 58/51 U vom 23. Oktober 1952 - Slg. Bd. 57 S. 60, BStBl 1953 III S. 22). Für diese Anträge hat das Gesetz eine besondere Regelung durch Ergänzung des § 86 AO getroffen (vgl. Art I Ziff. 4 des Gesetzes zur änderung von einzelnen Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 11. Juli 1953 - Bundesgesetzblatt I S. 511 -, Mattern-Wittneben, Das Abgabenänderungsgesetz, S. 24). Das Finanzgericht hat es in Beachtung der dargelegten Grundsätze zu Recht abgelehnt, den versäumten Antrag als rechtsmittelähnlichen Behelf im Sinne der Rechtsprechung anzuerkennen. Es führt zutreffend aus, daß durch den unwiderruflichen Antrag auf Anwendung des Körperschaftsteuersatzes mit seiner Bindung auf drei Jahre kein Verfahren ausgelöst wird, das ein bereits durchgeführtes Verfahren betrifft, sondern daß damit erst die materielle Voraussetzung für eine vom Einkommensteuertarif abweichende Steuerfestsetzung geschaffen werden soll.
Das Finanzgericht hat sich entsprechend der gegebenen Rechtslage darauf beschränkt, seinen ablehnenden Standpunkt insoweit ausschließlich auf diese grundsätzlichen Erwägungen zu stützen. Es hätte im übrigen auch noch darauf hinweisen können, daß im Ergebnis eine Nachsichtgewährung auch an der Vorschrift des § 87 Abs. 5 AO scheitern müsse, weil bei Antragsnachholung inzwischen mehr als ein Jahr seit dem Ende der versäumten Antragsfrist verstrichen war.
Der Bf. hat sich - wie schon in der Vorinstanz - auch darauf berufen, daß in Auswirkung der in der Zeit vom 16. November bis 4. Dezember 1953 bei der OHG durchgeführten Betriebsprüfung - nach der sich statt eines erklärten Gewinnanteils von 222.653 DM nunmehr ein solcher von 254.590 DM ergab - ohne sein Verschulden eine völlig veränderte Beurteilungsgrundlage geschaffen worden sei, die erstmals Anlaß gegeben habe, von den Vorteilen der Tarifvergünstigung Gebrauch zu machen. Der Senat hat es zwar in seinem amtlich nicht veröffentlichten Urteil IV 310/54 vom 3. November 1955 (abgedruckt im Mitteilungsblatt der Steuerberater 1956 Nr. 1 S. 5 und in Steuerrechtsprechung in Karteiform, EStG, § 32 b Rechtsspruch 3) bei nachträglicher Veränderung der Beurteilungsgrundlage nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausnahmsweise für zulässig erachtet, von den formstrengen Bindungen in Abs. 1 des § 32 b EStG 1951 abzugehen, und deshalb in dem von ihm entschiedenen Falle die Rücknahme des vom Steuerpflichtigen gestellten Antrages trotz dessen im Gesetz vorgesehener Unwiderruflichkeit zugelassen. So liegen die Dinge aber hier auch vergleichsweise nicht; denn schon nach dem vom Bf. in seiner Einkommensteuererklärung ausgewiesenen Gewinnanteil von 222.653 DM würde sich nach der - vom Bf. nicht beanstandeten - Berechnung des Finanzgerichts bei Inanspruchnahme der Tarifvergünstigung gegenüber dem normalen Tarif eine um 11.900 DM geringere Einkommensteuer ergeben haben. Nach der Berechnung des Senats ergibt sich sogar ein Betrag von 13.436 DM. In jedem Falle zeigt dieser Sachverhalt, daß sich schon nach der Einkommensteuererklärung des Bf. bei Inanspruchnahme der Tarifvergünstigung ein erheblicher steuerlicher Vorteil ergeben hätte, der ihm bei verständiger Würdigung seiner Interessen Anlaß zur Antragstellung geben konnte und der es insbesondere bei objektiver Betrachtung für ihn auch als zumutbar und als vertretbar erscheinen lassen konnte, die mit diesem Antrag verbundene weitreichende zeitliche Bindung und das darin liegende Risiko auf sich zu nehmen, so daß demgegenüber der durch die Betriebsprüfung festgestellte höhere Gewinn mit den sich daraus - unmittelbar und mittelbar (Abgabe Notopfer Berlin, Kirchensteuer) - ergebenden steuerlichen Folgen für die hier zu treffende Entscheidung außer Betracht bleiben kann. überdies ist das Vorbringen des Bf. insoweit nicht frei von Widerspruch; denn er weist selbst in dieser Instanz mit Nachdruck darauf hin, daß er schon bei Abgabe der Einkommensteuererklärung am 15. Januar 1953 - also lange vor Beginn der im November / Dezember 1953 bei der OHG durchgeführten Betriebsprüfung - die Absicht gehabt habe, § 32 b EStG 1951 in Anspruch zu nehmen. Nach seinem eigenen Sachvortrag konnte also für ihn der Ausgang der Betriebsprüfung in diesem Zeitpunkt noch nicht maßgebend sein. Er versprach sich vielmehr bereits auf der Grundlage des von ihm erklärten Gewinnes eine hinreichende Tarifvergünstigung. Für die Verzögerung der schriftlichen Antragstellung kann jedenfalls zunächst lediglich die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung eine Rolle gespielt haben.
Hiernach ist die Rb. unbegründet. Gleichwohl ist die Sache, da der Bf. im Veranlagungszeitraum verheiratet war, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Finanzamt zurückzuverweisen, das nunmehr nach den Vorschriften des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 zu verfahren haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 408931 |
BStBl III 1958, 49 |
BFHE 1958, 124 |
BFHE 66, 124 |