Leitsatz (amtlich)
Zur Ermittlung des Jahreswerts des Nießbrauchs an einem Vermögen sind ungeachtet der rechtlichen Konstruktion dieses Nießbrauchs als einer Summe von Nießbrauchsrechten an den einzelnen Nachlaßgegenständen von den Einnahmen der ertragbringenden Vermögensgegenstände grundsätzlich die Aufwendungen auf die ertraglosen Vermögensgegenstände abzuziehen.
Normenkette
BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 15; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 67 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Dem Revisionskläger steht aufgrund Testaments für seine Lebenszeit der Reinertrag des von seinen Kindern von ihren Großeltern ererbten Vermögens zu. Das mit dem Nutzungsrecht zugunsten des Revisionsklägers belastete Vermögen besteht aus landwirtschaftlichem und forstwirtschaftlichem Grundbesitz, aus Miethäusern und aus Aktien der IG-Farbenindustrie-AG. Das FA hat bei den Vermögensteuerhauptveranlagungen 1953 und 1957 die positiven und die negativen Erträge der verschiedenen Vermögensgegenstände miteinander verrechnet und auf diese Weise den Jahreswert ermittelt.
Die Einsprüche gegen die Vermögensteuerhauptveranlagungen 1953 und 1957 hatten teilweise Erfolg.
Auch die Berufung gegen die Vermögensteuerhauptveranlagung 1953 in der Fassung der Einspruchsentscheidung war teilweise erfolgreich. Das FG betrachtete die Aktien nach den Verhältnissen vom 1. Januar 1953 noch als ertraglos. Es begründete seine Auffassung damit, daß die IG-Nachfolgegesellschaften zwar erstmals für 1952 wieder Dividende ausschütteten, die Ausschüttungsbeschlüsse seien jedoch jeweils erst im Laufe des Jahres 1953 gefaßt worden. Die Berufung gegen die Vermögensteuerhauptveranlagung 1957 in der Fassung der Einspruchsentscheidung hatte dagegen keinen Erfolg. Die Entscheidungen des FG führten in beiden Fällen jedoch insofern zu einer Verböserung, als das FG die negativen Erträge bei der Bewertung des Nutzungsrechts außer Betracht ließ. Es begründete dies damit, daß es nach bürgerlichem Recht einen Nießbrauch an einer Sachgesamtheit nicht gebe, sondern nur einen Nießbrauch an einzelnen Sachen oder Rechten. Dem habe das Bewertungsrecht zu folgen. Soweit eine mit einem Nießbrauch belastete Sache oder ein belastetes Recht keinen positiven Ertrag erbringe, ergebe sich kein Wert für das Nutzungsrecht. Ein Nutzungsrecht mit negativem Kapitalwert gebe es nach dem Bewertungsrecht nicht.
Mit den Revisionen wird geltend gemacht, der Erblasser habe dem Revisionskläger den "Reinertrag aus den Erbteilen seiner Kinder" vermacht. Der Ausdruck "Reinertrag" sei ein betriebswirtschaftlicher Begriff, der in der Literatur einhellig als der positive Saldo aus Erträgen abzüglich der Aufwendungen verstanden werde. Dem Revisionskläger stehe der Reinertrag des gesamten Nachlaßvermögens zu. Deshalb müßten bei der Berechnung des Reinertrags die Verluste aus der Nutzung einzelner Gegenstände mit den Erträgen aus der Nutzung anderer Vermögensgegenstände verrechnet werden. Die vom FG aufgezeigte Möglichkeit, auf die Nutzung des unrentablen Vermögens zu verzichten, um dadurch die Veräußerung zu ermöglichen, habe in Wahrheit nicht bestanden, denn ein derartiger Verzicht hätte gegen die guten Sitten verstoßen. Im übrigen hätte diese Art der Verwertung des Nachlasses zur Aufgabe des ererbten Familienbesitzes geführt. Diese Konsequenz sei für den Revisionskläger im Hinblick auf sein hohes Alter und auf die innere Bindung an den Familienbesitz unzumutbar.
Der Revisionskläger beantragt, die Urteile des FG aufzuheben und bei der Bewertung des Nutzungsrechts und der Festsetzung der Vermögensteuer die negativen Einkünfte zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.
Der Senat verbindet die beiden Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revisionen führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Dem Urteil des FG zur Vermögensteuerhauptveranlagung 1953 ist darin zuzustimmen, daß die IG-Farben-Aktien aufgrund des für die Vermögensbesteuerung maßgebenden Stichtagsprinzips (§§ 12 Abs. 2 und 13 Abs. 2 VStG) am 1. Januar 1953 als ertraglos zu behandeln waren; denn nach den Verhältnissen an diesem Stichtag war aufgrund der Feststellungen des FG eine Dividendenausschüttung weder für 1952 noch für 1953 zu erwarten. Dagegen ist der Senat der Auffassung, daß das FG die Rechtslage für die Ermittlung des Jahreswerts des Nutzungsrechts des Revisionsklägers verkannt hat.
Der Nießbrauch an einem Nachlaß kann durch letztwillige Verfügung nicht mit dinglicher Wirkung zugewendet werden. Durch Testament kann nur der obligatorische Anspruch des Bedachten gegen den Erben auf Bestellung des Nießbrauchs an den einzelnen Nachlaßgegenständen begründet werden (vgl. Soergel-Siebert, BGB, 10. Aufl., § 1089 Anm. 1). Die Vorentscheidungen gehen davon aus, der Revisionskläger sei Nießbraucher an dem von seinen Kindern ererbten Vermögen. Sie enthalten jedoch keine Feststellungen darüber, daß die Kinder des Revisionsklägers diesem aufgrund des Testaments den Nießbrauch an den einzelnen Nachlaßgegenständen eingeräumt hätten. Zur Bestellung des Nießbrauchs an dem zum Nachlaß gehörenden Grundbesitz hätte es der Eintragung des Nießbrauchs in das Grundbuch bedurft (§ 873 BGB). Das FG hat in seinen Entscheidungen nicht festgestellt, daß die Grundbucheintragung erfolgt wäre. Das Testament spricht nach Auffassung des Senats auch mehr dafür, daß dem Revisionskläger nur ein persönliches Nutzungsrecht zugewendet wurde, das ihm den Anspruch auf den Sachgebrauch und die Reinerträge des Nachlasses gewährt, und das durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung in seiner Ausübung besonders gesichert ist (vgl. auch Soergel-Siebert, a. a. O., Anm. 2). Bei einem obligatorischen Nutzungsrecht auf den Reinertrag des Nachlasses würden die Erwägungen des FG über die Höhe des Jahreswerts aber nicht durchgreifen; in diesem Fall müßten nach Auffassung des Senats vielmehr Einnahmen und Aufwendungen aufgrund der einzelnen Nachlaßgegenstände miteinander ausgeglichen werden.
Die Rechtsnatur des Nutzungsrechts des Revisionsklägers kann indessen dahingestellt bleiben. Unter dem "Reinertrag aus den Erbteilen" kann nämlich auch bei Annahme eines Nießbrauchs nur der Ertrag verstanden werden, der bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung des Nachlaßvermögens zu erzielen ist. Dies ergibt sich aus § 1036 Abs. 2 BGB, dessen Anwendung auf den Nießbrauch an einem Vermögen oder einer Erbschaft durch die hierfür geltenden Sondervorschriften nicht ausgeschlossen wird. Der Umstand, daß der Nießbrauch an einem Nachlaß seiner rechtlichen Konstruktion nach nicht an dem Vermögen als solchem besteht, sondern eine Summe von Nießbrauchsrechten an den einzelnen zu dem Nachlaß gehörenden Sachen und Rechten darstellt, ändert hieran nichts. Aus der letztwilligen Verfügung ergibt sich eindeutig der Wille des Erblassers, daß dem nutzungsberechtigten Revisionskläger der Reinertrag des ererbten Vermögens seiner Kinder zustehen soll. Der Reinertrag kann, wie der Revisionskläger zutreffend vorträgt, nur als der Überschuß der Einnahmen des Vermögens über die durch das Vermögen begründeten Ausgaben verstanden werden. Das bedeutet, daß von den Einnahmen aus den ertragbringenden Vermögensgegenständen die Aufwendungen auf die ertraglosen oder verlustbringenden Vermögensgegenstände abzuziehen sind, soweit diese Aufwendungen bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung aus den Erträgen der ertragbringenden Vermögensgegenstände zu tragen sind. Von einem derartigen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben kann bei der Nutzung eines Vermögens grundsätzlich ausgegangen werden, sofern die Aufwendungen auf einzelne Vermögensgegenstände die Erträge des Vermögens nicht nachhaltig aufzehren. Diese Ausnahme liegt bei dem Revisionskläger nicht vor. Im Streitfall widerspräche es jeder wirtschaftlichen Vernunft, die Erträge der ertragbringenden Vermögensgegenstände aus dem Vermögen in voller Höhe abzuziehen und dadurch einen Substanzverzehr der nicht ertragbringenden Vermögensgegenstände herbeizuführen. Das FG hat deshalb zu Unrecht bei der Ermittlung des Jahreswerts des Nutzungsrechts des Revisionsklägers lediglich aufgrund der rechtlichen Konstruktion des Nießbrauchs an einer Erbschaft die Aufwendungen auf die nichtertragbringenden Vermögensgegenstände zur Verlustdeckung außer Betracht gelassen. Die Vorentscheidungen waren deshalb aufzuheben und die Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 68951 |
BStBl II 1970, 368 |
BFHE 1970, 270 |