Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Änderung der Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns
Leitsatz (NV)
Hält der Erwerber eines Gewerbebetriebs seine Zusage, den Veräußerer von der Haftung für alle vom Erwerber übernommenen Betriebsschulden freizustellen, nicht ein und wird der Veräußerer deshalb in einem späteren Veranlagungszeitraum aus einem als Sicherheit für diese Betriebsschulden bestellten Grundpfandrecht in Anspruch genommen, so liegt ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung vor. Hingegen sind Zinsen für das Grundpfandrecht, soweit sie für nach dem Veräußerungszeitpunkt liegende Zeiträume zu leisten sind, bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns nicht gewinnmindernd zu berücksichtigen.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 16 Abs. 1-2
Tatbestand
Der während des Revisionsverfahrens verstorbene Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb bis zum 30. Juni 1970 ein Einzelunternehmen. Dieses veräußerte er durch notariell beurkundeten Vertrag vom 7. Juli 1970 mit allen Aktiven und Passiven zum Preis von 150000 DM. Der Kaufpreis war in Höhe von 15000 DM bis spätestens 20. Juli 1970 zu entrichten. Der Restbetrag war in monatlichen Raten von 5000 DM, beginnend ab April 1971, zu tilgen. Die jeweils geschuldete Restsumme war mit 7,5 v.H. zu verzinsen.
Der Betrieb war im Zeitpunkt der Veräußerung überschuldet. Die vom Käufer übernommenen Verbindlichkeiten überstiegen die Buchwerte des aktiven Betriebsvermögens um den Betrag von 92926 DM. Auf dem Privatgrundstück des Klägers waren zugunsten einer Sparkasse Grundschulden im Gesamtbetrag von 62000 DM eingetragen. Die Grundschulden dienten der Sicherung eines betrieblichen Kredits, den die Sparkasse dem Kläger eingeräumt hatte. Diese Darlehensverpflichtung war anläßlich der Betriebsveräußerung vom Käufer übernommen worden. Die Sparkasse entließ den Kläger zwar aus der persönlichen Schuldverpflichtung, die auf dem Grundstück des Klägers eingetragenen Grundschulden dienten aber weiterhin der Sparkasse zur Sicherung des betrieblichen Kredits. Der Käufer verpflichtete sich, den Kläger bis spätestens 31. Dezember 1973 auch von der dinglichen Haftung freizustellen.
In den Erläuterungen zur Veräußerungsbilanz auf den 30. Juni 1970 und in der Einkommensteuererkärung 1970 gab der Kläger den Gewinn aus der Betriebsveräußerung mit 241298 DM an. Die Kaufpreisforderung berücksichtigte er dabei mit ihrem Nennwert. Der Kläger beantragte, die Veranlagung vorläufig durchzuführen, da sich der Veräußerungsgewinn wegen der vereinbarten Ratenzahlungen und der fortbestehenden dinglichen Haftung für die Verbindlichkeiten des Käufers noch mindern könne.
Bei der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer 1970 folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Angaben in der Einkommensteuererklärung. Auf den Einspruch des Klägers erklärte er den Bescheid durch Verwaltungsakt vom 4. Juni 1973 nachträglich für vorläufig nach § 100 der Reichsabgabenordnung (AO).
Nachdem über einen anderen seiner Betriebe im März 1973 das Vergleichsverfahren eröffnet worden war, zahlte der Käufer die noch ausstehenden Kaufpreisraten von 10000 DM nicht mehr; auch die auf den Kaufpreis entfallende Mehrwertsteuer von 34295,23 DM entrichtete er nicht.
Im Mai 1974 teilte die Sparkasse dem Kläger mit, daß sie ihn aus den Grundschulden mit 62000 DM zuzüglich Zinsen in Anspruch nehme.
Der Kläger beantragte daraufhin beim FA, die Einkommensteuerveranlagung 1970 zu ändern und den Veräußerungsgewinn um 137590 DM niedriger festzusetzen.
Das FA entsprach diesem Antrag durch geänderten endgültigen Bescheid vom 2. Januar 1976 nur teilweise; es setzte den Veräußerungsgewinn des Klägers um 50790 DM niedriger fest. Die Zahlungen des Klägers aufgrund der dinglichen Belastungen berücksichtigte es dabei nicht, weil dieser Vorgang sich steuerlich allenfalls im Jahr der Inanspruchnahme auswirken könne.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Die Gesamtrechtsnachfolgerin des verstorbenen Klägers, die Revisionsklägerin, rügt mit der Revision Verletzung des § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der im Einkommensteuerbescheid vom 2. Januar 1976 festgesetzte Veräußerungsgewinn sei im Hinblick auf die Inanspruchnahme des Klägers durch die Sparkasse um die Grundschuldverbindlichkeit von 62000 DM und die darauf entfallenden rückständigen Zinsen für die Jahre 1971 bis 1974 zu vermindern.
Der erkennende Senat hat in dieser Sache durch Beschluß vom 26. März 1991 VIII R 315/84 (BFHE 166, 7, BStBl II 1992, 472) den Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) angerufen und ihm folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Liegt ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung vor, wenn der Erwerber eines Betriebs seine Zusage, den Veräußerer von der Haftung für alle vom Erwerber übernommenen Betriebsschulden freizustellen, nicht einhalten kann, und der Veräußerer deshalb in einem späteren Veranlagungszeitraum aus einem als Sicherheit für eine Betriebsschuld bestellten Grundpfandrecht in Anspruch genommen wird?
Der Große Senat hat über die Vorlage durch Beschluß vom 19. Juli 1993 GrS 1/92 (BFHE 172, 80, BStBl II 1993, 894) entschieden und die vorgelegte Rechtsfrage bejaht. Diese Entscheidung ist für den erkennenden Senat bindend (§ 11 Abs. 7 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung. Der Senat entscheidet in der Sache selbst und setzt die Einkommensteuer auf 21751 DM fest (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
1. Der Senat kann offenlassen, ob die Aufwendungen des Klägers im Zusammenhang mit seiner Inanspruchnahme aus den Grundschulden schon bei der Aufstellung der Schlußbilanz hätten berücksichtigt werden müssen oder ob mit dem Finanzgericht (FG) davon auszugehen ist, daß dieser Aufwand bei Übergabe des Betriebs noch nicht erkennbar und deshalb nicht zu berücksichtigen war.
2. Die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und die Änderung des angefochtenen Bescheids sind jedenfalls deshalb geboten, weil die Inanspruchnahme des Klägers aus den Grundschulden ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ist, das die Höhe des Veräußerungsgewinns beeinflußt. Der erkennende Senat nimmt wegen der Begründung Bezug auf die Beschlüsse des Großen Senats vom 19. Juli 1993 GrS 1/92 unter B. II. und GrS 2/92 unter C. II. 1.
Der dem Einkommensteuerbescheid 1970 zugrunde liegende Veräußerungsgewinn ist deshalb um den Betrag von 62000 DM zu mindern.
3. Die Klage hat keinen Erfolg, soweit die Herabsetzung des Veräußerungsgewinns um die vom Kläger in den Jahren 1971 bis 1974 gezahlten Zinsen beantragt wird. Insoweit hat das FG im Ergebnis zutreffend entschieden, daß diese Aufwendungen bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden können. Die Zinsverbindlichkeit für die Jahre 1971 bis 1974 konnte den nach §§ 4 Abs. 1,5 EStG zu ermittelnden Wert des Betriebsvermögens im Zeitpunkt der Veräußerung nicht beeinflussen, weil die vom Erwerber übernommenen Zinsverpflichtungen gegenüber der Sparkasse nicht passiviert werden durften, soweit sie für spätere Zeiträume (nach dem Veräußerungszeitpunkt) zu leisten waren (BFH-Urteil vom 24. Mai 1984 I R 166/78, BFHE 141, 176, BStBl II 1984, 747). Sie können deshalb allenfalls in dem Jahr, in dem sie gezahlt wurden, als nachträgliche gewerbliche Einkünfte (§ 24 Nr. 2 EStG) steuermindernd berücksichtigt werden.
4. Die Einkommensteuer 1970 ist unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids vom 2. Januar 1976 wie folgt neu zu berechnen: ...
Fundstellen