Entscheidungsstichwort (Thema)
Passivlegitimation bei Rücknahme der vorläufigen Bestellung als Steuerbevollmächtigter; Verletzung rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
- Trotz Übertragung der Zuständigkeit für die Rücknahme der Bestellung von Steuerberatern durch das 7. StBÄndG auf die Steuerberaterkammern bleibt es im Falle der Rücknahme der vorläufigen Bestellung als Steuerbevollmächtigter bei der Passivlegitimation der OFD.
- Bezieht sich der Vorwurf, das rechtliche Gehör sei verletzt, nur auf einzelne Feststellungen des Urteils, so führt dies nicht ohne Weiteres zur Aufhebung der Vorentscheidung nach § 119 Nr. 3 FGO.
Normenkette
StBerG §§ 40a, 46 Abs. 1 S. 2; FGO § 119 Nr. 3; StBerGÄndG 7
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist mit Urkunde vom 8. August 1990 von der Bezirksverwaltungsbehörde "gem. der Steuerberatungsordnung vom 27.06.1990 als Steuerbevollmächtigter zum 15.08.1990" bestellt worden. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Oberfinanzdirektion ―OFD―) hat die Bestellung mit Bescheid vom 11. Dezember 1991 zurückgenommen. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 17. Februar 1998 (I 43/96) ab. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluss vom 28. Juni 1999 VII B 147/98 (BFH/NV 2000, 92) als unbegründet zurückgewiesen.
Nach Rechtskraft des Urteils beantragte der Kläger beim Ministerium der Finanzen, ihn endgültig als Steuerberater zu bestellen, und berief sich darauf, dass er neue Tatsachen vortragen könne, die ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens zu seinen Gunsten rechtfertigten.
Zur Unterstützung dieses Begehrens beantragte der Kläger am 9. Dezember 1999 bei der OFD, den Rücknahmebescheid vom 11. Dezember 1991 aufzuheben. Der Rücknahmebescheid sei rechtswidrig. Das Gericht, das die Rücknahme bestätigt habe, weil der Kläger zum Zeitpunkt seiner Bestellung kein Bürger der DDR gewesen sei und er diese Voraussetzung auch gekannt habe, sei unzutreffend davon ausgegangen, dass nach § 70 der Steuerberatungsordnung (StBerO) der DDR vom 27. Juni 1990 (Gesetzblatt der DDR ―GBl DDR― vom 27. Juli 1990, Sonderdruck Nr. 1455) nur Bürger der DDR als Steuerbevollmächtigte hätten bestellt werden dürfen. Dass eine solche Beschränkung nicht bestehe, ergebe sich aus Unterlagen zur Entstehungsgeschichte der betreffenden Vorschriften, die sich im Bundesarchiv in Berlin befänden. Im Übrigen habe der Kläger zum Zeitpunkt seiner Bestellung auch annehmen können, Bürger der DDR zu sein, weil er einen vorläufigen Personalausweis erhalten habe.
Die OFD lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12. April 2000 ab, weil sich die Rechtslage nicht verändert habe. Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er sei entgegen seiner bisherigen Darstellung nicht erstmals mit Urkunde vom 8. August 1990 auf der Grundlage der StBerO als Steuerbevollmächtigter bestellt, sondern bereits im Juli 1990 durch den Mitarbeiter der Bezirksverwaltungsbehörde, Herrn V, zum Helfer in Steuersachen ernannt worden. Er habe erst jetzt den Zeugen R wieder getroffen, der diese Angaben in der beigefügten schriftlichen Erklärung bestätige.
Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2000) und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG führte im Ergebnis aus, die Klage sei zwar zulässig. An der Passivlegitimation der OFD habe sich durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Tätigkeit der Steuerberater (7. StBÄndG) vom 24. Juni 2000 (BGBl I 2000, 874) nichts geändert. Die Klage sei aber unbegründet, weil der Kläger durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht in seinen Rechten verletzt werde. Die OFD habe die nach § 164a des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) i.V.m. § 130 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) begehrte Aufhebung des Rücknahmebescheids zu Recht verweigert, weil auch unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens keine Anhaltspunkte für dessen Rechtswidrigkeit gegeben seien. Es könne deshalb dahinstehen, ob der Kläger den jetzt vorgetragenen Sachverhalt bereits in dem Verfahren wegen der Rücknahme seiner Bestellung hätte geltend machen können und sollen. Im Übrigen habe die OFD in der Einspruchsentscheidung zutreffend betont, dass angesichts der Regelung in § 40a Abs. 1 Satz 6 StBerG i.d.F. vor Änderung durch das 7. StBÄndG (StBerG a.F.) die Aufhebung des Rücknahmebescheids in der Regel ausgeschlossen sei.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 119 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil der kraft Gesetzes eingetretene Beteiligtenwechsel nicht beachtet worden sei. § 119 Nr. 3 FGO sei verletzt, weil sich das FG ohne den erforderlichen Hinweis an den Kläger in den Entscheidungsgründen auf Akten eines anderen gerichtlichen Verfahrens, d.h. des abgeschlossenen Vorprozesses mit dem Aktenzeichen I 43/96 gestützt habe, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden seien. Außerdem sei der in der mündlichen Verhandlung übergebene Auszug aus der Sitzungsniederschrift des Petitionsausschusses nicht berücksichtigt worden. Das FG habe seine Aufklärungspflicht (§ 76 FGO) und das Unmittelbarkeitsprinzip (§§ 76, 81, 82 FGO i.V.m. § 372 der Zivilprozessordnung) verletzt, weil es der Frage, ob der Kläger nicht unter unmittelbarer Befreiung von der Eignungsprüfung zum Helfer in Steuersachen bestellt worden sei, nicht durch Vernehmung des Zeugen R nachgegangen sei. Die Beweiswürdigung verstoße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze und sei in sich widersprüchlich, soweit dem Kläger vorgeworfen werde, er habe wegen eines entgegenstehenden Behördenhinweises betreffend die Annahme, die Staatsbürgerschaft der DDR sei für die Zulassung nicht erforderlich, positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit seiner Bestellung gehabt, andererseits habe er aber nicht unkritisch auf Hinweise der Behörde vertrauen dürfen. Die Vorschriften der § 46 Abs. 1 Satz 2, § 40a StBerG a.F., § 1 der Anordnung über die Zulassung zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit als Helfer in Steuersachen und die Registrierung von Stundenbuchhaltern (AnO) vom 7. Februar 1990 (GBl I Nr. 12 S. 92) i.V.m. § 70 StBerO sei verletzt, weil § 1 AnO im Lichte bestimmter im Bundesarchiv ermittelter Unterlagen über die Entstehung der Vorschriften unrichtig ausgelegt worden sei. Ferner habe das FG § 130 Abs. 1, § 364 AO 1977 i.V.m. § 164a StBerG unrichtig ausgelegt, weil es den Umfang seiner Pflicht zur Prüfung der Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung verkannt habe. Es hätte das im Wiederaufgreifensverfahren benannte Beweismittel uneingeschränkt würdigen müssen. Das sei nur durch Zeugeneinvernahme möglich gewesen. Schließlich werde die Tatsache, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung vorgenannter Rechtsvorschriften beruht, nicht dadurch berührt, dass das FG die Rechtsmeinung vertrete, § 40a Abs. 1 Satz 6 StBerG a.F. schließe "in der Regel" eine Aufhebung des Rücknahmebescheids überhaupt aus. Hier liege ein Ausnahmefall vor.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid der OFD vom 12. April 2000 in der Fassung der Einspruchsentscheidung unter Aufhebung des angefochtenen Urteils aufzuheben und die Steuerberaterkammer, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 11. Dezember 1991 zurückzunehmen.
Die OFD beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält ihre Passivlegitimation für gegeben und den angefochtenen Bescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung, mit dem sie die Aufhebung des Rücknahmebescheids vom 11. Dezember 1991 abgelehnt hat, für rechtmäßig. Die Sach- und Rechtslage, die zur Rücknahme der Bestellung als Steuerbevollmächtigter geführt habe, sei nach wie vor unverändert. Ungeachtet der Tatsache, dass die vorgetragenen Gründe für die angebliche Rechtswidrigkeit des Rücknahmebescheids bereits im Vorverfahren hätten vorgebracht werden können, hätten sich auch nach erneuter Überprüfung keine Anhaltspunkte für seine Rechtswidrigkeit ergeben. Darüber hinaus fehle dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet, das FG hat zutreffend erkannt, dass die OFD nicht verpflichtet war, den Rücknahmebescheid vom 11. Dezember 1991 aufzuheben.
1. Richtig ist, dass die OFD im Streitfall passiv legitimiert ist.
Der Senat hat bereits entschieden (Beschlüsse vom 30. Januar 2001 VII R 52/00, BFH/NV 2001, 939, und vom 22. März 2001 VII R 41/00, BFH/NV 2001, 1150), dass es trotz Übertragung der Zuständigkeit für die Rücknahme der Bestellung von Steuerberatern nach § 46 Abs. 4 StBerG in der Neufassung durch das 7. StBÄndG auf die Steuerberaterkammern für den Fall der Rücknahme einer vorläufigen Bestellung als Steuerberater i.S. von § 40a StBerG a.F. bei den bisherigen Beteiligten, insbesondere der OFD als Beklagte und Revisionsbeklagte bleibt. Denn § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG a.F., der die Rücknahme der vorläufigen Bestellung als Steuerberater regelte, ist durch Art. 1 Nr. 42 7. StBÄndG mit Wirkung vom 1. Juli 2000 aufgehoben worden. Die neue Zuständigkeitsregelung in § 46 Abs. 4 Satz 1 StBerG kann sich daher nicht auf diesen Rücknahmegrund beziehen, so dass es insoweit bei der früheren Zuständigkeitsregelung verbleiben muss. Das gilt entsprechend auch für den Fall der vorläufigen Bestellung als Steuerbevollmächtigter nach § 40a StBerG a.F.
2. Soweit der Kläger die Verletzung seines Rechts auf Gehör rügt, führt dies nicht nach § 119 Nr. 3 FGO zur Aufhebung der Vorentscheidung. Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob die diesbezüglichen Vorwürfe des Klägers überhaupt berechtigt sind, denn selbst wenn sie das wären, führt dies nicht zur Aufhebung des angegriffenen Urteils, weil sich der Vorwurf nur auf einzelne Feststellungen des Urteils bezieht. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs kausal für die Entscheidung ist mit der Folge, dass die Entscheidung wegen eines absoluten Revisionsgrundes aufzuheben ist. Die Rechtsprechung hat davon aber eine Ausnahme für den Fall gemacht, dass das rechtliche Gehör nur in Bezug auf einzelne Feststellungen der Vorentscheidung verletzt worden ist, die für den Ausgang des Rechtsstreits offensichtlich nicht entscheidungserheblich sind (vgl. BFH, Großer Senat, Beschluss vom 3. September 2001 GrS 3/98, BStBl II 2001, 802, m.w.N.). So verhält es sich im Streitfall.
Denn, ohne dass es auf die betreffenden Feststellungen des FG ankommt, hat das FG sein Urteil zutreffend auch darauf gestützt, dass der Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Aufhebung des Rücknahmebescheids vom 11. Dezember 1991 hat, weil dessen Aufhebung keinen Vorteil für den Kläger bedeutet. Würde der Rücknahmebescheid nämlich aufgehoben, so würde die dann bestehende vorläufige Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter nach § 40a Abs. 1 Satz 6 StBerG a.F. wieder erlöschen, weil sie nicht innerhalb der dort festgelegten Frist in eine endgültige Bestellung umgewandelt worden ist. Grundsätzlich lief diese Frist am 31. Dezember 1997 ab. In den Fällen, in denen über eine Rücknahme der vorläufigen Bestellung nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG a.F. jedoch noch nicht bestandskräftig entschieden war, lief diese Frist erst mit dem Eintritt der Bestandskraft ab. Das In-Kraft-Treten des 7. StBÄndG am 1. Juli 2000 ist in diesem Zusammenhang, anders als der Kläger meint, ohne Bedeutung, weil dadurch an der in § 40a Abs. 1 Satz 6 StBerG a.F. geregelten Frist nichts geändert wurde.
Im Streitfall ist der Rücknahmebescheid vom 11. Dezember 1991 mit der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers durch den Senatsbeschluss in BFH/NV 2000, 92 bestandskräftig geworden. Auch wenn die Regelung über die Verlängerung der Frist im Falle der Nichtbestandskraft des Rücknahmebescheids entsprechend auf den Fall ausgedehnt würde, dass über einen Verpflichtungsantrag auf Aufhebung des (bestandskräftigen) Rücknahmebescheids noch nicht endgültig entschieden worden ist, könnte dies dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen, weil er seinen Antrag erst am 9. Dezember 1999 und damit nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist gestellt hat.
Es geht nicht an, die in § 40a Abs. 1 Satz 6 StBerG a.F. bestimmte Frist für Fälle wie den Streitfall außer Acht zu lassen. Denn Zweck der Regelung, deren Verfassungsmäßigkeit der Senat wiederholt bejaht hat (vgl. u.a. Senatsurteil vom 28. Oktober 1997 VII R 18/97, BFHE 183, 339, BStBl II 1997, 835), war es, bis zum 31. Dezember 1997 die Rechtsverhältnisse der steuerberatenden Berufe in den neuen Bundesländern im Interesse der Rechtssicherheit abschließend zu regeln. Die dazu eingeräumte Frist von sieben Jahren erscheint dem Senat angemessen und ausreichend auch in Fällen, in denen es um die Verpflichtung zur Aufhebung eines angeblich rechtswidrigen bestandskräftigen Rücknahmebescheids geht. Ergeben sich erst nach Ablauf der Frist Gründe, nach denen eine Aufhebung des Rücknahmebescheids in Betracht kommen kann, so können diese nicht mehr berücksichtigt werden, weil das berechtigte öffentliche Interesse an der allgemeinen Klärung des vorläufigen Status und seiner Umwandlung in einen endgültigen Status der steuerberatenden Berufe in den neuen Bundesländern ab einem bestimmten Zeitpunkt dem Individualinteresse an einer materiell richtigen Behandlung vorgeht.
3. Auf die übrigen Bedenken des Klägers gegen die Vorentscheidung braucht der Senat nicht einzugehen, weil sie sich nur auf die Frage beziehen, ob der Rücknahmebescheid vom 11. Dezember 1991 rechtswidrig war. Darauf kommt es aber aus den unter Nr. 2 genannten Gründen nicht an.
Fundstellen
Haufe-Index 713766 |
BFH/NV 2002, 817 |