Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen für den Wiederaufbau eines Anbaus als Herstellungskosten; Abbruchkosten und AfaA als Vorkosten
Leitsatz (NV)
- Der Wiederaufbau eines so abgenutzten Gebäudeteils, dass er unbrauchbar geworden ist, führt stets zu Herstellungskosten i.S. von § 255 Abs. 2 HGB.
- Abbruchkosten sowie Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung in Höhe des Restbuchwerts des Gebäudes bzw. Gebäudeteils führen dann zu Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG, wenn das Gebäude nicht mit der Absicht des Abrisses bzw. Teilabrisses erworben wurde.
Normenkette
HGB § 255 Abs. 1-2; EStG § 10e Abs. 6
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (EFG 2001, 965) |
Tatbestand
I. Die im Streitjahr 1991 zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erwarben mit notariellem Vertrag vom 24. Januar 1991 ein im Jahr 1949 errichtetes und im Jahr 1985 renoviertes Einfamilienhaus. Von den gesamten Anschaffungskosten in Höhe von 495 480 DM entfielen 147 000 DM auf den Grund und Boden.
Nach umfangreichen Baumaßnahmen nutzten die Kläger das Haus ab 27. November 1991 zu eigenen Wohnzwecken.
In den Jahren 1991 und 1992 wendeten die Kläger insgesamt ca.
230 000 DM für die Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudes auf. Auf den Wiederaufbau eines zuvor abgebrochenen Anbaus entfielen unstreitig 78 152 DM (einschließlich der Abbruchkosten, des Architektenhonorars und der Kosten des neuen Fundaments) der vor Bezug entstandenen Kosten.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1991 machten die Kläger Aufwendungen vor Bezug als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 178 575 DM geltend. Sie legten dazu eine Bescheinigung ihres Architekten über verdeckte Mängel vor, wonach insbesondere der Anbau physikalisch stark beschädigt gewesen sei und vollständig demontiert und ―mit den gleichen Abmessungen― habe neu aufgebaut werden müssen.
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) veranlagte die Kläger zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Im Anschluss an eine Außenprüfung erging ein nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr. Das FA erkannte Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG nur noch in Höhe von 48 000 DM an. Dabei berücksichtigte es die Aufwendungen für die Erneuerung des nicht funktionsfähigen Abflusses und der Regenfallrohre als Kosten zur Beseitigung verdeckter Mängel, Abbruchkosten in Höhe von 5 000 DM und den Restbuchwert des Anbaus in Höhe von 21 000 DM.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) erkannte weitere Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG in Höhe von 52 603 DM an. Die in § 255 des Handelsgesetzbuchs (HGB) getroffene Begriffsbestimmung der Anschaffungs- und Herstellungskosten gelte auch im Steuerrecht. Danach seien die Aufwendungen für die Neuerstellung des Anbaus Herstellungskosten, weil sie das Gebäude über seinen ursprünglichen Zustand hinaus wesentlich verbessert hätten (§ 255 Abs. 2 Satz 1 3. Variante HGB). Sie könnten daher nicht als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG berücksichtigt werden. Die übrigen Instandhaltungs- und Modernisierungsaufwendungen seien hingegen als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG abziehbar. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 965 veröffentlichte Urteil Bezug genommen.
Mit der Revision rügen die Kläger sinngemäß Verletzung von § 10e Abs. 6 EStG und § 176 AO 1977. Durch die Neuerrichtung des Anbaus sei der Wohnwert des gesamten Gebäudes nicht wesentlich erhöht worden. Abriss und Wiederaufbau hätten die Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes nicht verlängert. Auch der Wohnstandard des Gebäudes habe sich nicht verändert. Die Aufwendungen hätten vielmehr der Beseitigung verdeckter Mängel gedient. Nach der im Jahr 1991 geltenden Rechtslage seien diese Kosten deshalb als Vorkosten abziehbar. Zumindest Aufwendungen in Höhe von 26 000 DM, die das FA in Zusammenhang mit der Beseitigung versteckter Mängel in dem geänderten Steuerbescheid als Vorkosten berücksichtigt habe, hätte das FG nicht zum Nachteil der Kläger als Herstellungskosten werten dürfen.
Die Kläger beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und weitere Aufwendungen in Höhe von 78 152 DM als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG zu berücksichtigen.
Das FA beantragt ―nach Rücknahme seiner eingelegten Revision―, die Revision der Kläger als unbegründet zurückzuweisen.
Der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 30. September 2002 wurde nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) zum Gegenstand des Verfahrens.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Kläger führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Zu Recht hat das FG zwar die Kosten für die Wiedererrichtung des Anbaus als Herstellungskosten i.S. von § 255 Abs. 2 HGB gewertet und insoweit die Abziehbarkeit als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG verneint. Als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG abziehbar sind hingegen die Abbruchkosten und der Restwert des Anbaus.
1. Aufwendungen, die vor der erstmaligen Nutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entstehen, sind nur dann nach § 10e Abs. 6 EStG als Vorkosten abziehbar, wenn sie nicht zu den Herstellungs- oder Anschaffungskosten der Wohnung oder zu den Anschaffungskosten des Grund und Bodens gehören. Welche Aufwendungen dies sind, bestimmt sich bei den Gewinn- und Überschusseinkünften nach § 255 HGB (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. September 2001 IX R 39/97, BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 3. b). § 10e Abs. 6 EStG enthält keine davon abweichende Definition. Vielmehr folgt aus der Bezugnahme zum Begriff der Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, dass die Begriffe Anschaffungskosten und Herstellungskosten in dem im Einkommensteuerrecht verwendeten Sinn zu verstehen sind (Senatsbeschluss vom 3. Dezember 1991 X B 5/91, BFH/NV 1992, 379).
2. Anschaffungskosten gemäß § 255 Abs. 1 HGB sind die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand ―also auch ein Wohngrundstück― zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, ferner die Nebenkosten und nachträglichen Anschaffungskosten. Nach § 255 Abs. 2 HGB sind Herstellungskosten Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Hierzu gelten im Einzelnen die folgenden Grundsätze:
a) Ein Vermögensgegenstand (Wirtschaftsgut, hier: ein Gebäude) ist betriebsbereit, wenn er entsprechend seiner Zweckbestimmung genutzt werden kann (BFH-Urteil in BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 2. b; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 255 HGB, Tz. 13). Zu den Anschaffungskosten zählen daher die Aufwendungen, die erforderlich sind, um das erworbene Wirtschaftsgut bestimmungsgemäß nutzen zu können.
Nutzt der Erwerber ein Hausgrundstück ab dem Zeitpunkt des Erwerbs, d.h. ab Übergang der Nutzungen und Lasten, hat er eine solche Zweckbestimmung getroffen; das genutzte Wirtschaftsgut befindet sich bereits in einem betriebsbereiten Zustand und kann nicht mehr in diesen Zustand versetzt werden (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil vom 12. September 2001 IX R 52/00, BFHE 198, 85, BFH/NV 2002, 966, zu II. 2. b aa).
Wird hingegen ―wie im Streitfall― ein Gebäude vor der erstmaligen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken renoviert und modernisiert, zählen Aufwendungen, die erforderlich sind, um das Wirtschaftsgut entsprechend seiner Bestimmung zu eigenen Wohnzwecken nutzen zu können, zu den Erhaltungs- oder Anschaffungskosten.
Zur Zweckbestimmung eines Gebäudes, das Wohnzwecken dient, gehört auch die Entscheidung, welchem Standard das Gebäude entsprechen soll (sehr einfacher, mittlerer oder sehr anspruchsvoller Standard). Eine Steigerung des Wohnstandards setzt voraus, dass die Kernbereiche der Ausstattung einer Wohnung wesentlich verbessert werden; das ist der Fall, wenn bei mindestens drei der Bereiche Heizung, Sanitär- und Elektroinstallation sowie Fenster der Nutzungswert durch die Baumaßnahmen deutlich gesteigert wird. Reparaturen oder auch das Ersetzen des Vorhandenen durch Gleichwertiges in zeitgemäßer Form erweitern den Nutzungswert nicht (vgl. dazu im Einzelnen BFH-Urteil in BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 3. a).
b) Bereits begrifflich keine Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen liegen vor, wenn ein hinsichtlich seiner Größe und Funktion bedeutsamer Gebäudeteil abgerissen und neu errichtet wird. Ist ein Gebäudeteil so sehr abgenutzt, dass er unbrauchbar geworden ist (Vollverschleiß), führt diese Baumaßnahme stets zu Herstellungskosten i.S. von § 255 Abs. 2 HGB. Der der Senatsrechtsprechung zu Vollverschleiß und Neuherstellung einer Wohnung (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1997 X R 54/96, BFH/NV 1998, 841) zugrunde liegende Gedanke ist insoweit übertragbar. Derartige Baumaßnahmen sind ihrem Wesen nach keine Erhaltungskosten (vgl. Söffing, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 2002, 587, unter 3.2.2). Ein Abzug dieser Aufwendungen als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG scheidet deshalb aus.
c) Ohne Belang ist auch, ob der Gebäudeteil lediglich im Hinblick auf die veränderten Wohnbedürfnisse der Eigentümer neu erstellt wurde, der Anbau dem persönlichen Geschmack der Nutzenden angepasst werden sollte oder aber der Abbruch wegen verdeckter Mängel erforderlich wurde. Die frühere Rechtsprechung, nach der die Kosten der Beseitigung verdeckter Mängel nicht als anschaffungsnaher Herstellungsaufwand zu beurteilen sind, kann nicht mehr aufrechterhalten werden, nachdem nunmehr der Begriff der Anschaffungskosten und Herstellungskosten durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2355) erstmals gesetzlich definiert, in das HGB eingefügt (§ 255 Abs. 1 und 2) und von der Steuerrechtsprechung als für alle Einkunftsarten und auch für § 10e EStG maßgeblich übernommen wurde. Bei der Abgrenzung der sofort abzugsfähigen Erhaltungskosten von den Anschaffungskosten bzw. Herstellungskosten kann es nicht auf die subjektiven Vorstellungen des Erwerbers vom Zustand des Gebäudes ankommen. Entscheidend ist vielmehr die Rechtsnatur der Maßnahmen.
3. Nach den Feststellungen des FG, die nicht angegriffen wurden und für den Senat daher bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), betrafen die streitigen Aufwendungen ausschließlich den Abbruch und die Neuerrichtung des Anbaus.
a) Das FG hat wie dargelegt die Kosten des Wiederaufbaus des Anbaus zu Recht nicht als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG berücksichtigt. Diese Aufwendungen sind vor Bezug des Gebäudes angefallen und ihrer Rechtsnatur nach Herstellungskosten i.S. von § 255 Abs. 2 HGB.
b) Die Kosten für den Abbruch des alten Anbaus in Höhe von 5 000 DM sowie Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA) in Höhe des Restbuchwerts des abgebrochenen Anbaus in Höhe von 21 000 DM können hingegen als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG abgezogen werden, da sie gemäß § 9 Abs. 1 EStG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG als Werbungskosten und nicht als Herstellungskosten zu berücksichtigen gewesen wären, wenn das Gebäude, anstelle der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, vermietet worden wäre. Entscheidend dafür ist, dass das Gebäude nicht mit der Absicht des Abrisses bzw. Teilabrisses erworben wurde (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 12. Juni 1978 GrS 1/77, BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620; BFH-Urteil vom 26. Juni 2001 IX R 22/98, BFH/NV 2002, 16). Diese Voraussetzung ist nach den Feststellungen des FG erfüllt.
Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 923901 |
BFH/NV 2003, 765 |