Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein bewertungspflichtiges Wirtschaftsgut liegt vor, wenn ein Milchgroßhändler einen Anteil an dem Kontingent eines anderen Milchgroßhändler erwirbt. Der Erwerbspreis kann nicht mit der Begründung als Betriebsausgabe abgezogen werden, es handle sich um Abwehrkosten, weil der Anteil zur Erhaltung des eigenen Kontingents erworben worden sei, das durch eine Neuverteilung zu einem späteren Zeitpunkt gemindert worden wäre. EStG 1955 §§ 4, 5, 6.
Normenkette
EStG §§ 4-6
Tatbestand
Der Bg. ist Milchgroßhändler. Er ist Gesellschafter einer Meierei-Gesellschaft in Berlin. Die Meierei-Gesellschaft führt die in Berlin (West) benötigte Milch aus dem Bundesgebiet ein und verteilt sie auf die Milchgroßhändler, die zu ihren Gesellschaftern gehören. Der jeweilige Anteil der Milchgroßhändler an eingeführter Milch wird durch Kontingente bestimmt, die den einzelnen Gesellschaftern zustehen. Nach Aufhebung der Bewirtschaftung der Milch im Jahre 1950 wurden diese Kontingente nach den Transportmöglichkeiten und nach der Größe des Abnehmerkreises des jeweiligen Großhändlers bestimmt. Die Verteilung der Kontingente nach 1950 benachteiligte aber einige Großhändler, zumal solche, die aus der sowjetischen Besatzungszone oder aus dem Sowjetsektor nach Berlin (West) übergesiedelt waren. Sofern diese nach Berlin (West) gekommenen Großhändler Gesellschafter der Meierei-Gesellschaft waren, stand ihnen ein Anrecht an der eingeführten Milchmenge zu. Um die Kontingente der neuen Sachlage wieder anzupassen, wurde im Jahre 1955 in einer Großhändlerversammlung eine neue Verteilung der Kontingente vorgenommen. Wollten die Großhändler, deren Kontingente vor der Neuverteilung größer waren als nach der Neuverteilung, ihre Kontingente in ursprünglicher Höhe behalten, so mußten sie Anteile an Kontingenten anderer Gesellschafter erwerben. Zur Erhaltung seines Kontingentes, das durch die Neuverteilung zu einem späteren Zeitpunkte gemindert worden wäre, zahlte der Bg. an die Meierei-Gesellschaft im Jahre 1955 einen Betrag von Y DM. Diesen Betrag sollte die Meierei-Gesellschaft dazu verwenden, um für den Bg. den erforderlichen zusätzlichen Anteil an dem Kontingent eines anderen zu erwerben. Der Erwerb ging so vonstatten, daß dem daran interessierten Kontingentinhaber ein bestimmter Betrag für sein innegehabtes Kontingent geboten wurde. Veräußerte er dann das Kontingent oder einen Teil davon, so gingen die Rechte auf den zahlenden Großhändler ganz oder zum Teil über. Der Bg. sah die Y DM als eine Aufwendung zur Erhaltung seiner Einnahmen aus dem vor der Verteilung innegehabten größeren Kontingent an und machte die Aufwendung in vollem Umfange als Betriebsausgabe geltend. Dagegen vertritt das Finanzamt die Ansicht, daß der Bg. zusätzlich ein firmenwertähnliches Wirtschaftsgut erlangt habe, das in Höhe des gezahlten Betrages zu aktivieren sei. Entsprechend veranlagte es den Bg. zur Einkommensteuer für das Jahr 1955.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung vertrat das Verwaltungsgericht die Ansicht, dem Finanzamt sei zuzustimmen, daß der Bg. ein zusätzliches Recht erworben habe. Um sein ursprüngliches und durch Gesellschafterbeschluß vom absoluten Standpunkt aus verringertes Kontingent zu erhalten, sei der Bg. gezwungen gewesen, zu dem bereits innegehabten Recht noch weitere gleichartige Berechtigungen hinzuzuerwerben. Dafür habe er den Betrag von Y DM gezahlt. Seiner Zahlung stehe rechtlich der Erwerb zusätzlicher Gesellschaftsrechte gegenüber. Daß ein solches Gesellschaftsrecht mit seiner wirtschaftlich großen Bedeutung ein aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut sei, bedürfe keiner Ausführungen.
Das Gericht habe aber andererseits bedacht, daß der wirtschaftliche Zustand im Betriebe des Bg. durch den Erwerb des zusätzlichen Gesellschaftsrechtes nicht verbessert worden sei. Wirtschaftlich sei vielmehr alles beim alten geblieben. Wenn auch durch den Erwerb der zusätzlichen Gesellschaftsrechte eine größere wirtschaftliche Sicherheit eingetreten sei, so sei zu berücksichtigen, daß durch die erfolgreiche Abwehr von Angriffen gegen die wirtschaftliche Stellung eines Unternehmers immer eine stärkere wirtschaftliches Sicherheit gegenüber dem wirtschaftlichen Zustand vor der Abwehr des Angriffs erreicht werde. Wenn die Rechtsprechung trotzdem die Aufwendungen für die Abwehr eines Angriffs auf die wirtschaftliche Position als Betriebsausgaben sofort zum Abzug zulasse, so komme darin zum Ausdruck, daß es auf die größere wirtschaftliche Sicherheit nach der Abwehr des Angriffs nicht ankommen könne.
Demgemäß hat das Verwaltungsgericht von dem Einkommen laut Einspruchsentscheidung in Höhe von X DM als "Abwehrkosten" den Betrag von Y DM abgezogen. Dem sich hiernach ergebenden Betrage von DM hat das Verwaltungsgericht den Betrag von Z DM hinzugerechnet, den das Finanzamt als Gewerbesteuerrückstellung gewinnmindernd berücksichtigt hatte.
Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung bestehenden Rechts. Er trägt vor, der Erwerb des zusätzlichen Abfuhrkontingents sei eine aktivierungspflichtige Aufwendung für den Erwerb eines Wirtschaftsgutes (hier Abfuhrkontingent) mit firmenwertähnlichem Charakter.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein steuerlich bewertungsfähiges und bewertungspflichtiges Wirtschaftsgut vorliegt, hat die Rechtsprechung wiederholt Stellung genommen. Danach ist unter Wirtschaftsgut ein im wirtschaftlichen Verkehr nach der Verkehrsanschauung selbständiges bewertbares Gut jeder Art zu verstehen, das in irgendeiner Form dem Betrieb zu dienen bestimmt ist. Die Wirtschaftsgüter in diesem Sinne umfassen Gegenstände, Rechte und alle sonstigen wirtschaftlichen Werte, die geeignet sind, Vermögen und Bestandteile von Vermögen zu sein. Im Sinne des Einkommensteuergesetzes sind Wirtschaftsgüter aber nur solche körperlichen und unkörperlichen Werte, die nach den Grundsätzen des Steuerrechts bilanzierungsfähig sind. Das durch die Aufwendung Erlangte muß nach der Verkehrsanschauung einer besonderen Bewertung zugänglich sein. Nicht jeder gegen Entgelt erlangte wirtschaftliche Vorteil stellt ein aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut dar. Es muß sich um ein solches handeln, dessen Wert als Einzelheit von Bedeutung und bei einer Veräußerung greifbar ist (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 2002/29 vom 21. Oktober 1931, RStBl 1932 S. 305; Urteile des Bundesfinanzhofs IV 255/53 U vom 28. Januar 1954, BStBl 1954 III S. 109, insbesondere S. 110, Slg. Bd. 58 S. 516; I 46/57 U vom 13. August 1957, BStBl 1957 III S. 350, Slg. Bd. 65 S. 307; I 27/57 U vom 15. April 1958, BStBl 1958 III S. 260, Slg. Bd. 66 S. 677; I 103/55 U vom 25. September 1956, BStBl 1956 III S. 349, Slg. Bd. 63 S. 396; Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 8. Auflage, § 4 Anm. 10; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 9. Auflage, § 4 Anm. 16; Littmann, Das Einkommensteuer-Recht, 6. Auflage, §§ 4, 5 Textziffer 83).
Im Streitfall ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß der Bg. durch die Aufwendung von Y DM ein zusätzliches, aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut erworben hat. Das Verwaltungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Bg. gezwungen war, zu dem bereits innegehabten Recht noch eine weitere gleichartige Berechtigung hinzuzuerwerben. Nach der Auffassung des erkennenden Senats würde diese Tatsache auch einen etwaigen Erwerber des Betriebs des Bg. dazu veranlaßt haben, bei den überlegungen über den aufzuwendenden Kaufpreis das Vorhandensein oder das Nichtvorhandensein der weiteren gleichartigen Berechtigung mit zu berücksichtigen. Der Senat ist deshalb der Auffassung, daß es sich im vorliegenden Fall nicht nur um ein bewertungsfähiges, sondern um ein bewertungspflichtiges Wirtschaftsgut handelt. Die Aktivierungspflicht kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, daß es sich hier um Abwehrkosten handelt. Allerdings hat die Rechtsprechung Kosten zur Abwehr von Maßnahmen, die zu einer Minderung des Einkommens durch Schmälerung der Einnahmen oder Erhöhung der Ausgaben führen würden, z. B. Kosten zur Abwehr der Erhöhung von Rentenlasten, als Betriebsausgaben anerkannt (vgl. z. B. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 576/37 vom 6. Oktober 1937, RStBl 1938 S. 103, Slg. Bd. 42 S. 214). Es handelt sich hierbei jedoch um andere Sachverhalte. Wie bereits der Reichsfinanzhof in dem ähnlich gelagerten Falle des Urteils VI 73/39 vom 17. Mai 1939, RStBl 1939 S. 799, bei dem es sich um ein Hefekontingent handelte, das als Ersatz für den bei Festsetzung der einzelnen Quoten erlittenen Abstrich erworben wurde, hervorgehoben hat, ist davon auszugehen, daß in einem Fall dieser Art der durch den Erwerb der Ersatzquote erlangte wirtschaftliche Vorteil ein neues selbständiges Wirtschaftsgut darstellt. Auch das Verwaltungsgericht weist darauf hin, daß der Bg. zu dem bereits innegehabten Recht weitere gleichartige Berechtigungen hinzuerworben hat. Daß dieses für Y DM erworbene Recht zur Erhaltung des eigenen Kontingents diente, vermag an der Aktivierungspflicht des Hinzuerworbenen nichts zu ändern. Hierfür spricht auch die folgende überlegung: Würde der Bg. nach durchgeführter Verminderung der einzelnen Kontingente sein Unternehmen auf der Grundlage des verminderten Kontingents eine Zeitlang weiterbetrieben und erst später den Anteil an einem anderen Kontingent gegen Entgelt hinzuerworben haben, so würde die Tatsache, daß er ein neues Wirtschaftsgut erworben hat, noch klarer hervortreten. Dieselbe Beurteilung muß Platz greifen, wenn, wie im vorliegenden Falle, der Anteil an dem fremden Kontingent im Hinblick auf die zu einem späteren Zeitpunkt wegen der Neuverteilung zu erwartende Minderung des eigenen Kontingents hinzuerworben wird.
Hiernach ist die Rb. des Vorstehers des Finanzamts begründet. Unter Aufhebung der Vorentscheidung war deshalb die Berufung des Bg. gegen die Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 410392 |
BStBl III 1962, 367 |
BFHE 1963, 275 |
BFHE 75, 275 |
BB 1962, 912 |
DB 1962, 1162 |