Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuflußprinzip bei Gehaltsnachzahlungen - Verfassungsmäßigkeit des § 34 Abs. 3 EStG 1990
Leitsatz (amtlich)
1. Erhält ein Arbeitnehmer wegen einer unwirksamen Kündigung für frühere Jahre eine Gehaltsnachzahlung, so ist diese als Lohn des Jahres der Nachzahlung zu erfassen.
2. § 34 Abs.3 EStG ab 1990 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Orientierungssatz
Ausführungen zur Anwendbarkeit der Spezialnorm des § 11 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 38a Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG bei gezahltem laufendem Arbeitslohn (vgl. Literatur).
Normenkette
EStG 1990 § 11 Abs. 1 S. 1, § 34 Abs. 3, § 38a Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; EStG 1990 § 11 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
FG des Saarlandes (Entscheidung vom 28.02.1992; Aktenzeichen 1 K 365/91) |
Nachgehend
BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 28.01.1994; Aktenzeichen 2 BvR 2202/93) |
Tatbestand
Dem bei einer Gemeinde angestellten Kläger und Revisionskläger (Kläger) war zum 1.April 1987 gekündigt worden. Durch Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 11.Oktober 1989 wurde endgültig festgestellt, daß die Kündigung unwirksam war und daß das Arbeitsverhältnis fortbestand. Im Streitjahr 1990 erhielt der Kläger für die Zeit vom 1.April 1987 bis 31.Juli 1989 von der Gemeinde eine Gehaltsnachzahlung in Höhe von insgesamt 72 599 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah die Gehaltszahlung als Lohn des Streitjahres 1990 an (Gesamtlohn: 42 992,38 DM zuzüglich 72 599 DM *= 115 591 DM) und setzte die Steuer unter Anwendung der Vorschrift des § 34 Abs.3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fest. Der Einkommensteuerbescheid 1990 führte zu einer Steuernachforderung in Höhe von 10 747 DM.
Der Kläger ist der Auffassung, die Gehaltsnachzahlung sei nicht im Jahre 1990 zu erfassen, sondern den Jahren zuzurechnen, auf die die nachgezahlten Beträge entfielen; denn für Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gelte § 11 Abs.1 Satz 3 EStG i.V.m. § 38a Abs.1 Sätze 2 und 3 EStG.
Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 610 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus: Dem Kläger sei die Gehaltsnachzahlung im Streitjahr 1990 zugeflossen; sie sei daher bei der Veranlagung 1990 zu erfassen. Aus § 11 Abs.1 Satz 3 i.V.m. § 38a Abs.1 Sätze 2 und 3 EStG folge nichts anderes. § 38a Abs.1 EStG unterscheide zwischen laufendem Arbeitslohn, der in dem Kalenderjahr als bezogen gelte, in dem der Lohnzahlungszeitraum ende, und zwischen sonstigen Bezügen, die als im Kalenderjahr des Zuflusses bezogen gelten. Laufender Arbeitslohn sei das Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des arbeitsvertraglich vereinbarten Lohnzahlungszeitraums als Monats-, Wochen- oder Tageslohn regelmäßig fortlaufend zufließe. Hierzu gehörten Nachzahlungen nur dann, wenn sie sich ausschließlich auf Lohnzahlungszeiträume bezögen, die im Kalenderjahr der Zahlung endeten (Abschn.115 Abs.1 Nr.6 der Lohnsteuer-Richtlinien --LStR-- 1990). Beziehe sich --wie im Streitfall-- der Gesamtbetrag der Nachzahlung auf Lohnzahlungszeiträume, die in einem anderen Jahr als dem der Zahlung endeten, so handele es sich um einen sonstigen Bezug (Abschn.115 Abs.2 Nr.8 LStR 1990). Damit verbleibe es bei der Grundaussage des § 11 Abs.1 Satz 1 EStG, wonach Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen seien, in welchem sie zugeflossen seien. Der Umstand, daß es sich bei regelmäßigem Ablauf ohne die unwirksame Kündigung um laufenden Arbeitslohn gehandelt hätte, könne daran nichts ändern.
Das FA habe § 34 Abs.3 EStG zutreffend angewendet. Diese Vorschrift sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Zwar sei nicht zu verkennen, daß § 34 Abs.3 EStG in der vor 1990 geltenden Fassung in höherem Maße der individuellen Steuergerechtigkeit gedient habe, als es die jetzige Vorschrift tue, weil für die Verteilungszeiträume sog. Schattenveranlagungen durchzuführen gewesen seien, so daß die nachgezahlten Vergütungen auf die Zeiträume ihrer wirtschaftlichen Zugehörigkeit entfallen seien. Die Neufassung des § 34 Abs.3 EStG diene der Steuervereinfachung, welches eines der Ziele des Steuerreformgesetzes 1990 gewesen sei. Steuervereinfachung sei ohne typisierende Regelungen, die für die Mehrzahl der Fälle zuträfen, aber den Einzelfall nicht immer hinreichend abdeckten, nicht zu erreichen. Gehe man weiter davon aus, daß eines der tragenden Elemente der Besteuerung der Überschußeinkünfte das Zuflußprinzip sei, so könne die Neuregelung des § 34 Abs.3 EStG nicht als sachwidrig angesehen werden. Denn zum einen werde durch diese Vorschrift die Progressionswirkung des Einkommensteuertarifs abgemildert, zum anderen sei ein Steuerpflichtiger eher in der Lage, bei einem erhöhten Zufluß auch die damit verbundenen höheren Steuern zu tragen.
Mit seiner Revision beantragt der Kläger sinngemäß, unter Abänderung der Vorentscheidung sowie Aufhebung der Einspruchsentscheidung und Änderung des Einkommensteuerbescheides 1990 den nachgezahlten Arbeitslohn nicht als Arbeitslohn des Jahres 1990 zu erfassen, sondern ihn den Jahren 1986 bis 1989 insoweit zuzurechnen, als er für diese Jahre gezahlt worden ist. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor: Die Vorentscheidung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Prinzip der Steuergerechtigkeit. Die Nachzahlung von "laufendem" Arbeitslohn sei auch steuerlich als laufender Arbeitslohn zu erfassen. Laufender Arbeitslohn sei unabhängig von dem Zahlungszeitpunkt demjenigen Jahr zuzurechnen, für welches er gezahlt worden sei. Dies folge aus § 11 Abs.1 Satz 3 i.V.m. § 38a Abs.1 Sätze 2 und 3 EStG. Dem widerspreche die Anweisung in Abschn.115 LStR 1990, wonach in späteren Jahren nachgezahlter Lohn als sonstiger Bezug behandelt und als Einnahme des Zahlungsjahres qualifiziert werde. Sollte sich die Auffassung der Finanzverwaltung als zutreffend erweisen, so wäre die ab dem Streitjahr 1990 geltende Neuregelung des § 34 Abs.3 EStG, die anders als früher keine Schattenveranlagung mehr für die Jahre vorsehe, zu denen die Nachzahlungen wirtschaftlich gehörten, wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Prinzip der Steuergerechtigkeit als verfassungswidrig anzusehen.
Das FA tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
1. Gemäß § 11 Abs.1 Satz 1 EStG sind Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Nach dieser für die Überschußeinkünfte, zu denen auch die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zählen, geltenden Regelung, sind die im Streitfall zu beurteilenden Lohnnachzahlungen zutreffend im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1990 erfaßt worden. Diese Regelung hat entgegen der Auffassung des Klägers für die vorliegend zu beurteilende Lohnnachzahlung keine Änderung durch § 11 Abs.1 Satz 3 EStG erfahren. Nach dieser Vorschrift gilt für Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit § 38a Abs.1 Sätze 2 und 3 EStG. Dort ist geregelt, daß laufender Arbeitslohn als in dem Kalenderjahr bezogen gilt, in dem der Lohnzahlungszeitraum endet. Nicht als laufender Arbeitslohn gezahlte sonstige Bezüge sind in dem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Arbeitnehmer zufließen. Diese Regelung dient der Vereinfachung des Lohnsteuerabzugsverfahrens und behält durch die Anordnung in § 11 Abs.1 Satz 3 EStG auch für die Jahresbesteuerung ihre Wirkung.
Für die Zahlung von nicht laufendem Arbeitslohn, also für die Zahlung sonstiger Bezüge, verbleibt es beim Zuflußprinzip, während bei gezahltem laufendem Arbeitslohn das Zuflußprinzip durchbrochen wird. Der Gesetzgeber hat damit u.a. dem Umstand Rechnung getragen, daß Lohnabrechnungszeiträume nicht stets vom ersten bis zum letzten Tag eines Monats, sondern auch über den Monatswechsel und damit auch über den 31.Dezember eines Jahres hinaus dauern können. Er hat für Lohnzahlungen die Vorschrift des § 11 Abs.1 Satz 2 EStG durch die Spezialnorm des § 11 Abs.1 Satz 3 i.V.m. § 38a Abs.1 Sätze 2 und 3 EStG ersetzt. Dadurch ist der Arbeitgeber der Pflicht enthoben, bei Lohnzahlungen für kalenderjahrübergreifende Lohnzahlungszeiträume die Arbeitslöhne nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt auf das abgelaufene und das neue Kalenderjahr aufzuteilen. Statt Überlegungen zu den Tatbestandsmerkmalen des § 11 Abs.1 Satz 2 EStG wie "kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres" und der wirtschaftlichen Zugehörigkeit von Einnahmen anstellen zu müssen, kann sich der Arbeitgeber an dem Ende des Lohnzahlungszeitraumes orientieren (Reinhart, Der Betrieb --DB-- 1986, 2203). Hieraus kann abgeleitet werden, daß von § 38a Abs.1 Sätze 2 und 3 EStG zumindest nur solche Lohnbestandteile erfaßt werden sollen, die zu Lohnzahlungszeiträumen um den Jahreswechsel gehören. Nicht von dieser Vorschrift erfaßt werden hingegen Lohnzahlungen für Lohnzahlungszeiträume eines bereits abgelaufenen Jahres oder noch früherer Jahre, wie dies vorliegend der Fall ist. Denn eine solche Anwendung der Vorschrift würde ihren Zweck mißachten, Schwierigkeiten bei der zeitgerechten Lohnermittlung um die Jahreswende Rechnung zu tragen (Trzaskalik in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 38a Rdnr.B 5; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort "Zufluß von Arbeitslohn", Rdnr.1, Lieferung 34, Oktober 1992).
Ob im übrigen § 11 Abs.1 Satz 3 i.V.m. § 38a Abs.1 Sätze 2 und 3 EStG ausschließlich bei kalenderjahrübergreifenden Lohnzahlungszeiträumen (siehe Abschn.115 Abs.1 Nr.6 LStR 1990) oder auch dann Anwendung findet, wenn die einen abgelaufenen Lohnzahlungszeitraum des Altjahres betreffende Lohnzahlung im neuen Jahr innerhalb der Drei-Wochen-Grenze des § 39b Abs.5 Satz 2 EStG gezahlt werden (Trzaskalik, a.a.O., unter Hinweis auf Abschn.118 Abs.5 Sätze 3 und 6 LStR 1990; Hartz/Meeßen/ Wolf, a.a.O.; weitergehend und sechs Wochen für unschädlich haltend FG Münster, Urteil vom 14.November 1990 VII 3638/88 E, EFG 1991, 567; dem zustimmend Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 11 EStG Anm.90), braucht der Senat nicht zu entscheiden, da vorliegend nicht Lohnzahlungen zu beurteilen sind, die die Jahreswende betreffen.
2. Die Bedenken des Klägers gegen die Verfassungsmäßigkeit der ab dem Streitjahr geltenden Vorschrift des § 34 Abs.3 EStG sind unbegründet. Das FG hat überzeugend dargelegt, daß die Vorschrift der Verfassung entspricht. Insbesondere hat es zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abgestellt, wonach bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz nicht zu untersuchen ist, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat (siehe z.B. BVerfG-Beschluß vom 29.November 1989 1 BvR 1402/87, 1528/87, BVerfGE 81, 108, BStBl II 1990, 479 m.w.N.). Wenn der Gesetzgeber die vor 1990 bestehende Regelung des § 34 Abs.3 EStG, die im Falle der Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit sog. Schattenveranlagungen für frühere Jahre erforderlich machte, u.a. aus Gründen der Steuervereinfachung durch die ab 1990 geltende neugefaßte Vorschrift des § 34 Abs.3 EStG ersetzt hat, welche immer noch die Progressionswirkung abmildert, so liegt diese Entscheidung innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Sie ist nicht willkürlich.
Fundstellen
Haufe-Index 64632 |
BFH/NV 1993, 70 |
BStBl II 1993, 795 |
BFHE 171, 555 |
BFHE 1994, 555 |
BB 1994, 52 |
BB 1994, 52-53 (LT) |
DB 1993, 2007-2008 (LT) |
DStR 1993, 1477 (KT) |
DStZ 1993, 666 (KT) |
HFR 1994, 7 (LT) |
StE 1993, 522 (K) |