Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Einwand, daß der Anspruch auf nachgeforderte Einkommensteuer durch Verjährung erloschen ist, kann im Falle der Mitunternehmergemeinschaft nicht nur gegen den berichtigten Gewinnfeststellungsbescheid, sondern auch gegen den berichtigten Veranlagungsbescheid geltend gemacht werden.
Der ursprüngliche Gewinnfeststellungsbescheid (ß 215 Abs. 2 AO) unterbricht die Verjährung des gesamten Einkommensteueranspruchs, soweit dieser auf dem im Gewinnfeststellungsverfahren festzustellenden Gewinn beruht. Die Unterbrechung der Verjährung beschränkt sich nicht auf die Einkommensteuer, die auf dem ursprünglich festgestellten Gewinn beruht.
Sagt sich der ordnungsgemäß beauftragte Betriebsprüfer zur Prüfung an und wird die Prüfung auf Wunsch des Steuerpflichtigen auf einen späteren Zeitpunkt verlegt, so ist ein die Verjährung unterbrechender Sachverhalt gegeben.
Normenkette
AO § 147 Abs. 1, § 146a Abs. 3, § 232 Abs. 2
Tatbestand
Der Bg. ist an der Offenen Handelsgesellschaft (OHG) A. in B. beteiligt. Nach den Erklärungen zur einheitlichen Gewinnfeststellung, für die Vordrucke der Gesellschaft bzw. dem Bg. vom Finanzamt im Jahre 1950 zugesandt worden waren, wurde im Jahre 1951 der Gewinn der Gesellschaft für II/1948 und 1949 nach § 215 Abs. 2 AO festgestellt und im gleichen Jahre die Einkommensteuerveranlagung des Bf. für II/1948 und 1949 unter Zugrundelegung der für ihn festgestellten Gewinnanteile II/1948 bzw. 1949 durchgeführt. Auf Grund einer im Jahre 1957 durchgeführten Betriebsprüfung, zu der sich der Betriebsprüfer bereits für Oktober 1956 bei der Firma angemeldet hatte und die auf Wunsch der Firma wegen Urlaubs des für ihre Steuerfragen zuständigen Gesellschafters verlegt wurde, wurden im gleichen Jahre - 1957 - die die Gesellschaft betreffenden Gewinnfeststellungen für II/1948 und 1949 gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO und die Einkommensteuerveranlagungen des Bg. für die gleichen Veranlagungszeiträume gemäß § 218 Abs. 4 AO berichtigt. Der Betriebsprüfer hatte für beide Veranlagungszeiträume höhere Gewinne der Gesellschaft bzw. höhere Gewinnanteile des Bg. festgestellt, die als solche, das heißt ihrer Höhe nach, auch vom Bg. nicht bestritten werden. Der Bg. hat wie seine Mitgesellschafter gegen die berichtigten Gewinnfeststellungsbescheide für II/1948 bzw. 1949 kein Rechtsmittel eingelegt.
Er ist jedoch der Meinung, daß seine Einkommensteuerbescheide II/1948 und 1949 nicht berichtigt werden durften, weil der Anspruch auf die vom Finanzamt für diese Veranlagungszeiträume geltend gemachten Mehrsteuern bereits mit Ablauf des Jahres 1955 durch Verjährung erloschen gewesen sei. Er geht hierbei davon aus, daß die Verjährung des Anspruchs auf die Einkommensteuer II/1948 und 1949 letztmalig im Jahre 1950 in vollem Umfange durch die Zusendung der Erklärungsvordrucke unterbrochen worden sei, während die im Jahre 1951 ergangenen Bescheide (Gewinnfeststellungsbescheide, Einkommensteuerbescheide) verjährungsunterbrechende Wirkung im Sinne des § 147 AO nur in Höhe des in den Einkommensteuerbescheiden festgesetzten Steuerbetrages gehabt hätten, so daß im übrigen die Verjährung ohne Unterbrechung weitergelaufen sei. Hinsichtlich der geltend gemachten Mehrsteuern habe mithin die Verjährung mit Ablauf des Jahres 1950 begonnen und mit Ablauf des Jahres 1955 ihr Ende gefunden.
Das Finanzgericht hat nach erfolglosem Einspruch des Bf. die Berichtigungsbescheide zur Einkommensteuer II/1948 und 1949 aufgehoben und die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für diese Veranlagungszeiträume wiederhergestellt. Es führt aus: Die Rechtskraft der berichtigten Gewinnfeststellungsbescheide für II/1948 und 1949 bedeute in der Frage der Verjährung keine endgültige Bindung im Sinne des § 218 AO. Der Bg. könne auch jetzt noch - das heißt im Veranlagungsverfahren - Verjährung des Anspruchs auf die vom Finanzamt nachgeforderte Einkommensteuer geltend machen. Er sei daran nicht durch die Vorschrift des § 232 Abs. 2 AO gehindert. Unter Hinweis auf das Urteil des Reichsfinanzhofs VI 304/42 vom 21. Oktober 1942 (RStBl 1942 S. 1009) geht das Finanzgericht davon aus, daß der Anspruch auf die nachgeforderte Einkommensteuer bereits mit Ablauf des Jahres 1955 verjährt war. Es entnimmt der genannten Entscheidung des Reichsfinanzhofs, daß die ursprünglichen Bescheide (Gewinnfeststellungsbescheide, Einkommensteuerbescheide) verjährungsunterbrechende Wirkung im Sinne des § 147 AO nur in Höhe der ursprünglich festgesetzten Einkommensteuer gehabt haben. Da in den Jahren 1951 bis 1955 andere, die Verjährung in vollem Umfange unterbrechende Handlungen des Finanzamts nicht erfolgt seien, sei der Anspruch auf die nachgeforderte Einkommensteuer mit Ablauf des Jahres 1955 durch Verjährung erloschen. Unter diesen Umständen könne es auf sich beruhen, welche Bedeutung der Tatsache, daß sich der Prüfer im Jahre 1956 zur Betriebsprüfung bei der Gesellschaft angemeldet habe, im Hinblick auf § 147 AO zukomme.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Zurückweisung der Berufung des Bg.
Soweit es sich um die Zulässigkeit des Einspruchs gegen die nach § 218 Abs. 4 AO berichtigten Einkommensteuerbescheide II/1948 und 1949 handelt, tritt der Senat den Ausführungen der Vorinstanz bei. Da nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO eine höhere Berichtigungsfeststellung nur innerhalb der Verjährungsfrist erfolgen darf, wären die zur Rechtsmitteleinlegung nach § 239 Abs. 1 Ziff. 3 AO befugten Gesellschafter - das sind nach dem Inhalt der Akten alle Gesellschafter - berechtigt gewesen, wegen Verjährung der Mehrsteuer bereits gegen die berichtigten Gewinnfeststellungsbescheide Rechtsmittel einzulegen (Urteile des Reichsfinanzhofs VI 341/37 vom 20. Oktober 1937, RStBl 1937 S. 1209). Mit der Vorinstanz ist jedoch der Senat der Auffassung, daß es sich dabei nur um eine verfahrensrechtliche Möglichkeit handelt, die die Befugnis des einzelnen Gesellschafters nicht ausschließt, die Frage der Verjährung des Steueranspruchs in dem ihn betreffenden Veranlagungsverfahren zur Entscheidung zu bringen. Der Senat trägt keine Bedenken, auf den vorliegenden Fall die Grundsätze anzuwenden, die der Reichsfinanzhof bei Erhöhung des Einheitswerts im Wege der Berichtigungsfeststellung in seiner Entscheidung III 31/41 vom 16. Oktober 1941 (RStBl 1941 S. 812) zur Frage der Verjährung dargelegt hat. Danach ist die Vorschrift des § 218 Abs. 4 AO nicht anwendbar, wenn der Steueranspruch im Zeitpunkt der Berichtigungsfeststellung bereits verjährt war. Hiernach steht dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zu, in welchem Verfahren er den Einwand der Verjährung geltend machen will. Ist der Gewinn nach Grund und Höhe streitig oder bereitet seine Feststellung für die Beteiligten erheblichen Aufwand an Arbeit und Zeit, wird es auch vom Standpunkt des Steuerpflichtigen zweckmäßig sein, die Verjährungsfrage vorweg im Gewinnfeststellungsverfahren zu klären. Ist - wie hier - der Gewinn als solcher nach Grund und Höhe nicht streitig, kann die Entscheidung über die Verjährung im Veranlagungsverfahren insbesondere dann zweckmäßig sein, wenn die Frage der Verjährung in diesem Verfahren ohnehin im Hinblick auf andere Einkünfte des Steuerpflichtigen einer Entscheidung bedarf, weil beispielsweise auch die sonstigen steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen geprüft worden sind und seine Einkommensteuerveranlagung auch gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO berichtigt worden ist.
Die im Jahre 1951 nach § 215 Abs. 2 AO für II/1948 und 1949 ergangenen Gewinnfeststellungsbescheide haben die Verjährung der Einkommensteueransprüche für diese Veranlagungszeiträume in vollem Umfange unterbrochen, so daß gemäß § 147 Abs. 3 AO mit Ablauf des Jahres 1951 eine neue, bis zum Ablauf des Jahres 1956 reichende Verjährungsfrist zu laufen begann. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz beruht auf einer Verkennung der Rechtslage.
Nach § 147 Abs. 1 AO wird die Verjährung durch jede Handlung unterbrochen, die das zuständige Finanzamt zur Feststellung des Anspruchs oder des Verpflichteten vornimmt. Daß Handlungen im Sinne dieser Vorschrift alle der Steuerfestsetzung vorausgehenden Ermittlungs- bzw. Feststellungshandlungen im Sinne des § 204 AO - wozu auch die Ermittlungshandlungen des Betriebsfinanzamts im Gewinnfeststellungsverfahren einschließlich der Gewinnfeststellung selbst gehören - sind, ist ebenso unbestreitbar wie die weitere Annahme, daß derartige Handlungen die Verjährung des Steueranspruchs grundsätzlich in vollem Umfange unterbrechen. Die Unterbrechung ist - soweit es sich um Ermittlungshandlungen im Gewinnfeststellungsverfahren bzw. um die in diesem Verfahren zu treffenden Feststellungen handelt - nicht auf den der ursprünglichen Gewinnfeststellung entsprechenden Steuerbetrag beschränkt (Urteil des Reichsfinanzhofs III A 338/33 vom 23. November 1933, RStBl 1933 S. 1282; Riewald, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Teil I, S. 630). Demzufolge hat auch der Reichsfinanzhof in seiner Entscheidung VI 304/42 vom 21. Oktober 1942 (a. a. O.), auf die sich die Vorinstanz für ihre gegenteilige Auffassung zu Unrecht beruft, dem im Juni 1936 ergangenen Gewinnfeststellungsbescheid hinsichtlich des gesamten von der Gewinnfeststellung abhängigen Einkommensteueranspruchs 1934 (Veranlagung im Jahre 1935), also in vollem Umfange, verjährungsunterbrechende Wirkung zuerkannt, wie die Urteilsgründe zu 2 - worauf das Finanzamt mit Recht hinweist - erkennen lassen. Das Urteil spricht jedenfalls klar aus, daß die Verjährung durch den im Juni 1936 zugestellten Gewinnfeststellungsbescheid auch hinsichtlich der nachgeforderten Steuer unterbrochen und damit auch insoweit eine neue, bis zum Ablauf des Jahres 1941 reichende Verjährungsfrist in Lauf gesetzt worden ist, die dann - nach dem Urteil - im Jahre 1941 erneut durch einen in diesem Jahre erteilten und sich auf die Gewinnfeststellung 1934 erstreckenden Betriebsprüfungsauftrag unterbrochen wurde. Der Hinweis in Ziff. 1 der Urteilsbegründung auf den Einkommensteueranspruch, "soweit er auf dem in der Gewinnfeststellung ziffernmäßig ausgeworfenen Gewinnanteil beruht", ist dahin zu verstehen, daß eine verjährungsunterbrechende Wirkung des Gewinnfeststellungsbescheids insoweit nicht gegeben ist, als der Steueranspruch gegen den Steuerpflichtigen noch auf anderen Einkünften beruht, die nicht Gegenstand des Gewinnfeststellungsverfahrens sind.
Die hiernach bis zum 31. Dezember 1956 laufende Verjährungsfrist ist erneut im Oktober 1956 unterbrochen worden. Nach dem Inhalt der Akten kann davon ausgegangen werden, daß sich der Betriebsprüfer, nachdem er vom Finanzamt ordnungsgemäß mit der Prüfung beauftragt worden war, bei der Gesellschaft am 15. Oktober 1956 zu einem bereits bestimmten oder noch kurzfristig zu vereinbarenden Termin zur Prüfung angesagt hat und daß die Prüfung auf mündlichen und schriftlichen Antrag der Gesellschaft vom gleichen Tage wegen Urlaubs ihres für Steuerfragen zuständigen Gesellschafters auf einen späteren Termin verlegt wurde, der sich nach dem laufenden Prüfungsplan des Betriebsprüfers richtete. Bei dieser Sachlage bestehen keine Bedenken, eine erneute Verjährungsunterbrechung anzunehmen. Der Sachverhalt liegt hier anders als in dem Falle der Entscheidung des I. Senats des Reichsfinanzhofs I A 96/32 vom 14. Dezember 1932 (RStBl 1933 S. 7). Dort hatte der I. Senat ausgesprochen, daß eine im Dezember 1930 der Beschwerdeführerin zugegangene Mitteilung, daß bei ihr in nächster Zeit eine Betriebsprüfung stattfinden würde, noch keine der Feststellung des Steueranspruchs dienende Maßnahme sei. Im vorliegenden Falle hat der Betriebsprüfer die angeordnete Prüfung fest angesagt. Diese seine Erklärung ist in Verbindung mit der - stillschweigenden oder ausdrücklichen - Genehmigung der Terminverlegung eine verjährungsunterbrechende Handlung im Sinne des § 147 AO, durch die aus den bereits dargelegten Gründen die Verjährung des Einkommensteueranspruchs gegen die einzelnen Gesellschafter in vollem Umfange unterbrochen worden ist. Es kann nicht als unbillig angesehen werden, wenn die Unterbrechungswirkung der Betriebsprüfung, die bei normalen Ablauf bereits im Jahre 1956 eingetreten wäre, infolge der auf Antrag der Gesellschaft vom Finanzamt genehmigten Verlegung der Prüfung erst im Jahre 1957 eingetreten ist.
Demanch ist auf die Rb. des Vorstehers des Finanzamts die Vorentscheidung aufzuheben und - es ist Zusammenveranlagung beantragt - die Berufung des Bg. auf dessen Kosten als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409524 |
BStBl III 1960, 24 |
BFHE 1960, 61 |
BFHE 70, 61 |