Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung nach § 9 DBStÄndG DDR: gliederungsrechtliche Behandlung entsprechend § 34 KStG als Erlaß, Sonderform der Verwirklichung des Steuerschuldverhältnisses, Anfechtbarkeit
Leitsatz (amtlich)
Die "Steuerbefreiung" nach § 9 DBStÄndG DDR ist gliederungsrechtlich wie ein Erlaß nach § 34 KStG und nicht wie eine Steuerermäßigung zu behandeln.
Orientierungssatz
1. Der Steuerabzugsbetrag nach § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR ist keine Steuerermäßigung, sondern eine Sonderform der Verwirklichung von Ansprüchen des Steuerschuldverhältnisses i.S. des § 218 Abs. 1 AO 1977. Der Ansatz des Steuerabzugsbetrages hat nur erfüllende Wirkung und läßt den aus dem Schuldverhältnis entstandenen Anspruch erlöschen. Damit hat er materiell-rechtlich die gleiche Wirkung wie ein Erlaß, ohne mit einem anderen Erfüllungstatbestand vergleichbar zu sein. Dies gilt unabhängig davon, ob über die Steuerbefreiung in einem selbständigen, nach § 348 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 mit dem Einspruch anfechtbaren Verwaltungsakt zu entscheiden ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Die gliederungsrechtliche Behandlung des Steuerabzugsbetrages nach § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR entsprechend einem Erlaß nach § 34 KStG durchbricht nicht die Grundprinzipien des Anrechnungsverfahrens. § 27 Abs. 1 KStG sieht keine rechnerische Korrektur der tariflichen Körperschaftsteuer vor. Es handelt sich vielmehr um einen Besteuerungstatbestand sui generis (vgl. BFH-Urteil vom 27.6.1990 I R 15/88).
3. Für die gliederungsrechtliche Behandlung des Steuerabzugsbetrages nach § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR entsprechend einem Erlaß stimmt es mit dem Grundgedanken des § 34 KStG überein, die Umgliederung in der Gliederungsrechnung des letzten Wirtschaftsjahres vorzunehmen, das in dem Veranlagungszeitraum endet, für den der Steuerabzug vorgenommen wird (vgl. Literatur).
Normenkette
KStG 1991 § 34; EStG 1990 § 58 Abs. 3; StRVÄndGDBest § 9 Abs. 1; AO 1977 § 218 Abs. 1, § 348 Abs. 1 Nr. 3; KStG 1991 § 27
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die durch Gesellschaftsvertrag vom 21. Juni 1990 errichtet wurde und ihren Sitz in den neuen Bundesländern hat. Ihr steht für den Veranlagungszeitraum 1991 der Steuerabzugsbetrag nach § 58 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 9 Abs. 1 der Durchführungsbestimmung zum Steueränderungsgesetz der DDR --DBStÄndG DDR-- (Gesetzblatt DDR --GBl DDR-- 1990, 195) in Höhe von 10 000 DM zu.
Die Anfangsbestände des verwendbaren Eigenkapitals (vEK) betrugen zum 1. Januar 1991 im EK 50 und im EK 02 jeweils 0 DM. Im EK 04 wurde die nach § 3 Abs. 2 des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) gebildete Akkumulationsrücklage in Höhe von minus 4 366 DM ausgewiesen. Im Körperschaftsteuerbescheid 1991 vom 17. März 1993 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) das zu versteuernde Einkommen mit 37 406 DM und die Tarifbelastung mit 18 703 DM fest. Der Körperschaftsteuerbescheid wurde bestandskräftig. Mit Bescheid ebenfalls vom 17. März 1993 stellte das FA die Teilbeträge des vEK der Klägerin zum 31. Dezember 1991 im EK 50 mit 7 948 DM, im EK 02 mit 25 933 DM und im EK 04 mit 0 DM fest. Die Summe der Teilbeträge des vEK wurde mit 33 881 DM festgestellt.
Ausgangspunkt für die zuletzt genannten Feststellungen des FA war das ungemildert (Steuerbelastung 50 v.H.) der Körperschaftsteuer unterliegende zu versteuernde Einkommen der Klägerin in Höhe von 37 406 DM. Das FA ordnete davon 50 v.H. = 18 703 DM dem EK 50 zu. Aufgrund nicht abziehbarer Ausgaben (925 DM gemindert um abziehbare Spenden in Höhe von 170 DM) in Höhe von 755 DM ergab sich ein Zwischensaldo im EK 50 von 17 948 DM.
Das FA behandelte den Steuerabzugsbetrag gemäß §§ 58 Abs. 3 EStG, 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR als einen Steuererlaß und gliederte gemäß § 34 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 10 000 DM vom EK 50 in das EK 02 um. Danach betrug das EK 50 7 948 DM. Der Betrag des EK 02 in Höhe von 25 933 DM wurde aus einer als steuerfreie Vermögensmehrung in Höhe von 5 933 DM behandelten Investitionszulage sowie aus der Körperschaftsteuerbefreiung in Höhe von 10 000 DM und aus einer weiteren Vermögensmehrung von 10 000 DM ermittelt. Letztere Vermögensmehrung entspricht dem Teilbetrag, um den das EK 50 gemindert wurde.
Die Klägerin erhob gegen den vEK-Bescheid Einspruch. Sie wandte sich nur gegen die Umgliederung des Betrages von 10 000 DM vom EK 50 in das EK 02. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 338 veröffentlicht.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 34 KStG.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 28 Abs. 1 KStG sind das Eigenkapital und seine Tarifbelastung nach den §§ 29 bis 38 KStG zu ermitteln. In der Gliederung des vEK sind gemäß § 30 Abs. 1 Satz 3 KStG Teilbeträge entsprechend ihrer unterschiedlichen Belastung mit Körperschaftsteuer getrennt auszuweisen. Dabei ist jedoch der Körperschaftsteuerbescheid 1991 gemäß § 47 Abs. 2 Nr. 1 KStG Grundlagenbescheid für den Bescheid betreffend die Feststellung des vEK zum 31. Dezember 1991 hinsichtlich des zu versteuernden Einkommens und der Tarifbelastung 1991. In dem Körperschaftsteuerbescheid 1991 vom 17. März 1993 stellte das FA das zu versteuernde Einkommen mit 37 406 DM und die Tarifbelastung mit 18 703 DM (= 50 v.H. von 37 406 DM) fest. Der Bescheid ist bestandskräftig. Er schließt es aus, im Streitfall den Steuerabzugsbetrag gemäß § 58 Abs. 3 EStG i.V.m. § 9 DBStÄndG DDR in Höhe von 10 000 DM gliederungsrechtlich als Steuerermäßigung zu behandeln. Aufgrund des Körperschaftsteuerbescheides 1991 vom 17. März 1993 ist von einem Zugang zum EK 50 von 18 703 DM auszugehen.
2. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 DBStÄndG DDR (abgedruckt bei Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 58 EStG Anm. 1, und bei Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 58) wird bei Neueröffnung eines Handwerks-, Handels- oder Gewerbebetriebes dem Inhaber eine einmalige Steuerbefreiung für zwei Jahre höchstens bis 10 000 DM gewährt. Das FA hat im Ergebnis zutreffend den Teilbetrag des EK 50 zum 31. Dezember 1991 um die "Steuerbefreiung" nach § 9 Abs. 1 Satz 1 DBStÄndG DDR in Höhe von 10 000 DM gemindert und den Teilbetrag des EK 02 um einen entsprechenden Betrag erhöht. Eine Rechtsgrundlage für diese Umgliederung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 34 KStG. Zwar ist die Vorschrift unmittelbar nur auf den Erlaß von Körperschaftsteuer nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) anzuwenden. Auch mag es im Streitfall zweifelhaft sein, ob der Ansatz der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR als eine Billigkeitsmaßnahme erklärt werden kann. Der Senat versteht jedoch § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR als einen gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Steuererlaß, der im Einzelfall unabhängig von dem Vorliegen von Billigkeitsgründen auszusprechen ist. § 34 KStG ist auf einen solchen Erlaß analog anwendbar.
3. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 9. November 1994 I R 67/94 (BFHE 176, 244, BStBl II 1995, 305) entschieden, daß der Steuerabzugsbetrag nach § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR, § 58 Abs. 3 EStG zwar die Steuerschuld mindert, aber noch nicht bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer zu berücksichtigen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das Urteil und seine Gründe Bezug genommen. Danach ist der Steuerabzugsbetrag entgegen der Auffassung des FG keine Steuerermäßigung, sondern die Verwirklichung des Steuerschuldverhältnisses i.S. des § 218 Abs. 1 AO 1977. Der Ansatz des Steuerabzugsbetrages hat nur erfüllende Wirkung. Er läßt den aus dem Schuldverhältnis entstandenen Anspruch erlöschen. Damit hat er materiell-rechtlich die gleiche Wirkung wie ein Erlaß, ohne mit einem anderen Erfüllungstatbestand vergleichbar zu sein. So gesehen liegt eine analoge Anwendung des § 34 KStG auf der Hand, zumal der Tatbestand des § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR nur zeitlich vorübergehend anwendbar ist und deshalb seine ausdrückliche Übernahme in § 34 KStG unangebracht erscheint. Dies gilt unbeschadet der Frage, ob über die Steuerbefreiung in einem selbständigen Verwaltungsakt zu entscheiden ist, der gemäß § 348 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 mit dem Einspruch anfechtbar ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. März 1995 VI R 81/94, BFHE 177, 122, BStBl II 1995, 463).
4. Die vom FG demgegenüber angestellten Überlegungen greifen nicht durch.
a) Die "Steuerbefreiung" nach § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR kann schon deshalb keine Steuerermäßigung nur zur Körperschaft- und Einkommensteuer sein, weil sie ihrer Entstehungsgeschichte nach ursprünglich nur die Summe der sich bei der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer, bei der Gewerbe- und bei der Umsatzsteuer ergebenden Steuerschulden minderte. Die Finanzverwaltung bezieht den nicht ausgeschöpften Restbetrag seit dem Veranlagungszeitraum 1991 nur noch auf die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer. Der Abzug von einer Summe von Steuerschulden zwingt dazu, die Vorschrift dem Erhebungsverfahren zuzuordnen. Es handelt sich um die Sonderform der Verwirklichung von Ansprüchen aus Steuerschuldverhältnissen (§ 218 Abs. 1 AO 1977). Die von diesen Grundsätzen abweichende Rechtsauffassung von Zwerger (in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 34 KStG, Rdnr.37 ff.) ist abzulehnen.
b) Der Hinweis des FG auf § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB-- (§ 226 AO 1977) geht schon deshalb fehl, weil die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR materiell-rechtlich nicht wie eine Aufrechnung, sondern wie ein Erlaß wirkt.
c) Entgegen der Auffassung des FG ist eine Durchbrechung von Grundprinzipien des Anrechnungsverfahrens nicht gegeben. Dies gilt schon deshalb, weil die gliederungsrechtlichen Folgen eines Erlasses in § 34 KStG in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien des Anrechnungsverfahrens geregelt sind. § 27 Abs. 1 KStG sieht keine rechnerische Korrektur der tariflichen Körperschaftsteuer vor. Es handelt sich vielmehr um einen Besteuerungstatbestand sui generis (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 1990 I R 15/88, BFHE 162, 222, BStBl II 1991, 150 unter II. A.4.). Die festzusetzende Körperschaftsteuer setzt sich aus der tariflichen Körperschaftsteuer und der Körperschaftsteuerminderung bzw. -erhöhung zusammen. Ebenso ist es unzutreffend, daß der Anteilseigner in den Genuß der "Steuerbefreiung" gemäß § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR kommen könne. Der Anteilseigner erhält lediglich das Anrechnungsguthaben unabhängig davon, ob und wie die Kapitalgesellschaft die Ausschüttungsbelastung getragen hat.
d) Dagegen bedeutet die vom FG getroffene Entscheidung eine Durchbrechung von Grundprinzipien des Anrechnungsverfahrens. Die Feststellung des EK 50 mit 17 948 DM verkörpert ein gleich hohes Anrechnungsguthaben, das durch Ausschüttung einerseits und Anrechnung beim Anteilseigner andererseits realisiert werden kann. Tatsächlich hat die Klägerin den Körperschaftsteuerbetrag von 17 948 DM jedoch nicht gezahlt. Sie zahlte nur 8 703 DM. Die Auffassung des FG führt deshalb im Ergebnis dazu, daß der Klägerin eine über die Steuerbefreiung hinausgehende Steuervergünstigung eingeräumt wird, die mit dem Grundgedanken des Anrechnungsverfahrens nicht in Einklang steht.
5. Der Senat hat auch keine Bedenken gegen die Anwendung der Rechtsfolge des § 34 KStG in der Gliederungsrechnung zum 31. Dezember 1991. Zwar ist die Umbuchung grundsätzlich zum Ende des Wirtschaftsjahres vorzunehmen, in dem der Erlaß ausgesprochen wird. In § 9 Abs. 1 DBStÄndG DDR wird jedoch eine Steuerbefreiung auf einen bestimmten Stichtag zwingend gewährt. Für diesen Fall stimmt es mit dem Grundgedanken des § 34 KStG überein, die Umgliederung in der Gliederungsrechnung des letzten Wirtschaftsjahres vorzunehmen, das in dem Veranlagungszeitraum endet, für den der Steuerabzug vorgenommen wird (vgl. Zwerger in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, a.a.O., § 34 KStG Rdnr.41).
6. Die Vorentscheidung entspricht nicht den hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen. Sie kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Vorentscheidung war aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 65487 |
BFH/NV 1996, 45 |
BFH/NV 1996, 45-46 (LT) |
BStBl II 1996, 381 |
BFHE 179, 111 |
BFHE 1996, 111 |
BB 1996, 312 |
BB 1996, 312 (L) |
DStR 1996, 416-417 (KT) |
DStZ 1996, 346 (K) |
HFR 1996, 346-347 (L) |
StE 1996, 82 (K) |