Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderungsbescheid während des Revisionsverfahrens
Leitsatz (NV)
Wird während des Revisionsverfahrens ein Änderungsbescheid erlassen, den das FA noch den am Verfahren Beteiligten bekanntzugeben hat, muß der BFH die Sache an das FG zurückverweisen.
Normenkette
FGO §§ 74, 60 Abs. 3, §§ 123, 127, 48, 73
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (EFG 1998, 857) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Kommanditgesellschaft, die sich im Streitjahr 1985 an der A-KG (KG) beteiligte. Zunächst erwarb die Klägerin von den 25 Kommanditisten der KG sämtliche Kommanditanteile. Anschließend schied zum 31. Dezember 1985 der Komplementär, eine GmbH, aus der KG aus. Das Vermögen der KG ging im Wege der Anwachsung auf die Klägerin über.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) erließ am 23. Oktober 1986 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung für die KG einen Gewinnfeststellungsbescheid 1985, den er an den jetzigen Prozeßvertreter der Klägerin als Empfangsbevollmächtigten der KG bekanntgab. Tatsächlich war der Prozeßvertreter nur von der Klägerin bevollmächtigt worden. Das Ausscheiden der Kommanditisten und der Komplementär-GmbH aus der KG war dem FA seit Oktober 1986 bekannt.
Am 2. April 1992 änderte das FA den Gewinnfeststellungsbescheid 1985 unter Berufung auf den Vorbehalt der Nachprüfung. Die Änderung betraf die Höhe des laufenden Verlusts der KG, im wesentlichen aber dessen Verteilung zwischen der Klägerin und den ehemaligen Kommanditisten und die Höhe der Veräußerungsgewinne. Der Feststellungsbescheid wurde wiederum dem Prozeßvertreter als Empfangsbevollmächtigten der KG bekanntgegeben.
Die Klägerin legte gegen den Änderungsbescheid vom 2. April 1992 Einspruch mit der Begründung ein, bei seinem Erlaß sei die Feststellungsfrist bereits abgelaufen gewesen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hob den angefochtenen Bescheid ohne Beiladung der übrigen Gesellschafter der KG auf (Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 857). Zur Begründung führte es aus, bei Erlaß des angefochtenen Bescheids sei die Feststellungsfrist für die gesonderte Feststellung bereits abgelaufen gewesen. Der Bescheid sei auch nicht nach § 181 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) rechtmäßig. Denn nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90 (BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381) stehe der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer bei nur einem Feststellungsbeteiligten dem Erlaß eines Änderungsbescheids nach § 181 Abs. 5 AO 1977 entgegen.
Mit der Revision macht das FA geltend, es teile nunmehr die Auffassung der Klägerin, daß der angefochtene Feststellungsbescheid vom 2. April 1992 nach Ablauf der Feststellungsfrist erlassen worden sei und auch in Gestalt der Einspruchsentscheidung keinen ausreichenden Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 enthalte. Dennoch sei die Revision begründet. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Feststellungsbescheids nach § 181 Abs. 5 AO 1977 lägen auch zum jetzigen Zeitpunkt noch vor, denn die Feststellungsfristen für den Feststellungsbescheid 1985 der Klägerin bzw. die Festsetzungsfristen für die Folgesteuern der Gesellschafter der Klägerin seien noch nicht abgelaufen. Damit könne während des Revisionsverfahrens ein Feststellungsbescheid mit einem korrekten Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 bekanntgegeben werden.
Dieser Ansicht folgend erließ das FA am 19. Dezember 1997 einen "geänderten" Gewinnfeststellungsbescheid mit einem Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 entsprechend der Formulierungsempfehlung im Erlaß des Finanzministeriums Niedersachsen vom 14. Februar 1996 S 0362 - 7 - 33 (Der Betrieb 1996, 506; Deutsches Steuerrecht 1996, 468). Im übrigen Inhalt wiederholte der geänderte Feststellungsbescheid den Bescheid vom 2. April 1992. Den geänderten Feststellungsbescheid gab das FA dem Prozeßvertreter "als Empfangsbevollmächtigten der Klägerin" bekannt. Die Klägerin erklärte den Bescheid gemäß § 68, § 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens.
Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen macht geltend, der Nichtanwendungserlaß (BStBl I 1994, 302) gegen das BFH-Urteil in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 sei rechtmäßig. Ein Feststellungsbescheid nach § 181 Abs. 5 AO 1977 könne auch dann erlassen werden, wenn bei einzelnen Feststellungsbeteiligten die Festsetzungsfrist für die Folgesteuern bereits abgelaufen sei.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 127 FGO).
1. Die Vorentscheidung ist schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil der angefochtene Gewinnfeststellungsbescheid, über dessen Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, während des Revisionsverfahrens geändert wurde (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 27. Oktober 1992 IX R 152/89, BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589, m.w.N.). Damit ist dieser Bescheid gegenstandslos geworden. An seine Stelle trat der während des Revisionsverfahrens ergangene geänderte Gewinnfeststellungsbescheid 1985 (§§ 123 Satz 2, 68 FGO).
2. Der Senat kann über die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids nicht selbst entscheiden. Die Sache ist nicht spruchreif.
Neben der Klägerin sind auch die im Streitjahr ausgeschiedenen Kommanditisten klagebefugt (§ 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO n.F. und -zu § 48 Abs. 1 FGO a.F.-, BFH-Entscheidungen vom 26. Oktober 1994 II R 99/93, BFH/NV 1995, 613, m.w.N., und vom 27. März 1997 VIII B 8/97, BFH/NV 1997, 639). Ihnen war deshalb der Änderungsbescheid vom 19. Dezember 1997 bekanntzugeben (§ 183 Abs. 2 und 3 AO 1977). Hieran fehlt es, weil der Änderungsbescheid dem Prozeßvertreter ausdrücklich nur als Empfangsbevollmächtigten der Klägerin bekanntgegeben wurde und er nach den Feststellungen des FG nicht als gemeinsamer Empfangsbevollmächtigter angesehen werden kann.
Sollten die ausgeschiedenen Gesellschafter nach der nachzuholenden Bekanntgabe des Bescheids keinen Rechtsbehelf einlegen, sind sie gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beizuladen. Sollte die Bekanntgabe zur Klageerhebung durch ausgeschiedene Gesellschafter führen, sind die Klagen nach § 73 Abs. 2 FGO zu verbinden. Zur Beseitigung des Bekanntgabemangels und zur Klärung der verfahrensrechtlichen Stellung der ausgeschiedenen Gesellschafter ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 74 FGO auszusetzen (ständige Rechtsprechung, vgl. dazu BFH-Urteile vom 30. März 1978 IV R 72/74, BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503, unter 2. der Gründe; vom 7. August 1990 VIII R 257/84, BFH/NV 1991, 507; in BFH/NV 1995, 613, m.w.N.).
Der Senat kann im Streitfall das Verfahren nicht selbst aussetzen. Unabhängig davon, ob im weiteren Verlauf Beiladungen oder Klageverbindungen erforderlich werden, kann er in der Sache nicht entscheiden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 507, m.w.N.). Beiladungen sind im Revisionsverfahren unzulässig (§ 123 Abs. 1 FGO). Ebenso muß eine Klageverbindung nach § 73 Abs. 2 FGO bereits im Verfahren der ersten Instanz erfolgen, denn das FG kann im Falle einer Klage ausgeschiedener Gesellschafter nicht ohne eine Beteiligung der KG entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 56106 |
BFH/NV 1999, 1113 |