Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Einkünfte aus "gewerbsmäßiger Unzucht" sind sonstige Einkünfte im Sinn des § 22 Ziff. 3 EStG. Die Besteuerung verstößt nicht gegen Art. 3 GG.
Normenkette
EStG § 15 Nr. 1, § 22 Ziff. 3; StAnpG § 5/2; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
I. -
Zu der streitigen Einkommensteuer wurde die Mutter (Bfin.) einer im Jahre 1957 verstorbenen Prostituierten herangezogen, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch Prostitution verdiente. Die Prostituierte lenkte die Aufmerksamkeit begütert aussehender Männer auf sich und forderte sie zum Geschlechtsverkehr gegen Entgelt auf. Als nach ihrem Tode die Art und der Umfang der erzielten Einnahmen bekannt wurden, zog das Finanzamt die Bfin. als Alleinerbin zur Einkommensteuer heran. Das Finanzamt erblickte in den Einnahmen aus Prostitution Einkünfte aus sonstigen Leistungen im Sinne von § 22 Ziff. 3 EStG und setzte unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen Einkommensteuer, Abgabe "Notopfer Berlin" und Kirchensteuer fest.
Einspruch und Berufung gegen die Steuerbescheide blieben erfolglos. Das Finanzgericht führte aus, es handele sich zwar nicht um Einkünfte im Sinne des § 22 Ziff. 3 EStG; denn hierunter fielen nur gelegentliche Leistungen, nicht auch solche im Rahmen einer planmäßigen Tätigkeit. Es lägen aber Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 15 Ziff. 1 EStG vor, denn die Tätigkeit sei nachhaltig und mit Gewinnabsicht unternommen worden. Auch eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sei gegeben. Die Auffassung der Rechtsprechung, daß die Ausübung des Geschlechtsverkehrs lediglich den persönlichen, nicht dagegen den wirtschaftlichen Bereich berühre, stehe mit der heutigen Verkehrsanschauung nicht mehr im Einklang. Daß die so erzielten Einkünfte durch ein gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten bezogen worden seien, ändere an der Heranziehung zur Besteuerung nichts (ß 5 Abs. 2 StAnpG).
Mit der Rb. wird erneut gerügt, daß hier eine Ausnahmebehandlung vorgenommen worden sei, die gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Die Heranziehung in gleichgelagerten Fällen unterbleibe nicht wegen der angeblich schweren Erfaßbarkeit, sondern gewohnheitsrechtlich und auf Grund allgemeiner übung. Es liege also eine generelle Regelung vor.
Der für die Entscheidung des Falles zuständige IV. Senat ist der Auffassung, daß Einnahmen einer "gewerbsmäßige Unzucht" betreibenden Prostituierten als Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne von § 15 Ziff. 1 EStG steuerpflichtig seien. Der VI. Senat hat im Urteil VI 112/59 S vom 22. Juni 1962 (BStBl 1962 III S. 465, Slg. Bd. 75 S. 537) ausgesprochen, daß Geschlechtsverkehr gegen Entgelt keine Tätigkeit im Sinne von § 15 Ziff. 1 EStG und keine Leistung im Sinne von § 22 Ziff. 3 EStG darstelle. Da der VI. Senat auf Anfrage bei seiner Rechtsansicht verblieben ist, hat der IV. Senat die Sache gemäß § 66 AO an den Großen Senat verwiesen.
Entscheidungsgründe
II. -
Die Rb. ist unbegründet, weil Einkünfte aus "gewerbsmäßiger Unzucht", wenn auch nicht als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (ß 15 EStG), so doch als Einkünfte aus Leistungen im Sinne des § 22 Ziff. 3 EStG steuerpflichtig sind.
Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, daß es sich bei der "gewerbsmäßigen Unzucht" um eine nachhaltige Tätigkeit mit der Absicht der Gewinnerzielung und Wiederholung handelt. Gleichwohl werden durch diese Tätigkeit keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 15 EStG erzielt, weil sich die Tätigkeit nicht als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (vgl. § 1 GewStDV 1955 und 1961) darstellt.
Eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr setzt voraus, daß sich jemand nach außen hin erkennbar am allgemeinen wirtschaftlichen Leben beteiligt, indem er an dem allgemeinen Güter- und Leistungsaustausch teilnimmt; es müssen eigene Leistungen gegen Entgelt an den Markt gebracht werden (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 49/58 U vom 15. Juni 1960, BStBl 1960 III S. 349, Slg. Bd. 71 S. 270). Wirtschaft bedeutet die planmäßige Bedarfsdeckung, an der ein gewerbliches Unternehmen teilnimmt, indem es Sachgüter oder sonstige Leistungen - auch solche immaterieller Art - gegen Vergütungen eintauscht. Der Große Senat vermag in übereinstimmung mit dem Schrifttum und der ständigen Rechtsprechung nicht anzuerkennen, daß es sich bei der "gewerbsmäßigen Unzucht" um ein solches, sich am Wirtschaftsleben beteiligendes Unternehmen handelt. Schon Enno Becker bezweifelt in "Die Grundlagen der Einkommensteuer" (München 1940 S. 293), daß man einkommensteuerrechtlich von einem Gewerbe der Straßendirnen usw. sprechen könne. Der Reichsfinanzhof hat im Urteil VI A 16/31 vom 4. März 1931 (RStBl 1931 S. 528) eine Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr für diese Tätigkeit abgelehnt, weil die "gewerbsmäßige Unzucht" aus dem Rahmen dessen falle, was das EStG unter selbständiger Berufstätigkeit verstanden wissen wolle. Trotz dieser Bezeichnung sei kein Gewerbebetrieb gegeben. Auch das Urteil des Reichsfinanzhofs IV 33/43 vom 8. April 1943 (Mrozek-Kartei, Einkommensteuergesetz 1938/39 § 22 Ziff. 3 Rechtsspruch 10) stimmt dem zu und der Oberste Finanzgerichtshof hat sich dieser Auffassung in dem nicht veröffentlichten Urteil IV 16/47 vom 9. März 1948 angeschlossen. Die "gewerbsmäßige Unzucht" stellt das Zerrbild eines Gewerbes dar.
Haben somit Straßendirnen aus ihrer Unzucht keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb, so folgt gleichwohl die Einkommensteuerpflicht aus § 22 Ziff. 3 EStG. Danach sind sonstige Einkünfte solche aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften im Sinne der Ziff. 1 oder 2 dieser Vorschrift gehören. Entgegen dem Leitsatz des Urteils VI 112/59 S sieht der Große Senat in der entgeltlichen Hingabe der Straßendirnen eine Leistung im Sinne der Vorschrift. Der Begriff "Leistung" ist in übereinstimmung mit dem Urteil VI 112/59 S weit zu fassen und umfaßt jedes Tun, Unterlassen und Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann. Ein solches entgeltliches "Leisten" ist gegeben, weil sich die Straßendirne einem unbestimmten Kreis von Partnern anbietet und aus den Einnahmen ganz oder zum wesentlichen Teil ihren Lebensunterhalt bestreitet. In diesem Falle spielen Freundschaft und intime Beziehungen keine Rolle. Wäre in dem Falle VI 112/59 S die persönliche Freundschaft zu den "Freunden" der Anlaß für die Zuwendungen an die Steuerpflichtige gewesen - das brauchte damals vom Rechtsstandpunkt des VI. Senats aus nicht aufgeklärt zu werden -, so würde allerdings der Große Senat im Ergebnis dem VI. Senat zustimmen; denn die auf einem Liebesverhältnis beruhenden intimen Beziehungen können bei keinem der Partner als "Leistung" im steuerlichen Sinne aufgefaßt werden. Wenn aber der Geschlechtsverkehr lediglich wegen des zu erwartenden Entgelts angeboten und ausgeübt wird - wie dies im Streitfall war -, liegt kein steuerlich unerhebliches Verhalten im Rahmen des persönlichen Lebensbereichs, sondern eine Leistung im Sinne des § 22 Ziff. 3 EStG vor. Daß die Sittenwidrigkeit des Verhaltens die Besteuerung nicht ausschließt, entspricht § 5 StAnpG und der ständigen Rechtsprechung.
Auch gegen die Höhe der vom Finanzamt geschätzten Einkünfte bestehen keine Bedenken.
III. - Der Große Senat kann der Ansicht der Bfin., die Besteuerung verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG, nicht folgen. In tatsächlicher Hinsicht trifft es nicht zu, daß "gewohnheitsrechtlich und auf Grund allgemeiner übung" eine Besteuerung unterbleibt. Die ständig wiederkehrende Befassung der Finanzgerichte mit dieser Frage weist darauf hin, daß die Finanzämter die Steuerpflicht bejahen und die Besteuerung auch durchführen. Das Urteil des Reichsfinanzhofs IV 33/43 hat die Versteuerung der Dirnentätigkeit gemäß § 22 Ziff. 3 EStG bejaht und ist zur Grundlage für die Praxis der Finanzverwaltung geworden. Daß die Feststellung solcher Einkünfte auf Schwierigkeiten stößt, mag zutreffen, ist aber kein Grund, die Steuerpflicht zu verneinen. Die Schwierigkeiten bei der Heranziehung der Straßendirnen zur Steuer sind nicht größer als in zahlreichen anderen Fällen mit steuerpflichtigen Einkünften wie z. B. bei Wucherern, Wahrsagern, Hellsehern und bei der Besteuerung verbotener Geschäfte. Ist in diesen Fällen eine Einkommensbesteuerung geboten, so gestattet die durch Art. 3 GG geforderte Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen nicht, Dirnen, die ihren gesamten oder überwiegenden Lebensunterhalt aus der geschlechtlichen Hingabe bestreiten, von der Besteuerung auszunehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 411272 |
BStBl III 1964, 500 |
BFHE 80, 73 |