Leitsatz (amtlich)
Spinnbare Perlonfasern in Längen bis zu 2 m sind als Zellwolle im Sinn des § 29 Abs. 2 Ziff. 14 UStDB 1951 anzusehen.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 4; UStDB 1951 § 29 Abs. 2 Ziff. 14
Tatbestand
Streitig ist lediglich, ob der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum 1951 für die Lieferung der Abfälle von Perlon (Perlonfasern) Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) beanspruchen kann. Die Vorinstanzen haben dies verneint. Das Finanzgericht hat hierzu ausgeführt, der Reichsminister der Finanzen habe zwar in einem Milderungserlaß S 4138 -- 207 III vom 19. April 1937 (Reichssteuerblatt 1937 S. 543) Zellwolle der als notwendige Rohstoffe und Halberzeugnisse nach § 21 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1934 in Betracht kommenden Baumwolle und Wolle gleichgestellt. Durch die UStDB 1951 sei im § 29 Abs. 2 Ziff. 14 dieselbe Rechtslage geschaffen worden. Perlon könne aber nicht der Zellwolle gleichgestellt werden, da Perlon sich nach Sprachgebrauch, Verschiedenheit der Herkunft und Verwendbarkeit und somit auch nach der Verkehrsauffassung grundlegend von Zellwolle unterscheide.
Entscheidungsgründe
Die gegen die Versagung der Steuerfreiheit gerichtete Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Vorentscheidung ist zuzugeben, daß Perlon ein anderer Rohstoff ist als Zellwolle. Richtig ist auch, daß der Verordnungsgeber im Jahre 1951 den durch den erwähnten Milderungserlaß geschaffenen Rechtszustand übernehmen wollte. Daraus ergibt sich, daß dieser Erlaß für die Auslegung des § 29 Abs. 2 Ziff. 14 UStDB 1951, worüber kein Streit besteht, weiterhin von Bedeutung ist (vgl. auch Koch-Wirkau-Sölch-Ringleb, UStG 5. Aufl. Anm. zu § 4 Ziff. 4, § 29 Abs. 2 Ziff. 14 S. 205). Im Gegensatz zur Auffassung des Finanzamts ist aber davon auszugehen, daß in Abschn. II des erwähnten Erlasses eine Begriffsbestimmung für Zellwolle gegeben ist, die, wie auch die a. a. O. getroffene Regelung für Zellwolle aus Schnittkunstseide zeigt, allein darauf abstellt, daß es sich um eine chemisch-technisch hergestellte Spinnfaser handelt. Der Erlaß setzt mithin nicht einen feststehenden und bekannten Begriff "Zellwolle" voraus, sondern bringt eine eigene Begriffsbestimmung, die sich, und hierauf kommt es entscheidend an mit der zolltariflichen Abgrenzung im Zolltarif 1951 deckt. Es ist nicht streitig und durch ein im Tatsächlichen nicht angegriffenes Gutachten belegt, daß der Liefergegenstand im Streitfalle eine chemisch-technisch hergestellte Spinnfaser ist, die nach einem der üblichen Spinnverfahren bearbeitet werden kann.
Unstreitig wird die hier zu beurteilende Perlonfaser in Längen unter 2 m geliefert. Sie ist infolgedessen nach Ziff. 1 der Allgemeinen Anmerkungen zu Kap. 52 des Zolltarifs 1951 als Zellwolle (Spinnfasern) zu behandeln. Sie würde hiernach zolltariflich unter Zolltarifnummer 5302 -- Abfälle von Kunstseide oder Zellwolle aus synthetischer Spinnmasse -- fallen. Die Erläuterungen zum Zolltarif (Abschn. XI zu Kapitel 53 I Nr. 5301 unter Ziff. 1) heben auch hervor, daß jegliche Chemiefasern im Sinne des Zolltarifs Zellwolle sind, daß dagegen in der Technik und im Handel im Gegensatz dazu oft nur die aus Zellulose künstlich hergestellten Spinnfasern zur Zellwolle rechnen (vgl. auch Erläuterungen zum Zolltarif Abschn. XI Allgemeines Ziff. 7, Allgemeine Anm. 2 zu c, wonach auch Perlon als synthetische Spinnmasse anzusehen ist).
Der Zolltarif hat, soweit es sich um die Abgrenzung eines Warenbegriffes handelt, auch für die Umsatzsteuer Bedeutung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 54/51 U vom 30. April 1953, Slg. Bd. 57 S. 470, Bundessteuerblatt 1953 III S. 182, und die dort angeführte ständige Rechtsprechung schon des Reichsfinanzhofs). Wenn der Verordnungsgeber im Jahre 1951 in Kenntnis dieser Rechtsprechung an der mit dem Zolltarif übereinstimmenden Begriffsbestimmung festgehalten hat, so zwingt dies zu dem Schluß, daß auch § 29 Abs. 2 Ziff. 14 UStDB 1951 entsprechend auszulegen ist und somit auch spinnbare Perlonfasern in Längen bis zu 2 m als Zellwolle im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind.
Da die Vorentscheidung diese Rechtslage verkannt hat, war sie aufzuheben. Die übrigen Voraussetzungen des § 4 Ziff. 4 UStG und die steuerbefreiten Umsätze auch der Höhe nach sind nicht streitig. Die Sache ist deshalb spruchreif. Dem Steuerpflichtigen war Steuerfreiheit für Lieferungen innerhalb des ersten Halbjahres 1951 von 191 972,34 DM und innerhalb des zweiten Halbjahres von 128 877,17 DM zuzubilligen, so daß sich die durch Berichtigungsbescheid vom 3. September 1953 festgesetzte Umsatzsteuer von 4411,65 DM um 2728,55 DM auf 1683,10 DM ermäßigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 309 der Reichsabgabenordnung.
Fundstellen
BStBl III 1955, 332 |
BFHE 1956, 348 |