Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsverletzung durch Begründungsmangel
Leitsatz (NV)
1. Fehlt die nachvollziehbare Ableitung der vom FG gezogenen Folgerungen aus den tatsächlichen Feststellungen, so liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze oder ein (ebenfalls revisibler) Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO vor.
2. Zum notwendigen Inhalt des Protokolls bei vorläufiger Aufzeichnung einer Zeugenaussage durch Tonaufnahmegerät.
3. Keine Berufung auf ein Verwertungsverbot bei noch offener Veranlagung.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1, §§ 94, 118 Abs. 3 S. 2; ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 4, § 160a Abs. 1-2; AO 1977 § 196
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zum 31. August 1979 Geschäftsführer und, neben seiner Ehefrau (E), Gesellschafter einer GmbH. Er und E beschlossen, die GmbH mit Ablauf des 31. August 1979 aufzulösen, und übertrugen die Liquidation der E. Die GmbH wurde am 15. Oktober 1981 im Handelsregister gelöscht. Ende August 1979 hatte sie noch (im Vorbehalts eigentum der Veräußerer stehende) Waren, die sie nach Abtretung (an den Kläger) der Ansprüche aus künftigen Verkäufen 1979 und 1980 an Drittfirmen weiterveräußerte. Nachdem das beklagte und revisionsbeklagte Finanzamt (FA) die GmbH an die Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung für September 1979 erinnert hatte, ging bei ihm ein handschriftlicher Vermerk des Klägers vom 17. November 1979 mit folgendem Inhalt ein: "Die Firma hat zum 31. August 1979 den Betrieb eingestellt. Es wird Schlußbilanz erstellt und dann erfolgt die Löschung der Gesellschaft." Die Umsatzsteuererklärung 1979 wurde verspätet, erst am 25. August 1981, abgegeben. Am 22. Februar 1982 erließ das FA eine an die "GmbH i. L." gerichtete Prüfungsanordnung. Die angeordnete Umsatzsteueraußenprüfung, die auch die Besteuerungszeiträume 1979 und 1980 umfassen sollte, wurde bei dem Steuerberater der GmbH durchgeführt. Der Prüfer stellte für 1979 nicht erklärte Warenlieferungen sowie Lieferungen im Jahre 1980 fest. Aufgrund dieser Feststellungen ging das FA, ohne Umsatzsteuerbescheide für 1979 und 1980 zu erlassen, in für die Akten gefertigten Abrechnungen von Umsatzsteuerschulden in Höhe von ... DM für 1979 und -- zunächst -- von ... DM für 1980 aus. Am 26. Mai 1982 gab E die Umsatzsteuer erklärung 1980 der "GmbH i. L." ab. Das FA nahm E als Haftungsschuldnerin in Höhe der von ihm zugrunde gelegten Umsatzsteuer in Anspruch. Die hiergegen gerichtete Klage der E wurde durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Finanzgerichts (FG) abgewiesen.
Mit Haftungsbescheid vom 28. Juni 1988 (bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 25. August 1988) nahm das FA auch den Kläger als Haftungsschuldner für von ihm (durch Unterlassen) hinterzogene Umsatzsteuer 1979 und 1980 der GmbH in An spruch (§ 71 der Abgabenordnung -- AO 1977 --). Seine Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte in seinem auszugsweise in Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 75 veröffentlichten Urteil (vom 23. Juni 1993 9 K 112/89) aus, die GmbH habe in Höhe der (vom FA herabgesetzten) Haftungssumme Umsatzsteuerschulden gehabt, und zwar für 1979 ... DM (Prüfungsbericht) und für 1980 ... DM (Umsatzsteuererklärung 1980, berichtigt um auf das Jahr 1979 entfallende Posten), zusammen ... DM. Hinsichtlich der vom Prüfer getroffenen Feststellungen greife ein Verwertungsverbot nicht ein. Der Kläger habe gegenüber dem FA über steuerlich erhebliche Tatsachen vorsätzlich unrichtige Angaben gemacht: er habe durch seinen Vermerk erfolgreich den Eindruck erweckt, die GmbH führe keine steuerpflichtigen Umsätze mehr aus (Einstellung des Betriebes), und dadurch bewirkt, daß (monatliche) Voranmeldungen, die jedoch tatsächlich auch nach dem 31. August 1979 hätten abgegeben werden müssen, nicht mehr erwartet worden seien. Daß der (als Zeuge vernommene) Steuerberater A -- angeblich -- mit der Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten der GmbH beauftragt gewesen sei, spreche nicht gegen ein vorsätzliches Handeln des Klägers, sondern belege, zusammen mit der Abtretung an den Kläger, daß dieser sich im Ergebnis mit seinem Vorgehen zu Lasten des FA habe bereichern wollen. Die Umsatzsteuer sei spätestens im Dezember 1980 entstanden und am 10. Januar 1981 verkürzt worden. Der Grundsatz der anteiligen Haftung für die Umsatzsteuer greife nicht ein.
Mit der Revision gegen dieses Urteil rügt der Kläger, das FG habe die hinsichtlich des Hinterziehungsvorsatzes verfahrensrelevante Zeugenaussage des Steuerberaters A, der bekundet habe, er hätte auch für die Liquidationsphase der GmbH das Mandat zur Erstellung der (Umsatz-)Steuererklärungen ge habt, nicht berücksichtigt oder nicht gewürdigt. Die Niederschrift der auf Tonträger festgehaltenen Aussage sei erst nach Abfassung der Vorentscheidung gefertigt worden. Auch wenn die Vorinstanz von einer Steuerhinterziehung durch aktives Tun ausgehe, sei die Zeugenaussage entscheidungserheblich. Es sei widersprüchlich, dem Kläger einerseits zu unterstellen, er habe das FA durch seinen Vermerk von einer weiteren Anmahnung ausstehender Voranmeldungen bzw. von einer Schätzung der Voranmeldungsbeträge abhalten wollen, ihm aber andererseits zuzugestehen, er habe den Steuerberater beauftragt, die Umsatzsteuervoranmeldungen und Um satzsteuerjahreserklärungen einzureichen. Den Vermerk selbst habe das FG unter Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze und Denkgesetze ausgelegt. Er bringe lediglich zum Ausdruck, daß die GmbH nicht mehr werbend am aktiven Geschäftsverkehr teilnehme. Das bedeute nicht, daß restliche Warenbestände nicht mehr veräußert, also nach dem 31. August 1979 keine steuerpflichtigen Umsätze mehr erzielt würden. Im übrigen bestehe entgegen der Ansicht des FG ein Verwertungsverbot hinsichtlich der vom Außenprüfer ermittelten und im Prüfungsbericht niedergelegten Tatsachen. Dieses ergebe sich daraus, daß die Prüfungsanordnung, weil an ein nicht mehr existentes Steuersubjekt gerichtet, nichtig gewesen sei.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die angefochtenen Bescheide, diese ersatzlos, aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Es meint, daß es unter Berücksichtigung der vom FG angestellten Erwägungen eines Eingehens auf die Rolle des Zeugen A mangels Entscheidungserheblichkeit nicht bedurft hätte, und hält die Revisionsrügen für nicht durchgreifend. Hinsichtlich des Verkürzungserfolges komme es für die Frage der Kausalität des Vermerks des Klägers nicht darauf an, ob A von der Fertigung der Voranmeldungen abgesehen habe, weil er keinen oder obwohl er Beratungsauftrag besessen hätte. Letzterenfalls läge eine bloße Reserveursache vor, die die Ursächlichkeit der realen Bewirkungshandlung nicht beseitige.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). In diesem Sinne ist auf die von der Revision erhobene Sachrüge zu erkennen, weil es an einer nachvollziehbaren Ableitung des vom FG angenommenen vorsätzlichen Handelns des Klägers unter Berücksichtigung der festgestellten Tatsachen und Umstände fehlt. Abschließend zu entscheiden vermag der Senat mangels Spruchreife jedoch nicht.
1. Fehl geht allerdings die Verfahrensrüge, das FG habe unter Verletzung von § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO die Aussage des Zeugen A nicht berücksichtigt oder nicht gewürdigt und damit nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt. Die Vorinstanz hat vielmehr die Zeugenaussage -- Mandat des Steuerberaters zur Erstellung der Umsatzsteuererklärung(en) der GmbH --, die auf Tonträger vorläufig aufgezeichnet worden ist (§ 94 FGO, § 160 Abs. 3 Nr. 4, § 160 a Abs. 1 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --), -- zunächst -- als zutreffend unterstellt ("angeblich"), sie damit berücksichtigt und sie ferner gewürdigt, wenn auch mit dem Ergebnis, daß sie nicht gegen ein vorsätzliches Handeln des Klägers spreche. Das Protokoll über den Beweistermin -- nur auf dieses wird in der Vorentscheidung verwiesen -- enthält den in § 160 a Abs. 2 Satz 2 ZPO vorgeschriebenen Vermerk. In der der Vorentscheidung vorangehenden mündlichen Verhandlung ist die Tonbandaufzeichnung vorgespielt und auch damit in das Verfahren eingeführt worden. Die spätere Niederschrift über die Tonbandaufzeichnung, auf die sich das FG natürlich nicht hat beziehen können und auch nicht bezogen hat, ist nur im Falle einer geforderten Protokollergänzung von Bedeutung (vgl. § 160 a Abs. 2 Satz 3 ZPO; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuer sachen, Tz. 7926, 7926/1).
2. Ob in der Verfahrensrüge der Revision zugleich eine Sachrüge in bezug auf die Annahme vorsätzlichen Handelns des Klägers zu erblicken ist, kann offenbleiben. Jedenfalls ist der Senat, da die Revision auch auf Sachmängel gestützt ist, hinsichtlich der sachlichen Überprüfung der Vorentscheidung an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden (§ 118 Abs. 3 Satz 2 FGO). Die Überprüfung ergibt, daß die Vorentscheidung keinen Bestand haben kann.
Die von der subjektiven Gewißheit des Tatrichters über einen entscheidungserheb lichen Sachverhalt getragene Würdigung bindet das Revisionsgericht nur, wenn sie auf logischen, einsichtigen, den Denkgesetzen entsprechenden und von den Tatsachenfeststellungen getragenen nachvollziehbaren Erwägungen beruht. Fehlt die nachvollziehbare Ableitung der Folgerungen aus den tatsächlichen Feststellungen, so liegt entweder ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor, der als Fehler der Rechtsanwendung ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet wird (z. B. Bundes finanzhof -- BFH --, Urteil vom 25. Mai 1988 I R 225/82, BFHE 154, 7, 10, BStBl II 1988, 944; Gräber/von Groll, FGO, 3. Aufl. 1993, § 96 Anm. 15), oder ein gleichermaßen beachtlicher Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO (Senat, Urteil vom 27. Oktober 1987 VII R 18/83, BFHE 151, 270, 274). So verhält es sich hier.
Das FG ist davon ausgegangen, daß der Kläger gegenüber dem FA über steuerlich erhebliche Tatsachen vorsätzlich unrichtige Angaben gemacht, nämlich wahrheitswidrig behauptet habe, der Betrieb der GmbH sei eingestellt worden (mit der Folge, daß das FA vermerkt hat, monatliche Voranmeldungen der GmbH seien nicht mehr abzugeben). Es hat im vorliegenden Verfahren den Zeugen A zu der Frage vernommen, ob und wie dieser -- als Steuerberater -- nach dem 31. August 1979 für die GmbH tätig geworden war. Der Zeuge hat (in diesem Verfahren) bekundet, er habe das ihm nie entzogene Mandat gehabt, die ihm vom Kläger zur Verfügung gestellten Unterlagen zur Erstellung "der Steuererklärung einschließlich der Umsatzsteuererklärung" und der Bilanz zu verwenden. Falls das zutrifft -- und das FG hat dies vorläufig unterstellt ("angeblich") --, hätte die Annahme nahegelegen, daß sich das Mandat auch auf die Einreichung der kraft Gesetzes (§ 18 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG -- 1973, § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980) unaufgefordert einzureichenden Voranmeldungen bezog. In diesem Falle hätte das FG darlegen müssen, aus welchen Gründen eine wahrheitswidrige Angabe des Klägers über die Einstellung des Betriebs der GmbH trotz des an den Steuerberater vergebenen Mandats zu einer Verkürzung der Steuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) führen konnte. An einer solchen Darlegung fehlt es. Das FG hat in diesem Zusammenhang lediglich ausgeführt, die Nichtverbuchung von Rechnungen bei der GmbH trotz angeblichen Mandats des Steuerberaters A spreche nicht gegen ein vorsätzliches Handeln des Klägers, sondern belege sogar ("vielmehr"), zusammen mit der Forderungsabtretung an den Kläger, dessen Bereicherungsabsicht. Diese Ausführungen lassen nicht einwandfrei erkennen, inwieweit die nicht rechtzeitige Steuerfestsetzung auf dem dem Kläger vorgeworfenen Handeln beruht, wenn der Steuerberater mit der Abgabe -- auch -- der Voranmeldungen beauftragt gewesen sein sollte. Die Vorentscheidung muß wegen dieses Mangels aufgehoben werden. Die Sache ist an die Vorinstanz zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen (nachstehend Nr. 3) zurückzuverweisen. Eine endgültige Entscheidung kann der Senat nicht treffen. Das gilt vor allem im Hinblick darauf, daß die möglicherweise erhebliche Zeugenaussage nur als richtig unterstellt, sie aber, auch in Beziehung auf die von dem Zeugen im Klageverfahren der E gemachten, offenbar gegenteiligen Angaben nicht abschließend gewürdigt worden ist.
Die Zurückverweisung erübrigt eine Entscheidung über die Rüge, das FG habe den Vermerk des Klägers falsch ausgelegt. Auf dieses Vorbringen wird das FG im zweiten Rechtsgang einzugehen haben (nachstehend Nr. 3).
3. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG zu prüfen und zu beurteilen haben, ob der Zeuge A tatsächlich damit beauftragt war, die Umsatzsteuererklärungen der GmbH unter Berücksichtigung der ihm etwa mitgeteilten Umsätze -- Veräußerung der Warenbestände -- zu fertigen und ein zureichen. Auch im Lichte der dabei ge wonnenen Erkenntnisse wird darüber zu befinden sein, wie der dem FA mitgeteilte Vermerk des Klägers zu verstehen war. Ge winnt das FG die Überzeugung, daß der Kläger, trotz eines bestehenden Beratungsmandats des A, zur Steuerverkürzung führende unrichtige Angaben vorsätzlich gemacht hat, so wird es dieses Ergebnis in nachvollziehbarer Weise begründen müssen.
Keinen rechtlichen Bedenken begegnet die Auffassung der Vorinstanz, daß die Feststellungen im Prüfungsbericht über die Umsatzsteuerschuld 1979 der GmbH bei der Entscheidung berücksichtigt werden dürfen. Die Prüfungsanordnung (§ 196 AO 1977) war zwar, weil an ein nicht mehr existentes Steuersubjekt gerichtet, unwirksam (z. B. BFH, Urteil vom 10. April 1987 III R 202/83, BFHE 150, 1, 3 f., BStBl II 1988, 165), woraus sich -- grundsätzlich -- ein Verbot der Verwertung der Prüfungsfeststellungen ergibt (hierzu etwa BFH, Beschluß vom 4. Oktober 1991 VIII B 93/90, BFHE 165, 339, 341 f., BStBl II 1992, 59; Senat, Urteil vom 1. Dezember 1992 VII R 53/92, BFH/NV 1993, 515). Ein Verwertungsverbot besteht jedoch nicht für Erstveranlagungen (BFH, Urteil vom 10. Mai 1991 V R 51/90, BFHE 164, 495, 497, BStBl II 1991, 825), auch nicht für (Änderungs-)Veranlagungen aufgrund von § 164 Abs. 2 AO 1977, da diese Erstveranlagungen gleichstehen (Tipke/Kruse, AO/FGO, 14. Aufl., § 196 AO 1977 Tz. 9 a. E.). Im Streitfall ist es zu einer Veranlagung nur deshalb nicht gekommen, weil die GmbH bereits als Steuersubjekt weggefallen war. Bei sonach noch "offener", wenn auch inzwischen nicht mehr möglicher Veranlagung kann sich der Haftungsschuldner ebensowenig auf ein Verwertungsverbot berufen wie der Steuerschuldner, wenn er noch rechtlich existent wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 423610 |
BFH/NV 1995, 572 |