Leitsatz (amtlich)
1. § 12 AO, wonach der Reichsminister der Finanzen zur Durchführung und zur Ergänzung der vom Reich erlassenen Steuergesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen kann, ist bis zum Erlaß des Grundgesetzes in Kraft geblieben. §§ 71 Abs. 1, 76 UStDB 1938 sind rechtsgültig.
2. Bei Versäumung der Frist für den Antrag auf Gewährung einer Umsatzsteuervergütung darf Nachsicht nicht gewährt werden.
Normenkette
AO § 12; UStG § 16; UStDB 1938 § 71 Abs. 1, § 76
Tatbestand
Der Antrag der Beschwerdeführerin (Bfin.) auf Gewährung einer Umsatzsteuervergütung für ihre Ausfuhrlieferungen im zweiten Kalendervierteljahre 1949 ist am 14. Januar 1950 beim Finanzamt eingegangen. Er hätte nach §§ 71 Abs. 1, 76 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1938 binnen einer Ausschlußfrist von sechs Monaten, also spätestens am 31. Dezember 1949, eingereicht werden müssen. Wegen dieser Fristversäumnis stellte die Bfin. einen Antrag auf Nachsichtgewährung und begründete ihn mit längerer Erkrankung ihres Sachbearbeiters. Das Finanzamt lehnte am 30. Januar 1950 und später noch einmal am 21. Oktober 1950 den Antrag auf Nachsichtgewährung und zugleich auch den Antrag auf Gewährung einer Umsatzsteuervergütung für das zweite Vierteljahr 1949 ab. Einspruch und Berufung der beschwerdeführenden Gesellschaft blieben erfolglos. Auch die Rechtsbeschwerde (Rb.) ist nicht begründet.
Die Bfin. macht folgendes geltend:
1. § 71 Abs. 1 UStDB 1938 sei rechtsungültig; denn der Reichsminister der Finanzen sei durch § 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht ermächtigt worden, eine Frist für die Stellung eines Vergütungsantrags zu setzen und diese Frist als Ausschlußfrist zu bestimmen. Vielmehr seien die in § 158 der Reichsabgabenordnung (AO) gesetzten Fristen maßgeblich. Eine kürzere Frist könne nur durch ein Steuergesetz, nicht durch Durchführungsbestimmungen vorgeschrieben werden. Die in § 71 Abs. 1 UStDB gesetzte Frist könne auch nicht auf die Ermächtigung des § 12 AO gestützt werden; denn wie schon in dem Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs III D I/48 vom 23. November 1948 (= Steuerrechtskartei -- StRK -- Grundsteuergesetz § 4 Ziff. 5 und 6 Rechtsspruch 1) ausgeführt sei, sei der Reichsminister der Finanzen zur Ergänzung eines Steuergesetzes immer nur insoweit befugt, als die Ergänzung nicht gegen Grundsätze des Gesetzes verstoße. § 71 UStDB verstoße jedoch sowohl gegen das Umsatzsteuergesetz wie gegen § 158 AO.
2. Selbst wenn jedoch eine Ausschlußfrist rechtsgültig bestehen sollte, sei dem Antrag auf Nachsichtgewährung stattzugeben. Die Verspätung des Antrags sei nicht auf Verschulden, sondern auf die Erkrankung eines Angestellten zurückzuführen. Dieser Umstand sei sinngemäß dem Begriff der höheren Gewalt im Sinne des § 154 AO gleichzusetzen, wonach die Ausschlußfrist für die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs bei Vorliegen höherer Gewalt nicht läuft. Außerdem sei der Antrag auf Nachsichtgewährung auch nach § 86 AO begründet, wonach wegen Versäumung einer Rechtsmittelfrist beantragen kann, wer ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.
Entscheidungsgründe
Zu 1. Wie in dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 70/50 S vom 16. Dezember 1950 (Bundessteuerblatt -- BStBl. -- III S. 31) ausgeführt ist, ist grundsätzlich davon auszugehen, daß auch nach dem 30. Januar 1933 in Kraft getretenes deutsches Recht weiter anzuwenden ist, soweit es nicht durch alliierte oder deutsche Gesetzgebung ausdrücklich aufgehoben wird oder Rechtssätze enthält, die nach Art. II Ziff. 3 des Militärregierungsgesetzes Nr. 1 nicht mehr angewendet werden dürfen. §§ 71 Abs. 1 und 76 UStDB 1938 stützen sich als gesetzesvertretende Rechtsverordnung unter anderem auf § 12 AO, wonach der Reichsminister der Finanzen zur Durchführung und zur Ergänzung der vom Reich erlassenen Steuergesetze Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen kann. Die gegenüber früheren Fassungen weitergehende Ermächtigung auch zur Ergänzung von Gesetzen, ist jedenfalls bis zum Erlaß des Grundgesetzes (Art. 129 Abs. 3) in Kraft geblieben. Hiervon geht auch das Gutachten des Bundesfinanzhofs IV D 1/51 S vom 22. November 1951 (BStBl. 1952 S. 6, insbesondere S. 9) aus. Es ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt (vgl. das oben angeführte Urteil vom 16. Dezember 1950 und die dort angeführte Literatur), daß durch das Außerkrafttreten der ermächtigenden Rechtsgrundlage die weitere Gültigkeit der auf Grund der Ermächtigung erlassenen Rechtsvorschriften nicht berührt wird. Dieser Grundsatz gilt zweifelsfrei für gesetzesvertretende Rechtsverordnungen, die sich, wie hier, auf die Blankettvollmacht des § 12 AO stützen, der seinerseits selbst keine materielle Regelung eines bestimmten Gesetzes enthält. Danach ist entsprechend dem von der Bfin. angeführten Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs I 17/49 S vom 21. Januar 1950 (StRK, Gewerbesteuergesetz § 2 Abs. 1 Rechtsspruch 8a, Steuerblatt Niedersachsen 1950 S. 67 = Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen -- Bay.FMBl. -- S. 87) nur noch zu prüfen, ob die §§ 71 Abs. 1, 76 UStDB gegen festgelegte Grundsätze des Gesetzes verstoßen. Dies ist jedoch zu verneinen. Von der gleichen Auffassung ging schon das Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs II 18/50 S vom 12. Juli 1950 (StRK, AO § 86 Rechtsspruch 1, Steuerblatt Niedersachsen S. 437 = Bay.FMBl. S. 428) aus. Der erkennende Senat hat die Frage erneut geprüft und hält an dieser Auffassung fest. Ein Verstoß gegen § 16 UStG, in dem Fristsetzungen für die Einreichung von Vergütungsanträgen überhaupt nicht geregelt sind, ist nicht ersichtlich. § 158 AO sieht selbst vor, daß die dort gesetzte Frist außer Betracht bleibt, soweit nicht andere Fristen vorgeschrieben sind. Da nach den vorstehenden Ausführungen die Rechtsgrundlage des § 12 AO außer Zweifel steht, ist nicht einzusehen, daß nur ein Steuergesetz und nicht auch eine gesetzesvertretende Verordnung eine von § 158 AO abweichende Fristregelung treffen kann. § 158 AO spricht von Steuergesetzen nur insoweit, als in solchen die Rechtsgrundlage für einen Vergütungsanspruch geregelt sein muß. Bestimmungen über die näheren Voraussetzungen, die Bemessungsgrundlage und den Vergütungssatz konnten durch Rechtsverordnung getroffen werden, da Gesetze gerade auf dem Gebiete des Umsatzsteuerrechts mit der besonders bei ihm gebotenen möglichst raschen Angleichung an die Entwicklungen im Wirtschaftsleben nur das Wesentliche zu regeln pflegen. Danach geht die Begründung der Rb. fehl, soweit sie die gesetzlichen Grundlagen für die im § 71 UStDB rechtsgültig getroffene Regelung anzweifelt.
Zu 2. Aber auch dem Antrag auf Nachtsichtgewährung konnte nicht entsprochen werden. Der erkennende Senat hält an der Auffassung fest, wie sie in den Urteilen des Reichsfinanzhofs V 176/41 vom 25. September 1942 (Reichssteuerblatt -- RStBl. -- S. 962) und des Obersten Finanzgerichtshofs II 18/50 vom 12. Juli 1950 (StRK, AO, § 86 Rechtsspruch 1 = Bay.FMBl. 1950 S. 428) zum Ausdruck gekommen ist, wonach bei Versäumung der Frist für den Antrag auf Gewährung einer Umsatzsteuervergütung keine Nachsicht gewährt werden darf. Die hierzu gemachten Ausführungen der Rb. sind rechtsirrig; denn die hier vertretene Auffassung steht im Einklang mit den Bestimmungen der Reichsabgabenordnung. Im § 83 AO ist klar und unmißverständlich bestimmt, daß Ausschlußfristen mit Ausnahme der Rechtsmittelfristen, für die allein Nachsichtgewährung in Betracht kommt (§ 86), nicht verlängert werden dürfen. Der Antrag auf Gewährung einer Umsatzsteuervergütung ist weder ein Rechtsmittel noch ein einem solchen gleichzustellender Rechtsbehelf im Sinne des § 86 AO. Damit entfällt aber die von der Bfin. begehrte entsprechende Anwendung der für die Versäumung von Rechtsmittelfristen geltenden Vorschriften. Die Ansicht, daß auch bei Verspätung eines Vergütungsantrags Nachsicht gewährt werden kann, ist mit Wortlaut und Sinn der Bestimmungen nicht vereinbar. Schließlich kann der Rb. auch nicht darin gefolgt werden, daß die Erkrankung eines Angestellten sinngemäß dem Begriff der höheren Gewalt gleichzusetzen sei, so daß sich die Anwendung der §§ 154, 158 AO rechtfertige. Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. z. B. Reichsgericht in Zivilsachen 101, 95) ist darunter ein außergewöhnliches Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste, nach Lage der Sache vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden kann. Dafür, daß die Bfin. durch ein solches Ereignis an der rechtzeitigen Einhaltung der Frist gehindert worden sei, ist jedoch nichts dargetan. Nach alledem war die Rb. mit der Kostenfolge des § 307 AO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1953, 22 |
BFHE 1954, 60 |