Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsersuchen an eine Sparkasse
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Zulässigkeit eines Auskunftsersuchens an eine Sparkasse bei hohen Entnahmen zur Überprüfung privater Kontenbewegungen.
Orientierungssatz
1. Verletzung des Ermessens durch das FA mit einem Auskunftsersuchen an eine Sparkasse allein aufgrund hoher ungebundener Entnahmen, wenn die Vorlage sämtlicher Kontoauszüge für vier Jahre verlangt wird. Bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hätte es sich mit der Vorlage sämtlicher Kontoauszüge zunächst für einen weitaus kürzeren Zeitraum (höchstens ein Jahr) begnügen müssen. Erst wenn bei der Prüfung dieser Auszüge Umstände zu Tage treten, die auf nichterklärte Vermögensbildung hindeuten, könnte das Verlangen auf Vorlage von Kontoauszügen auch für weitere Jahre zulässig sein.
2. Ein Auskunftsersuchen des FA ist nur dann nicht rechtmäßig, wenn irgendwelche Anhaltspunkte für steuererhebliche Umstände fehlen. Nur Auskunftsverlangen im Rahmen von Rasterfahndungen oder ähnlichen Ermittlungen sind unzulässig. Das Auskunftsrecht des FA unterliegt allerdings rechtsstaatlichen Grenzen. Die verlangte Auskunft muß zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und die Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar sein (vgl. BFH-Rechtsprechung; Literatur).
Normenkette
AO 1977 § 93 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Entscheidung vom 23.10.1985; Aktenzeichen V 169/80) |
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und Inhaber der Firmen R KG und H KG. Als Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärten sie folgende Beträge: je 135 000 DM für 1972 und 1973, 53 000 DM für 1974 und 179 000 DM für 1975.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der Firma R KG verlangte der Betriebsprüfer die Vorlage aller privaten Sparbücher und Bankauszüge für die Jahre 1972 bis 1975 und der Kontenbestände 31.Dezember 1972 und 31.Dezember 1975. Die Kläger legten daraufhin eine Bestätigung der Sparkasse E, Zweigstelle D (Sparkasse E), hinsichtlich der privaten Girokonten X und Y vor. Die Bescheinigung für das erstgenannte Konto enthielt die Soll- und Habenzinsen und die Kontostände jeweils per 31.Dezember der Jahre 1972 bis 1975. Die Bescheinigung für das zweitgenannte Konto enthielt die Kontostände zum 31.Dezember 1972 bis 1976 und den Vermerk, daß 1972 bis 1976 Zinsen und Gebühren nicht angefallen seien. Die Kläger teilten ferner mit, der Kläger habe seit dem 16.Januar 1975 noch ein Konto bei der Sparkasse A. Über dieses seien die Mieteinnahmen aus dem Grundstück B gelaufen. Darüber hinaus existierten keine weiteren Giro- oder Sparkonten. Ihnen seien keine weiteren Kapitaleinkünfte zugeflossen. Sie seien bereit, dies an Eides Statt zu versichern.
Das genügte dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ―FA―) nicht. Er forderte erneut die Vorlage der Kontenauszüge einschließlich der dazugehörenden Belege über die privaten Girokonten. Die Kläger teilten daraufhin mit, die Auszüge seien nur noch teilweise und bruchstückhaft vorhanden.
Mit Schreiben vom 4.Januar 1979 richtete das FA an die Sparkasse E ein auf §§ 93, 97 der Abgabenordnung (AO 1977) gestütztes Auskunftsersuchen. Es führte darin die Kontennummern der Kläger an und teilte der Sparkasse E mit, die Kläger seien dem Ersuchen auf Vorlage der Kontenauszüge und Belege nicht nachgekommen. Eine weitere Aufklärung bei den Klägern sei nicht möglich, da bei diesen die Kontenauszüge nur noch teilweise vorhanden seien. Das FA bat um Kopien der Kontenblätter für 1972 bis 1975. Die Sparkasse E erhob dagegen Beschwerde, über die noch nicht entschieden ist.
Die Kläger erhoben Aufsichtsbeschwerde zur Oberfinanzdirektion (OFD). Die OFD behandelte diese als Rechtsbehelf gegen das Auskunftsersuchen vom 4.Januar 1979. Die Beschwerde blieb erfolglos. Zur Begründung führte die OFD aus: Die ungebundenen Entnahmen hätten 1972 58 000 DM, 1973 68 300 DM, 1974 62 000 DM und 1975 47 600 DM betragen. Wegen der Höhe der Entnahmen könne nicht ausgeschlossen werden, daß die entnommenen Gelder für Zwecke der Vermögensanlage und Einkunftserzielung verwendet worden seien. Das FA sei nach § 85 AO 1977 zur Verfolgung jedes steuerlichen Falles verpflichtet.
Mit ihrer Klage haben die Kläger beantragt, den Verwaltungsakt vom 4.Januar 1979 und die Beschwerdeentscheidung aufzuheben und festzustellen, daß sie nicht verpflichtet seien, Auszüge privater Girokonten und der zugehörigen Belege aufzubewahren und dem FA vorzulegen, sowie festzustellen, daß die Sparkasse E nicht verpflichtet sei, dem FA Ablichtungen der entsprechenden Kontenblätter und Kontenunterlagen vorzulegen.
Das Finanzgericht (FG) hat das an die Sparkasse E gerichtete Auskunftsersuchen und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufgehoben. Im übrigen hat das FG die Klage abgewiesen.
Mit seiner Revision macht das FA die Verletzung materiellen Rechts geltend. Die §§ 97, 200, 95, 93, 90 und 88 AO 1977 seien verletzt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das an die Sparkasse E gerichtete Auskunftsersuchen des FA vom 4.Januar 1979 war in dieser Form nicht zulässig.
1. Nach § 93 Abs.1 Satz 1 AO 1977 haben die Beteiligten und andere Personen der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Andere Personen als die Beteiligten sollen erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziele führt oder keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs.1 Satz 3 AO 1977).
2. Im Streitfall durfte das FA von der Sparkasse E keine Auskunft in Form der Vorlage der Auszüge über private Bankkonten für vier Jahre verlangen. Das FA hat sein Ermessen verletzt.
a) Der für die Besteuerung erhebliche Sachverhalt (§ 93 Abs.1 Satz 1 AO 1977), dessen Bestehen oder Nichtbestehen durch das Auskunftsersuchen festgestellt werden sollte, bestand im Streitfall darin, ob die Kläger mit Teilen der von ihnen aus ihren Betrieben entnommenen Mitteln Vermögen gebildet hatten, das im Rahmen der Vermögensteuerveranlagung anzusetzen sei und aus dem sie steuerpflichtige Einkünfte hätten erzielen können.
Das FA will diesen Sachverhalt dadurch aufklären, daß es von der Sparkasse E die Kontenauszüge der privaten Bankkonten der Kläger von 1972 bis 1975 verlangt, nachdem die Kläger erklärten, daß sie diese Auszüge nur noch teilweise in ihrem Besitz hätten. Der Senat geht davon aus, daß das FA mit diesem Auskunftsersuchen
aa) zum einen feststellen wollte, ob die Kläger auf ihren Konten bei der Sparkasse E Vermögen angesammelt hatten und
bb) zum zweiten prüfen wollte, ob sich aus möglichen Kontenbewegungen, insbesondere aus der Überweisung größerer Beträge, oder ob sich durch Zahlungseingänge auf den Konten (z.B. Eingang von Zinsen oder Dividenden) Erkenntnisse über anderweitige Vermögensbildungen der Kläger gewinnen ließen.
b) Grundsätzlich ist das Auskunftsrecht des FA nach § 93 Abs.1 AO 1977 nicht auf Fälle beschränkt, in denen Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß möglicherweise eine Steuerschuld entstanden sei bzw. daß Steuern verkürzt worden sind. Die Finanzbehörden können vielmehr gemäß § 93 Abs.1 Satz 1 AO 1977 von den Beteiligten Auskünfte einholen, wenn sie dies nach pflichtgemäßer Prüfung zur Ermittlung eines Sachverhalts für erforderlich halten (§ 92 Satz 1 AO 1977). Die Anforderung von Auskünften setzt nicht voraus, daß bereits eine lückenhafte oder zu Zweifeln Anlaß gebende Steuererklärung vorliegt (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 93 AO 1977 Anm.2 m.w.N. und Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29.Oktober 1986 VII R 82/85, BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359). Ein Auskunftsersuchen ist danach nur dann nicht rechtmäßig, wenn irgendwelche Anhaltspunkte für steuererhebliche Umstände fehlen. Nur Auskunftsverlangen im Rahmen von Rasterfahndungen oder ähnlicher Ermittlungen sind unzulässig; "ins Blaue hinein" darf die Finanzbehörde Auskunftsverlangen nicht stellen (BFH in BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359; Urteil vom 18.März 1987 II R 35/86, BFHE 149, 267, BStBl II 1987, 419).
c) Nach Auffassung des erkennenden Senats liegen im Streitfall Anhaltspunkte für steuererhebliche Umstände im vorstehenden Sinn vor. Sie bestehen in den hohen ungebundenen Entnahmen in den Jahren 1972 bis 1975. Dabei versteht der Senat unter "ungebundenen" Entnahmen solche, die nicht zur Bezahlung der Einkommensteuer verwendet werden. Ungebundene Entnahmen in Höhe von 58 000 DM in 1972, 68 300 DM in 1973, 62 000 DM in 1974 und 47 600 DM in 1975 lassen bei Ehegatten mit einem Kind nach Auffassung des Senats durchaus die Möglichkeit der Vermögensbildung offen.
Dem steht nach Auffassung des erkennenden Senats die vom FG vertretene Meinung nicht entgegen, daß bei aufwendigem Lebensstil monatlich zwischen 3 900 DM und 5 700 DM verbraucht worden sein könnten. Das FG hat einen so hohen Verbrauch nicht festgestellt, sondern erwähnt ihn nur als Möglichkeit, wodurch die das Auskunftsersuchen rechtfertigende Möglichkeit der Vermögensbildung nicht ausgeschlossen wird.
d) Allerdings unterliegt das Auskunftsrecht des FA allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 93 AO 1977 Anm.55 und § 90 AO 1977 Anm.23). Die verlangte Auskunft muß zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und die Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar sein (BFH in BFHE 148, 108, 115, BStBl II 1988, 359; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 93 AO 1977 Anm.55 m.w.N.). Im Streitfall erfüllt das Auskunftsersuchen nicht die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit (Zweck-Mittel-Verhältnis).
Aus der von den Klägern vorgelegten Bescheinigung der Sparkasse E ist erkennbar, daß die Kläger auf den beiden bei dieser Sparkasse geführten Konten in den Streitjahren kein Vermögen angesammelt hatten. Das ergibt sich aus den mitgeteilten Jahresendbeständen und den geringen Soll- und Habenzinsen dieser Konten. Das Verlangen des FA auf Vorlage sämtlicher Kontenauszüge kann mithin nur zur Prüfung der Frage dienen, ob aus Kontenbewegungen Erkenntnisse über andere Vermögensbildungen der Kläger möglich sind.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich das FA zu dieser Prüfung allein deshalb veranlaßt sah, weil die Kläger hohe Beträge entnommen hatten, durfte es nicht die Vorlage sämtlicher Kontenauszüge für den gesamten Zeitraum von vier Jahren verlangen. Bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hätte es sich mit der Vorlage sämtlicher Kontenauszüge zunächst für einen weitaus kürzeren Zeitraum (höchstens ein Jahr) begnügen müssen. Erst wenn bei der Prüfung dieser Auszüge Umstände zu Tage treten, die auf nichterklärte Vermögensbildung hindeuten, könnte das Verlagen auf Vorlage von Kontenauszügen auch für weitere Jahre zulässig sein.
3. Obwohl der Senat eine Anforderung von Kopien der Kontenblätter für ein Jahr, wie sich aus den Ausführungen unter 2. ergibt, als rechtmäßig ansieht, hatte er die Vorentscheidung in vollem Umfang zu bestätigen. Dadurch wird das FA nicht gehindert, an die Sparkasse E ein erneutes Auskunftsersuchen zu richten. Es ist nicht Aufgabe des FG zu bestimmen, ob und ggf. für welches Jahr des Streitzeitraums die Kopien der Kontenblätter von der Sparkasse vorzulegen sind. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde (vgl. § 5 AO 1977). Die Ermessensauswahl ist nicht so weit eingeschränkt, daß das Gericht anstelle der Finanzbehörde die Auswahl treffen kann (vgl. § 102 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―; BFH-Urteil vom 1.Juli 1981 VII R 84/80, BFHE 134, 79, BStBl II 1981, 740; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 102 Rz.14).
Fundstellen
Haufe-Index 63166 |
BFH/NV 1991, 13 |
BStBl II 1991, 277 |
BFHE 162, 539 |
BFHE 1991, 539 |
BB 1991, 753 |
BB 1991, 753-754 (LT1) |
DB 1991, 635-636 (LT) |
DStR 1991, 312 (KT) |
HFR 1991, 321 (LT) |
StE 1991, 86 (K) |